Krista de Wit, geboren 1986 in Helsinki, ist ausgebildete Geigerin und wurde für ihre PhD-Arbeit Legacy. Participatory Music Practices with Elderly People as a Resource for the Well-being of Healthcare Professionals 2022 mit dem Herta und Kurt Blaukopf-Award für herausragende Dissertationen an der mdw ausgezeichnet. Im Interview mit dem mdw-Magazin erzählt sie von ihren Erfahrungen als Musikerin und Forscherin über die transformative Kraft der Musik im Krankenhaus und Pflegeheim für Patient_innen und Heimbewohner_innen, aber vor allem auch für das Personal, das neben den enormen Anforderungen im Berufsalltag durch die Musik wieder mehr Menschlichkeit im Miteinander ihrer Arbeit verspüren kann.
Wie sind Sie auf Ihr Forschungsthema gestoßen?
Krista de Wit (KW): Schon in meinem Studium in Helsinki hatte ich die Möglichkeit mit Community-Outreach-Projekten vertraut zu werden, darunter mit älteren Menschen und Menschen mit Demenz als Zielgruppe. Im Rahmen meiner Masterarbeit in Stockholm habe ich mich auf partizipative Musikprojekte für ältere Menschen mit Demenz spezialisiert. Durch Studien aus den Niederlanden lernte ich das Konzept der personenzentrierten Musik kennen. In dieser dialogischen Art des Musikmachens entsteht die Musik basierend auf den Bedürfnissen der Patient_innen oder Heimbewohner_innen, die im Moment des Aufeinandertreffens mit den Musiker_innen vorherrschen. Ich begann interaktive Konzerte und Workshops für ältere Menschen mit Demenz zu leiten und habe das als sehr bereichernd empfunden. In so einem Konzert habe ich beispielsweise erlebt, wie ein Mann mit fortgeschrittener Demenz plötzlich aufstand und ein Gedicht rezitierte. Die Musik hat in ihm etwas ausgelöst, er war in diesem Moment mit dem Thema des Konzerts verbunden und für alle war es sehr bewegend. In den Niederlanden habe ich dann beim Projekt MiMiC als Musikerin im Krankenhaus mitgewirkt. Zu sehen, wie auch völlig fremde Menschen durch die Musik in ein unterstützendes Miteinander kommen, hat mich motiviert in meiner Forschungsarbeit den Fokus auf das Gesundheitspersonal und das, was sie durch die Live-Musiksessions lernen, zu legen.
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt?
KW: Anfangs gibt es Skepsis und Unsicherheit vonseiten des Personals in Bezug darauf, was ihre Rolle in den Musiksessions ist, beispielsweise ob es angemessen ist als Krankenschwester mitzusingen. Bei den Sessions sehen sie dann aber, dass die Musiker_innen dasselbe Ziel verfolgen wie sie, nämlich sich bestmöglich um die Patient_innen zu kümmern und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Das personenzentrierte Musikmachen ist musikalische Fürsorge. Dadurch wird der Dialog und Austausch zwischen den Musiker_innen und dem Personal gefördert und das Personal beginnt, die Live-Musik als etwas Bereicherndes zu sehen, das sie in ihrem grundlegenden Anliegen der Fürsorge unterstützt. Musik öffnet bei Patient_innen und Personal die Tür zu Emotionen und bringt mehr Menschlichkeit in den klinischen Alltag. Die Kreativität wird angeregt und jede_r kann sich musikalisch einbringen, denn jede_r hat eine Beziehung zu Musik.
Wie laufen die Live-Musiksessions und das interprofessionelle Lernen ab?
KW: Als ich selbst musizierend mitwirkte, haben wir einerseits Stücke aus unserem Repertoire angeboten, andererseits haben wir musikalische Improvisationen performt, die auf Stimmungen oder Wünschen der Patient_innen basierten. Dieser auf die jeweilige Person fokussierter Ansatz ist Ausdruck der Fürsorge, wodurch sich eine Verbundenheit zwischen den Musiker_innen und dem Personal als wertvolle Grundlage für interprofessionelles Lernen entwickelt. Bei Workshops für Menschen mit Demenz beispielsweise haben wir am Anfang und am Ende der Einheit immer gemeinsam eine einfache Melodie mit den Demenzbetroffenen gesummt. Die Melodie wird erlernt und ihnen vertraut. Das Personal kann die Melodie summen, wenn es die Pflege und medizinische Fürsorge leistet, und so die Menschen mit Demenz beruhigen. Jede Session oder jeder Workshop wird zwischen Musiker_innen und Personal nachbesprochen. Voneinander erhalten sie dadurch wertvolle Informationen darüber, was ihnen bei den Patient_innen bzw. Heimbewohner_innen aufgefallen ist und was sie im Umgang mit ihnen ändern oder verbessern können.
Was beobachten Sie im Gesundheitssystem und welche Empfehlungen haben Sie?
KW: Dort, wo das Management eines Krankenhauses oder einer Pflegeeinrichtung grundsätzlich Verständnis für künstlerische Praxis hat und dem Pflegepersonal vorab den Mehrwert kommuniziert, ist das Personal natürlich empfänglicher für solche Projekte. Die Musiker_innen brauchen vor Ort die Unterstützung des Personals, um den Patient_innen im passenden Moment ein musikalisches Angebot zu machen. Das kann nur gelingen, wenn sich das Personal trotz anfänglicher Skepsis dem Projekt öffnet. Veränderungen in der Einstellung erfordern Zeit und personelle Kontinuität. Der Pflegebereich kämpft jedoch mit hoher Personalfluktuation und oft ist es schwierig, das Management zu überzeugen. Deutlich zeigt sich aber, dass die Arbeitsplatzzufriedenheit durch Musikprojekte steigt: Durch die Musik und das eigene kreative Engagement fühlt sich das Personal kurzzeitig nicht im Autopilot-Modus, sondern im Moment angekommen und als Mensch gesehen und wertgeschätzt. Außerdem hilft das musikalische Angebot, die strengen Hierarchien in Spitälern zwischen Ärzt_innen und Pflegepersonal kurzzeitig aufzuweichen. Das gemeinsame Erleben der Musik hat ausgleichenden Charakter. Um Musik im Gesundheitswesen weiter zu fördern, braucht es eine Stärkung der beruflichen Identität von Musiker_innen, die Projekte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen durchführen. Wir brauchen eine gemeinsame Fachsprache, mehr Trainingsmöglichkeiten für Musiker_innen für diesen Bereich, mehr Konferenzen und Vernetzung untereinander. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit würde auch die Finanzierung solcher Projekte erleichtern. Generell muss der Kultursektor seine Kräfte stärker bündeln, um seinen Stellenwert eben auch im Gesundheitsbereich hervorzuheben.
Was motiviert Sie in Ihrer künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeit?
KW: Die Musikprojekte im Gesundheitsbereich bringen das Verbindende zwischen uns Menschen hervor: Wir kommen bei einem Stück zusammen und ein Stück kann so viel über die Beteiligten aussagen. Musik offenbart uns zutiefst menschliche Aspekte. Aus Sicht der Wissenschaftlerin gibt es noch viele Bereiche zu erforschen, wo Musik Bedeutung hat, sei es an Orten außerhalb konventioneller Formate oder über das gängige Berufsbild Musiker_in hinausgehend. Musizieren ist etwas von Menschen für Menschen Gemachtes. Zu sehen, wie diese Menschlichkeit gegenüber vulnerablen Gruppen, wie Patient_innen im Spital oder Menschen mit Demenz, geteilt und diese emotionale Verbindung erzeugt wird, motiviert mich außerordentlich.