1936 commence, année de la grande espérance populaire! […] Le ,Front populaire‘ occupe 378 sièges – les deux tiers – à l’Assemblée Nationale […] Cette victoire des idées pour lesquelles je me bats depuis plusieurs années, contre celles qui se développent aux frontières […] j’ai conscience de jouer un rôle dans la transformation de cette société française qui est devenue la mienne.
Paul Arma
Dieses Zitat stammt aus den Memoiren des Musikers Paul Arma (1904/5–1987), der mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 nach Frankreich ins Exil floh, da er als Jude und Kommunist in NS-Deutschland stark gefährdet war. Arma beschreibt hier seine Freude über den Wahlsieg der französischen Volksfrontbewegung (Front Populaire) im Jahr 1936. Er gibt sich als Verfechter des Volksfrontkonzeptes, das auf eine Zusammenarbeit mehrerer linker und moderater Parteien im Kampf gegen den Faschismus setzte, zu erkennen. Paul Arma gestaltete den Aufstieg und die Regierungszeit (1936–1938) des Front Populaire aktiv mit, indem er für die Kommunistische Partei tätig war, politische Stücke komponierte, Agitprop-Truppen und Arbeiterchöre leitete, als Pianist und Chorleiter auf politisch motivierten Veranstaltungen auftrat sowie mit dem französischen Bildungsministerium im Jugendmusikbereich zusammenarbeitete.
Neben Paul Arma engagierten sich noch weitere aus NS-Deutschland geflohene Musikerinnen und Musiker im Exil in Frankreich für die Volksfrontbewegung. Zu diesen Personen zählen Paul Dessau (1894–1979), Hanns Eisler (1898–1962), Joseph Kosma (1905–1969), Franz Landé (1893–1942), Marianne Oswald (1901–1985), Louis Saguer (1907–1991), Eberhard Schmidt (1907–1996) und Cora Schmidt-Eppstein (1900–1939). Die durch das Engagement dieser Musikschaffenden im Umkreis der Volksfront entstandenen Verflechtungen musikalischer und politischer Sphären werden in der Dissertation ExilmusikerInnen im antifaschistischen Kampf des Front Populaire näher erforscht. Die konkrete Forschungsfrage lautet: Wie und unter welchen Rahmenbedingungen haben aus NS-Deutschland emigrierte Musikerinnen und Musiker die französische Volksfront der 1930er-Jahre mitgestaltet?
Für die Beantwortung dieser Frage kommt die Histoire croisée („Verflechtungsgeschichte“) zum Einsatz. Diese Methode wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts von Bénédicte Zimmermann und Michael Werner an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris entwickelt. Sie basiert auf einem vernetzenden Denkkonzept, das sich Verflechtungsstrukturen zunutze macht, um davon ausgehend wissenschaftliche Erkenntnisse abzuleiten. Da das Konzept der Histoire croisée die Art und Weise, wie Verflechtungen analysiert werden sollen, weitgehend offenlässt, wird mit zusätzlichen Forschungsansätzen gearbeitet. Im Wesentlichen werden drei Methoden in die Histoire croisée integriert: die historische Methode, die Netzwerkanalyse und Musikanalyse. Um eine möglichst intersubjektive Darstellung zu kreieren, werden verschiedenartige Quellen ausgewertet, wobei sich Memoiren von Musikschaffenden sowie Pressequellen als besonders fruchtbar erweisen.
Die Dissertation besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden theoretische und kontextuelle Grundlagen für die Erforschung des Gegenstands geliefert. Im zweiten Teil wird das antifaschistische Engagement einzelner Exilmusiker_innen untersucht. Der dritte Teil widmet sich schließlich Kontexten, in die jeweils mehrere exilierte Musikschaffende eingebunden waren. Im Eingangskapitel dieses dritten Teils stehen die Bereiche Agitprop und Kabarett im Zentrum der Betrachtungen. Das zweite Kapitel handelt vom antifaschistischen Engagement von Exilmusiker_innen im Kampf gegen den Anschluss des Saargebietes an Deutschland im Vorfeld der diesbezüglichen Volksabstimmung vom 13. 1. 1935. Es folgt im dritten Abschnitt eine Untersuchung der politischen Dimension der Internationalen Arbeitermusik- und Gesangsolympiade in Straßburg zu Pfingsten 1935. Als viertes werden politische Kompositionen von Exilmusiker_innen sowie Übersetzungen und Kontrafakturen der Stücke einer näheren Betrachtung unterzogen. Das anschließende fünfte Kapitel befasst sich mit den Publikationsmöglichkeiten politischer Musik und den Chancen im Verlagswesen im Exil. Kapitel sechs ist den Medien Radio und Film und ihrem Einsatz als Sprachrohr der Volksfront gewidmet. Im letzten Kapitel des dritten Teils wird der Fokus auf eine internationale Ebene ausgeweitet und das Engagement von Exilmusiker_innen für die spanische Republik während des Spanischen Bürgerkriegs thematisiert. In jedem Kapitel des dritten Teils erfolgt eine Analyse von jeweils drei Musikstücken in Bezug auf ihren politischen Gehalt und ihre Rolle im antifaschistischen Kampf. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und einem Ausblick auf noch offene Fragen.