Durch den vollkommenen Shutdown des öffentlichen Lebens, der durch die Corona-Pandemie in vielen Ländern erzwungen wurde, mussten sämtliche Musikveranstaltungsstätten vom kleinen Musikclub bis hin zu den Opernhäusern und Konzertstadien schließen. Alle Konzerttourneen der Veranstaltungskonzerne Live Nation, AEG und CTS-Eventim wurden abgesagt oder verschoben. Damit fällt nicht nur die wichtigste Einkommensquelle für die meisten Musikschaffenden weg, sondern die Krise erfasst das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk der Musikwirtschaft, die im Streamingzeitalter vernetzter denn je ist.

Allein die Absage eines der großen Festivals zieht nicht nur massive Umsatzeinbußen und negative Beschäftigungseffekte nach sich, sondern bedeutet auch einen massiven wirtschaftlichen Schaden für die betroffenen Regionen. So erwirtschaftete das sechstägige Coachella Music and Arts Festival, das täglich rund 100.000 Besucher_innen ins südkalifornische Coachella Valley lockt, 2016 eine Wirtschaftsleistung von 704 Mio. US-Dollar, wovon 403 Mio. in der Region verblieben (Billboard 2020).

Die deutschen Musikindustrieverbände haben auch schon eine erste Einschätzung für den durch die Coronakrise verursachten Schaden für die deutsche Musikwirtschaft vorgenommen, der sich auf 5,46 Mrd. Euro summiert. Der Großteil des Schadens betrifft den Musikveranstaltungssektor, der unmittelbar vom behördlich verordneten Veranstaltungsverbot betroffen ist und mit 4,54 Mrd. Euro für die kommenden sechs Monate beziffert wird (Verbände der deutschen Musikwirtschaft 2020).

Die wirtschaftlich prekäre Ausgangslage für Musikschaffende

In weiterer Folge soll nun der Versuch unternommen werden, die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Musikschaffenden grob einzuschätzen, wobei in erster Linie auf Daten aus Deutschland zurückgegriffen werden muss. Für die österreichische Musikwirtschaft ist die Datenlage nämlich nicht so gut, aber es lassen sich Rückschlüsse aus Forschungsarbeiten ziehen, die in Vor-Coronazeiten erstellt wurden. So zeigt die Studie von L&R Sozialforschung (2018), dass 2017 rund 35 Prozent der befragten Musikschaffenden in einkommensschwachen und somit armutsgefährdeten Haushalten leben. Lediglich acht Prozent gehören einem einkommensstarken Haushalt an und weitere 59 Prozent sind in Haushalten mit mittlerem Einkommen zu finden (L&R Sozialforschung 2018: 81).1 Eine tiefergehende Analyse macht sichtbar, dass fast die Hälfte der befragten Musiker_innen ein Gesamtjahreseinkommen von weniger als 15.000 Euro aufweist. Lediglich 23 Prozent gaben an, mehr als 30.000 Euro im Jahr zu verdienen (ibid.: 71). Betrachtet man nur das Einkommen aus der künstlerischen Tätigkeit, steigt der Anteil der Musikschaffenden, die nicht mehr als 15.000 Euro jährlich generiert, auf 86 Prozent, und nur mehr sechs Prozent der Befragten verdienen mehr als 30.000 Euro (ibid.: 70).

Zahlen der deutschen Künstlersozialkasse (KSK 2018) belegen ebenfalls die prekäre wirtschaftliche und soziale Lage der Musikschaffenden in unserem Nachbarland. 2018 waren in Deutschland 53.436 Musikschaffende versicherungspflichtig, d. h. sie hatten ein jährliches Arbeitseinkommen von mehr als 3.900 Euro aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit nach § 3 (1) KSVG.2 Das daraus fließende Durchschnittseinkommen lag mit dem Stichtag 1. 1. 2019 bei 14.628 Euro (Männer: 16.241 Euro; Frauen: 12.222 Euro).

Es gilt dabei zu bedenken, dass die KSK nicht alle Musikschaffenden repräsentiert, sondern nur jene, die mehr als 3.900 Euro mit ihrer künstlerischen Tätigkeit verdienen. Zudem gilt es, zwischen Urheber_innen (Komponist_innen, Textautor_innen und Bearbeiter_innen), die schwerpunktmäßig ihren Lebensunterhalt mit der Schaffung von Musikwerken verdienen, und ausübenden Musiker_innen wie Dirigent_innen, Instrumenalist_innen, Sänger_innen, Chorleiter_innen und DJs, die Musik interpretieren, zu unterscheiden. Auch wenn die Grenze fließend ist und in vielen Fällen beide Aktivitäten auch zusammenfallen können, lässt sich meist doch ein finanzieller Schwerpunkt feststellen. In der Musikwirtschaftsstudie für Deutschland (Seufert et al. 2015) lag der Anteil der interpretierenden Musiker_innen bei 83,2 Prozent und jener der Urheber_innen bei 16,8 Prozent, wobei Mischformen (z. B. Singer/Songwriter) eindeutig nach finanziellem Schwerpunkt zugeordnet werden mussten. Da der Anteil der ausübenden Musiker_innen sehr hoch ist, muss davon ausgegangen werden, dass die große Mehrheit der Musikschaffenden – insgesamt 44.455 mit Stichtag 1. 1. 2019 – während des Corona-bedingten Shutdowns des Musikveranstaltungsbetriebs schlagartig fast ohne Einkommen dasteht. Aus der Musikwirtschaftsstudie lässt sich auch der Einkommensmix ableiten.

