Die Filmbranche ist ein hartes Pflaster. Konkurrenzkampf und Leistungsdruck, Zeitmangel und finanzielle Unsicherheit – all das kann zur mentalen Belastung werden. Mit ihrer neuen Lehrveranstaltung möchte Regisseurin Leni Lauritsch junge Filmschaffende an der Filmakademie Wien besser darauf vorbereiten. Mit ihrem Langfilmdebüt wagt Filmakademie-Absolventin Leni Lauritsch eine mutige Sci-Fi-Dystopie, die visuell eindrücklich das Verschwinden der Erde thematisiert. Und sie hat Erfolg – Rubikon (2021) verzeichnet zahlreiche internationale Verkäufe und war nicht nur in den heimischen sondern auch in den amerikanischen Kinos zu sehen. Aber die junge Regisseurin verbindet mit Rubikon nicht nur Glücksgefühle, denn als Folge von anhaltender Überforderung und psychischem Druck während der Entstehung des Films, erkrankte sie an einem Burnout.
Nach ihrer Zeit an der Filmakademie Wien, musste Lauritsch schmerzhaft lernen, wie hart es in der realen Filmbranche, abseits des geschützten Studienalltages, sein kann. „Wenn man da nicht ein sehr stabiles Umfeld und eine stabile Lebenssituation hat, kann das sehr stark an die Psyche gehen“, sagt sie im Interview. In der Reha und Therapie lernt sie Psychoedukation kennen, ein therapeutisches Konzept, bei dem der_die Patient_in durch Fachwissen über die eigene Erkrankung, über wesentliche Therapiemaßnahmen und mögliche Selbsthilfestrategien, hin zu einem selbstverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung und ihrer erfolgreichen Bewältigung geleitet werden. Lauritsch war verwundert, wie viel anwendbares Wissen es durch die moderne Psychologie bereits gibt. Dieses hätte ihr helfen können ein Burnout zu verhindern, ist sie überzeugt.
Um jenes Wissen zugänglich zu machen und junge Student_innen zu unterstützen, bietet sie seit Oktober eine Lehrveranstaltung zu mentaler Gesundheit an der Filmakademie Wien an. „Mein Konzept ist vor allem den neuesten wissenschaftlichen Stand über die eigene Psyche zu vermitteln. Denn Wissen ist hier wirklich Macht!“ Junge Kunstschaffende seien allgemein sehr gefährdet: „Leider ist unsere Leistungsgesellschaft generell sehr belastend, aber Künstler_innen, die sich mit ihren Werken so persönlich exponieren, von Preisen und Festivaleinladungen oder Zuschauer_innenzahlen abhängig sind, zudem aber auch noch unter extremen Konkurrenzkampf und einer meist prekären finanziellen Situation leiden, sind nun mal noch einem viel größerem Risiko ausgesetzt unter den immer häufiger auftretenden Gesellschaftskrankheiten wie Burnout, Depressionen oder Angststörungen zu erkranken.“
Die prekären Arbeitsverhältnisse in der österreichischen Filmbranche gefährden die mentale Gesundheit der Betroffenen, das untermauert auch die Studie „MACHT – ARBEIT – KRANK?“1, die 2020 veröffentlicht wurde. In einer Online-Befragung, die von Dezember 2019 bis Februar 2020 stattfand, kommen 456 heimische Filmschaffende zu Wort. Die Ergebnisse der Erhebung sind alarmierend, denn laut Bericht erlebten 40 Prozent der Befragten bereits psychische Gewalt. Diese werde durch die Kleinvernetzung der österreichischen Filmszene und die starken Hierarchien begünstigt. Sich gegen die prekären Umstände zu wehren, falle den Betroffenen oft schwer, denn die Angst ausgetauscht zu werden sei groß. Erschwerend komme hinzu, dass für die meisten in der Branche Erwerbsarbeit mehr als nur bloße Existenzsicherung sei. Als Resultat werden schwierige Arbeits- und Beschäftigungssituationen viel zu oft in Kauf genommen.
