Von hohen Felsen, trocknen Blumen und traurigen Sonntagen

Schlaglichter auf Musik und Suizidalität aus musikhistorischer Perspektive

Julia Heimerdinger


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Heimerdinger, Julia. 2025. »Von hohen Felsen, trocknen Blumen und traurigen Sonntagen: Schlaglichter auf Musik und Suizidalität aus musikhistorischer Perspektive«. In Musik und Suizidalität. Interdisziplinäre Perspektiven, hg. von Julia Heimerdinger, Hannah Riedl und Thomas Stegemann. Wien und Bielefeld: mdwPress.

Abstract

Abstract

Der Beitrag wirft Schlaglichter auf das Sujet Suizid(alität) in Liedern, Opernarien und Instrumentalmusik von antiker Lyrik bis hin zur Industrial Music der 1970er-Jahre. Neben Fragen nach der musikalischen Darstellung und Reflexion des suizidalen Zustands und Handelns sowie den jeweiligen künstlerischen und gesellschaftlichen Kontexten und Intentionen werden auch Wirkungsaspekte und damit diverse Diskurse thematisiert, die mitunter in Liedexten und vor allem in Texten über Musik als Gegenstand ästhetischer und existenzieller Erfahrung geführt wurden und werden.


Einleitung

Bereits flüchtige Blicke auf Musik der Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass die lebensmüde, suizidale Verfassung und das Phänomen Suizid fest zum Spektrum musikalischer und musikdramatischer Sujets gehören. Schon in Vergils Bucolica (ca. 42—39 v. Chr.) singt der Hirte Damon vom Liebesleid eines namenlosen Hirten, der sich kopfüber »von luftiger Bergeshöhe hinab in die Wellen« stürzen will, Claudio Monteverdis — von Theseus verlassene — Arianna (L’Arianna 1608) singt den sie aus dem Meer rettenden Fischern »Lasciatemi morire« (»Lasst mich sterben«) entgegen, junge Frauen werden mit dem Bänkellied »Verstoßen oder Der Tod auf den Schienen« (Mitte des 19. Jahrhunderts) vor den möglichen Folgen einer ungewollten Schwangerschaft gewarnt, und in einer Strophe des berühmt-berüchtigten ›Hungarian Suicide Songs‹ »Gloomy Sunday« 🔊 (engl. 1936) heißt es finster: »Gloomy is Sunday, with shadows I spend it all / My heart and I have decided to end it all«.1 Lieder und Arien sind nicht die einzigen Zeugnisse für die Andeutung oder Darstellung von Suizidalität in Musik. Johannes Brahms’ 1875 veröffentlichtes Klavierquartett op. 60, Nr. 3 ist auch unter dem Namen »Werther-Quartett« bekannt, und Leo Ornstein komponierte um 1913 das durch eine Zeitungsnachricht inspirierte Klavierstück Suicide in an Airplane 🔊.

Wenngleich das Thema Suizidalität (wie das Thema Liebe und bekanntlich oft mit diesem verknüpft) quer durch die Musikgeschichte verfolgt werden kann, gibt es offenbar ›suizidfasziniertere‹ Kultur- und Zeiträume als andere, um einen Begriff Thomas Machos aufzugreifen (Macho 2017, 14). So finden sich in antiker Lyrik, in Barockopern oder in Liedern des 19. Jahrhunderts diesbezüglich weit mehr musikalische Zeugnisse als beispielsweise im durch christliche Dogmatik geprägten europäischen Mittelalter. Allgemein lässt sich beobachten, dass der jeweilige gesellschaftliche, politische, moralische oder juristische Umgang mit dem Suizid sich in der künstlerischen bzw. musikalischen und musikdramatischen Auseinandersetzung — oder eben dem Vermeiden einer Auseinandersetzung damit niederschlagen kann.

In diesem Beitrag möchte ich zum einen der Frage nachgehen, wie Facetten des lebensmüden, suizidalen Zustands und wie suizidale Handlungen in Liedern und Songs, Opern, Instrumentalmusik und Klangcollagen quer durch die Jahrhunderte musikalisch und musikdramatisch dargestellt und reflektiert wurden. Neben der musikalischen Gestaltung sollen dabei auch Gattungs- bzw. Genrekontexte, Erzählperspektiven, Intentionen und Funktionen, Vorstellungen und Fantasien über diesen ›äußersten‹ Zustand in den Blick genommen werden. Zum anderen stellt sich die Frage nach den Wirkungen, die in diesem Kontext Musik als Gegenstand ästhetischer oder existenzieller Erfahrung zugeschrieben wurden, und damit nach entsprechenden Diskursen, die sich sowohl in Liedtexten als auch in Texten über Musik beobachten lassen — wenn beispielsweise Vergils Figuren die Unwirksamkeit der eigenen Lieder reflektieren oder dem Song »Gloomy Sunday« 🔊 nachgesagt wird, sein Anhören sei lebensgefährlich.

Selbstverständlich kann dieser Beitrag nur schlaglichtartig ausfallen, wenige wiederkehrende Motive benennen und lediglich ansatzweise versuchen, einen Eindruck von möglichen Fragestellungen zu vermitteln, die sich aus der Betrachtung einiger Beispiele ergeben; auf detaillierte Analysen sowie allgemeine theoretische Überlegungen muss an dieser Stelle verzichtet werden: Es geht mir zunächst um die musikhistorische Dimensionierung eines Themas, zu dem es bislang keine musik- oder kulturwissenschaftliche Überblicksliteratur gibt;2 die Mehrzahl der Publikationen kommt, wie es auch der vorliegende Band zeigt, aus den Bereichen Medizin/Therapie oder Suizidologie, in welchen fast ausschließlich jüngere und jüngste Musik behandelt wird (nicht zuletzt, da man in der Praxis häufiger mit aktueller Musik konfrontiert ist). Meine Musikauswahl ist daher komplementär zu den anderen Beiträgen im vorliegenden Band gedacht und unternimmt — notwendigerweise mit großen Lücken — einen Streifzug von den 1970er-Jahren über die Antike zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Vom Beachy Head zum Leukadischen Felsen. Verstummt am Abgrund

Mein kursorischer Überblick beginnt an einem illustren Aussichtspunkt: am Beachy Head (Abb. 1), einer Landspitze mit 160 Meter hohen Kreidefelsen an der Südküste Englands; ein beliebtes Ausflugsziel — und ein bekannter ›Suicide Spot‹.

Luftaufnahme von Beachy Head.
Abbildung 1: Beachy Head, East Sussex, England. Fotograf: David Iliff. CC BY-SA 3.0, Wikimedia.