Abbildung 1: Der Einkommensmix bei Urheber_innen und Interpret_innen in Deutschland, Quelle: Eigene Darstellung nach Seufert et al. (2015: 25–26)

Da sich die Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften auf die Vorperiode beziehen, bricht diese Einkommensquelle nicht sofort weg. Deshalb wird die Coronakrise zeitverzögert auch die Urheber_innen treffen, weil dann z. B. die Entgelte für Musikaufführung stark geschmälert sein werden. Ähnlich verhält es sich bei den Honoraren aus Tonträger- bzw. Musikverkäufen, die ebenfalls noch eine Zeit lang ausgeschüttet werden. Allerdings werden 2020 wegen des Gebots zum Social Distancing auch weniger Musikproduktionen stattfinden und das Streamingverhalten hat sich im Corona-Lockdown ebenfalls verändert. Es werden aktuell mehr traditionelle Medien genutzt als Streamingservices (siehe Midia Research 2020).

Der durchschnittliche Einkommensmix ist aber nicht für die Gesamtheit repräsentativ. Die Musikwirtschaftsstudie (Seufert et al. 2015: 23) hat erhoben, dass laut Umsatzstatistik lediglich 250 Musikgruppen (Ensembles, Orchester, Chöre, Bands etc.) mehr als 100.000 Euro Jahresumsatz erzielten. Weitere 1.250 Musikgruppen hatten einen Jahresumsatz zwischen 17.500 und 100.000 Euro. 2014 verdienten zudem rund zwei Drittel bzw. 2.750 Urheber_innen mehr als 17.500 Euro pro Jahr und 600 sogar mehr als 100.000 Euro. Daraus lässt sich eine sehr ungleiche Einkommensverteilung sowohl bei den Urheber_innen als auch bei den Interpret_innen ableiten. Letztere werden dabei vor allem von Auftrittshonoraren abhängig sein, wodurch diese Gruppe besonders hart vom Corona-Shutdown betroffen sein wird. Sie haben derzeit nicht nur so gut wie keine Einnahmen, sondern auch keine Reserven, die nun abgebaut werden können, und sind somit massiv armutsgefährdet.

Die Auswirkungen der Coronakrise

Wie hoch sind nun die kumulierten Einkommensverluste für die Musikschaffenden in Deutschland? Geht man von 53.436 versicherungspflichtigen Musikschaffenden nach Angaben der Künstlersozialkasse im Jahr 2019 aus, die im Durchschnitt 14.628 Euro verdient haben, so ergibt sich ein Produktionswert für alle erfassten Musikschaffenden von jährlich 782 Mio. Euro. Nimmt man die gleiche Einkommensverteilung zwischen Urheber_innen und ausübenden Musiker_innen wie im Jahr 2014 an – 44,3 zu 55,7 Prozent –, so entfallen 346,3 Mio. Euro pro Jahr auf die Urheber_innen und 435,4 Mio. Euro auf die ausübenden Musiker_innen.

Würden nun 100 Prozent aller Einnahmen für die Urheber_innen ausfallen, so läge der kumulierte Einkommensverlust bei einem Shutdown von drei Monaten bei 86,6 Mio. Euro. Dauert die Ausnahmesituation ein halbes Jahr, dann summieren sich die Verluste auf 173,1 Mio. Euro. Allerdings sind für diese Gruppe die Auszahlungen der Verwertungsgesellschaften die wichtigste Erlösquelle und auch Kompositionsaufträge für Werbung und audiovisuelle Medien spielen eine gewisse Rolle und werden noch eine Zeit lang weiterlaufen. Als Untergrenze kann daher für die Urheber_innen ein kurzfristiger Einkommensausfall von 20 Prozent angenommen werden. Bei einem dreimonatigen Shutdown würden sich die Verluste auf 17,3 Mio. Euro summieren und bei sechs Monaten auf 34,6 Mio. Euro.

