Die Oper Ariadne auf Naxos von Richard Strauss ist der ideale Stoff, um die zahlreichen Institute der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien miteinander zu verzahnen. Warum das so ist, erklären die Mitwirkenden im Gespräch mit dem mdw-Magazin.
Ist die Postdramatik wirklich eine Erfindung der 1980er-Jahre? Betrachtet man die Oper Ariadne auf Naxos von Richard Strauss mit dem Libretto von Hugo von Hofmannsthal, dann wird deutlich, dass zumindest Begriffe wie Metatheater, Work in Progress und die Debatte, ob sich Hochkultur und Unterhaltung vertragen, schon eine lange Tradition haben.
„Es ist eine Oper über eine Oper, in der die Frage von Kunst und Unterhaltung verhandelt wird“, sagt Regisseur Michael Sturminger, der Ariadne auf Naxos gerade am Institut für Gesang und Musiktheater der mdw mit Studierenden probt – die Premiere ist, sollte es Covid-19 zulassen, für Anfang Mai im Schlosstheater Schönbrunn geplant. Der Inhalt: Da möchte ein neureicher Hausherr seine Gäste mit etwas Besonderem überraschen: Eine von ihm in Auftrag gegebene Oper wird aufgeführt, der ein lustiges Tanzstück folgen soll. Aber es kommt noch schlimmer: Weil die Zeit knapp wird, beschließt man, die Opera seria Ariadne und die Komödie sollen gleichzeitig gegeben werden. Länger als eine Stunde darf die Veranstaltung ohnehin nicht dauern, denn dann beginnt das Feuerwerk. „Man muss sich das einmal vorstellen“, sagt Sturminger: „Das wäre heute, als ob Dancing Stars und eine zeitgenössische Oper gleichzeitig aufgeführt würden.“
In der Oper kommt auch ein Komponist vor, der Richard Strauss erstaunlich ähnlich ist. Strauss betonte, die Figur müsse eine Hosenrolle sein, wohl auch, um eine gewisse Distanz zu gewährleisten. „Wir sehen keinen Grund, aus einer jungen Frau einen jungen Mann zu machen. Heute gibt es doch längst Komponistinnen“, erklärt Sturminger seinen zeitgenössischen Ansatz. Verhandelt werden für ihn auch ästhetisch nach wie vor aktuelle Fragen: „Das Theater und die Oper sind angewandte Künste. In der Unterhaltung muss auch Kunst sein. Und in der Kunst Unterhaltung.“ Ständig wird über Musik und die Umstände, unter denen sie verwirklicht werden kann, nachgedacht. „Das sind Themen, die auch die Studierenden beschäftigen: Wie geht man so einen Beruf an?“, sagt Sturminger.
„Die Oper ist ideal, weil die Studierenden daran so viel lernen können“, betont auch Christoph Ulrich Meier, der das Projekt musikalisch verantwortet: „Es gibt große Monologe, Tanzszenen, Sprechgesang. Stimmlich ist die Oper herausfordernd, sie wird oft mit schweren, reifen Stimmen besetzt. Ich versuche, die von Strauss intendierte kammermusikalische Seite in den Vordergrund zu stellen.“ Zugleich staunt Meier, wie aktuell der Stoff durch die Corona-Pandemie geworden ist: „Es geht um die Rolle von Kunstschaffenden in der Gesellschaft. Wenn die Politik aktuell Kunst mit Bordellen und Paintballanlagen in einen Topf wirft, dann fühlt man sich ins 18. Jahrhundert zurückversetzt.“ Ariadne auf Naxos bringt das auf den Punkt. Da wird die heroische Oper zu den „die Verdauung fördernden Genüssen“ gerechnet.
