„Übrigens lebte Salieri sehr gesellig. Seine liebste Unterhaltung war im Kreise seiner Schüler.“ Diese Feststellung, die in einem Nachruf auf Antonio Salieri im August 1825 zu lesen ist,1 bezieht sich allerdings nicht nur auf Salieris Kompositionsschüler_innen wie zum Beispiel Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Giacomo Meyerbeer oder Johann Nepomuk Hummel, sondern schließt in gleichem Maße jene Personen ein, um deren gesangliche Ausbildung sich Antonio Salieri zeitlebens mit großem Engagement bemüht hatte. Während seiner gesamten langjährigen beruflichen Tätigkeit in Wien unterrichtete Salieri Schüler_innen aller Altersklassen, Stimmgattungen und Ausbildungsstufen und dennoch blieb diese umfassende gesangspädagogische Tätigkeit ein bislang wenig beachteter Aspekt im Leben des vielseitigen Künstlers. Zu seinen Schüler_innen zählten ambitionierte „Dilettant_innen“ aus der gehobenen Wiener Gesellschaft genauso wie Sänger_innen, die bereits im Engagement standen und sich stimmtechnisch perfektionieren wollten oder andere, die erst am Beginn ihrer Gesangsausbildung standen. Besonders talentierte junge Menschen dürfte Salieri sogar unentgeltlich in ihrem Fortkommen unterstützt haben, wie bei seinem erstem Biografen Ignaz von Mosel nachzulesen ist:
„Salieri hatte ein Gelübde gemacht, unendgeldlich [sic!] wiederzugeben, was er von seinem zweiten Vater und Meister, Gaßmann, unentgeldlich empfangen hatte. Er unterrichtete daher nicht nur junge Talente, die von der Musik zu leben sich vorsetzten, sondern er vertheilte [sic!] auch das Honorar, welches er für die Unterweisung adeliger und reicher Personen erhielt, unter arme Tonkünstler.“2
Antonio Salieri selbst hatte in seiner Heimatstadt Legnago bereits in sehr jungen Jahren eine umfassende musikalische Ausbildung sowie ersten Gesangsunterricht erhalten und seine stimmliche Ausbildung später bei Ferdinando Pacini, einem Tenorsänger der Capella di San Marco in Venedig, fortgesetzt.3 Wann und wo Salieri seine ersten Erfahrungen als Gesangspädagoge sammelte, ist bislang noch wenig erforscht, aber es steht fest, dass Salieri bereits im Alter von 24 Jahren nach dem frühem Tod seines Wiener Förderers Florian Gassmann die stimmliche Schulung dessen junger Töchter, Anna Barbara und Therese, übernahm und diese zu professionellen Sängerinnen ausbildete. In der Fachliteratur werden diese beiden Künstlerinnen als Salieris erste Schülerinnen angeführt, doch sollten schon bald weitere wie beispielsweise Caterina Cavalieri oder Anna Milder-Hauptmann folgen. Die Koloratursopranistin Caterina Cavalieri avancierte im Laufe ihrer Karriere zu einer der Lieblingssängerinnen von Wolfgang Amadé Mozart, der ihr die Partie der Konstanze in seiner Entführung aus dem Serail auf den Leib schrieb, während Anna Milder-Hauptmann als die erste Leonore in allen drei Fassungen von Ludwig van Beethovens Fidelio nachdrücklich in Erinnerung blieb. Zu Salieris erfolgreichen männlichen Schülern gehörten unter anderem die Tenöre Julius Cornet und Anton Haizinger sowie der Bassist Joseph Seipelt. Diese und andere Sänger_innen konnten dank der von Antonio Salieri erhaltenen qualitätsvollen Ausbildung sowie seiner guten künstlerischen Verbindungen Karrieren im In- und Ausland begründen und auf den Opern- und Konzertbühnen Europas oftmals große Erfolge feiern.
Folgt man den zeitgenössischen Rezensionen, so scheint die Heranbildung von klangvollen, beweglichen, modulationsfähigen und in allen Lagen ausgeglichenen Stimmen sowie die Schulung von Deklamation, Wortdeutlichkeit und darstellerischem Ausdruck Salieris übergeordnetes gesangspädagogisches Ziel gewesen zu sein. Ein interessanter methodischer Aspekt ist außerdem, dass Salieri für seine erwachsenen Schüler_innen zusätzlich zu den Gesangsstunden regelmäßig Auftrittsmöglichkeiten im Rahmen der damals sehr beliebten musikalischen Abendgesellschaften in Häusern der ersten Wiener Gesellschaft organisierte und diese Konzerte auch selbst leitete.
Insgesamt dürfte Antonio Salieri auf eine musikalisch umfassende Bildung Wert gelegt haben, die den Schüler_innen später ein breites berufliches Spektrum eröffnen sollte, nicht zuletzt als erfolgreiche Gesangspädagog_innen. So machte sich der Bariton Joseph Mozatti als Lehrer von Caroline Unger und Wilhelmine Schröder-Devrient, die beide zu einflussreichen Sängerinnen ihrer Zeit werden sollten, einen Namen. Joseph Seipelt wiederum etablierte in Wien eine Sing- und Musikschule für junge Schülerinnen und Schüler, wohl damit dem Vorbild Antonio Salieris folgend. Dieser hatte gegen Ende seines künstlerisch und pädagogisch erfüllten Lebens mit der Initiierung und Etablierung einer Chorschule im Rahmen der Gesellschaft der Musikfreunde einen nachhaltigen pädagogischen Impuls gesetzt und damit im weitesten Sinne die Vorläuferinstitution der heutigen mdw ins Leben gerufen.
Vor diesem Hintergrund veranstaltet das Antonio Salieri Institut für Gesang und Stimmforschung in der Musikpädagogik anlässlich des 200. Todesjahres seines Namensgebers am Freitag, 9. Mai 2025 ein halbtägiges Symposium, bei welchem dem Gesangspädagogen Salieri nachgespürt, dessen Gesangsmethode historisch kontextualisiert sowie ihr Einfluss auf gesangspädagogische Überlegungen und Vorgangsweisen der Gegenwart analysiert werden soll.
- F. C. Weidmann, Nekrolog. Anton Salieri, k.k. Hof-Capellmeister in Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode am 27. August 1825, S. 859.
- Ignaz von Mosel, Über das Leben und die Werke des Anton Salieri. Wien. J.B. Wallishausser, 1827, S. 209f.
- Rudolph Angermüller, Antonio Salieri. Sein Leben und seine weltlichen Werke unter besonderer Berücksichtigung seiner ‚großen‘ Opern. Teil II, 1. Vita und weltliche Werke. München. Musikverlag Emil Katzbichler, 1974.