„Es ist für mich ein Motor, mit jungen Theatermacher_innen in Austausch zu sein.“ Nach ihrer Zeit als stellvertretende künstlerische Direktorin des Burgtheaters war es Alexandra Althoff wichtig, wieder in direkten Kontakt mit dem Theaternachwuchs zu kommen und an das Max Reinhardt Seminar zurückzukehren, wo sie bereits von 2013 bis 2018 als Lehrende tätig war. Seit dem Wintersemester 2022/23 unterrichtet sie die Fächer Inszenierungsanalyse und Angewandte Dramaturgie für Regie- und Schauspielstudierende des ersten Jahrgangs sowie Gasthörer_innen aus höheren Jahrgängen.
Inszenierungsanalyse
Mit den Studierenden besucht Althoff aktuelle Stücke, die anschließend im Unterricht analysiert werden. „Die Studierenden lernen Inszenierungen zu beschreiben und zu interpretieren. Beides möglichst frei von Geschmacksurteilen und Wertungen. Das ist wichtig für die Entwicklung einer eigenen Sichtweise auf das Gesehene und einer Feedbackkultur, in der unterschiedliche Perspektiven gleichwertig bestehen können“, so Althoff. Die Lehrende sucht die zu analysierenden Inszenierungen anhand diskussionswürdiger Themen aus, etwa die Darstellung von Rollenbildern und Gewalt auf der Bühne wie in Florentina Holzingers Ophelia’s Got Talent. Im Rahmen des Campusprogramms der Wiener Festwochen konnten die Studierenden ausgewählte Produktionen, darunter Pieces of a Woman, Drive Your Plow Over the Bones of the Dead und Antigone im Amazonas, besuchen und analysieren. „Die Wiener Festwochen nehmen die Nachwuchsförderung ernst“, sagt Althoff über die wichtige Kooperation. Ein Highlight für die Studierenden war Kata Wéber, Autorin von Pieces of a Woman, nach der Aufführung für ein Gespräch zu treffen. Die lebendige Diskussion zwischen ihnen hat Althoff gefreut: „Das Selbstvertrauen zu haben, der Autorin die eigene Sicht auf eine Szene zu unterbreiten, möchte ich bei den Studierenden fördern.“
Angewandte Dramaturgie
Die Studierenden setzen sich im Fach mit den aktuellen Diskursen an den Theatern auseinander, denn, so Althoff: „In den letzten zehn Jahren gab es ein Umdenken in der Theaterpraxis hin zu Diversität, Internationalität und Weltoffenheit, die von vielen Bühnen angestrebt werden. Das bildet sich auch in Ensemblestrukturen und Besetzungen ab.“ Darauf müssen die Ausbildungsstätten reagieren und eine diverse Studierendenschaft fördern. „Werden diverse Ensembles auf den Bühnen sichtbar, wirkt das ermutigend, sodass Bewerber_innen für die Ausbildung diverser werden. Die Aussicht auf Engagements an Theatern sowie in Film und Fernsehen ist erfolgversprechend.“ Im Fach Angewandte Dramaturgie versucht Althoff neue Dramatik mit aktuellen Theaterdiskursen zu verbinden, etwa anhand des Burgtheaterstücks Die Ärztin von Robert Icke, frei nach Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler. „Darin muss jede_r Schauspieler_in mindestens eine Differenz zur gespielten Figur in Bezug auf Gender, Race oder Colour aufweisen. Es ist spannend zu diskutieren, welche Herausforderungen so ein Konzept mit sich bringt“, erläutert Althoff. Für die Lehrende steht fest: „Nicht nur für die Inszenierung, sondern für jede Stückauswahl und Besetzung tragen Theatermacher_innen Verantwortung und müssen sich der verwendeten Zeichen und ihren Kontexten bewusst sein. Im Rahmen der Kunst kann man provozieren, sich aber nicht naiv oder gar ignorant gegenüber Bedeutungen geben.“ Das kann in Unsicherheit oder dem Wunsch „alles richtig zu machen“ resultieren. Jedoch, so betont Althoff: „Kunst ist nicht der Raum, wo nur das Schöne und politisch Korrekte verhandelt werden soll. Es geht im Prozess um die Auseinandersetzung auch mit unangenehmen Themen, Ausnahmesituationen oder menschlichen Abgründen und das Erproben dessen, was verhandelt werden soll. Zentral ist, mit welchen Mitteln etwas dargestellt wird.“
Der Weg und die Liebe zum Theater
Für Althoff begann die Liebe zum Theater in der Schule, auch dank engagierter Lehrer_innen. Bereits im Schultheater merkte sie, dass sie gerne den Prozess mitanleitet, statt selbst auf der Bühne zu stehen. In Gießen studierte sie zunächst Angewandte Theaterwissenschaft, wechselte dann nach Leipzig, um Dramaturgie zu studieren und widmete sich danach in einem postgradualen Studium in Amsterdam dem Film. An mehreren Theatern arbeitete sie als Dramaturgin, ein Beruf, der „Neugierde, Stressresistenz und diplomatisches Geschick erfordert. Dramaturg_innen bauen die Brücke von der Theaterleitung zur Produktion“, sagt Althoff. Die Aufgaben können weit gefasst sein, wie Programmgestaltung, Auswahl von Regieteams und Aufbau des Ensembles, Entwicklung und Umsetzung des Vermittlungsprogramm sowie von Strategien zur Erschließung neuer Publikumsschichten, kurzum: „Dramaturg_innen prägen die Identität des Theaters und sind die Thinktanks.“ Über ihre produktionsbezogene dramaturgische Arbeit meint Althoff: „Ich versuche Partnerin im Prozess zu sein, nicht nur die kritische Instanz.“
In den letzten Jahren konzentrierte sie sich auf andere Tätigkeiten. Von 2019 bis 2022 war sie stellvertretende künstlerische Direktorin am Burgtheater. Mit ihrer Theatergruppe Raum+Zeit erarbeitete sie erfolgreiche Projekte, wie Antigone :: Comeback (Premiere 2019, Theater Chur, eingeladen zum Schweizer Theatertreffen). Besucher_innen wandern dabei einzeln und zuweilen auch unter Einsatz von VR-Brillen durch das Theater und begeben sich auf eine virtuelle Zeitreise zu Proben von Brechts Bearbeitung von Antigone. Das Projekt Berlau :: Königreich der Geister, ebenso mit VR-Technik, gewann 2022 den Friedrich-Luft-Preis als beste Berliner Aufführung. Aktuell konzipiert Raum+Zeit ein weiteres Projekt, angesiedelt an der Schnittstelle Rauminstallation, bildender Kunst, Live-Theater und Virtual Reality für ein größeres Publikum. „Ich habe den Eindruck, es ist noch viel Innovation möglich mit der Anwendung von Virtual Reality im Theater“, so Althoff. Keineswegs möchte sie sich aber nur mit diesem Medium beschäftigen: „Ich liebe das Theater als Kunst im Hier und Jetzt mit seiner materiellen Flüchtigkeit.“