Im Jahr 2016 wurde der Verein exil.arte als Forschungszentrum Exilarte in die mdw eingegliedert. Exilarte ist ein Zentrum für die Rezeption, Bewahrung, Erforschung und Präsentation von Komponist_innen, Interpret_innen, Musikwissenschaftler_innen und Theaterkünstler_innen, die in den Jahren des NS-Regimes als „entartet“ gebrandmarkt sowie aufgrund der Nürnberger Rassengesetze der Nationalsozialisten verfolgt wurden. Heute ist das Zentrum in der Lage, Nachlässe zu sammeln, zu archivieren und auf vielfältige Weise zu präsentieren: mittels Ausstellungen, Symposien, Konzerten, CDs und Publikationen sowie bei internationalen Konferenzen. Die Aktivitäten dienen nicht nur dem dokumentarischen Zweck der Holocaust-Forschung, sondern erreichen durch ihren pädagogischen Charakter auch jüngere Generationen – die Schaffung eines globalen Bewusstseins für die Komplexität dieses Themas ist dem Zentrum und allen Beteiligten ein besonderes Anliegen. Dieses Ziel wurde von Anfang an von der internationalen Öffentlichkeit anerkannt und mit dem Golden Stars Award der Europäischen Kommission und dem Bank Austria Kunstpreis International ausgezeichnet.
Durch die Eingliederung in die Universität wurden die Aktivitäten von Exilarte als Forschungszentrum auf eine neue, breitere Ebene gehoben: Die Aufgaben haben sich vervielfacht und die internationale Präsenz hat zugenommen. Exilarte verfügt aktuell über Büroräume, einen Ausstellungsbereich sowie ein Archivmagazin, das in den letzten sieben Jahren seit der Gründung nun bereits über 30 Nachlässe aufgenommen hat. Schließlich gibt es auch einen Mehrzweckraum, der zum einen als Lesesaal für externe Besucher_innen und zum anderen als Seminarraum für jene Kurse dient, die Studierenden und Forschenden angeboten werden.
Aufgrund der internationalen Vernetzung der Mitarbeiter_innen und den Kontakt zum Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) sowie insbesondere zu den weltweit aktiven österreichischen Kulturforen, können erste Kontakte mit Rechtsnachfolger_innen aufgenommen werden. Solche Kontaktnahmen führen selten zur sofortigen Übergabe des Nachlasses. Der intensive Austausch kann sich durchaus über Jahre hinweg ausdehnen. Es ist ein äußerst sensibler Vorgang, durch den man den Nachfahr_innen die Möglichkeit gibt, über eine sichere Verwahrung und professionelle Verbreitung nachzudenken. Oftmals werden Argumente laut, die die Rückkehr der Materialien in ein Land oder auf einen Kontinent infrage stellen, da von diesem die Bedrohung und die Flucht ausgegangen waren und dort auch Verwandte ums Leben kamen oder ermordet wurden. Anderseits empfinden es viele Rechtsnachfolger_innen als „Heimkehr“, als Rückkehr in jenes Land der Mütter und Väter, das diese Menschen geprägt hat. Interessant ist, dass es gerade die überlebenden Holocaust-Opfer sind, die einen positiven Aspekt in dieser Rückkehr erkennen.
Ein besonders eindrucksvolles und berührendes Erlebnis war die Rückkehr des Nachlasses von Hans Gál, dessen Tochter durch ihre persönliche Involviertheit in der Verbreitung des Œuvres ihres Vaters zehn Jahre gewartet hat, bevor sie einem Transport zugestimmt hat. Erst die Gründung des Forschungszentrums Exilarte im Jahr 2016 konnte sie von einer „Übersiedlung“ nach Wien überzeugen. Dennoch war die Übergabe nicht ohne Weiteres möglich. Bei der Abholung hat die Tochter des Komponisten jede autografe Partiturseite umgeblättert, um sich gleichsam auf diese Weise vom Vater zu verabschieden. Selbstverständlich bleibt auch nach dem Transport der Kontakt mit den Rechtsnachfolger_innen bestehen.
Nach der Übernahme eines Nachlasses wird im Archiv des Exilarte Zentrums eine erste Sichtung des Materials durchgeführt und eine erste Sortierung vorgenommen. In manchen Fällen sind die Bestände bereits durch die Nachlasser_innen oder die Rechtsnachfolger_innen geordnet, hier wird die gegebene Reihenfolge respektiert und nicht verändert. Diese erste Bestandsaufnahme gibt einen Überblick über den Umfang des Materials und bestätigt die Übernahme der einzelnen Objekte. Sie ist für den internen Gebrauch gedacht und bildet die Basis für die weitere detaillierte Bearbeitung der Nachlässe. Da das oberste Ziel die Aufführung des gesammelten Musikmaterials ist, besteht der zweite wichtige Schritt in der Erstellung der Werklisten, die auf der Website des Zentrums zur Verfügung gestellt werden sollen. Hier werden die im Nachlass enthaltenen Werke aufgelistet und jedes Musikstück in seiner materiellen Form, jede Partitur, jede Instrumental- und Gesangsstimme dokumentiert und mit einer spezifischen Signatur versehen, damit sie jederzeit genau identifiziert werden können.
Derzeit wird an der Erstellung einer Datenbank gearbeitet, die in erster Linie Musikstücke und Korrespondenz enthalten wird. Lebensdokumente und Fotos werden zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt, aber Informationen können jederzeit im Exilarte-Archiv eingeholt werden. Durch die Ausstellungen können themenbezogen die vorhandenen Nachlässe vorgestellt werden. Durch die Kooperation mit international renommierten Verlagen (Boosey & Hawkes, London sowie G. Schirmer/Wise Music, New York) ist nun auch sichergestellt, dass die musikalischen Schöpfungen, die nach dem Willen der Nationalsozialisten für immer ungenannt und ungehört bleiben sollten, an Solist_innen, Ensembles und Dirigent_innen sowie Konzertveranstalter_innen und Opernhäuser verbreitet werden können.