Was wie ein Gebot an den Wänden des Max Reinhardt Seminars in Penzing geschrieben steht, hat von seiner Gültigkeit bis heute nichts eingebüßt. Auf der Bühne wie vor dem Auge der Kamera gilt es authentisch und echt zu sein, um das Publikum zu fesseln. Ein Blick in die Unterrichtspraxis an der mdw zeigt: Die Studierenden des Max Reinhardt Seminars werden darauf gut vorbereitet.

Kamera
©shutterstock / ponsulak

Die Unterscheidung zwischen Theater- und FilmschauspielerInnen, die nach Aufkommen des Stumm- beziehungsweise Tonfilms oft vorgenommen wurde, gilt heute als obsolet. Nicht nur aus finanziellen Gründen bedienen alteingesessene sowie junge SchauspielerInnen heute beides und kommen um audio(-visuelle) Medien meist nicht herum. „Das wird in Zukunft noch stärker werden“, ist auch der Wiener Autor und Regisseur Sebastian Brauneis überzeugt, der seit 2014 am Max Reinhardt Seminar das Fach Arbeit vor der Kamera leitet. „Wir haben alle einen Screen in der Tasche, arbeiten die meiste Zeit vor Bildschirmen und sogar das klassische Plakat wird abgelöst. All das sind leere Flächen, die Content brauchen, und diesen Content muss jemand plausibel rüberbringen.“ Dabei geht es nicht darum, die Leistung von der Bühne direkt auf den Bildschirm zu übertragen. Während der Moment auf der Theaterbühne unwiederbringlich ist, hält die Kamera Vorgänge auf Dauer fest. Das wirkt sich auch auf die Personen vor der Linse aus. „Die Kamera am Set kann schon mal wie ein schwarzes Loch wirken, in das man nicht hineinschauen kann“, so Brauneis. „Auf der Bühne bleibt die Geste unreproduzierbar – es ist ein momentanes Ereignis. Wenn ich vor der Kamera einen Fehler mache, speichert diese das für immer ab. Beim Film arbeiten zudem eine Menge hochspezialisierte Leute, komplexe Technik kommt zum Einsatz und das alles kostet extrem viel Geld. Es kann ein riesiger Druck sein, wenn man weiß, man macht etwas für die Ewigkeit.“ Gleichzeitig bringe die Kamera aber durchaus auch etwas Befreiendes mit sich, ist er überzeugt: „Sie ist ein ehrlicher Partner und nimmt uns so wie wir sind. Im Gegensatz zum Menschen ist die Kamera frei von Bewertung. Sie ist eine Wahrheitenmaschine, vor allem aber eine Möglichkeitenmaschine.“

István Szabó
István Szabó ©privat / zur Verfügung gestellt

Der ungarische Regisseur und Oscarpreisträger István Szabó zeichnet für das Seminar Fernseh- und Filmarbeit verantwortlich und auch er kennt die Herausforderungen, denen sich die Studierenden stellen müssen: „Die Kamera bietet die Möglichkeit, die Gedanken und Gefühle aus der Nähe zu zeigen, die auf dem menschlichen Gesicht, im Blick der Augen entstehen. Und auch wie sich diese in andere, neue Gedanken und Gefühle wandeln. Was im Theater eine Geste erfordert, dafür kann vor der Kamera vielleicht ein Blick oder dessen Änderung reichen. Das erfordert vom Schauspieler persönliche Gefühle, starke Anwesenheit, ständige Intensität. Das Spiel in Filmen erfordert die vollkommene Natürlichkeit, die Kraft des Schweigens, Geheimnisse, den Besitz von Mitteln des Ohne-Mittel-Spieles.“ Vor allem mittels Nahaufnahmen wird das in seinem Seminar geübt: „Die besondere Herausforderung in der schauspielerischen Arbeit vor der Kamera ist, dass die darzustellende Wahrheit auch in den Details wirklichkeitstreu, real dargestellt werden soll. Auf der großen Leinwand duldet die Kamera keine Stilisierung. ,Gespielte‘ Gefühle oder ein leerer Blick werden von der Kamera sofort entlarvt. Die ZuschauerInnen im Kino folgen nur dann einer Leidenschaft, wenn sie sie als echt und glaubwürdig empfinden. Zu dieser Erkenntnis sollen die Studierenden kommen.“

In beiden Seminaren werden mit dem 3. und 4. Jahrgang Szenen erarbeitet, geübt und schließlich gefilmt und analysiert. „Es geht auch darum, zu verstehen, dass der Film eine eigene Form hat, einem eigenen Rhythmus und speziellen Gesetzmäßigkeiten folgt“, so Brauneis. Neben einer theoretischen Einführung geht es vor allem darum, das Vokabular des Films zu kennen, zu verstehen wie ein Set funktioniert. Auch Übungen zum Umgang mit Emotionen, dem Körper, der Haltung und der Sprache sind essentiell.

Sebastian Brauneis
Sebastian Brauneis ©privat / zur Verfügung gestellt

Richtig gedreht wird mit Sebastian Brauneis schließlich in Kooperation mit der Filmakademie Wien in den Filmstudios am mdw-Campus am Anton-von-Webern-Platz. Eine Zusammenarbeit, die ausgezeichnet funktioniere und das alles überhaupt erst ermögliche. Freiwillig arbeiten Studierende der Kameraklasse der Filmakademie Wien mit, und in einem fertig aufgebauten Bühnenbild in einem hochprofessionellen Studio können die Schauspielstudierenden ihre Szenen aufnehmen, um diese anschließend zu analysieren.

In diesem Jahr kam erstmals auch Mel Churcher, ein Acting- und Stimm-Coach aus England, ans Max Reinhardt Seminar, um mit den Studierenden zu arbeiten. Mel Churcher brachte selbst viele Jahre Bühnen- und Schauspielerfahrung mit, bevor sie Coach wurde und mit internationalen Stars wie Benedict Cumberbatch, Milla Jovovich, Angelina Jolie, Jet Li uvm. arbeitete. Sie kennt somit beide Seiten – vor und hinter der Kamera. (Interview mit Mel Churcher von Florian Reiners – siehe unten!)

Vor der Kamera „authentisch“ zu sein hat laut Sebastian Brauneis viel mit Mut zu tun. „Es geht darum, mutig zu sein. Um mutig zu sein, muss man sich etwas trauen, und um sich zu trauen, muss man vor allem vertrauen“, erklärt er im Interview mit dem mdw-Magazin. Ein allumfassendes Rezept dafür gibt es nicht und das sei auch gut so. „Wir vom Lehrkörper wollen ja ständig vor neue Herausforderungen gestellt werden und arbeiten mit Individuen, die wir immer wieder neu kennenlernen müssen. Das Ziel darf kein Schema F sein.“ Eine „handwerkliche“ Grundausbildung sei trotzdem unerlässlich. Erst wenn die Studierenden ihre „Werkzeuge“ kennen, können Sie entscheiden, was sie damit machen.

Auch für István Szabó geht es vor allem um die Einzigartigkeit der Studierenden: „Die Studierenden sollen die Freude kennenlernen, zu sich selbst zu stehen. Sie sollen niemand anderem ähnlich zu sein wünschen, die Verhaltensform oder den Stil eines anderen nachahmen. Sie sollen sich freuen, dass sie – wie jeder Mensch – einzigartig sind, es gibt sie nur ein einziges Mal. Sie sollen ihr Gesicht mutig, frei und ehrlich als Möglichkeit wahrnehmen, es gehört ja nur ihnen, mit ihren Emotionen und Instinkten. In den von ihnen dargestellten Charakteren, sollen sie nach sich selbst suchen.“

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