Holly Rogers, Joana Freitas, João Francisco Porfírio (Hrsg.), YouTube and Music. Online Culture and Everyday Life, Bloomsbury Academic, 2023
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Mit seiner Gründung im Jahr 2005 hat YouTube neue Möglichkeiten der Präsentation, Verbreitung und Dokumentation von musikalischer Kreativität eröffnet. Die Plattform ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zu den mannigfaltigen Genres des zeitgenössischen Musiklebens und präserviert gleichzeitig vergangenes Musikschaffen. In dem Sammelband YouTube and Music. Online Culture and Everyday Life, herausgegeben von Holly Rogers, Joana Freitas und João Francisco Porfírio, zeigen die Autor_innen auf, wie Plattenfirmen, Musiker_innen und Nutzer_innen das Potenzial von YouTube zur Förderung von Kunstschaffenden, zur Inszenierung von Aufführungen, zum Aufbau von künstlerischen (Cyber-)Identitäten, zur Initiierung interaktiver Kompositionen, zur Neuausrichtung von Musikpädagogik, zur Verhandlung von Fandom, zum Einfluss auf den Musiktourismus und zur Vertonung unseres Alltagslebens nutzen.

Erfreulicherweise ist die mdw durch einen Beitrag von Juri Giannini, Senior Scientist am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, in dem Band vertreten. Gianninis Kapitel „,Musical Personae‘ 2.0: The Representation and Self-Portrayal of Music Performers on YouTube“ befindet sich im ersten Teil des Bandes, der den Titel „Transmedia, Performance and Digital Stages“ trägt. Dieser Abschnitt versammelt vier Kapitel, die untersuchen, wie Interpret_innen und Komponist_innen YouTube nutzen, um neue musikalische Möglichkeiten zu erschließen. Juri Giannini präsentiert eine Fallstudie über die usbekische Pianistin Lola Astanova, die nicht nur eine hohe Präsenz auf sozialen Plattformen aufweist, sondern auch aufgrund ihrer sexualisierten Selbstinszenierung kontrovers diskutiert wird. Für diese Untersuchung erweist sich Philip Auslanders theoretische Auseinandersetzung mit Strategien der Präsentation und Repräsentation von Musiker_innen, bestehend aus „the real person (the performer as human being)“, „the performance persona (the performer as social being)“ und „the character“ als wertvoll. Mithilfe von Auslanders theoretischem Werkzeug identifiziert Giannini eine neue Art von „musikalischer Persona“, die von zeitgenössischen „digitalen Musiker_innen“ gestaltet wird, und beschreibt Fragmente einer Theorie des „musikalischen Selfies“, durch das Interpret_innen neue Formen von Liveness und Identität erschließen können. Dieser neuartige Typus von „digitalen Musiker_innen“, so argumentiert Giannini, hat Auswirkungen auf die Methoden und Herangehensweisen, mit denen Musikwissenschaftler_innen und Historiker_innen die zeitgenössische Aufführungspraxis zukünftig erforschen werden.

Ein breit aufgestelltes Autor_innenteam bestehend aus Musikwissenschaftler_innen, Filmwissenschaftler_innen, Philosoph_innen, Medientheoretiker_innen, Kulturgeograf_innen und Psycholog_innen zeigt anhand von Fallstudien, dass YouTube ein zentraler Bestandteil der zeitgenössischen Musikkultur, ein Raum für kollaboratives Musikschaffen sowie ein Ort der Neuordnung und kreativen Zerstörung von Genre-Hierarchien und Musikkanons sein kann. Die Brisanz dieser Themen ist auch in der Veröffentlichungsform erkennbar, als Open-Access-Publikation ist YouTube and Music. Online Culture and Everyday Life kostenfrei zugänglich und nachnutzbar.

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