Bericht von einer lebendigen isaScience Community

Nach langem Warten aufgrund der Corona-Pandemie fand die 8. isaScience-Konferenz von 11. bis 15. August 2021 erstmals hybrid in Reichenau an der Rax und online statt.

Die isaScience 2021 war ein großer Erfolg: Erstmals konnten sich Vortragende und Publikum sowohl vor Ort im Schloss Reichenau begegnen als auch zeitgleich online austauschen. Das hybride Format stellt zwar zweifellos eine große Herausforderung dar, aber die über die letzten Jahre gewachsene internationale isaScience-Community ging gestärkt aus dieser Erfahrung hervor. Es zeigte sich, dass die interdisziplinären wie internationalen Vernetzungen, die die isaScience in den letzten Jahren aufgebaut hat, erhalten blieben – trotz der erschwerten Bedingungen durch die Corona-Pandemie 2020, die internationale Forschungsgemeinschaften in den letzten eineinhalb Jahren stark herausgefordert und zugleich rasant digitalisiert haben.

v. l. n. r.: Dagmar Abfalter, Ursula Hemetek, Marko Kölbl, Johannes Meissl, Fritz Trümpi, Karoline Feyertag, Therese Kaufmann, Milena Dragićević-Šešić, Rosa Reitsamer © Mona Torinek

Während der vier Tage dauernden Konferenz fanden 33 Vorträge in elf thematischen Panels statt. Vortragende und Publikum kamen aus 18 verschiedenen Ländern. Darunter befanden sich östliche wie südöstliche Nachbarländer, aber auch Skandinavien, Südafrika sowie Nord- und Südamerika. Von den vier Keynote-Vorträgen fanden je zwei in Präsenz und online statt und wurden sowohl vor Ort als auch im virtuellen Raum lebendig und detailliert diskutiert. Milena Dragićević-Šešić von der Kunstuniversität Belgrad, Inhaberin des UNESCO-Chairs in Studies of Interculturalism, Art and Cultural Management and Mediation in the Balkans, widmete ihren Vortrag dem ‚Jubiläum‘ des Zerfalls Jugoslawiens. Sie sprach über nationale Mythomotorik, ein Begriff, den sie Jan Assmanns Theorie des kulturellen Gedächtnisses entlehnte.

© isaScience

So hätten die jugoslawischen Mythen, die sich rund um die zwei Mythomoteure ‚Antifaschismus‘ und ‚Brüderlichkeit und Einheit‘ aufgebaut hatten, die ‚ethnonationalen‘ Helden verdrängt. Im Zuge der (Neu-)Konstruktion der Identitäten der Balkanstaaten kehrten nun diese Helden im Rahmen einer von oben verordneten Gedächtniskultur zurück. Ihr Fazit: Die Kulturpolitik auf dem Balkan dient heute verschiedenen politischen Bestrebungen, die den öffentlichen Raum für die Errichtung von Denkmälern im Rahmen der ‚neuen‘ Poetik des Nationalismus nutzen.

Therese Kaufmann © Stephan Polzer

Angesichts dieser Gefahr des allerorts wieder erstarkenden Nationalismus präsentierte die Ethnomusikologin Denise Gill von der Universität Stanford eine optimistischere Perspektive auf die Diversifizierung von Musikkanons innerhalb des akademischen Feldes. Um dominante und westlich-hegemoniale Musikkanons zu dekolonisieren, müssten neue und andere Genealogien Gehör finden, die von den gängigen Kanonisierungspraktiken zugeschüttet wurden. Doch auch innerhalb der Ethnomusikologie müsste sich laut Gill eine dekoloniale Praxis als gängige selbstkritische Haltung etablieren. Diesen Faden nahm auch die Keynote der Musikwissenschaftlerin Mina Yang vom Keck Graduate Institute der Minerva-Universität auf, die davor warnte, in der „Post-Covid“-Zeit wieder in die alten Muster klassischer Musiklehre, -produktion und vermarktung zurückzufallen. Yang stellte zentrale Fragen, die sie für Musikinstitutionen im Allgemeinen geltend machte, so sie den heutigen Herausforderungen zeitgemäß begegnen wollen würden: Wie können wir uns für die Menschen, die klassische Musik machen, einsetzen, deren Arbeitsverhältnisse und Lebensbedingungen sich als noch bedingter und unsicherer erwiesen haben als bisher angenommen? Wie kann angehenden Musiker_innen Sensibilität für die Ungerechtigkeiten vermittelt werden, die in diesem Beruf fortbestehen, und für die ungleiche Machtdynamik, die immer noch viele Musiklehrpläne prägt?

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Diese notwendige Sensibilisierung für soziale Gerechtigkeit kritisch voranzutreiben, war auch das Anliegen im Abschlussvortrag über musikalisches Heldentum des Musikhistorikers Esteban Buch von der École des hautes études en sciences sociales in Paris. Ausgehend von der Kritik an Beethovens Heldenstatus in der kanonisierten Musikgeschichtsschreibung stellte Buch die Legitimität der Vormachtstellung klassischer Musik im Allgemeinen infrage. Fortführend von Beethoven äußerte Buch am Beispiel der Wiederverwendung von Wagners Musik als Filmmusik von John Williams in den Star Wars-Filmen die Vermutung, dass populäre Musikgenres heute viel eher ästhetische Erfahrungen des Heldentums hervorrufen als die Klassik. In Hinblick darauf, dass unsere Gesellschaften nach wie vor Held_innen einfordern, sollte die Musik(-Wissenschaft) es nicht versäumen, sich mit den zeitgenössischen Entwicklungen auseinanderzusetzen und sie in ihre Curricula zu inkludieren.

v. l. n. r.: Johannes Meissl, Ulrike Sych, Rosa Reitsamer © Stephan Polzer

Ein Schwerpunkt der Diskussionen in den thematisch vielfältigen Panels lag auf feministischen, dekolonialen und anti-hegemonialen Dekonstruktionen von Männlichkeit, sei es in (heldenepischen) Filmen, in historischen und biografischen Perspektiven auf die Musikgeschichte oder in zeitgenössischen wissenschaftlichen Veranstaltungen und Kulturprogrammpolitiken. Zum Beispiel zeigte die Lecture-Performance von Pia Palme die Notwendigkeit der Inklusion von Frauen in Bezug auf das vom ZKM Karlsruhe veranstalteten Symposium „Einklang freier Wesen“ eindringlich auf. Mit „feministing“, was so viel wie das lautstarke Einfordern von Geschlechtergerechtigkeit unter Kunstschaffenden in Kunst- und Kulturinstitutionen bedeutet, und begleitet vom Klang der Kirchturmglocken von Reichenau endete diese isaScience und blickt mit einem „Optimismus des Willens“ in die Zukunft, um mit Antonio Gramscis Worten zu sprechen.

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Publikation zur isaScience 2018
Buchpräsentation am 20.1.2022, 17.30 (hybrid und im Lesesaal): Music and Democracy. Participatory Approaches. mdwPress 2021, Gold Open Access.

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