„Meine Tante Ilona hat immer gesagt, ich bin das einzige Kind, das gern Klavier übt“, sagte Gertraud Cerha einmal lachend in einem Interview. In der Lebendigkeit, mit der sie heute über ihren musikpädagogischen Einsatz und ihr Engagement im Bereich der Vermittlung zeitgenössischer Musik spricht, scheint dieser kindliche Enthusiasmus immer noch durch. Anlässlich ihres 95. Geburtstags durfte das Publikum die außergewöhnliche Persönlichkeit im vergangen Oktober an der mdw bei einem Abend für und mit Gertraud Cerha im Gespräch erleben und erhielt anhand von historischem Archivmaterial exklusive Einblicke in ihr Leben und Wirken.
Gertraud Cerha wurde 1928 als Gertraud Möslinger geboren und wuchs im oberösterreichischen Gmunden auf. Ihr erster Kontakt mit der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien geht auf das Jahr 1946 zurück, wo sie ihr Klavierstudium bei Grete Hinterhofer an der damaligen Akademie begann. Parallel dazu studierte sie Musikerziehung und Geschichte. Während des Studiums lernte sie ihren späteren Mann, Friedrich Cerha (1926–2023), kennen, der heute als einer der bedeutendsten österreichischen Komponisten gilt. Damals teilten die beiden vor allem eine Begeisterung für Alte Musik, die sie durch Gertraud Cerhas späteres Cembalo-Studium in der Klasse von Eta Harich-Schneider auch gemeinsam ausüben konnten. Sie gründeten das Ensemble Camerata frescobaldiana und forschten an italienischen Bibliotheken nach unentdeckter Literatur, die Friedrich Cerha unter Mitarbeit seiner Frau auch kontinuierlich herausgab. Bekannt wurde das Paar allerdings für sein Engagement für zeitgenössische Musik. Im Jahr 1958 gründeten sie zusammen mit Kurt Schwertsik das Ensemble die reihe mit dem Ziel, aktuelle, internationale und eigene Kompositionen in Österreich vorzustellen und gleichzeitig die marginalisierte Musik der Wiener Schule wieder bekannt zu machen und aufzuführen. Gertraud Cerha war im Ensemble als Musikerin, Organisatorin und als Musikvermittlerin aktiv.
Vor den Konzerten des erfolgreichen Zyklus Wege in unsere Zeit, die vom Ensemble die reihe performt wurden, gestaltete Gertraud Cerha umfangreiche multimediale Einführungsvorträge, die sie später auch im Rahmen einer Sendereihe im österreichischen Rundfunk präsentierte. Als wesentliches Merkmal ihrer Vermittlungstätigkeit war es ihr in der Darstellung der jüngeren Musikgeschichte immer ein Anliegen, auf parallele Entwicklungen und Wechselwirkungen zwischen Musik, Malerei und Architektur hinzuweisen. Dieses Konzept prägte auch ihren Unterricht als Professorin an einem Wiener Gymnasium, wo sie 30 Jahre lang wirkte und maßgeblich am Aufbau des musikalischen Schwerpunkts beteiligt war. Auch an der mdw unterrichtete sie 26 Jahre lang an der damaligen Abteilung für Tasteninstrumente Generalbass. Als Beobachterin und Vermittlerin der Neue-Musik-Szene über viele Jahrzehnte hinweg, wurde sie zur Expertin für musikkulturelle Entwicklungen in Österreich nach 1945 und trug als Referentin sowie Autorin zum Diskurs bei. Als Rahmenprogramm des allerersten Wien Modern Festivals 1988 konzipierte sie ein innovatives Begleitsymposium. Für ihre Verdienste wurde Gertraud Cerha 2009 das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen. Im Vorlass ihres Mannes, im Archiv der Zeitgenossen an der Universität für Weiterbildung Krems, dokumentieren unzählige Materialien ihr vielfältiges Engagement sowie die lebenslange enge Zusammenarbeit des Ehepaars.
Der Abend für und mit Gertraud Cerha am 17. Oktober 2023 bot einen Festvortrag von Gundula Wilscher und Melanie Unseld, ein Gespräch mit Gertraud Cerha und Axel Petri-Preis sowie einen musikalischen Beitrag von Studierenden der Gesangsklasse von Martin Vácha. Die Kooperationsveranstaltung zwischen dem Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung und dem Archiv der Zeitgenossen kann in der mdwMediathek nachgesehen werden.