Abbildung 2: Die monatlich kumulierten Einnahmenausfälle für Urheber_innen, Quelle: Eigene Darstellung nach KSK (2019) und Seufert et al. (2015)

Wesentlich prekärer ist die Lage bei den ausübenden Musiker_innen. Fallen alle Einnahmen über einen Zeitraum von drei Monaten weg, dann entspricht das einem Wert von 108,8 Mio. Euro und bei einem halben Jahr von 217,7 Mio. Euro. Selbst im besten Fall muss diese Gruppe von Einnahmeausfällen von mindestens 80 Prozent ausgehen. Die Ausfallsuntergrenze liegt bei drei Monaten demnach bei 87,1 Mio. Euro und bei sechs Monaten bei 174,2 Mio. Euro.

Abbildung 3: Die monatlich kumulierten Einnahmeausfälle für ausübende Musiker_innen, Quelle: Eigene Darstellung nach KSK (2019) und Seufert et al. (2015)

Zusammengenommen müssen die Musikschaffenden in Deutschland bei einem dreimonatigen Veranstaltungsverbot mit Einnahmeverlusten zwischen 100 Mio. Euro (bei optimistischer Schätzung) und mehr als 200 Mio. Euro rechnen. Dauert die Coronakrise insgesamt ein halbes Jahr, dann verdoppeln sich die Verluste auf 200 bis 400 Mio. Euro. Unmittelbar am stärksten sind davon die ohnehin schon einkommensschwachen Musiker_innen betroffen, die bereits vor der Krise armutsgefährdet waren. Es ist vor allem diese Gruppe, die rasch, unbürokratisch und in einem beträchtlichen Ausmaß finanzielle Unterstützung von der öffentlichen Hand benötigt.

Abbildung 4: Die monatlich kumulierten Einnahmeausfälle für alle Musikschaffenden, Quelle: Eigene Darstellung nach KSK (2019) und Seufert et al. (2015)

Schon jetzt kann aber gesagt werden, dass die Coronakrise die größte wirtschaftliche und soziale Katastrophe für den Kultursektor im Allgemeinen und für die Musikschaffenden im Besonderen seit Ende des Zweiten Weltkriegs darstellt. Neben den finanziellen Hilfen, die nun nötig sind, braucht es auch einen klaren Zeitplan für das schrittweise Hochfahren des Musikveranstaltungssektors. Die Vorlaufzeiten für das Musiktheater, für große Festivals und Konzerttourneen betragen oft mehrere Jahre und da ist entsprechende Planungssicherheit unabdingbar. Aufgrund der internationalen Vernetzung des Musikveranstaltungsbusiness ist aber gerade diese aufgrund von Ausgeh- und Reisebeschränkungen derzeit nicht gegeben. Neben den nationalen Anstrengungen, einen solchen Zeitplan für das Hochfahren von Musikveranstaltungen auszuarbeiten, ist mehr internationale Kooperation gefordert, um den nachhaltigen Schaden für das Live-Musikbusiness und für die wirtschaftlich davon abhängigen Musikschaffenden in Grenzen zu halten.

Quellen:

Billboard, 2020, „AEG & Live Nation Recommend Halting All Tours“, 12. März 2020, https://www.billboard.com/articles/business/touring/9333998/aeg-live-nation-recommend-halting-all-tours (abgerufen: 22. 4. 2020)

Künstlersozialkasse (KSK), o. J., KSK in Zahlen: https://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen.html (abgerufen: 22. 4. 2020)

L&R Sozialforschung, 2018, Soziale Lage der Kunstschaffenden und Kunst- und Kulturvermittler/innen in Österreich. Ein Update der Studie „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“ 2008. Studie erstellt in Zusammenarbeit mit Österreichische Kulturdokumentation – Internationales Archiv für Kulturanalysen und im Auftrag des Bundeskanzleramtes – Sektion Kunst und Kultur, Wien.

Midia Research, 2020, COVID-19 | Recessionary Impacts and Consumer Behaviour, Studie erstellt von Mark Mulligan und Karol Severin, März 2020, London.

Seufert Wolfgang, Robert Schlegel und Felix Sattelberger, 2015, Musikwirtschaft in Deutschland. Studie zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Musikunternehmen unter Berücksichtigung aller Teilsektoren und Ausstrahlungseffekte. Herausgegeben vom Bundesverband Musikindustrie, Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft, Deutscher Musikverleger-Verband, Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren, GVL, Live-Musik-Kommission, Society of Music Merchants, Verband der Deutschen Konzertdirektoren, VUT. Berlin.

Verbände der deutschen Musikwirtschaft, 2020, Bericht der Verbände der deutschen Musikwirtschaft zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, Berlin, 25. März 2020.

  1. Als einkommensschwach gelten jene Haushalte, in denen das äquivalisierte monatliche Haushaltseinkommen unter 60 Prozent des Medianwertes liegt – derzeit in etwa bei 800 Euro. In dieser Gruppe ist von Armutsgefährdung zu sprechen.
  2. KSVK = Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz) vom 27. Juli 1981 (BGBl. I S. 705) i. d. g. F.
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