Dieses Doppelpotenzial inszenierte die Britische Industrialband Throbbing Gristle 1979 auf ihrem dritten Album 20 Jazz Funk Greats visuell und auditiv: Das Albumcover (Abb. 2) zeigt gut gelaunte Bandmitglieder auf einer Blumenwiese am Beachy Head, der gleichnamige Audiotrack evoziert dagegen Vorstellungen von der Kehrseite des Ortes.

Die vier lächelnden Bandmitglieder von Throbbing Gristle auf einer Blumenwiese am Beachy Head.
Abbildung 2: Throbbing Gristle bring you 20 Jazz Funk Greats (Industrial Records 1979), LP-Cover. MusicBrainz.

Throbbing Gristle war eine seit 1976 unter diesem Namen aktive Gruppe, die mit der Gründung des Plattenlabels Industrial Records den Genrebegriff Industrial3 geprägt hat. Mit ihrer Musik und ihren Auftritten haben sie bewusst Grenzen überschritten und effektiv provoziert, sei es mit der Ausstellung Prostitution (1976) oder mit Texten über Folter und Massenmörder. Als musikalisches Material benutzten sie Sprachaufnahmen, konkrete und elektronische Klänge sowie diverse elektroakustische Instrumente; viele Stücke sind experimentell und collagenartig. Der Untertitel ihres Albums Greatest Hits (1981) steht für einen wesentlichen Aspekt des ästhetischen Programms der Band: Entertainment Through Pain.

Über ihre Intentionen bei der Produktion des Albums 20 Jazz Funk Greats sagte das Bandmitglied Genesis P-Orridge, es sei um die Erforschung der Metaphern des Orts gegangen (vgl. Daniel 2021, 32), und Cosey Fanni Tutti (links auf dem Coverbild) erklärte 2012 in einem Interview:

We did the cover so it was a pastiche of something you would find in a Woolworth’s bargain bin. We took the photograph at the most famous suicide spot in England, called Beachy Head. So, the picture is not what it seems, it is not so nicey nicey at all, and neither is the music once you take it home and buy it. We had this idea in mind that someone quite innocently would come along to a record store and see [the record] and think they would be getting 20 really good jazz/funk greats, and then they would put it on at home and they would just get decimated. (Zit. nach Warren 2012)

Die Musik ist tatsächlich nicht ›nett‹, wie es das Plattencover suggeriert, und »Beachy Head« stellt sich als finster-nebulöser Track dar: Neben dem aus dem BBC-Soundeffekte-Archiv stammenden Möwengeschrei und Meeresrauschen erinnern die mit einem speziellen Gitarrentool erzeugten Klänge an Nebelhörner, die sich zu einer wabernden Atmosphäre ausbreiten. Zudem sind fallende Glissandi und angedeutete Sirenenklänge zu hören — beides unmissverständlich illustrative Elemente — sowie einzelne, unmotiviert erscheinende Töne, die an ein Akkordeon erinnern. Dass dieser Klang gewählt wurde, mag Absicht gewesen sein, da das Akkordeon das typische Begleitinstrument von Seemannsliedern ist.

Vor dem Hintergrund dieser auch durch räumliche Effekte erzeugten Atmosphäre, die zu Beginn und vor allem zum Ende hin an eine Meeresküste denken lässt und im Mittelteil assoziativer erscheint, wirken die akkordeonartigen Töne nah. Diese Nahwirkung ist mit einer dynamischen Enge verbunden: Gemeinsam bilden sie einen starken Kontrast zum verschwommenen Umgebungsklang und konnotieren eine extreme Reduktion oder Einengung (im Sinne des von Ringel 1953 beschriebenen Charakteristikums des präsuizidalen Syndroms) an einem ›schwindligen‹ Ort, der die Möglichkeit eines tödlichen Falls impliziert. Genesis P-Orridges Aussage zur Intention der Band, mit dem LP-Cover und dem Stück die Metaphern des Ortes erforschen zu wollen, erscheint insofern plausibel. Die düsteren Assoziationen, die durch die verschiedenen Sounds in Gang gesetzt werden, sind vermutlich beabsichtigt und ein Einlassen darauf unter der Bedingung kein Affront, dass man sich nicht vom »nicey nicey«-Look des Covers täuschen lässt. Dies markiert vielleicht den Unterschied zwischen einem ›angemessenen‹ musikalischen Erleben und einem kalkulierten Schockeffekt der Ahnungslosen, wie ihn sich Cosey Fanni Tutti vorgestellt hat. Mit der Wiederauflage des Albums im Jahr 1981 wurde die visuelle Täuschung ein Stück weit aufgelöst bzw. Explizitheit als künstlerische Strategie auch sichtbar gemacht: Das Cover erscheint in schwarz-weiß, vor den Füßen der noch immer lächelnden Bandmitglieder liegt eine enblößte Leiche (Abb. 3).

Die vier lächelnden Bandmitglieder von Throbbing Gristle auf einer Blumenwiese am Beachy Head mit einer zu ihren Füßen liegenden nackten Leiche.
Abbildung 3: Throbbing Gristle bring you 20 Jazz Funk Greats. Reissue (Fetish Records 1981), LP-Cover. MusicBrainz.

Throbbing Gristle hat mit »Beachy Head« gleichzeitig ein uraltes Motiv aufgegriffen: das des lebensmüden, verstummten Menschen am Abgrund. Eine historische Figur, die vielfach dafür herhalten musste, dieses Motiv zu verkörpern, ist die Lyrikerin Sappho (6. Jahrhundert v. Chr.). Ihr der Sage nach überlieferter Sprung vom Leukadischen Felsen ist in der Spätromantik besonders häufig bildlich dargestellt worden, unter anderem vom Schweizer Maler Ernst Stückelberg (1831—1903). Sein Gemälde (Abb. 4) zeigt Sappho (1897), die ihre rechte Hand nicht (mehr) zum Spielen des Instruments benutzt, sondern damit den Felsen hinter sich berührt. Stumm blickt sie in die Tiefe und nicht hinüber zum davonsegelnden Phaon (ein mythischer Fährmann zwischen Lesbos und Kleinasien), dessentwegen sie hier angeblich steht.

Sappho steht auf dem Leukadischen Felsen, den Blick nach unten aufs Meer gerichtet.
Abbildung 4: Ernst Stückelberg: Sappho (1897). Kunsthaus Zürich.

