7.3 Feld und Diskurs



Hier liegt in der Tat eine wesentliche Differenz gegenüber mikrosoziologischen Ansätzen begründet: Konstituiert für diese die Perspektive der Akteur*innen die unhintergehbare Letztinstanz der wissenschaftlichen Erkenntnis, so sieht es Bourdieu gerade als Ziel, mit dem im Feld vorherrschenden Glauben – der ›Illusio‹ der Spielenden – zu brechen (und in diesem Sinn eine Außenperspektive zur Sicht der Akteur*innen herzustellen). Dem Status des Kunstwerks als kollektiv hervorgebrachtem »Fetisch«40 kann die Kunstwissenschaft Bourdieu zufolge nur gerecht werden, indem sie weder in die ideologische Falle tappt, in den legitimatorischen Diskurs einzustimmen, noch diesen als nebensächlich oder unwahr beiseitelässt, da er es ist, der die Objekte der Kunst erst als solche konstituiert.41

Im Kontext der Soziologie der späten 1980er-Jahre, welche die als statisch empfundenen Modelle und »Metaerzählungen«42 der Moderne durch bescheidener und flexibler anmutende Konzepte im Zeichen der Postmoderne ersetzte, erschien der Szenebegriff als verlockende Alternative zum Bourdieu’schen Feldkonzept – barg er doch das Versprechen, dem instabilen und temporären Charakter sozialer Formationen im kulturellen Bereich Rechnung zu tragen. Dennoch spricht einiges dafür, die sozialen Formationen um ›neue Musik‹ in der Terminologie des Feldes zu fassen. Zum einen handelt es sich dabei um Gefüge von relativer Stabilität mit einigermaßen klar umrissenen Grenzen. Diese spielen für die Definition des Feldes eine herausragende Rolle, bilden sie Bourdieu zufolge doch einen Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen den Akteur*innen. Wie die Zusammenschau von Diskursanalyse und empirischen Befunden zeigen wird, sind auch die Auseinandersetzungen um ›neue Musik‹ von Abgrenzungsbestrebungen geprägt.

Ein zentraler Unterschied gegenüber dem Szenebegriff besteht in der grundlegenden hierarchischen Strukturierung des Feldes (sowie des sozialen Raumes in seiner Gesamtheit), wobei das Geschehen innerhalb des Feldes von Machtverhältnissen grundiert wird.43 Auch im Bereich der ›neuen Musik‹ spielt das Ausverhandeln von Machtpositionen, wie argumentiert werden kann, eine entscheidende Rolle. Als wichtigstes Argument für den Feldbegriff kann jedoch Bourdieus Annahme einer strukturellen Homologie zwischen verschiedenen Feldern gelten: So versteht der Soziologe das Feld der kulturellen Produktion als homolog – also strukturäquivalent – zum Feld der Macht bzw. der Klassenverhältnisse. Ereignisse im kulturellen Feld sind in diesem Sinn ›überdeterminiert‹, da sie neben ihrer ästhetischen, feldspezifischen Logik auf Realitäten außerhalb des Feldes, insbesondere auf Kämpfe innerhalb des Feldes der Macht verweisen.44 Dies ist für den Bereich der ›neuen Musik‹ insofern von besonderem Interesse, als sich mit dem Konzept der Homologie das Phänomen einer symbolischen Übertragung fassen lässt, einer Verlagerung von politischen Kämpfen in den Raum des Ästhetischen. Es stellt somit eine Möglichkeit dar, dem Phänomen Rechnung zu tragen, dass Stellungnahmen im Feld der ›neuen Musik‹ offenbar Themen verhandeln, die den Bereich des Ästhetischen überschreiten.

Aufgrund der Homologie zwischen kulturellem Feld und Feld der Macht verweisen die Kämpfe innerhalb des einen stets auf gleichzeitig stattfindende Auseinandersetzungen innerhalb des anderen Feldes. Somit kann der Feldbegriff dabei helfen, das Verhältnis zwischen Kunst und Politik theoretisch in den Griff zu bekommen. Insbesondere beschreibt Bourdieu, wie Vertreter*innen des kulturellen Feldes, die über ein umfangreiches symbolisches, aber ein geringeres ökonomisches Kapital verfügen, gleichsam transversale Allianzen zu benachteiligten Positionen im Feld der Klassenverhältnisse bilden:

The cultural producers, who occupy the economically dominated and symbolically dominant position within the field of cultural production, tend to feel solidarity with the occupants of the economically and culturally dominated positions within the field of class relations.45

Dies kann als theoretische Basis für die Beobachtung dienen, dass die Akteur*innen des Kritischen Komponierens – trotz oder gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Elite – der politischen Linken nahestehen. Der Feldbegriff hilft somit dabei, den Diskurs des Kritischen Komponierens in einen Kontext ästhetisch-politischer Allianzen zu stellen, der in der Geschichte weit zurückreicht und die radikalen Sympathien der historischen Avantgarde ebenso wie die revolutionären Utopien der Romantiker*innen umfasst.

Endnoten


  1. Bourdieu, »The Field of Cultural Production, or: The Economic World Revised«, S. 35.↩︎

  2. Ebd. Rainer Diaz-Bone hat 2001 eine umfassend theoretisch fundierte, poststrukturalistisch orientierte Zusammenführung der Distinktionstheorie Bourdieus und der Foucault’schen Diskurstheorie vorgelegt. Vgl. Rainer Diaz-Bone, Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Erweiterung der Bourdieuschen Distinktionstheorie, Wiesbaden 22010.↩︎

  3. Lyotard, Das postmoderne Wissen, S. 14.↩︎

  4. Rehbein, Saalmann, »Feld (champs)«, S. 100.↩︎

  5. Bourdieu, »The Field of Cultural Production, or: The Economic World Revised«, S. 44.↩︎

  6. Ebd.↩︎