In den letzten Jahren haben die pulsierenden Underground-Clubszenen im urbanen China sowohl vor Ort als auch international für Aufsehen gesorgt. Frauen und queere Personen, die in der Szene aktiv sind – sei es als DJs, Produzent_innen, Veranstalter_innen oder einfach als Partygänger_innen –, verbindet nicht nur die gemeinsame Leidenschaft für elektronische Musik, sondern auch das Gefühl der „Zugehörigkeit“, das die Szene zu versprechen scheint. Jedoch sind Erfahrungen des „Nicht-Dazugehörens“ innerhalb der queeren oder frauenzentrierten Clubszenen keine Seltenheit. Anhand eines interdisziplinären Ansatzes aus Cultural Studies und Musiksoziologie zielt meine Forschung darauf ab, die komplexen sozialen Dynamiken innerhalb der Clubszene aufzudecken, die oft von emanzipatorischen Narrativen überschattet werden. Dafür untersuche ich Material meiner umfangreichen ethnografischen Feldforschung in Shanghai, Interviews von Musiker_innen und Partygänger_innen sowie umfangreiches Medienmaterial von digitalen Plattformen.
Während ich noch daran arbeite, die im Zuge meiner Feldforschung im Sommer 2022 gesammelten empirischen Daten auszuwerten, hat sich die Szene radikal verändert. Bekannte Underground-Locations wie Elevator und Heim, wo ich einen Großteil meiner Feldforschung betrieben habe, haben inzwischen geschlossen. Für die verbliebenen Clubs ist es fast schon zur Norm geworden, internationale Acts in das Programm aufzunehmen. Gleichzeitig experimentieren die DJs, Produzent_innen und Veranstalter_innen in Shanghai weiterhin mit ihren musikalischen Praktiken, indem sie lokale digitale Streaming-Sender wie BAIHUI und byyb radio nutzen und als Label oder Partykollektiv durch nahegelegene Städte wie Hongkong, Hanoi oder Saigon touren. Das sich im Wandel befindliche Nachtleben Shanghais (und des urbanen Chinas im Allgemeinen) birgt sowohl Herausforderungen als auch Chancen, die es kritisch zu untersuchen gilt, wenn man die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Mechanismen, die eng mit der musikalischen Lebendigkeit der Szene verwoben sind, besser verstehen will. Diese Aufgabe erfordert die Zusammenarbeit von Institutionen und Forschenden. Strukturelle Reflexivität der Institutionen, greifbare Unterstützung und rationalisierte Prozesse sind notwendig, um eine profundere Feldforschung zu unterstützen, die das Potenzial hat, marginalisierte Stimmen zu verstärken. Für Forschende sind die Entwicklung einer reflexiven Methodologie und kulturellen Sensibilität für das jeweilige Gebiet entscheidend, um die vielschichtigen Erzählungen, die in schnelllebigen zeitgenössischen Biografien eingebettet sind, zu erfassen und zu entschlüsseln.
Aufgrund der Schließung der von mir beforschten Veranstaltungsorte könnte meine Recherche nun einen unerwarteten und von mir nicht antizipierten archivarischen Zweck erfüllen. Dennoch glaube ich an die Widerstandsfähigkeit und Resilienz der Szene und hoffe, dass wir eines Tages wieder gemeinsam in Shanghai frei auf der Tanzfläche feiern können.
In der neuen Wissenschaftskolumne Early Stage Researchers geben Nachwuchswissenschaftler_innen der mdw Einblick in ihre spannende und abwechslungsreiche Forschungstätigkeit.