Das Narrativ ihres Suizids aus unerwiderter Liebe findet sich schon bei Menandros (4. Jahrhundert v. Chr.), in den Heldinnenbriefen (Heroides) Ovids4 oder in der byzantinischen Enzyklopädie Suda aus dem 10. Jahrhundert, die zwei Einträge zu Sappho enthält. Der erste Eintrag beschreibt sie als verheiratete lyrische Dichterin mit homoerotischen Beziehungen und einem Schülerinnenkreis, der zweite Eintrag als unsterblich verliebte heterosexuelle Lyraspielerin, die auch gedichtet habe: »Sappho, eine Lesbierin von Mytilene, eine Lyraspielerin. Diese Sappho stürzte sich aus Liebe zu dem Mytilener Phaon vom Leukadischen Felsen ins Meer. Manche schrieben, dass es auch von dieser lyrische Dichtung gibt« (zit. nach Bierl 2021, 391). Die »Aufspaltung der Figuren« sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass man die »inneren Widersprüche […] nicht ganz erklären kann« (ebd.). Die Figur der Sappho wurde so zu einem »Rätsel, einer Chiffre, einem Gefäß und Raum für die Phantasien und Projektionen der Nachwelt« (ebd., 392).

In den überlieferten Fragmenten der Lyrik Sapphos finden sich zwar zwei Äußerungen von Todeswünschen, beide jedoch im Kontext des Abschieds junger Frauen aus ihrem Kreis und in ritualisierter, konventionalisierter Form (ebd., 311—12), beispielsweise im Liedfragment 94:

»Tot sein will ich — ganz ehrlich: / das seufzte sie heftig unter Tränen und verließ mich. / Unter vielem anderen sagte sie mir auch Folgendes: O weh, wie schrecklich haben wir gelitten, / Psappho! Wahrlich, ganz traurig verlasse ich dich. / Ihr aber antwortete ich Folgendes: / Vergnügt ziehe los und halte mich / in Erinnerung, denn du weißt, wie wir dich umhegten.« (Ebd., 139 und 141).

Sapphos Nachwelt hat sich auch philologisch betätigt, breitenwirksamer aber an der Legende ihrer unglücklichen Liebe zu Phaon abgearbeitet. Dies zeigt sich nicht nur an Gemälden, welche die verschiedenen Phasen ihres Sprungs vom Leukadischen Felsen darstellen,5 sondern auch an literarischen Verarbeitungen des Stoffs wie Franz Grillparzers Trauerspiel Sappho (UA 1818 in Wien) und einer Reihe von Opern, u. a. von Jean Paul Egide Martini (Sapho 1794), Giovanni Pacini (Saffo 1840) oder Charles Gounod (Sapho 1851; Arie »Où suis-je?… Ô ma lyre immortelle«) mit ihren z. T. ausgesprochen verworrenen Handlungsverläufen. Es überrascht insofern nicht, dass der Stoff auch persifliert wurde. Beispielsweise veröffentlichte der französische Maler, Bildhauer und Grafiker Honoré Daumier (1808—1879) Anfang der 1840er-Jahre im Rahmen der in der Zeitschrift Le Charivari veröffentlichten Serie Histoire Ancienne die Karikatur La Mort de Sapho (Abb. 5).

Karikatur von Sappho auf dem Leukadischen Felsen. Ein kleiner Amor schiebt sie zum Abgrund.
Abbildung 5: Honoré Daumier: La mort de Sapho. In der Zeitung Le Charivari, 4. Januar 1843. Harvard Art Museums/Fogg Museum.

Auch in dieser Darstellung steht Sappho auf einem Felsen hoch über dem Meer, in der Ferne segelt Phaons Boot, während Amor dabei ist, die Unglückliche in die Tiefe zu schubsen. Die Karikatur trägt folgende Bildunterschrift: »Junge Mädchen, seht, wohin uns die Liebe/Amor6 führt! Unter unseren niedlichen Füßen gräbt der Schuft einen Abgrund, in den man leicht fällt, denn der Weg vom Vergnügen zum Unglück ist sehr kurz«7 — eine Warnung, wie sie auch in Moritaten des 19. Jahrhunderts vorkommt. So beginnt eine der Fassungen des Lieds »Verstoßen oder Der Tod auf den Schienen« (Mitte des 19. Jahrhunderts) mit den Versen: »Ihr Jungfern, hört die Schreckenskunde, die sich zutrug in unsrer Stadt / Verpflanzet sie von Mund zu Munde, was falsche Lieb für Folgen hat« (Aufnahme mit Ethel Reschke 1959). Solche Lieder hatten offenkundig u. a. die Funktion, Jugendliche vor den fatalen Folgen »falscher Lieb« zu warnen (vgl. Gioia 2015, 183).

Die (Un)wirksamkeit der eigenen Lieder

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Throbbing Gristles (mindestens im Audiotrack unverblümter sowie geschlechts- und altersneutraler) Inszenierung am Beachy Head einerseits und besagtem Ausschnitt der Sappho-Rezeption, Liedern des 19. Jahrhunderts oder der im Folgenden betrachteten antiken Dichtung (Theokrits Idyllen, Vergils Bucolica und Aeneis) andererseits besteht darin, dass in letzteren die Todeswünsche in der Regel mit unerwiderter bzw. falsch verstandener Liebe oder unerfülltem erotischen Begehren begründet werden und vor allem junge Menschen betroffen sind. Beides gilt für die meiste Musik, die Suizidalität zum Thema hat, während das sich daraus ergebende Bild quer zur Realität steht, denn statistisch betrachtet sterben vor allem alte Menschen an Suizid.8 Alte einsame Menschen waren und sind in musikdramatischer Hinsicht offenbar nicht attraktiv genug, um von ihnen zu singen. Ein Song wie Simon & Garfunkels »A Most Peculiar Man« (1965/1967), in dem es um den Suizid eines einsamen Mannes geht, den seine Nachbarn kaum kannten, bleibt bis heute eine Ausnahmeerscheinung.

Eine besonders aggressive Form von Suiziddrohung aufgrund der Zurückweisung sexueller Avancen ist in Theokrits 23. Idyll »Der Liebhaber« nachzulesen, in dem ein »liebestoller Mann einen grausamen Knaben« begehrte, dem er wegen dessen Gefühllosigkeit droht, sich — im Glauben an den Tod als »universelles Heilmittel« — an seinem Türpfosten aufzuhängen (Höschele 2016, 183). Suiziddrohungen sind im Rahmen der Idyllen (Eidyllia, Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr.) nichts Außergewöhnliches, sondern ein in antiker Dichtung »traditionelles Motiv der Liebesklage« (Albrecht 2019, 18).9 Ein buchstäblicher Suicide Song findet sich in den von Theokrit inspirierten Bucolica, einer zwischen 42 und 39 (oder 38) v. Chr. verfassten Sammlung von zehn Eklogen Vergils,10 und zwar im Rahmen der Schilderung eines Gesangswettbewerbs zwischen den Hirten Damon und Alphesiboeus (8. Ekloge).11 Nachdem in der Einführung (Z. 1—16) die mächtige Wirkung ihres Gesangs geschildert wird (die Kuh staunt, die Luchse sind gebannt, die Flüsse verändern ihren Lauf),12 beschreibt Damons Lied aus der Ich-Perspektive eines namenlosen Hirten die Verzweiflung eines unglücklich Liebenden, der sich »kopfüber« von »luftiger Bergeshöhe hinab in die Wellen« stürzen will.

