Das Beethovenjahr 2020 war noch in weiter Ferne, als erste Ideen zu einem Symposium entstanden, das das Gedenkjahr zwar zum Anlass, zugleich aber auch zum Gegenstand nehmen sollte. Warum und wie widmen wir uns Beethoven im Rahmen dieses Gedenkjahres? Und wie viel hat dieses Gedenken mit der neuesten Forschung zu tun? In der Bündelung der Forschungsansätze von Birgit Lodes (Universität Wien) und Melanie Unseld (mdw) sollte Beethoven als Phänomen des kulturellen Gedächtnisses zum Thema gemacht werden: Warum ist das Narrativ vom ständekritischen „Revolutionär“ Beethoven so mächtig, obwohl gerade auch die jüngere Forschung deutlich zeigt, dass Beethoven intensiv mit dem Wiener Adel verbunden war? Wann begannen Menschen, Beethoven auf diese Weise zu idealisieren? Und wie lässt sich Beethoven – entgegen dem Mythos vom einsamen Genie – im Geflecht der Wiener Musikkultur um 1800 verorten? Ein internationales und interdisziplinäres Symposium wurde für den 19. bis 22. Mai 2020 konzipiert und organisiert, bis dann im März 2020 der Lockdown alle Pläne umwarf. Rasch war den Verantwortlichen klar: Die Vortragenden aus den USA, England, Deutschland und der Schweiz würden nicht nach Wien kommen, das vielfältige Begleitprogramm mit (Gesprächs-)Konzerten, Museums- und Archivbesuchen würde nicht stattfinden können. – Was tun? Ein Symposium kurzfristig abzusagen, wäre im März 2020 auf breites Verständnis gestoßen. Viele Veranstaltungen wurden verschoben, die Organisatorinnen entschieden sich aber für eine andere Lösung: den Transfer des Symposiums in den digitalen Raum.

Schnell war klar, dass die einfache Übersetzung eines üblichen Symposiums ins Digitale nicht gelingen kann. Stattdessen galt es, das digitale Medium ernst zu nehmen – mit seinen neuartigen Möglichkeiten, aber auch der Beschränkung auf eine permanente Bildschirm-Zweidimensionalität. Daher wurden neue Formate entwickelt: kürzere Live-Vorträge, Live-Diskussionen mit zusätzlicher schriftlicher Chat-Funktion, eingestellte Texte, die während der gesamten Zeit des Symposiums kommentiert werden konnten, zudem offene Räume und Phasen des Get-together.

Die Organisation im Vorfeld änderte sich aufgrund dieser Neuausrichtung grundlegend. Ist das Organisationsteam üblicherweise mit Anreisen, Catering, Werbematerial etc. befasst, galt es nun innerhalb kürzester Zeit, nicht nur eine Plattform zu finden, auf der das Symposium stattfinden sollte, sondern auch, alle Beteiligten technisch so vorzubereiten und zu begleiten, dass sich jede und jeder im virtuellen Raum wohlfühlen und auf die Inhalte konzentrieren konnte.

Beethoven am Flügel, umstanden von Antonio Salieri (l.), Anna Maria Erdödy und Dorothea von Ertmann, aquarellierte Zeichnung, wohl von Adolf Fischer © Beethoven-Haus Bonn

