„Die Lehrtätigkeit spielte im Leben meines Vaters eine wichtige Rolle. Er hat sein ganzes Leben lang unterrichtet, nicht nur, weil es für seinen Lebensunterhalt notwendig war, sondern weil er echte Freude daran hatte. Es war eine Herausforderung für ihn, den Schüler_innen sein Wissen um die Kunst der großen Meister und seine Liebe für sie weiterzugeben und ihre Werke mit aller Gründlichkeit zu analysieren. Er überraschte seine Studenten mit virtuos improvisierten Notenbeispielen an der Tafel, bisweilen spaßte er mit seinem trockenen Humor“, schrieb Nuria Schönberg-Nono über ihren Vater.1
Die von Schönbergs Tochter hervorgehobene Leidenschaft fürs Unterrichten und Vermitteln findet sich denn auch wiederholt in Schriften und Briefen des Komponisten. So erklärt Schönberg unmittelbar nach Antritt seiner Stelle am Malkin Conservatory, New York im Oktober 1933 mit der ihm eigenen feinen Selbstironie: „Ich bin hierhergekommen, um zu lehren. Denn lehren ist vielleicht die einzige meiner Leidenschaften, die ich vergebens an mir zu bekämpfen versucht habe. […] Lehrer bin ich aus Leidenschaft, und wenn ich nur 1000mal gesagt habe: ‚Nun habe ich fast vierzig Jahre unterrichtet‘ und es kommt ein neuer Schüler, so vergesse ich sofort alle guten Vorsätze und stürze mich ins neue Abenteuer.“2 Noch in einem seiner letzten Aufsätze nimmt der Komponist 1950 einmal mehr Stellung zu methodischen Fragen der Vermittlung. Demnach sieht er die Aufgaben des Lehrers nicht im stereotypen Durchexerzieren starrer, fester kompositorischer Regelsysteme, sondern mit der Methodik eines praxisorientierten Learning by Doing jeweils individuelle, flexible Lösungsmöglichkeiten gemeinsam mit dem Schüler zu erarbeiten – denn, wie Schönberg 1948 anmerkt: „Als Lehrer habe ich niemals bloß das gelehrt, was ich wußte, sondern eher das, was der Schüler brauchte.“3 Die Vorbildwirkung musste dabei jedoch immer gewahrt bleiben: „Ein wahrer Lehrer […] muß die Fähigkeit besitzen, das, was er von einem Schüler einmal verlangt, selbst mehrmals zu vollbringen. […] er muß sie [Anm. die gestellte Aufgabe] in Gegenwart des Schülers ausarbeiten, indem er mehrere Lösungen eines Problems improvisiert und damit zeigt, was nötig ist.“4
Diese, vom konventionellen Weg eines frontalen Ex-cathedra-Lehrens abweichende Methodik hin „aufs Suchen“ propagierte Schönberg bereits in seinem zentralen Lehrwerk, der 1911 erschienenen Harmonielehre mit dem vielsagenden eröffnenden Satz „Dieses Buch habe ich von meinen Schülern gelernt.“ – So sehr Intuition, assoziativ vernetztes Denken und spontane Improvisation im Fokus der Didaktik standen, so sehr legte Schönberg im Inhaltlichen Wert auf „strukturelle Korrektheit und das für den Zusammenhang Erforderliche“.5 Konkret bedeutete dies, die Kunst des Komponierens in der handwerklichen Gediegenheit der ‚großen Meister‘ (im Besonderen am Œuvre Beethovens), zu studieren. Lernen aus und an der Tradition war dem „konservativen Revolutionär“ (Willi Reich) Credo und Bedingung zugleich. So formulierte Schönberg die Aufnahmekriterien in seine Berliner Kompositionsklasse 1925 unter anderem wie folgt: Genommen wird, wer „[…] alles Handwerkliche (Harmonielehre, Kontrapunkt, Formenlehre, Instrumentation) entweder an einer Schule, oder privat, oder durch Selbststudium vollkommen erlernt hat, und imstande ist, Proben seines Talents und seines Könnens in Form fertiger Werke vorzulegen[…].“6 Im Zentrum stand also die Vermittlung des Allgemeinen, grundsätzlicher handwerklicher Kompetenz, ohne stilistische Vorgaben, also Fasslichkeit, Logik, Zusammenhang, formale Funktion, thematisches Denken, entwickelnde Variation.7 Dass Schönberg nicht nur durch seine außerordentlichen künstlerischen und pädagogischen Fähigkeiten, sondern mindestens ebenso wegen seines persönlichen Charismas nahezu wie ein „Guru“ verehrt wurde8, belegt nicht zuletzt die Vielzahl prominenter Schüler_innen. Schönberg selbst spricht von „mehr als tausend“ die er im Laufe seines langen pädagogischen Wirkens unterwiesen habe.5 Zu ihnen zählen neben Alban Berg und Anton Webern etwa auch Hanns Eisler, Erwin Stein, Josef Polnauer, Erwin Ratz, Karl Rankl, Egon Wellesz, Paul Amadeus Pisk, Eduard Steuermann, etc. – Ja sogar John Cage belegte 1935 in Los Angeles private Kompositionskurse.
In einem, 1912 von Alban Berg initiierten Sammelband zu Schönberg huldigen die Schüler_innen dem Lehrer. Erwin Stein, neben Berg und Webern zum engen Wiener Kreis zählend, stellt zusammenfassend das Wesentliche in einen größeren, allgemeineren Kontext: „Schönberg lehrt Denken. Er hält den Schüler an, mit eigenen, offenen Augen zu sehen, als wäre er der Erste, der die Erscheinungen betrachtet.“9