Ein Podiumsgespräch über Geschlechterverhältnisse im Theater

„Unsere Bestandsaufnahme nach vier Jahren Frauenquote beim Theatertreffen dokumentiert auch eine Theaterlandschaft im Umbruch, in der sich Positionen zunehmend ausdifferenzieren, intersektionale Perspektiven an Gewicht gewinnen und das Selbstbewusstsein der Protagonistinnen wächst. Gleichwohl ist die strukturelle Diskriminierung von Frauen nicht totzukriegen: Ob sie nun in Form von sexistischen Bemerkungen, unverhohlener Misogynie, Mansplaining oder offenem Boykott auftritt“1, halten Sabine Leucht, Petra Paterno und Katrin Ullmann in ihrem 2023 erschienen Buch Status Quote. Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch fest.

In dem hierarchisch und patriarchal geprägten System des Theaterbetriebs ziehen sich Geschlechterverhältnisse durch alle Arbeitsbereiche, sind jedoch ganz unterschiedlich verteilt und ausgeprägt – je höher oben auf der Hierarchieleiter und je größer Macht, Einfluss, künstlerischer Gestaltungsspielraum und Gehalt, desto weniger Frauen sind in diesen Positionen zu finden. So gibt es auch im Theater eine „gläserne Decke“, die, einmal durchbrochen, schnell an die „gläserne Klippe“ führen kann – ein Begriff, der auf das Phänomen zurückzuführen ist, dass Frauen erst dann in Führungspositionen kommen oder Zugang zu mehr Macht erhalten, wenn das Risiko des Scheiterns besonders groß ist.

Petra Paterno, Bettina Hering, Julia Wissert & Alexandra Althoff (v. l. n. r.) © Stephan Polzer

Anlass genug, um im Kontext des diesjährigen internationalen feministischen Frauentags an der mdw über Macht- und Geschlechterverhältnisse im Theater zu sprechen. Unter der Moderation von Alexandra Althoff, Institutsleiterin des Max Reinhardt Seminars, kamen die Dramaturgin, Regisseurin und ehemalige Leiterin des Schauspiel der Salzburger Festspiele Bettina Hering, Petra Paterno, Mitherausgeberin der Publikation Status Quote und Referentin für darstellende Kunst im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport sowie Julia Wissert, Intendantin am Schauspiel Dortmund und mitverantwortlich für die Entwicklung der Anti-Rassismus-Klausel in Theaterverträgen miteinander ins Gespräch. Mit einem Fokus auf die Leitungsperspektive und die Bedingungen machtkritischer, institutioneller Veränderungsarbeit ging es um ihre eigenen biografischen Wege, um Strategien für mehr Geschlechtergerechtigkeit und Präventivmaßnahmen gegenüber Machtmissbrauch bis hin zur Frage, welche Tools sie einer angehenden Generation von Theatermachenden mitgeben möchten. Die Quotenregelung, wie sie 2020 beim Berliner Theatertreffen für die ausgewählten Regiepositionen eingeführt wurde, stellte beispielsweise ein wirksames Begleitinstrument dar und war zugleich ein zentraler Marker für die Karriereentwicklung der eingeladenen Regisseurinnen, resümierte Paterno zu Beginn des Gesprächs.

Je mehr du versuchst die Institution zu öffnen, desto komplexer werden Gespräche über Macht, weil es natürlich immer damit zu tun hat, wer sich mit welchem Körper in welcher Position bewegt.

Julia Wissert, Intendantin am Schauspiel Dortmund

Mit einem Blick auf das Innere von Organisationen, plädierte Julia Wissert für die Ermöglichung und Etablierung einer machtkritischen, diversitätssensiblen Arbeitspraxis im Theater, die in der Verantwortung der leitenden Personen liegt, um Veränderungen voranbringen zu können. Dabei geht es darum, strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen möglichst viele, möglichst unterschiedliche Personen und Perspektiven möglichst gut miteinander innerhalb der Institution arbeiten können und gleichzeitig ein Ort zu sein, an dem diversitätsreflektiert programmiert und herausragende Kunst produziert wird. Eine diskriminierungskritische Arbeitspraxis bedeutet also, dass künstlerische, ästhetische Arbeit immer einhergeht mit einem Aufbrechen von macht- und angstvollen hierarchischen Strukturen – und das braucht Zeit, Ressourcen und Expertise.

Welches Wissen braucht es dafür? Was ist wichtig zu lernen und ver_lernen? Welche Tools gibt es, die Studierende als angehende Theatermachende brauchen und die sie bereits in der Ausbildung lernen und üben können? Neben der Notwendigkeit, sich ein breites Netzwerk aufzubauen, kollegial und solidarisch – auch bei sich differenzierenden Perspektiven – miteinander zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen, greift Bettina Hering zwei weitere, wesentliche Instrumente heraus: das Wissen um die Historizität sowie die Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit. So ist es zentral und bestärkend für die eigene Positionierung einen Blick in die Theatergeschichte und auf die Entwicklungen der eigenen Disziplin zu werfen, um zu wissen, woher man selbst beruflich kommt. Ebenso grundlegend ist es, ausreichend Räume und regelmäßige, strukturierte Möglichkeiten zu haben, um miteinander ins Sprechen zu kommen – über potenzielle Ängste, Bedenken, Unstimmigkeiten, Konkurrenz, Wünsche etc.

Diese vielgestaltigen Räume des Austauschs, der Vernetzung, der gemeinsamen kritischen Reflexion sowie Safer Spaces und Empowerment-Möglichkeiten für Personen, die marginalisiert werden, sind ein zentraler Aspekt kritischer Diversitätsarbeit im Theater. Aber nicht nur dort, sondern auch an Orten der künstlerischen Ausbildung.


Veranstaltungstipp:
Ganz schön mächtig
Vielfalt & Repräsentation am Theater, 1. Oktober, 19 Uhr, Schlosstheater Schönbrunn

  1. Sabine Leucht, Petra Paterno, Katrin Ullmann: (Hg.). Status Quote. Theater im Umbruch: Regisseurinnen im Gespräch, Leipzig, 2023
Comments are closed.