Geh auf, Morgenstern, und komm dem erquickenden Tageslicht zuvor, während ich, enttäuscht von der unwürdigen13 Liebe zu Nysa, meiner Auserkorenen, hier klage und jetzt in meiner Todesstunde ein letztes Wort an die Götter richte, obwohl sie mir als Zeugen nichts geholfen haben. Stimme mit mir die Lieder vom Maenalus14 an, du meine Flöte!
 
[…] Mopsus bekommt Nysa zur Frau! Worauf müssen wir Liebenden da nicht gefaßt sein? Dann verbinden sich bald Greife mit Pferden, und in künftiger Zeit ziehen gar ängstliche Damhirsche gemeinsam mit Hunden zur Tränke. Stimme mit mir die Lieder vom Maenalus an, du meine Flöte!
 
[…] O Braut, einem würdigen Gatten verbunden! Alle verachtest du, ein Greuel ist dir meine Hirtenflöte, meine Ziegen, meine struppigen Augenbrauen und mein wallender Bart: So wenig glaubst du, daß sich ein Gott um das Los der Menschen kümmert. Stimme mit mir die Lieder vom Maenalus an, du meine Flöte!
 
[…] Jetzt weiß ich, was Amor ist: Auf nackten Klippen bringen ihn Tmaros oder Rhodope oder das ferne Garamantenland hervor, einen Knaben, nicht von unserer Art noch von unserem Geblüt. Stimme mit mir die Lieder vom Maenalus an, du meine Flöte!
 
[…] Mag doch meinetwegen alles ein tiefes Meer werden! Lebt wohl, ihr Wälder! Kopfüber stürz’ ich mich dann von luftiger Bergeshöhe hinab in die Wellen; dies sollst du als letztes Geschenk des Sterbenden haben. Beende, Flöte, beende die Lieder vom Maenalus! (Albrecht 2015, 67—71)

Auf jede der neun Strophen folgt ein Refrain, der sich an die Flöte richtet.15 Nach der letzten Strophe hingegen weist der Hirte die Flöte — die seiner geliebten Nysa »ein Greuel war« — an, die Lieder zu beenden.

Das Motiv des Verstummens und die Verzweiflung »über die Unwirksamkeit der eigenen Lieder« (Albrecht 2019, 32) findet sich auch an anderen Stellen der Bucolica, wie überhaupt ein von den Hirten geführter Diskurs über deren Wirksamkeit. Bemerkenswerterweise ist der Effekt der Lieder oft unabhängig von der Absicht der Singenden (Albrecht 2015, 198). Die Lieder werden wie eigenständige Wesen angerufen, wirken dann aber ›wie sie wollen‹. Auch im zweiten Lied der 8. Ekloge, mit dem Alphesiboeus gegen Damon antritt, ruft die Hirtin Amaryllis in den Refrains ihres carmen (Zauberlied) »ihre Lieder« (ebenfalls: carmina) an, Daphnis aus der Stadt nach Hause zu führen, und bemerkt in der vorletzten Strophe, in der sie ihren Geliebten zu verfluchen beginnt, dass dieser »sich keinen Deut um die Götter, keinen Deut um die Zauberlieder« schere (ebd., 75). Letztlich regt sich das während der magischen Handlung entzündete Feuer aber doch und Daphnis kehrt zurück.16

L ’Abbandonata

Von der 8. Ekloge der Bucolica führt eine direkte Verbindung zu einer der bekanntesten suizidalen Opernfiguren: der karthagischen Königin Dido, deren Geschichte Vergil im 4. Buch seiner Aeneis (29—19 v. Chr.) erzählt. Beide enthalten Darstellungen von Magie17 in Zusammenhang mit Liebeszaubern sowie von Suizid(wünsch)en.

Dido, die Gründerin und Königin von Karthago, hat sich nach dem Tod ihres Mannes geschworen, nie wieder zu heiraten und sich ausschließlich um das Wohl ihres Volkes zu kümmern. Doch als sie dem Trojaner Aeneas begegnet, der auf seinem Weg nach Italien an ihrer Küste landet, verliebt sich Dido durch das Zutun Venus’ und ihrer ›Superwaffe‹ Amor in ihn. Und Aeneas verliebt sich in sie. Andere Götter sorgen dafür, dass Aeneas Karthago und Dido wieder verlässt, um Rom zu gründen. Dido sieht keinen Ausweg aus ihrer Situation und entschließt sich zum Suizid. Obwohl ihre Entscheidung bereits feststeht, bestellt Dido eine äthiopische Priesterin und erklärt ihrer ahnungslosen Schwester, diese könne mit ihren carmina »nach Belieben Herzen befreien« (Binder 2020, 207). An eine solche Wirkung glaubt Dido, die sich nur »widerwillig auf Zauberkünste einlasse« (ebd.), aber nicht, und sie tritt auch nicht ein. Die »entfesselte« Dido steigt auf einen Scheiterhaufen, ruft die Götter an, sie von ihrem Kummer zu erlösen, verflucht den fortsegelnden Aeneas — sich selbst hat sie bereits aus empfundener Ehrverletzung gegen ihren toten Ehemann und ihr Volk verflucht bzw. zum Tode verurteilt — und tötet sich mit dem Schwert des Untreuen. An Vergils Darstellung der Dido lassen sich demnach mindestens zwei Kriterien der von Thomas Joiner beschriebenen Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens erkennen: Sie empfindet sich in diesem Zustand als eine Last (für ihr Volk) und erlebt sich von anderen (v. a. von Aeneas) isoliert (vgl. Joiner 2005).

Die Nähe des Dido-Buchs zur Form der Tragödie ist vielfach bemerkt worden und der Stoff erscheint daher prädestiniert, musikdramatisch umgesetzt zu werden. Das Aufeinanderstoßen »inkompatible[r] Verhaltensmuster: das erotisch-elegische zwischen Privatpersonen […] und das politische zwischen Königen, die jeweils für ihr Volk verantwortlich sind« (Albrecht 2019, 125), stellt einen klassischen ›Liebe versus Pflicht‹-Konflikt dar, wie er zahlreichen Opern zugrunde liegt.

