Am 7. Juli 1932 wurde Joe Zawinul († 2007) in Wien geboren und wuchs unweit des mdw-Campus im 3. Wiener Gemeindebezirk auf. Er zählt heute zu den einflussreichsten Jazz-Musikern des 20. Jahrhunderts. Seinen 90. Geburtstag nahm die big.mdw.band (Leitung: Markus Geiselhart), die Big Band der mdw am Institut für Popularmusik, zum Anlass, sich in einer Trilogie über drei Semester lang mit der Musik und dem Wirken von Joe Zawinul zu beschäftigen. Die Trilogie folgt allerdings nicht der chronologischen Entwicklung von Zawinuls Karriere, sondern dem Lehrplan der big.mdw.band, welcher im Wintersemester ein traditionelles und im Sommersemester ein modernes Programm vorsieht.

Sommersemester 2022: Zawinul 90 – The Music of Weather Report

Im Dezember 1970 gründete Joe Zawinul gemeinsam mit dem amerikanischen Saxophonisten Wayne Shorter und dem tschechischen Bassisten Miroslav Vitouš die Band Weather Report. Bis zur Auflösung der Band 1986 spielten bei Weather Report Musikerpersönlichkeiten wie Jaco Pastorius, Peter Erskine, Alphonse Mouzon oder Victor Bailey. Weather Report gilt als eine der künstlerisch bedeutendsten und kommerziell erfolgreichsten Jazz- und Fusion-Bands der 1970er- und 1980er-Jahre und beeinflusst bis heute viele Musiker_innen verschiedener Stilrichtungen.

Die Big-Band-Arrangements für dieses Programm stammen teilweise aus der Feder des amerikanischen Arrangeurs Vince Mendoza. Sie wurden im Oktober 2005 von Joe Zawinul und der WDR Big Band in Joe Zawinuls Birdland in Wien live aufgenommen und sind 2006 auf der CD Brown Street erschienen. Das Arrangement von Joe Zawinuls Komposition Man in the Green Shirt wurde von dem Saxophonisten Hans Salomon für die ORF Big Band geschrieben und liegt im ORF-Big-Band-Archiv, das vor fünf Jahren vom ORF an die mdw als Schenkung übergeben wurde. Seit dem Frühjahr 2022 ist dieses Archiv nun komplett im Katalog der mdw-Bibliothek erfasst.

Die Bearbeitung der Wayne-Shorter-Komposition Palladium ist von dem Amerikaner Mike Tomaro. Das Arrangement von Procession stammt von Joe Zawinul selbst und wurde von mir für die big.mdw.band eingerichtet. Weiters verfasste ich ein Arrangement des Titels Can it be done, der auf dem Weather-Report-Album Domino Theory 1984 erschienen ist, für Big Band und Vocal-Ensemble. Mit dem vierstimmig besetzen Vocal-Ensemble (Sopran, Alt, Tenor, Bass) des Instituts für Popularmusik steht auch eine Version der Zawinul-Komposition Birdland auf dem Programm. Das Arrangement des australischen Komponisten und Posaunisten Daryl McKenzie vereint die Birdland-Versionen von Manhattan Transfer mit dem Big-Band-Arrangement der Maynard Ferguson Big Band. Birdland wurde übrigens in drei verschiedenen Versionen für einen Grammy ausgezeichnet: auf dem Album Heavy Weather (1977) von Weather Report, auf dem Album Extensions (1980) von Manhattan Transfer sowie in der Version von Quincy Jones.

© Sabine Geiselhart

Das Konzert der big.mdw.band vom 29. Juni 2022 im Schlosstheater Schönbrunn ist in der mdwMediathek abrufbar.

Wintersemester 2022/23: Zawinul 90 – From Vienna, With Love

In diesem Semester steht die Anfangszeit der Karriere von Joe Zawinul im Mittelpunkt und somit befasst sich auch ein Teil des Programms mit der Wiener Jazzszene der 1950er-Jahre.

