An manchen Schulen teilt sich der Musikunterricht noch heute das Schicksal mit dem Zeichenunterricht: Beide Fächer werden vor allem von Lehrenden anderer Gegenstände nicht ganz ernst genommen. Schließlich geht es im Kunstunterricht in erster Linie nicht um Leistung, sondern darum, sich auszudrücken, Augen und Ohren zu schulen, einen Blick darauf zu werfen, wie Künstler_innen ihre Zeit erlebt haben, welche Spuren sie hinterlassen haben, welche Geschichten sie uns über die Vergangenheit erzählen können. Im Musikunterricht gelten andere Gesetze als in der Mathematikstunde. Es geht nicht um richtig oder falsch, nicht um Notendruck und Konkurrenz. Gerade in einer Leistungsgesellschaft, wie es unsere immer stärker wird, sind solche Unterrichtsstunden wie Inseln, auf denen sich junge Menschen entspannen und ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken dürfen, als auf Noten und Testergebnisse.
In meiner Schulzeit war der Musikunterricht ungewöhnlich wichtig, was hauptsächlich daran lag, dass die Direktorin der Schule vor ihrer Schulkarriere selbst in einem Orchester musiziert hatte und aus irgendeinem tragischen Grund ihre Profession als Musikerin aufgeben musste. Sie hatte zwar ihr Instrument – das Cello – für immer ins Eck gestellt, nicht aber ihre Liebe zur Musik. Die Schule war berühmt für ihren Chor, es gab diverse Freifächer mit Instrumentalunterricht und jedes Jahr mehrere Aufführungen des Schulorchesters, das aus lauter Freiwilligen bestand, die ihre Freizeit gerne beim Proben verbrachten. Einfach, weil es als ziemlich cool galt, im Orchester aufgenommen worden zu sein. Ich erinnere mich nicht mehr an so vieles aus dieser Zeit. Aber an das Gemeinschaftsgefühl beim Singen, an das Loslassen können in den Musikstunden, an die vielen Aufführungen mit Chor und Orchester, daran denk ich heute noch gerne zurück. Von den Mathematikstunden jedoch weiß ich wirklich gar nichts mehr.