Die folgenden Überlegungen reflektieren künstlerische Forschung im Feld der bildenden Künste aus einem wissenschafts- sowie kunsttheoretischen Interesse heraus. Sie benennen – in Anlehnung an die Geschichte der modernen Kunst und ihrer Theorie – ästhetische Praktiken und Aspekte, die als Charakteristika einer spezifisch künstlerischen Forschung verfolgt werden können und für die aktuellen Herausforderungen unserer Auseinandersetzung mit der Welt, insbesondere der Frage des Wissens, vielversprechend sind.

Artistic Research gehört für viele Studienanfänger_innen wie das Zeichnen zum künstlerischen Instrumentarium. Gleichwohl ist die künstlerische Forschung mit einer Kritik von Künstler_innen, Wissenschaftler_innen und Akteur_innen des Kunst(markt)-Systems konfrontiert, die sie aus dem Feld der Kunst auszugrenzen sucht. Einem Mantra gleich kehrt konstant der Vorwurf wieder, dass nunmehr auch die Kunst akademisiert und unter das Diktat der Wissensproduktion gestellt werde und somit ihre kreativen, ja widerspenstigen Potenziale verliere. Statt an die Grenzen des Wissens zu erinnern, die Wissensproduktion zu problematisieren oder sich unbewussten Prozessen zuzuwenden, in denen sich auch Unvorhersehbares ereignen könne, werde die künstlerische Forschung zum Wissenslieferanten. Ist es aber tatsächlich so einfach, Kunst, Wissen, Forschung durch Polarisierungen zu (unter)scheiden und welche (Macht-)Interessen sind damit jeweils verbunden? Setzt das Dispositiv des Kunstmarktes tatsächlich widerspenstige und unvorhersehbare Potenziale frei? Mir scheint die ausgrenzende Kritik heute eine weniger vielversprechende Strategie denn die Pluralisierung des Kunstfeldes.

Für die künstlerische Forschung lassen sich vielfältige Genealogien erstellen. So erforschte die historische Avantgarde die ästhetischen Mittel hinsichtlich ihrer Kraft, das Leben zu durchdringen und zu verändern. Sie verabschiedete den Subjektivitäts-Mythos, setzte an die Stelle des Künstlergenies den Künstler-Ingenieur und lehnte die Repräsentation der sichtbaren Welt als bloße Illusionsmalerei ab. Der (männlich vorgestellte) Künstler sollte Forscher werden.1

Dieses Selbstverständnis findet sich im 20. Jahrhundert immer wieder, verknüpft etwa mit ökonomischen Fragen,2 mit interdisziplinären kollaborativen Arbeitsweisen zwischen Kunst und Technologie3 oder mit dem Wunsch, die künstlerische Praxis in der Gesellschaft zu verankern4. Der künstlerische Anspruch war nicht (mehr) jener, avantgardistisches Modell für die Gesellschaft zu sein, Kunst sollte aber ebenso wenig als Gegenmodell zur Gesellschaft fungieren. Mit der Anlehnung und Aneignung von Forschungsmethoden aus den empirischen Wissenschaften wie der Sozialwissenschaft stellten Künstler_innen die Möglichkeiten und Funktionen von Kunst zur Disposition und eröffneten neue Verschränkungen mit der Gesellschaft und aktuellen Fragen.

In ihrer heutigen institutionalisierten Form der Bologna-Reform ist künstlerische Forschung Teil des Dispositivs Wissen. Sie agiert nicht in einem freien Außen, sondern entwickelt in Relation zu den gültigen Normen und Konventionen ihre Strategien und Grenzgänge im Feld des Wissens. Dabei kann sie auf spezifisch künstlerisch-ästhetische Praktiken, Techniken und Verfahren, wie sie in der Moderne ausgebildet wurden, zurückgreifen. Zum methodischen Werkzeugkasten der künstlerischen Forschung gehören insofern jene ästhetischen Praktiken, welche die moderne Kunst in ihrer sich von der Wissenschaft abgrenzenden Ausdifferenzierung entwickelt hat. Den Potenzialitäten der Darstellung für unsere Wahrnehmung wie für unser Denken von Welt kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. In der Geschichte der Ästhetik und der modernen Kunst meint die Repräsentation von Wirklichkeit deren Darstellung und Herstellung. Ästhetische Praktiken zielen auf die Produktivität des Sehens und nicht auf ein wiedererkennendes Sehen ab, sie arbeiten mit Widersprüchen, mit Irritationen, mit Ambivalenzen, mit Vieldeutigkeit und an den Grenzen des Wissens. Sie suchen nach dem, was sich der Positivierung widersetzt, unmöglich erforschbar ist, aber doch als Möglichkeit einbezogen werden muss. Eine künstlerische Forschung, die auf ästhetische Praktiken zurückgreift, schafft Bedingungen für eine Transformation dessen, was ist, und fragt nach den Möglichkeiten anderer Weisen des Wissen sowie nach einem anderen Wissen.