Im Jahr 1955 gründete Johannes Fehring (eigentlich Johannes Fernbach) in Wien das Orchester Joannes Fehring, in dem auch der junge Joe Zawinul – u. a. neben dem Posaunisten Erich Kleinschuster oder dem Saxophonisten Hans Salomon Mitglied – war. Aus dem Orchester Johannes Fehring gründete sich dann 1971 die ORF Big Band, die bis zu ihrer Auflösung 1982 bestand. Aus dem ORF Big Band-Archiv haben wir für dieses Programm beispielsweise Hans Salomons Komposition Salute to Miles, die er für das Orchester Johannes Fehring geschrieben hat, entnommen. Bekanntheit erlangte diese Komposition allerdings durch eine Aufnahme der deutschen Max Greger Big Band, die das Stück 1965 auf dem Album Maximum veröffentlichte. Etwa 1954, also kurz vor der Gründung des Orchester Joahnnes Fehring, formierte der Schlagzeuger Viktor Plasil die Combo Austrian All Stars, welcher neben Joe Zawinul am Klavier, auch Hans Salomon am Altsaxophon, Karl Drewo am Tenorsaxophon und Rudolf Hansen am Bass angehörten. Ab 1955 kam der Trompeter Dick Murphay dazu. Später spielte in dieser Combo auch zeitweise der Pianist Friedrich Gulda. Ein von dieser Combo häufig gespielter Titel ist das schwedische Volkslied Ack, Värmeland, du sköna (Nachdem der amerikanische Saxophonist Stan Getz dieses Lied für Konzerte in Schweden bearbeitet hat, wurde es unter dem Titel Dear old Stockholm zum Jazzstandard). Auch von diesem Titel kommt ein Arrangement von Hans Salomon aus dem ORF-Big-Band-Archiv zur Aufführung. Der Titel From Vienna, With Love, der diesem Semester das Motto verleiht, wurde von Joe Zawinul 1968 auf dem Album The Rise and Fall of the Third Stream veröffentlicht. Vermutlich handelt es sich dabei allerdings um eine Komposition von Friedrich Gulda, der dieses Stück im Rahmen seiner Golowin-Lieder auf dem Album Wann i geh’ unter dem Titel Du und i veröffentlichte. Aus diesem Grund verfasste ich von diesem Titel zwei Arrangements: eine instrumentale Version als Opener für das Programm und eine Vocal-Version, die als Zugabe gespielt wird. Weiters stehen Titel aus dem Repertoire von Dinah Washington, die Zawinul engagierte und damit eine der ersten wichtigen Stationen von Joe Zawinul in Amerika schuf, auf dem Programm. Und auch Kompositionen, die Joe Zawinul für das Cannonball Adderly Quintet verfasst hat. Jener Band, in der er in Amerika endgültig zum Jazzstar reifte.

Sommersemester 2023: Zawinul 90 – The Syndicate

Zum Abschluss der Zawinul-Trilogie steht die Musik von Zawinuls Syndicate im Mittelpunkt.

The Zawinul Syndicate bestand von 1988 bis zu seinem Tod am 11. September 2007. Mit diesem Ensemble hat Zawinul eine Art des Musizierens entwickelt, die sich grundsätzlich von üblichen Konzepten der Jazz-, Pop- und Rockmusik abhebt. Die Stücke haben oft „suitenartigen“ Charakter, werden durch einen mehr oder weniger offenen Ablauf von Melodien und Wechsel der Tonalität strukturiert. Im Zentrum stehen starke Grooves, fast jedes Stück basiert auf einer eigenen rhythmischen Komposition, die Gitarre, Bass, Percussion, Drums und Keyboard zu einem unverwechselbaren polyphonen Geflecht zusammenführt. Aus den vorhandenen Bausteinen werden die Arrangements und formalen Abläufe spontan gestaltet. Die zweite Säule sind persönliche Solospots, ähnlich einer Kadenz im klassischen Sinn, welche jede_r Musiker_in des Ensembles völlig frei gestalten kann. Dadurch stellen sich die Musiker_innen sozusagen musikalisch vor. Diese Spots können zwischen zwei Stücken oder auch innerhalb eines Stückes zwischen zwei Teilen platziert werden. Dieser Teil der Trilogie beginnt bereits im Wintersemester in Zusammenarbeit mit der Lehrveranstaltung Pop & Jazz Bandprojekt von Paul Urbanek. Hier wird mit einer Syndicate-Besetzung (Keyboard, Bass, Gitarre, Schlagzeug, Percussion) mit Notenmaterial gestartet, das die oben beschriebenen, später noch freier gestalteten Abläufe simuliert, und somit eine gute Mischung aus formalem Gerüst und freien Gestaltungsräumen darstellt. Der erste Schritt wird das gemeinsame Erarbeiten der Grundstrukturen, Grooves, Riffs und Melodien sein. Dann wird mit der formalen Gestaltung experimentiert, so dass diese auch spontan verändert werden kann.

Im Sommersemester wird diese Besetzung dann zur Rhythmusgruppe der big.mdw.band und das im Wintersemester erarbeitete Material wird mit der kompletten Big Band in neuen Arrangements zusammengeführt, ohne dabei die Spontaneität der Syndicate-Stücke zu verlieren.

Speziell für die Rhythmusgruppe stellt dieser Arbeitsprozess eine wichtige Erfahrung in der musikalischen Entwicklung dar, ein bereits bekanntes Programm in einer anderen musikalischen Umgebung neu zu interpretieren.

Für die Solist_innen der big.mdw.band bietet die erstmalige Zusammenarbeit der Lehrveranstaltungen Big Band und Pop & Jazz Bandprojekt wesentlich mehr Raum und Zeit für die solistische Entwicklung und das Experimentieren mit der Soloperformance.

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