Vor ein paar Jahren war ich zufällig am 1. Mai in Paris. Die Reise war beruflich und mir war im Vorfeld gar nicht aufgefallen, dass ich am traditionellen Protesttag der Arbeiterschaft ausgerechnet in der französischen Hauptstadt sein würde.
Ich merkte es jedoch schnell. Im Fernsehen kamen schon morgens die ersten Berichte von Demonstrationen und Protesten, die den Verkehr lahmlegten. Am frühen Nachmittag zog der Demonstrationszug mit Transparenten und einer Schar von Trommler_innen auch an meiner Unterkunft vorbei. Sie lag unweit des Jardin du Luxembourg in einem eher teuren Viertel der Stadt, dementsprechend waren auch die Geschäfte rundherum. Ein Modegeschäft, eine kleine feine Patisserie, ein Delikatessladen, in dem man sich exklusive Baguettes belegen lassen konnte. Als die Demonstration vorüberzog, standen die Geschäftsleute vor ihren Läden und applaudierten. Sie zeigten keinerlei Ärger über die abgesperrte Straße, über die Lautstärke der Demo, über die Verkehrsbehinderungen. Im Gegenteil. Verwundert sprach ich sie an. Sowohl der Delikatessenladen-Besitzer, als auch die Patisserie-Inhaberin erklärten mir, dass sie voll und ganz hinter den Demonstrierenden stünden. Es wäre immer gut, den Regierenden zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lässt, sonst würden sie schließlich mit allem durchkommen. Steuererhöhungen, Anhebung des Pensionsalters, Streichen von Sozialleistungen. Der Modedesigner nickte zustimmend. Ich musste an die regelmäßige Aufregung bei den Wiener Geschäftsleuten im ersten Bezirk denken, sobald ein Demo-Zug sich nur ihren Läden näherte. Daran, wie ernsthaft darüber diskutiert wurde, Demos in der Innenstadt zu verbieten. Und ich dachte mir: „Da können sie ja noch etwas von ihren Pariser Kolleg_innen lernen.“ Dass demonstrieren ein Grundrecht ist, dessen Ausübung alle Bürger_innen stärkt. Dafür hie und da ein paar Verkehrsbehinderungen in Kauf zu nehmen, ist eigentlich kein hoher Preis.