Bericht von der isaScience-Konferenz 2022

Eine Violine, die im Schwimmbad hängt, eine andere, die wie von selbst zarte Sounds produziert: Mit solch ungewöhnlichen Eindrücken läutete HannaH Walters Lecture-Performance becoming vyborg. becoming with technology den zweiten Tag der isaScience 2022 ein und vereinte darin trefflich wesentliche Aspekte der interdisziplinären, hybriden Wissenschaftskonferenz mit dem Thema Un/Learning: Norms and Routines in Cultural Practices in Reichenau an der Rax.

© Daniel Willinger

Aus dem Konferenzraum im historischen Hotel Marienhof hinaus ins blätterdurchbrochene Morgenlicht des parkähnlichen Gartens lud Walter die Teilnehmer_innen vor Ort dazu ein, ihre passive Rolle zu verlassen und aktiv zu werden, und machte sie dabei zum integralen Bestandteil der Performance, indem die Teilnehmer_innen selbst mithilfe ihrer Smartphones zu Kameraleuten für das Publikum auf Zoom wurden. Mosaikgleich konnte die Lecture-Performance somit auch digital aus vielen verschiedenen Perspektiven rezipiert werden. In Anlehnung an das isa-Motto „Always Anew“ untersuchten die Teilnehmer_innen der isaScience 2022 vielfältige Themen unter dem Blickwinkel des Un/Learnings: Gendergerechtigkeit, Dekolonisierung, Institutionskritik, Transkulturalität sowie Disability Studies waren Schwerpunkte, die die internationale Konferenz unter Leitung des neuen wissenschaftlichen Teams bestehend aus Andrea Glauser, Marko Kölbl und Stephanie Probst prägten. Das Sommerfrische-Ambiente der Semmering-Region ermöglichte dabei aufs Neue intensiven Austausch, sowohl in den Pausen als auch abseits des ambitionierten Konferenzprogramms im gemütlichen Beisammensein.

© Daniel Willinger

Dass Un/Learning letztendlich kein abgestecktes Forschungsfeld einzelner Personen, sondern notwendigerweise „unser aller Forschung“ sei, formulierte Shzr Ee Tan in ihrer äußerst selbstreflexiven Eröffnungs-Keynote. Unter dem Titel Decolonising Sound and Music in Post-Woke Regimes: Bad Faith, Wilful Misunderstandings, ‚Western‘ Problems, Brave Conversations, Personal Boundaries ging Tan zahlreichen Momenten ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit auf den Grund, in denen sie sich mit Themen von (De-)Kolonialität und damit einhergehenden Normen und Stereotypen konfrontiert sah. Ihre eindringliche Frage nach der eigenen Positionalität und Rolle im Gatekeeping der Wissenschaft verlieh der isaScience 2022 somit einen selbstkritischen Konferenzauftakt.

Shzr Ee Tan © Daniel Willinger

Auch Danielle Browns Keynote-Lecture The Lies We Tell: Unlearning False Narratives setzte sich mit Fragen akademischer Repräsentation und Zugänglichkeit auseinander, jedoch aus der Außenperspektive. 2014 verließ sie die akademische Welt und gründete das Unternehmen „My People Tell Stories“, mit dem sie ihr Bestreben, die Musikwissenschaft zu dekolonialisieren, weiterführt. Auf Browns Vortrag rekurrierend, beschäftigte sich Tanya Titchkosky in der abschließenden Keynote Disability & Disability Studies: Encountering Artistic Embodiment Anew mit der Ausgestaltung von Zugänglichkeit über die reine Inklusion hinaus. Was passiert, sobald Hürden überwunden sind, und zu was wird Zugang gewährt, wenn bisher ausgegrenzte Gruppen inkludiert werden? Pointiert fragte sie: „When we are in, what are we in for?“ Ausgehend von ihrer eigenen Forschung zu Disability, erörterte Titchkosky die Bedeutung von (Körper-)Normen gerade in der Verschränkung mit künstlerischer Praxis. Beispielhaft nannte sie etwa das Coaching blinder Schauspieler_innen durch nicht sehbeeinträchtigte Trainer_innen, wodurch stereotype Gesten reproduziert würden. Dass Inhalt und Form in der Auseinandersetzung mit dem Un/Learning von Normen und Routinen nicht zu trennen sind und dass ein solches Thema daher mit dem Aufbrechen tradierter Präsentationsformate einhergehen sollte, machte das Programm der isaScience vielfältig deutlich. Insgesamt 30 Beiträge wurden erstmals in einem anonym durchgeführten Auswahlprozess aus der großen Anzahl hervorragender internationaler, wie auch mdw-interner Einreichungen ausgewählt: Wissenschaftliche Panels und fünf Lecture-Performances bildeten die disziplinäre und methodische Bandbreite der Teilnehmer_innen ab, die aus drei Kontinenten vor Ort oder online zu Gast waren. Aus England und Kanada zugeschalten waren Rod Michalko, Devon Healey und Nate Bitton für ihre Online-Lecture-Performance Sighted Rhythm and Blind Perception. Diese hinterfragte – durchaus humorvoll – das Verständnis von „Normalität“ und Erwartungshaltungen an blinde und sehbeeinträchtigte Personen. Mit der Kombination von Michalkos Lesung eines memoiristischen Texts aus der Perspektive seines Blindenhunds Smokie sowie Healeys und Bittons Live-Hörspielszene setzte das Trio der isaScience 2022 einen leichtfüßigen wie eindrücklichen Schlusspunkt.

© Daniel Willinger

isa-music.org/isascience

Ausgewählte Beiträge der isaScience im mdwRepository

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