„Musik, die durchs Krankenhauszimmer weht, so etwas habe ich in der Form noch nicht erlebt.“ Student1
Universitäten tragen in all ihren Leistungsbereichen gesellschaftliche Verantwortung. Akademisches Wissen steht in Verbindung mit innovationspolitischem Fokus und sozialem Engagement. Im Entwicklungsplan der mdw ist verankert, breit in die Gesellschaft hineinzuwirken, Menschen mit Musik in Berührung zu bringen. Ein wichtiges Anliegen der musikpädagogischen Institute ist dabei, die Lehrenden von morgen so auszubilden, dass der mit ihnen musizierende Mensch mit seinen Bedürfnissen, seinen Potenzialen, in seiner Subjekthaftigkeit im Mittelpunkt steht. Heterogenitätssensible und entwicklungslogische Didaktik kann dies unterstützen.
„Wir haben dazu gelernt: Zu viel Struktur ist in unserem Setting hinderlich.“ Studentin
Am Comprehensive Center for Pediatrics (CCP) der Medizinischen Universität Wien/AKH, einem Vorzeigeprojekt, das Expert_innen für Schwangere, Kinder und Jugendliche vernetzt, konnte 2021 eine instrumentalpädagogische Musizierwerkstatt etabliert werden, verankert an der Heilstättenschule. Ausgehend von Workshops des Neurowissenschaftlers Vito Giordano, findet seit dem Wintersemester 2021/22 eine forschungsgeleitete Musizierwerkstatt als Lehrveranstaltung2 unter der Leitung von Beate Hennenberg in Kooperation mit dem Musikphysiologen Matthias Bertsch statt. Wichtige weitere Kooperationspartner_innen sind die Lehrenden der Stationen 8 bis 11, Susanne Mauss, Nadine Konrad und Elke Huber-Lang, die beiden angestellten Instrumentalpädagoginnen Anna Leisser und Verena Grundner sowie die zwei Studienassistentinnen Kathrin Fabian und Teresa Müllner. Durch Spenden des CCP konnten mehrere hochwertige Instrumente erworben sowie zwei Studierende der mdw für zwei Semester beschäftigt werden, sodass inzwischen an zwei Wochentagen regelmäßig mit den drei- bis sechzehnjährigen Langzeitpatient_innen musiziert werden kann.
„Eine wirkliche Erweiterung des Begriffs der Musizierräume.“ Studentin
Die Institutionen befürworten den Austausch: „Als Leiterin des Comprehensive Center for Pediatrics an der Medizinischen Universität Wien begrüße ich die Kooperation mit der mdw im Rahmen des Projekts. Unsere Einrichtung unterstützt das Konzept einer Forschung und Lehre im Kontext einer Musikwerkstatt“, so Angelika Berger. Gerda Müller, Vizerektorin für Organisationsentwicklung, Gender & Diversity der mdw, konnte aus Mitteln des Projekts Kunst und Gesundheit zwei weitere Dienstnehmer_innen für das Projekt ermöglichen.
„Aufgrund der chirurgischen Versorgung kann er mit den Händen nicht aktiv mit Percussion-Instrumenten teilnehmen, aber es findet sich eine kreative Lösung, dass er die Schellentrommel mit dem Fuß im Bett liegend spielen kann. Das erheitert ihn sichtlich und er ist mit Eifer dabei, als das Begrüßungslied gespielt und gesungen wird. Es ist für mich beeindruckend zu sehen, wie er körperlich-sinnlich den Rhythmus wahrnimmt, aktiv wird auf ganz kreative Weise, sich der Emotionen bewusst ist und sich gedanklich mit dem Musikstück auseinandersetzt.“ Studentin
Das Musizieren im Rahmen der Heilstättenschule wendet sich sowohl an die Patient_innen, als auch an die Eltern und die Lehrenden der Schule. Vorbereitend wurde zu Semesterbeginn Literaturrecherche betrieben, auch Datenbanken der Bibliothek der MedUni Wien standen zur Verfügung. In dieser theoretisch-reflektierenden sowie praktisch-künstlerisch orientierten Lehrveranstaltung wollen wir der Frage nach den Perspektiven der beteiligten Akteur_innen auf das Geschehen rund um die Musizierwerkstatt nachgehen. Längerfristig sind vor allem die interprofessionellen Lernprozesse im Zusammenwirken der Beteiligten der verschiedenen Institutionen interessant. Damit könnte dann zur Frage zurück gekommen werden, welche weiteren Musizierräume an Kunstuniversitäten geschaffen werden könnten und welche künftigen Strategien sich daraus ableiten ließen.
„Die Student_innen bringen zwar ein Konzept für diese Unterrichtseinheit mit, sind jedoch so flexibel, die vorbereitete Struktur zugunsten des lebendigen Lernens mit der Schülerin bzw. dem Schüler auch zu verlassen.“ Lehrende
In den wöchentlichen Musiziereinheiten im Klassenraum oder in den Patient_innenzimmern erwerben die Studierenden Kompetenzen, die sie befähigen, mit vielfältigen Zugängen und offenen Strukturen umzugehen. Sie arbeiten künstlerisch-pädagogisch, und wenn es inhaltlich passt, fließen teilweise Inhalte des schulischen Musikunterrichts ein. Das Reflektieren und Niederschreiben nach jeder Einheit ist ebenso wichtig wie der regelmäßige Austausch.
„Unser Lehrausgang führte ins Hauptgebäude des AKH, in die evangelische Kapelle, um dort die Orgel zu besichtigen und auszuprobieren. Viele Menschen mussten einwilligen – alle erkannten jedoch WIE WICHTIG es für ihn ist, Neues kennenzulernen, seinen Radius zu erweitern. Interessiert betrachtet er die Kapelle und entdeckt gleich die kleine, eher unscheinbare Orgel. (…) Außerdem ist er ein wenig nervös, da er auch ein Statement über J. S. Bach erarbeitet hat. (…) Das C-Dur-Präludium wählte ich deshalb aus, weil es dem Metrum von seinem Berlin Heart [Herzunterstützungssystem, Anmerkung der Red.] sehr nahe kommt.“ Lehrender
Im Buch Weltwissen der Siebenjährigen überlegt Donata Elschenbroich, welche „sozialen, motorischen, lebenspraktischen Fähigkeiten“ ein Kind, ein junger Mensch, erworben haben soll, wie ein individuelles „Panorama von Bildungserlebnissen“ ermöglicht werden kann. Diese Gedanken sind ein Motor für unsere Musiziereinheiten. Denn Zeit ist kostbar. Die meisten Kinder sind in palliativer Behandlung. Aber: Eltern nehmen im musikalischen Tun ihre Kinder plötzlich als Expert_innen und Klangforscher_innen wahr. Und das ärztliche Personal berücksichtigt, wenn möglich, dass die Kinder diese Einheiten wahrnehmen können. Über einige der hier erwähnten Fragen werden aktuell Qualifizierungsarbeiten angefertigt.