„Manchmal schwirrt uns der Kopf: Auf welcher Ebene befinden wir uns gerade?“, sagt Melanie Unseld vom Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw, die gerade ein Seminar zu dem Stoff hält. Ariadne auf Naxos ist nämlich auch der Versuch, ein gescheitertes Projekt durch einen Remix doch noch zu retten – und macht genau das auch zum Thema auf der Bühne. Strauss und Hofmannsthal hatten ursprünglich die Idee, Molières Komödie Der Bürger als Edelmann zu bearbeiten und mit Schauspielmusik zu versehen. Dazu hängten sie die tragische Oper Ariadne auf Naxos an. Bei der Uraufführung 1912 unter der Regie von Max Reinhardt floppte der vierstündige Abend. Er war zu langatmig. In der zweiten Fassung von 1916 emanzipierten sich Strauss und Hofmannsthal stärker von Molière, aus der Bearbeitung wird eine eigene Fassung.
Melanie Unseld und ihre Studierenden beschäftigt die Frage: Was ist Interpretation und Bearbeitung? Zukünftige Sänger_innen, also Leute aus der Praxis, werden da an die Wissenschaft herangeführt. „Sie sollen lernen, eigenständig Ideen zu Stoffen zu entwickeln“, sagt Unseld: „Damit Wissenschaft kein Fremdkörper ist, sondern etwas, das unmittelbar mit ihnen zu tun hat. Unser Ziel ist ihre Selbstermächtigung als reflektierende Kunstschaffende.“ So schreiben die angehenden Opernstars gerade an den Programmhefttexten. Und im nächsten Semester wird es dann auch ein Begleitsymposion zu den Aufführungen geben, bei dem Wissenschaftler_innen mit den Kunstschaffenden ins Gespräch kommen.
Vernetzung, Kommunikation und Austausch sind überhaupt zentrale Anliegen dieses Projekts, das innerhalb der mdw weite Kreise ziehen soll. Die mdw ist eine der größten Musikuniversitäten weltweit. Es gibt 25 Institute, deren Ausbildungsinhalte von Musiktheorie über darstellende Kunst, Film und Fernsehen bis Kirchenmusik reichen. „Seit Jahren wünsche ich mir, dass nicht jedes Institut nur für sich arbeitet. Sondern, dass sich die unterschiedlichen Institute verzahnen“, sagt Margit Klaushofer, Leiterin des Instituts für Gesang und Musiktheater. Von ihr stammt die Idee für dieses spartenübergreifende Projekt, das auch das Max Reinhardt Seminar miteinbezieht. Regisseur David Bösch wird mit seinen Studierenden die Performance Bienvenue, Parvenü! Kunst-Bürger-Liebe. Musikalisch-szenische Betrachtungen nach Lully und Molière inszenieren und dabei mit Johannes Weiss, der am Institut für Alte Musik unterrichtet, zusammenarbeiten.
Der Bürger als Edelmann ist eine Ballettmusik von Molière und dem Komponisten Jean-Baptiste Lully. Es war der Höhepunkt der Zusammenarbeit der beiden, die auch selbst auftraten. Im Zentrum steht ein Bürger, der gern ein Adeliger wäre, aber dabei kein Fettnäpfchen auslässt. Lully hat damals einen recht eigenständigen französischen Musikstil entwickelt und ihn später zur großen französischen Barockoper weitergeführt, erzählt Weiss, der als Dirigent bei diesem Projekt ein Barockorchester leiten wird: „Es ist faszinierend, wie da vom Bürgertum bis zum Adel alle durch den Kakao gezogen werden. Man wundert sich fast, dass der Abend damals so gut ankam.“ Es wäre zu umfangreich, das gesamte Werk aufzuführen, deshalb hat man sich auf eine andere Form geeinigt: „Es werden musikalische Ausschnitte von Lully gespielt, dazwischen gibt es Szenen, in denen sich der reiche Emporkömmling Schauspiel-, Fecht- und Philosophieunterricht holt“, so Weiss. Die Sprechrolle des Haushofmeisters in der Ariadne wird übrigens der heimische Kabarettist Alfred Dorfer übernehmen. Auch das ist innovativ und originell: Meist wird dieser kleine Part von Schauspielstars gestaltet.