Eine intensive musikalische Auseinandersetzung mit Vergils Dichtung und damit dem »Archetyp der verlassenen Frau« (Schmalfeldt 2001, 587; übers. von J. H.), wie er auch durch die Figuren Arianna oder Sappho verkörpert wird, setzte zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein, zunächst mit mehr als einem Dutzend Vertonungen von Didos letzten Worten (u. a. von Josquin oder Orlando di Lasso), deren »expressive[s] Pathos […] als Textgrundlage für die Form der Motette überaus geeignet« war (Draheim 2016). Ein Wechselgesang zwischen Dido und Aenaeas von Monteverdi ist verloren, 1641 schrieb Francesco Cavalli die Oper Didone. Pietro Metastasios Libretto Didone abbandonata (1724)18 wurde in den folgenden einhundert Jahren mindestens 80-mal vertont — und sogar in Instrumentalmusik aufgegriffen (siehe Muzio Clementis gleichnamige Klaviersonate op. 50, Nr. 3 mit dem Untertitel »scena tragica« von 1821); 1863 wurde Hector Berlioz’ monumentale Oper Les Troyens uraufgeführt.

Die heute bekannteste Dido-Oper ist zweifellos Henry Purcells Dido and Aeneas auf ein Libretto von Nahum Tate19 (ca. 1689). Didos Lamento »When I am laid in earth« 🔊 ist eine der am häufigsten interpretierten ›Suizid-Arien‹ — obwohl Dido sich in dieser Fassung nicht aktiv das Leben nimmt. Die Arie steht in g-Moll, der typisch barocke Lamentobass, eine chromatisch absteigende, hier fünftaktige Figur, die kontinuierlich wiederholt wird, bildet die Basis. Die Tonfolge zum Wort »laid« führt ebenfalls abwärts und die Phrase endet auf dem Wort »earth« einen Halbton unterhalb des Grundtons. Einen Kontrast dazu bilden die Worte »remember me«, die den Höhepunkt der Arie markieren und in ihrer Gleichförmigkeit verzweifelt wirken. Unterbrochen von Seufzern formuliert Dido ihren letzten Willen: sich an sie zu erinnern, aber ihr Schicksal zu vergessen.

Durch die Musik werden Didos Würde und Schönheit im selbstgewählten ›Abgang‹ gewahrt. Purcells Dido ersticht sich nicht wie Vergils (oder wie im 19. Jahrhundert auch Berlioz’) Dido mit dem Schwert und geht auch nicht ins Feuer wie Metastasios Dido, sondern stirbt schlicht (vgl. Tates Libretto; dazu auch Schmalfeldt 2001, 611). Aggressiv waren die barocken Didos oder Ariannas nicht, sondern vielmehr tugendhaft. Dies hatte nicht zuletzt politische Gründe (vgl. Klassen 2006, 8; Schmalfeldt 2001, 613; siehe auch Heller 2003, 207—8). Der Unterschied zwischen Vergils und Purcells/Tates Didoerzählung ist damit in gewisser Weise vergleichbar mit dem Unterschied zwischen den teils blutrünstigen Märchen der Grimm’schen Sammlung und deren Disney-Verfilmungen oder Bilderbuchversionen für Kinder.

Zeitgenossen beschrieben die Wirkung von Purcells Musik als ergreifend (Klassen 2006, 13), nähere Schilderungen scheinen jedoch keine bekannt zu sein. Alternativ sei daher ein Blick geworfen auf Aussagen über Reaktionen des Publikums auf Ariannas Lamento »Lasciatemi morire« (»Lasst mich sterben«) bei der Uraufführung der — übrigens eine glückliche Wendung nehmenden — »Tragedia« L’Arianna von Monteverdi; diese fand im Rahmen der Hochzeit des Herzogs von Mantua Francesco IV. Gonzaga mit Isabella von Savoyen im Jahr 1608 statt.20 Die von ihrem Geliebten Theseus Verlassene singt das Lamento, nachdem sie von Fischern vor dem Suizid durch Ertrinken gerettet worden ist.

Im hochzeitlichen Festbericht steht dazu: »Dieses Lamento wurde mit so starkem Affekt und auf so mitleiderregende Arten dargestellt, daß sich kein Zuhörer fand, der nicht gerührt gewesen wäre, und es gab auch nicht eine Dame, die nicht einige kleine Tränen vergossen hätte bei ihrer schönen Klage« (zit. nach Michels 1984, 95).21 Ein anderer Besucher berichtete, ohne zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden: »Arianna brachte in ihrem Lamento in Musik […] viele über ihr Unglück zum Weinen« (ebd.). Ob diese Berichte den Tatsachen entsprechen, kann nicht mehr überprüft werden; sicher ist aber, dass solche Reaktionen erwartet wurden. Grundsätzlich bestand die Intention der Oper darin, »Leidenschaften zu wecken«, »Furcht und Mitleid zu erregen« und »durch aktives inneres Erleben zu seelischen Erschütterungen und zu Klärungen zu kommen« (ebd., 96). Dafür sorgen sollte die auf verschiedenen Ebenen angelegte, insbesondere musikalische Darstellung »extremer Leidenschaften und Affekte« (ebd.), die bei den Zuschauer:innen quasi induziert werden. Dies beschränkt sich in den genannten Fällen jedoch auf das verbalisierte Leid und die Verzweiflung; am suizidalen Akt wird nicht teilgenommen.

Nicht Didos Sterben oder Ariannas Suizidversuch werden ästhetisiert, sondern die in diesem Zusammenhang stehende existenzielle Erfahrung. Der entsprechende Affekt wird in konventionalisierter Form — dem Lamento — als kollektive (ästhetische) Erfahrung von einem entsprechend gebildeten oder ›kulturell informierten‹ Publikum nachvollzogen. Zeitgenössische Berichte bzw. Behauptungen über suizidale Wirkungen der Lamenti von Arianna oder Dido und generell von Opernaufführungen im 17. oder 18. Jahrhunderts sind mir bislang keine bekannt. Aussagen in diese Richtung lassen sich vereinzelt erst in medizinischer Literatur des 19. Jahrhunderts finden. So berichtete der französische Psychiater Jean-Pierre Falret in seiner Abhandlung Der Selbstmord (1824; frz. Originalausgabe: De l’hypochondrie et du suicide 1822) über den Fall einer Frau, die bei Arien aus der Oper Nina, o sia La pazza per amore (Giovanni Paisiello 1789; dt.: Nina oder Die Wahnsinnige aus Liebe) Suizidneigungen empfunden habe.22 Wirkungen auf suizidales Empfinden oder gar Handeln infolge von Musikkonsum wurden vor allem seit dem 20. Jahrhundert überwiegend individueller Musikerfahrung per Medien (wie Radio und Tonträger) zugeschrieben.