Jan Prazak, Regiestudent an der Filmakademie Wien, kennt die Schattenseiten der Filmbranche: „Ich persönlich finde es schwer mit den Unsicherheiten, die der Beruf mit sich bringt, umzugehen. Die eigene Zukunft ist nicht planbar, die Angst, nicht von seinem Job leben zu können, ist groß“. Oft habe er das Gefühlt gehabt, jeden Job annehmen zu müssen, auch wenn die Arbeitsbedingungen prekär waren. „Drehen ist mit den 12-Stunden-Tagen ohnehin schon unglaublich anstrengend und wenn dann noch der Umgang am Set nicht passt und Leute respektlos miteinander umgehen, wird es zu viel.“ Anders erlebt Prazak die Bedingungen an der Filmakademie: „Man hat viel mehr Zeit zur Verfügung, es gibt keinerlei Druck von außen. Die Filmakademie war für mich ein Safe Space, der förderlich ist, um kreativ zu arbeiten.“ Trotzdem könne der Austausch über Arbeitsverhältnisse und die Folgen auf die eigene mentale Gesundheit mehr Raum in der Ausbildung bekommen, meint Prazak. Das Ziel dürfe jedoch nicht sein, dass sich einfach jede_r eine „dickere Haut“ zulegt. „Es müssten sich Strukturen innerhalb der Branche verändern und nicht die Menschen, die in ihr arbeiten“, so Prazak.
Für manche beginnen die psychischen Herausforderungen aber auch schon während der Ausbildung. Lena Zechner, Produktionsstudentin an der Filmakademie Wien, erzählt im Interview von einem hohen Leistungsdruck und den eigenen Ansprüchen. „Insbesondere in meinem Fachbereich fallen viele Aufgaben, die in der Branche normalerweise auf mehrere Positionen aufgeteilt sind, auf mich als Nachwuchsproduzentin zurück. Das bringt ein hohes Stresslevel und viel Verantwortung mit sich, worauf ich mich oft nicht ausreichend vorbereitet gefühlt habe.“ Deshalb sei es für sie unerlässlich neben dem fachlichen Know-How, das sie im Zuge der Ausbildung und ihren Projekten erwirbt, auch das Bewusstsein über die eigene mentale Gesundheit und die ihrer Kolleg_innen zu schärfen. Während einer Co-Produktion mit Studierenden der Filmakademie Baden-Württemberg, nahm Zechner an einem Coaching teil, das fester Bestandteil des dortigen universitären Angebots ist. Unter der geführten Gesprächsleitung einer ausgebildeten Coachin sprach Zechner mit ihrem Co-Producer über ihr jeweiliges Stress- und Konfliktverhalten. Wertvoll waren die individuellen Tipps, die die Dynamik und die Kommunikation in ihrem Team verbessern sollen, so die Produktions-Studentin: „Ein derart individuelles Angebot wäre an der Filmakademie Wien absolut begrüßenswert!“
Dem neuen Lehrveranstaltungs-Angebot an ihrer eigenen Universität steht Zechner positiv gegenüber: „Ich empfinde es als Lichtblick, dass auf institutioneller Ebene nun über mentale Gesundheit in der Ausbildung und in der Branche gesprochen wird. Natürlich kann dieses Angebot keine individuelle, auf die jeweiligen Teams und Projekte angepasste Beratung ersetzen – muss es aber auch nicht, um ein grundsätzliches Bewusstsein für die Thematik zu schaffen.“ Auch Prazak ist zuversichtlich, dass durch die Lehrveranstaltung mehr Personen lernen ihre Bedürfnisse zu kommunizieren und Grenzen zu setzen: „Ich finde es toll und mutig, dass Leni ihre eigenen Erfahrungen mit den Studierenden teilt. Es ist ein erster wichtiger Schritt, dass dieses Thema enttabuisiert wird und man das Gefühl hat, offen darüber sprechen zu können, wie es einem psychisch in der Arbeit geht.“