Nach fünf Tagen ging am 21. November mit dem more strings die größte Veranstaltung des Fritz Kreisler Instituts der mdw für 2022 zu Ende. Das Pensum für Besuchende und Teilnehmende war beachtlich: Acht Konzerte, zwei Meisterkurse, dazu wissenschaftliche Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden wollten bewältigt werden, jede einzelne Veranstaltung eine Fülle an Input, neuer Ideen und Anregungen.
„Gute Musik machen, wollen wir alle“, erläutert Mirjam Schröder-Feldhoff, Festival-Initiatorin und künstlerische Leiterin. „Was gutes Musizieren in der Gegenwart beinhaltet, wie man es erlernt, vermittelt und beurteilt, ist ungeheuer komplex und bedarf des ständigen Diskurses.“ Unter dem Motto „Wissen – Austausch – Musik“ begriffen sich daher alle Aktionen zwischen Wissenschaft, Dialog, Üben und Präsentation als ausgewählte Aspekte guten Musizierens:
- Das richtige Üben – im Workshop von Claudia Schönauer.
- Das richtige Material – in einer erläuternden Präsentation von Thomastik-Infeld.
- Die historische Spielpraxis – im Meisterkurs von Gottlieb Wallisch.
- Die regionale Kontextualisierung – im „Wiener Klang“ und dem Wiener Lied.
- Die Bewertbarkeit musikalischer Leistungen – im Vortrag von Rosa Reitsamer.
Nachdenken über „richtiges Üben“ erfordert Kenntnisse über das wechselhafte Zusammenspiel von Gehirn und Körper, von neuronaler Vernetzung und Bewegungstraining. Nur so lassen sich mentale Strategien zum Zusammenspiel von Informationsverarbeitung, Körperbewusstsein und Muskelbewegungen entwickeln. Für die komplexen Bewegungsabläufe beim Musizieren muss das Gehirn „Lösungspakete“ bilden, die automatisch in Gang gesetzt werden können, ohne dass das Gehirn überfordert wird. Die im Workshop vorgestellten Übungen können die eigene Übepraxis nachhaltig verbessern.
Der Suche nach dem „richtigen Material“ verschreiben sich die Saiten- und Produktentwickler von Thomastik-Infeld. „Klangentstehung ist verknüpft mit physikalischen Prozessen“, erklären Franz Klanner und Bernhard Rieger und veranschaulichen das Wechselspiel von Saite und Instrument anhand von Messungen zu Klangfarbe, Volumen, Tragfähigkeit und Balance. Über das Aufziehen der Saite, die Saitenspannung oder den Aufliegwinkel können Musiker_innen den Klang weiter optimieren und Wolftöne eindämmen.
Gute Musik weiß um die Hintergründe ihrer Entstehungszeit und ihrer musikalischen Tradition. Der Meisterkurs von Gottlieb Wallisch (UdK Berlin) widmete sich daher Schuberts Klaviermusik am Original-Hammerflügel von 1830. „Die Interpretation von Klavierwerken der Klassik und frühen Romantik auf dem Hammerflügel eröffnet erstaunliche Einsichten in die Struktur der Komposition und stellt einen starken Bezug zwischen der Kompositionsweise und den klanglichen Möglichkeiten dieses Instruments her“, erläutert Wallisch.
Schuberts Musik entstand im engen Kontext der regionalen Wiener Musiktradition seiner Zeit. Dem Hörbarmachen dieser Zusammenhänge verschrieb sich das Konzert der Lehrenden. Kammermusik von Schubert wurde zusammen mit traditionellen Wiener Liedern vorgetragen; der „Wiener Klang“ übertrug sich sofort. Für die Öffentlichkeit wurde Schubert auch hier auf dem historischen Hammerflügel von 1830 gespielt.
Nachwuchs zu gewinnen und Talente zu fördern ist selbstverständlich die Aufgabe jeder Generation, die ihre Musik lebendig halten will. Im Rahmen des Festivals wurde am Tag der Violine in diesem Zusammenhang erstmals das Kooperationsprojekt Special Strings vorgestellt. Ziel dieser neugestalteten Zusammenarbeit zwischen dem Hochbegabtenkurs des Fritz Kreisler Instituts und der Johann Sebastian Bach Musikschule ist es, talentiertem Nachwuchs frühzeitigen Einblick und Zugang zur Musikuniversität zu ermöglichen. Das gemeinsame Nachmittagskonzert gestalteten fünfzehn junge Talente im Alter ab acht Jahren aus der Johann Sebastian Bach Musikschule und dem mdw-Hochbegabtenkurs in vielversprechendster Zusammenarbeit.
Weiterer Höhepunkt des Festivals waren das Preisträger_innenkonzert zum Stefanie-Hohl-Wettbewerb für Studierende des Faches Violine. Nach zwei Wettbewerbsrunden im April überzeugten hier Arevik Ivanyan, Sabina Islam und Jiaqi Lu mit dem Violinkonzert von Jean Sibelius.
Nicht erst im modernen „Musik-Wettbewerb“ stellt sich die Frage nach der Bewertbarkeit musikalischer Leistungen junger Musiker_innen. Rosa Reitsamer und Rainer Prokop vom Institut für Musiksoziologie der mdw stellten hierzu die Ergebnisse der QUART-Studie vor, welche seit 2015 Leistungsbewertungen an deutschsprachigen Musikhochschulen untersucht. Viele tatsächliche Kriterien Beurteilender lassen sich nur schwer in Worte fassen, manche folgen auch unbewussten Mechanismen. Hier offenbarte die Studie auch Rassismen oder Benachteiligungen aufgrund von Alter und Geschlecht. Die Frage, inwieweit in einer neoliberalisierten Gesellschaft, die alles über Quantifizierung messbar machen muss, „weiche“ Beurteilungskriterien einen Platz haben, war auch prägend für die anschließende Diskussionsrunde.
Rundweg begeistern konnte die Studierenden des Faches Violine der mehrtägige Meisterkurs von Mihaela Martin (HfM Köln). In das Festival integriert war auch das Antrittskonzert von Margarita Escarpa, seit 2021 Professorin für Gitarre und Nachfolgerin von Alvaro Pierri. Christoph Wimmer-Schenkel, seit Oktober 2022 neuer Professor für Kontrabass, war im Lehrendenkonzert mit Franz Schuberts Arpeggione-Sonate zu hören. Studierende des Fritz Kreisler Instituts gestalteten fünf weitere durchweg hörenswerte und durchdacht konzipierte Festival-Konzerte für Streichinstrumente, Harfe und Gitarre. Das Musikhaus Kerschbaum bereicherte das Festival durch thematisch angepasste Verkaufsausstellungen.
Videos und Links
Das Konzert der Lehrenden in der mdwMediahek:
www.mediathek.mdw.ac.at/morestrings22
Hilfreiche Tipps zur Handhabung von Saiten, aber auch zur ersten „Selbstreparatur“ erhält man auf der Website von Thomastik-Infeld:
www.thomastik-infeld.com/en/video-library