Als Plattform wurde Moodle ausgewählt, ein Open-Source-basiertes Lernmanagementsystem, einer bereits existenten, über die kooperierenden Institutionen hinweg verwendbaren Plattform mit verschiedenen Funktionen als Plug-ins sowie adaptierbarem Layout. Die Vorträge und Live-Diskussionen fanden über das Konferenz-Tool BigBlueButton (BBB) statt. Für die Bereitstellung der Textbeiträge waren zwei Anliegen zentral: Erstens sollte es sich um eingebettete Textseiten handeln und zweitens sollte eine Möglichkeit zur Kommentierung der Texte bestehen. Zu diesem Zweck standen die Textbeiträge in zwei Formaten, einer Leseversion und einer Kommentarversion (Wiki), zur Verfügung. Insgesamt war der Datenschutz, d. h. der Schutz der zur Verfügung gestellten Dateien vor unerlaubten Zugriffen und Weiterverarbeitung, bei der Auswahl der Tools der Tagungsplattform ein wichtiger Faktor. Die Plattform ermöglichte es zudem, die Tagungsinhalte einer angemeldeten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und unterschiedliche Zugriffs- und Nutzungsrechte für Referent_innen und Publikum zu vergeben. Last but not least war die Niederschwelligkeit des Zugriffs und der Nutzung für alle Beteiligten ein zentrales Anliegen. (Technische Details zu allen Formaten finden Sie hier.)

Während mehrere, eigens angefertigte Erklärvideos allen Teilnehmer_innen Hilfestellung im Technischen boten, stellte das Tagungsbüro einen kleinen Moment vom „normalen“ Symposiumsbetrieb dar: Als BBB-Raum gesondert angelegt, wurde dieser Raum sowohl für Teambesprechungen genutzt als auch für die Unterstützung bei technischen Fragen der Teilnehmer_innen. Darüber hinaus war über die gesamte Tagungszeit eine Person des Organisationsteams im Symposiums-BBB-Raum als technischer Support anwesend.

Auffallend war, dass sich alle Beteiligten mit großem Elan auf die neuen (Kommunikations-)Möglichkeiten einließen: Vorträge anders zu denken (kürzer, vielleicht sogar pointierter), Texte vorab hochzuladen, intensiv zu lesen und zu diskutieren, stieß auf sehr gute Resonanz, ebenso wie die Möglichkeit für die Studierenden des Begleitseminars wie auch für die sonstigen angemeldeten Teilnehmer_innen (insgesamt ca. 140), sich unmittelbar – mündlich und im Chat – an den Live-Diskussionen beteiligen zu können. (Einen Erfahrungsbericht zweier Studierender finden Sie hier.)

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Screenshot vom 22. Mai 2020 © privat

Dabei blieben beim Übersetzen in den digitalen Raum durchaus Zeit und gedankliche Ressourcen für das Inhaltliche. Die Idee, die Zeit von Beethovens Wien-Aufenthalt als gesellschaftspolitische Phase der Instabilität und wechselnder Allianzen, Um- und Neubewertungen von gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen zu denken, fiel in der internationalen und interdisziplinären Forschungscommunity auf fruchtbaren Boden. Intensiv diskutiert wurden u. a. die neue Rolle von Kultur als symbolische Kommunikation zwischen Repräsentation, nationaler Identitätsfindung und Innerlichkeit, zwischen Auflösung der alten Ständeordnung und künstlerischem Autonomiestreben. Dabei kamen neue Räume (oder: Räume neu) in den Blick, etwa Kurorte und Salons als Räume temporärer gesellschaftlicher Durchlässigkeit. Auch die Rolle, die „der Künstler“ oder „die Literatin“ inmitten eines ständeübergreifenden, aber doch der Stände so bewussten Geflechts dabei einnimmt, wurde intensiv diskutiert, ebenso wie der Künstler (Beethoven) als neuartiger „Held“ einer nach neuen Helden süchtigen Zeit, eine Rolle, an die sich eine 250-jährige Erinnerungsgeschichte anknüpft.

Beethoven-Geflechte. Networks and Cultures of Memory. Internationale und interdisziplinäre Tagung zum Beethoven-Jahr 2020. Idee und Konzeption: Birgit Lodes (Universität Wien) und Melanie Unseld (mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) in Verbindung mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 19. – 22. Mai 2020.

mdw.ac.at/imi/beethovengeflechte

(Birgit Lodes, Imke Oldewurtel, Melanie Unseld, Sophie Zehetmayer)

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