Was die Gattung Oper bzw. das Musiktheater im Allgemeinen betrifft, wären bezüglich der Frage nach dem Umgang mit bzw. der Darstellung von Suizidalität und Suiziden verschiedene Themen von Interesse: neben dem hier nur gestreiften ›Archetyp der verlassenen Frau‹ (L’Abbandonata) und deren Lamenti u. a. die privaten und politischen Ehrenselbstmorde (wie in Puccinis Madame Butterfly23), der weibliche Opferselbstmord in Richard Wagners Musikdramen (z. B. der Senta in Der Fliegende Holländer), das ›unspektakuläre Drama‹ des verzweifelten einfachen Menschen, das erst im 20. Jahrhundert auf die Bühne gebracht wurde (z. B. Alban Bergs Wozzeck 1925), oder politisch motiviertes Musiktheater der jüngeren Zeit, wie das von der britischen Schauspielerin, Comedian und Behindertenrechte-Aktivistin Liz Carr produzierte Musical Assisted Suicide (2016—17), welches sich als Beitrag zur Debatte über dieses äußerst umstrittene Thema versteht.

»Trockne Blumen« oder »Mi hat mer g’wiß net g’seh«. Lebensmüdigkeit in Liedern des 19. Jahrhunderts

Neben der Oper ist das Lied diejenige Gattung, welche — insbesondere seit Beginn des 19. Jahrhunderts — eine kaum überschaubare Menge an Stücken hervorgebracht hat, die Suizid(alität) thematisieren. Da zu dieser Zeit derart viele (Kunst‑)Lieder, Liederzyklen, Volkslieder oder Bänkellieder erschienen, die Lebensmüdigkeit, Todessehnsucht und Suizide beschreiben, merkt Ted Gioia in seinem Buch Love Songs: A Hidden History (2015) an, dass der Suizid für Komponierende der Romantik »fast zu einem Teil der Definition von Liebe wurde« (Gioia 2015, 182; übers. von J. H.). Um diese Aussage zu untermauern, führt er u. a. Wagners Tristan (Tristan und Isolde, UA 1865) an, der in allen drei Akten versucht, sich das Leben zu nehmen, im dritten schließlich mit tödlichem Ausgang.

Franz Schuberts auf Gedichtzyklen Wilhelm Müllers basierende Liederzyklen Die schöne Müllerin (1823) und die Winterreise (1827) gehören im Bereich Lied zu den bekanntesten Beispielen. Während Suizidalität bzw. Lebensmüdigkeit in den Winterreise-Liedern, z. B. in »Der Lindenbaum« oder »Der Leiermann« 🔊, eher subtil angedeutet ist, ist in Der schönen Müllerin die Suizidfantasie des an unerwiderter Liebe Leidenden explizit formuliert und drückt sich unter anderem in der — übrigens häufig besungenen — über den Tod hinausreichenden Vorstellung vom eigenen blumengeschmückten Grab aus, wie in dem Lied »Trockne Blumen« 🔊.

Ihr Blümlein alle, 
Die sie mir gab, 
Euch soll man legen
Mit mir in’s Grab.
 
Wie seht ihr alle 
Mich an so weh, 
Als ob ihr wüßtet, 
Wie mir gescheh’?
 
Ihr Blümlein alle, 
Wie welk, wie blaß? 
Ihr Blümlein alle
Wovon so naß?
 
Ach, Thränen machen 
Nicht maiengrün, 
Machen todte Liebe
Nicht wieder blüh’n.
 
Und Lenz wird kommen 
Und Winter wird gehn, 
Und Blümlein werden 
Im Grase stehn,
 
Und Blümlein liegen 
In meinem Grab, 
Die Blümlein alle, 
Die sie mir gab.
 
Und wenn sie wandelt 
Am Hügel vorbei, 
Und denkt im Herzen: 
Der meint’ es treu!
 
Dann Blümlein alle, 
Heraus, heraus! 
Der Mai ist kommen, 
Der Winter ist aus.
(Müller 1821, 43—44)

Die Fantasie vom eigenen Tod, in dem der suizidale Mensch sich noch beobachten kann, ist ein bekanntes Phänomen im Rahmen des von Erwin Ringel beschriebenen präsuizidalen Syndroms, sozusagen »der Gipfel« des Charakteristikums »Flucht in die Irrationalität« (Bronisch 2014, 38). »Trockne Blumen« 🔊 (Nr. 18 von 20) leitet den letzten Teil des Zyklus ein. Das aus der Ich-Perspektive sprechende Lied steht in e-Moll, die Begleitung beschränkt sich zunächst auf die gleichförmige, langsame Wiederholung desselben einfachen Akkords. Auch die Melodie ist eingangs stark reduziert und variiert nur wenig. Erst im Verlauf der Strophen und entlang der zunehmend ausufernden Fantasie kommt es zu einer dynamischen Steigerung; ein Wechsel nach E-Dur erfolgt in der siebten Strophe, in der sich der Müllergeselle vorstellt, wie die Geliebte an seinem Grab vorbeiwandelt und ihn endlich wieder eines Blickes würdigt. Den anschließenden ›Kollaps‹ zurück nach e-Moll und hinab in die tiefe Lage spielt das Klavier allein; der Müllergeselle ist bereits verstummt.

Den »Trocknen Blumen« lässt sich das mit einer ähnlichen Fantasie spielende schwäbische Volkslied »Mei Mutter mag mi net« 🔊 (Abb. 6) gegenüberstellen, das Friedrich Silcher, neben einer Fassung für Solostimme und Klavier, um 1824 für vierstimmigen Chor eingerichtet hat. Ebenfalls aus der Ich-Perspektive spricht ein Mädchen erst über die Lieblosigkeit ihrer Mutter sowie darüber, dass sie keinen Schatz hat und in Gesellschaft von anderen nicht wahrgenommen wird, bevor sie sich vorstellt, wie drei Rosen auf ihrem Grab die Vorbeigehenden sich fragen lassen, wer wohl das Mädchen war, das »drunta liegt« (siehe Abb. 6). Der eigene Tod erscheint dem Mädchen in seiner Fantasie schöner als ihr Leben.

