Schauspielerin Katharina Haudum ist auch Intimitätskoordinatorin. Am Max Reinhardt Seminar leitet sie seit Sommersemester 2024 das Fach Intimitätskoordination und konsensbasierte Praxis. Dem mdw-Magazin gab sie spannende Einblicke in ihre Arbeit.

Als Intimitätskoordinatorin choreografiert Haudum in Zusammenarbeit mit Regie und Schauspieler_innen intime Szenen beim Film. Der Beruf ist relativ neu, nach und nach entsteht ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Position am Set. „Schauspieler_innen dürfen Grenzen haben. Diese Haltung war bis vor wenigen Jahren nicht vorrangig“, so Haudum. Mit den Schauspiel- und Regiestudierenden am Max Reinhardt Seminar thematisiert sie in ihrem Unterricht persönliche Grenzen, Einvernehmlichkeit, Machtdynamiken und Hierarchien bei Film und Theater. „Die eigenen Grenzen zu kennen, gibt den Spielenden selbst und ihren Spielpartner_innen Sicherheit, wodurch das Schauspiel besser wird“, sagt Haudum. Wie erfahren Darstellende, wo ihre Grenzen liegen? „Die Studierenden lernen beispielsweise, wie ein physischer Grenzen-Check aussieht. Das Zeigen der Grenzen am eigenen Körper und das Führen der Hände meines Gegenübers helfen, ohne Druck die persönlichen Grenzen mitzuteilen.“ Vor einem Dreh oder einer Aufführung sollte es normalisiert werden, sich mit den Grenzen zu beschäftigen, daher sollen Studierende ein Bewusstsein dafür aufbauen. Dass auch Regiestudierende das Fach besuchen, ist Haudum ein Anliegen: „Die Regie hat meist eine hierarchisch höhere Position als Schauspieler_innen. Es ist wichtig, die Regie dafür zu sensibilisieren, dass daher eine externe, eigens ausgebildete Person für die Choreografie intimer Szenen nötig ist.“

© Maria Noi

Im Theater wird Intimitätskoordination weniger häufig angefragt als beim Film. Haudum führt das auf die Enthüllungen zu Machtmissbrauch und Übergriffen in der US-Filmbranche zurück und der daraus folgenden #MeToo-Debatte, wo Betroffene sexualisierter Gewalt ihre Erfahrungen öffentlich teilten. Das habe die Filmindustrie durch die mediale Berichterstattung mehr in Aufruhr versetzt als die Theaterbranche. An den Theatern wäre das Hinzuziehen von Intimitätskoordination aber genauso notwendig, meint Haudum.

Ein wichtiger Punkt in der Intimitätskoordination ist das Sicherstellen von Einvernehmlichkeit. Basis dafür sind spezifische Informationen vor Drehbeginn. Haudum nennt als Beispiel: „Im Drehbuch steht ‚leidenschaftlicher Sex‘. Was bedeutet das für die Schauspieler_innen? Wie viel Nacktheit ist von ihnen zu sehen und welche simulierten sexuellen Aktionen sind gefordert?“ Nur wenn die Darstellenden genau wissen, was verlangt ist, können sie Sicherheit für die Szene gewinnen. Für den Filmdreh spart das Zeit, weil so vermieden werden kann, dass Schauspieler_innen kurzfristig die Szene nicht drehen wollen.

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Intimitätschoreografie wird oft mit Stunt- und Kampfchoreografie verglichen, nur ist das Engagement von Stuntkoordinator_innen selbstverständlicher. „Stunts bergen körperliche Verletzungsgefahr, deshalb werden Fachleute beauftragt. Der Dreh intimer Szenen hat auch Verletzungspotenzial, aber das sieht man nicht, das passiert auf psychischer Ebene“, sagt Haudum. Wichtig ist außerdem die verwendete Sprache: „Als Intimitätskoordinatorin mache ich desexualisierte, choreografische Ansagen, das bringt das Gespielte weg von der privaten Sexualität der Darstellenden.“ Eine weitere wichtige Aufgabe von Intimitätskoordinator_innen ist zu dokumentieren, was mit den Künstler_innen zur Wahrung ihrer Grenzen vereinbart wurde. Der Großteil der Intimitätskoordination passiert vor dem Dreh. „Im Idealfall werde ich schon beim Schreiben des Drehbuchs und beim Casting hinzugezogen. Es braucht Vorbereitungszeit“, so Haudum. Kritiker_innen der Intimitätskoordination sehen Eingriffe in künstlerische Freiheit oder gar Zensur bei Intimszenen. Haudum dazu: „Durch Intimitätskoordination werden Sexszenen nicht weniger, sondern besser. Schauspielende sind sogar tendenziell bereit, mehr zu machen und zu zeigen, wenn sie wissen, wofür.“

Nach ihrem Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar absolvierte Haudum eine Zusatzausbildung in der psychosozialen Beratung – ein wichtiges Fundament für ihre darauffolgende Intimitätskoordinationsausbildung mit Vorreiter_innen aus den USA, Kanada und Großbritannien. Ihre Schauspielerfahrung, mit Fokus auf Film, hilft ihr in ihrer Tätigkeit als Intimitätskoordinatorin sehr: „Für mich ist es essenziell immer wieder diesen Perspektivenwechsel zu haben.“ Zahlreiche Projekte begleitete sie als Intimitätskoordinatorin, darunter die Miniserie Kafka (Regie: David Schalko) oder der Kinofilm What a Feeling (Regie: Kat Rohrer).

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Nun gibt Haudum ihr Wissen an die Studierenden weiter und lernt dabei selbst viel: „Der Austausch mit den Studierenden ermöglicht mir ein permanentes Überprüfen von dem, was ich vermittle, weil ich ein direktes Feedback bekomme.“ In ihrem Unterricht will sie den Studierenden Möglichkeiten aufzeigen: „Schauspieler_innen können anregen, Intimitätskoordination hinzuzuziehen und es sich in die Verträge schreiben lassen. Eine Sexszene mit griffigen Choreografietechniken zu erarbeiten, ohne dabei etwas echt machen zu müssen, gibt eine neue Spielfreiheit.“ Sie erläutert den Studierenden auch, welche Arten von Intimschutz es gibt. „Ein Intimschutz sieht aus wie ein Badeanzugstoff mit eingelegtem Silikon. Die Silikonbarriere verhindert, dass sich die Genitalien berühren.“ Auch für Brüste gibt es dementsprechenden Schutz.

In ihrem Schauspielstudium wurde der Umgang mit Intimszenen nicht thematisiert. Umso notwendiger fand sie das Angebot des Fachs Intimitätskoordination und konsensbasierte Praxis, das einzigartig in der deutschsprachigen Schauspielausbildung ist. Für Film und Theater wünscht sie sich, dass Intimitätskoordinator_innen in Zukunft selbstverständlich bei Projekten hinzugezogen werden, denn: „Eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema und die Bereitschaft des Teams, sich darauf einzulassen, führen zu tollen, aussagekräftigen Intimszenen, die innerhalb der Grenzen der Beteiligten stattfinden.“ Und stark erzählte Szenen erhöhen die Schaulust bei den Zuseher_innen.

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