* Von der Autorin gekürzte Version des Textes: „Künstlerische Forschung“, in: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann u. a. (Hg.): Künstlerische Forschung. Ein Handbuch, Zürich, Berlin: diaphanes 2015, S. 65–68.

Fußnoten:

1. Alexander Rodtschenko: Alles ist Experiment: der Künstler-Ingenieur, Hamburg 1993 (Original 1920).
2. Tom Holert: „Künstlerische Forschung. Anatomie einer Konjunktur“, in: Texte zur Kunst, Heft 82, Juni 2011, „Artistic Research“, S. 38–63.
3. Douglas Davis: Vom Experiment zur Idee. Die Kunst des 20. Jahrhunderts im Zeichen von Wissenschaft und Technologie, Köln 1975 (Original 1972).
4. Eremit? Forscher? Sozialarbeiter? Das veränderte Selbstverständnis von Künstlern, Ausst.-Kat. Kunstverein und Kunsthaus Hamburg, Reinbek 1979. Vgl. auch Elke Bippus: „(Kunst)Forschung. Eine neuartige Begegnung von Ethnologie und Kunst“, in: Reinhard Johler, Christian Marchetti, Bernhard Tschofen, Carmen Weith (Hg.) Kultur_Kultur. Denken. Forschen. Darstellen, Münster, New York u. a. [Waxmann] 2013, S. 284–291.

Infobox Artistic Research

Die Debatte um künstlerische Forschung ist im deutschsprachigen Raum aufs Engste mit der Bologna-Reform verknüpft und wird seit den 2000er-Jahren insbesondere in der Schweiz und in Österreich bildungspolitisch mit der Einführung von Forschungsinstituten, Master- und PhD-Programmen sowie durch universitäre Förderprogramme und -richtlinien vorangetrieben. Im Unterschied zu vereinzelten, allerdings immer wiederkehrenden Appellen nach künstlerischer Forschung in der Geschichte der Kunst, erfährt die künstlerische Forschung seither durch Tagungspublikationen, Journale und Handbücher, aber auch außeruniversitäre Institutionen, Netzwerke und Projekte eine erhöhte Sichtbarkeit. Impulsgebend für die institutionelle Perspektivierung von künstlerischen Praktiken als Forschung waren aber zunächst die Universitätsreformen in Großbritannien und in Skandinavien in den 1990er-Jahren. Der Historiker und Rektor des Londoner Royal College of Art Christopher Frayling führte 1993 die Unterscheidungen „research into art“, „research for art“ und „research through art“ ein, nicht allein um verschiedene Weisen des Forschens in den Künsten zu systematisieren, sondern auch um damit „Kunst als Forschung“ zu institutionalisieren und neu eingeführte Doktoratsprogramme zu legitimieren.

Weitere grundlegende Literatur dazu:

Henk Borgdoff, „The Debate on Research in the Arts“, in: Sensuous Knowledge – Focus on Artistic Research and Development, Nr. 2, Bergen 2006, Online-Ressource: ips.gu.se/digitalAssets/1322/1322713_the_debate_on_research_in_the_arts.pdf

Henk Borgdorff: „Die Debatte über Forschung in der Kunst“, in: Künstlerische Forschung. Positionen und Perspektiven (subTexte 03, Zürcher Hochschule der Künste, Intitute for Performing Arts and Film), Zürich 2009, 23–51.

Christopher Frayling: Research in Art and Design, London: Royal College of Arts Research Papers, Vol. 1., No. 1, 1993/94. researchonline.rca.ac.uk/384/3/frayling_research_in_art_and_design_1993.pdf

 

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