»Mei Mutter mag mi net, / Und kei Schatz han i net, / Ei, warum sterb i net! / Was tu i do?« und zwei weitere Strophen des Volkslieds.
Abbildung 6: Schwäbisches Volkslied »Mei Mutter mag mi net«. Programmheft des Volksliederkonzerts zum Besten des Hauptvereins »Kinderhort«, Berlin, 24. April 1904, 10. Digitale Sammlungen des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. Archiv des Konzertlebens.

Angesichts des Texts mag es paradox erscheinen, dass das Lied für Chor gesetzt wurde. Dies entspricht jedoch einer gängigen musikalischen Praxis, die auf die Erzählperspektive wenig Rücksicht nimmt; beispielsweise arrangierte Monteverdi Ariannas Lamento »Lasciatemi morire« 1614 als fünfstimmiges Madrigal oder Johnny Bertl in den 1980er-Jahren Georg Danzers »Heite drah i mi ham« 🔊 für A-capella-Chor. Dennoch ist es bemerkenswert, dass auf diese Weise ein solch spezieller Zustand wie Suizidalität perspektivisch entindividualisiert wird bzw. in der kollektiven Individualität eines Chors aufgeht. Auch einer der belegten Aufführungsorte des Lieds »Mei Mutter mag mi net« 🔊 ist erwähnenswert; es war 1904 Teil des Programms des »Volksliederkonzert[s] zum Besten des Hauptvereins ›Kinderhort‹« der Berliner Liedertafel24 im Berliner Zirkus Busch.25 Im Programm wurde es nicht etwa mit Liedern ähnlichen Inhalts kombiniert, sondern mit Nummern wie »Schlaflied fürs Peterle« und »Mädele ruck, ruck, ruck« — eine ausgesprochen heterogene Zusammenstellung von Liedern, mit der die verschiedenen Facetten und Widersprüche des Lebens zelebriert zu werden scheinen. Trotz seines Inhalts steht das Lied in Dur (in der Chorfassung in G-Dur)26 und setzt mehr auf Dramatik als auf Traurigkeit. Ein Höhepunkt im Chorsatz findet sich bei der Wiederholung der Worte »Ei, warum stirb i net« oder »Denn mir is gar so weh« in Form eines verminderten Septakkords, der nach e-Moll aufgelöst wird. Die Verlangsamung am Ende der Strophen, z. B. zur existenziellen Frage »Was tu I do?« oder zur traurigen Feststellung »I tanz jo net!«, tragen zur Gesamtwirkung bei. Die Dur-Tonart sorgt hier nicht für eine heitere Stimmung — ebenso wenig wie in Christoph Willibald Glucks Orpheus-Arie »J’ai perdu mon Eurydice« (Orphée et Eurydice 1774).

Johannes Brahms griff das Volkslied (Titelvariante: »Mei Mueter«) in seinen 1854 veröffentlichten Sechs Gesängen op. 7 unter dem Titel »Die Trauernde« (Nr. 5, 1852) auf und setzte es »in einem an Palestrina gemahnenden homophonen Kirchenstil mit schlichter Dreiklangsharmonik« (Schmidt 2015, 30) in a-Moll. Der Liederzyklus op. 7 ist voll von Anspielungen auf Todessehnsucht und Suizidgedanken; schon in Nr. 1 (»Treue Liebe«) wird angedeutet, dass »ein Mägdlein« ihrem im Meer verlorenen Geliebten in die Wellen folgt. Auch Robert Schumann komponierte 1840 mit Der arme Peter 🔊 (Romanzen und Balladen III, op. 53, Nr. 3; Gedicht von Heinrich Heine) einen — nicht ironiefreien — Miniatur-Liederzyklus, der sich um den suizidalen Zustand eines an unerwiderter Liebe leidenden jungen Mannes dreht.

Vordergründig fröhlicher klingt das Bänkellied »Verstoßen oder Der Tod auf den Schienen«, das seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt ist, einer Zeit des massiven Ausbaus des Eisenbahnnetzes. Im Unterschied zu den zuvor besprochenen Liedern ist die Erzählperspektive gänzlich auktorial, die Melodie, die vom Lied »Das Dreigespann« (»Seht Ihr drei Rosse vor dem Wagen«) übernommen wurde, steht in Dur und im Dreivierteltakt. Der Kontrast zwischen dem Inhalt der Erzählung und der musikalischen Gestaltung ist drastisch, hängt aber auch von der jeweiligen Interpretation ab. Die Akkordeonbegleitung in der Aufnahme mit der Schauspielerin und Sängerin Ethel Reschke aus dem Jahr 195927 verdeutlicht das Geschehen zusätzlich: Der herannahende Zug wird rhythmisch illustriert und das Überfahren der jungen Frau durch eine Zäsur markiert. Die Erzählerin nimmt gleichzeitig eine warnende und mitfühlende Haltung ein.28

Hier stirbt keine singende Königin in Schönheit und Würde, die sich, wie Purcells Dido, einfach niederlegt, sondern eine junge Frau, die sich von einem Zug den Kopf abtrennen lässt, da sie aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft von ihrer Familie verstoßen wurde. Dieses Schicksal teilten nicht wenige junge Frauen (nicht nur) des 19. Jahrhunderts.29 Der Text übertrifft dementsprechend an Drastik die anderen genannten Lieder, in welchen die Suizidhandlungen nicht beschrieben werden. Absichtslosigkeit der Darstellung ist weder im Fall von Didos Lamento 🔊 noch im Fall des erwähnten Bänkellieds anzunehmen. In allen bisher angeführten Beispielen geht es um Extremzustände und ‑situationen, in die man sich einfühlen, von denen man sich in Schauder versetzen oder abschrecken lassen konnte und sollte.

Johannes Brahms’ ›Werther-Quartett‹ — Suizid als Sujet in Instrumentalmusik

Wenngleich sehr viel seltener als in Vokalmusik findet sich das Sujet Suizidalität auch in Instrumentalmusik — selbst in solcher, die nicht der Kategorie Programmmusik angehört. Johannes Brahms’ zwischen 1855 und 1875 entstandenes Klavierquartett c-Moll op. 60, Nr. 3 ist durch sein eigenes Zutun bzw. durch Veröffentlichungen des Musikschriftstellers Max Kalbeck (1850—1921) auch unter dem Namen »Werther-Quartett« bekannt geworden. Dieser auf Johann Wolfgang Goethes berühmten Roman referierende Beiname erschien jedoch ebenso wenig auf dem Titelblatt der Erstausgabe beim Verlag Simrock wie das dem Verleger von Brahms (mit reichlich Sarkasmus) angekündigte Foto:

Außerdem dürfen Sie auf dem Titelblatt ein Bild anbringen. Nämlich einen Kopf — mit der Pistole davor. Nun können Sie sich einen Begriff von der Musik machen! Ich werde Ihnen zu dem Zweck meine Photographie schicken! Blauen Frack, gelbe Hose und Stulpstiefeln können Sie auch anwenden […] (Johannes Brahms an den Verleger Fritz Simrock, 12. August 1875; zit. nach Kalbeck 1917, 201)

Die Referenz ist insofern bemerkenswert, als Brahms in der Regel keine außermusikalischen Hinweise zu seinen Werken gab. Eine weitere Aussage findet sich im Begleitschreiben zur Sendung des Quartetts an seinen Freund Theodor Billroth vom 23. Oktober 1874: »Das Quartett wird bloß als Kuriosum mitgeteilt! Etwa eine Illustration zum letzten Kapitel vom Mann im blauen Frack und gelber Weste« (zit. nach Kalbeck 1903, 24130).

Der Musiktheoretiker Peter H. Smith hat eine ganze Monografie (Expressive Forms in Brahms’s Instrumental Music: Structure and Meaning in His Werther Quartet 2005) der Frage gewidmet, wie die Vorstellungen von Suizid, die Brahms mit seinem c-Moll-Klavierquartett verband, in den eigenwilligen musikalischen Prozessen des Stücks Ausdruck finden. Zwar stellt er fest, dass sich die Komposition bezüglich der Gattung, der Instrumentation, der Form, der tonalen Sprache und der motivischen Prozesse nicht grundlegend von anderen kammermusikalischen Werken Brahms’ unterscheidet, untersucht es aber in der Annahme, dass es Schnittpunkte von Struktur und Ausdruck gebe (Smith 2005, 4).

Um die naheliegendsten Punkte aufzugreifen: Die klassischerweise als trist, düster, klagend und traurig geltende Tonart c-Moll ist in Smiths Analyse ebenso ein Thema wie der grundsätzlich tragische Ton des Quartetts, der schon zu Beginn des ersten Satzes in den leeren Oktaven und Seufzermotiven deutlich werde (Abb. 7). Während andere in Moll stehende Werke von Brahms oft hoffnungsvoll und tröstend endeten (als Beispiele werden die Alt-Rhapsodie und das Schicksalslied genannt), schließt dieses Quartett zwar in C-Dur, aber abrupt und grob (Abb. 8). Die Tonika wird nicht von einer Dominante vorbereitet, sondern von einem über fünf Oktaven chromatisch absteigenden Lauf im pianissimo. Die beiden forte-Schlussakkorde folgen unvermittelt, der zweite ›sackt‹ schließlich im tiefen Register ›zusammen‹: eher eine »Geste der Kapitulation — oder des Sarkasmus« (Smith 2005, 233; übers. von J. H.) als das Erreichen eines Ziels.

Die ersten zehn Takte des Klavierquartetts op. 60, Nr. 3 c-Moll in der Erstauflage der Partitur.
Abbildung 7: Johannes Brahms: Quartett C moll für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell. Berlin: N. Simrock, 1875 [Erstauflage]. 1. Satz, T. 1—10. Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck.

Die letzten zehn Takte des Klavierquartetts op. 60, Nr. 3 c-Moll in der Erstauflage der Partitur.
Abbildung 8: Johannes Brahms: Quartett C moll für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell. Berlin: N. Simrock, 1875 [Erstauflage], 51. 4. Satz, T. 271—80. Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck.

Auch Musikwissenschaftler:innen, die in Brahms’ Werken mitnichten gezielt nach deren außermusikalischem Gehalt suchen, haben sich zu möglichen Werther-Referenzen geäußert:

Nimmt man den von Brahms angebotenen Werther-Kontext wörtlich, dann fällt der suizidale Schuss gewissermaßen schon im ersten Takt (in Gestalt des vom Klavier forte und in dreifacher Oktavierung markierten Grundtones). Danach bricht eine deklamatorisch gefärbte Klagemusik aus zuerst abgerissenen, dann zum akkordischen Streicherlamento ausgesponnenen Seufzern an (T. 1—10). (Oechsle 2009, 429)

Dass in der Partitur kein expliziter Hinweis auf eine derartige Interpretationsmöglichkeit gegeben wird, wie dies der Fall gewesen wäre, hätte Simrock besagtes Foto von Brahms abgedruckt, bedeutet vermutlich eine bewusste Verschleierung, die u. a. dem Umstand geschuldet sein mag, dass der Komponist eine Abneigung gegen Programmmusik hatte (zudem wird Simrock Brahms’ Humor verstanden haben). Was Brahms zu seiner Werther-Referenz bewegt hat, wurde verschiedentlich thematisiert, und nicht nur Smith diskutiert den möglichen Zusammenhang mit der persönlichen Beziehung zu Clara Schumann. Diese Spur soll hier nicht verfolgt werden, denn entsprechende Mutmaßungen sowie deren Weitererzählung und deren Muster erforderten eine eigene Untersuchung (vgl. die Gerüchte um die Entstehung des Lieds »Szomorú vasárnap«/»Gloomy Sunday« unten). Fest steht dagegen, »dass Brahms in den [18]50er Jahren die Identifikation mit Roman(anti)helden liebte (insbesondere mit E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler) und dass Werther für ganze Generationen die Symbolfigur adoleszenter Liebesleidender bildete« (Breyer 2009).31

»Das ist gefährlich!« — Suicide Songs der Moderne

Im Gegensatz zu Brahms und den zuvor besprochenen Liedern spielt Hanns Eisler (1898—1962) in seinem 1942 im US-amerikanischen Exil komponierten Lied »Über den Selbstmord« 🔊 (Abb. 9) (Hollywooder Liederbuch 1942/43) nicht auf ›die Leiden‹ eines Individuums, sondern auf das »unerträgliche Leben« der Menschen »in diesem Lande und zu dieser Zeit« an. Bei dem Text handelt es sich um einen von Eisler geringfügig bearbeiteten kurzen Monolog aus Bertolt Brechts epischem Theaterstück Der gute Mensch von Sezuan (1938—40): Die Protagonistin Shen Te spricht ihn zum Publikum, nachdem sie einen arbeitslosen Flieger davon abgehalten hat, sich zu erhängen. Ohnehin — aber umso mehr, da aus diesem Kontext gelöst — konnotiert der Text ein durch untragbare Verhältnisse bewirktes menschliches Elend (vgl. auch Roth 2007, 175). Der Titel benennt das Thema des Lieds in einer für die Moderne typischen Weise, d. h. metaphernlos und direkt. Modern ist das Lied auch in musikalischer Hinsicht: Es ist mit 19 Takten extrem kurz, der Gesang ist stark segmentiert (Roth 2007, 172), die Klavierbegleitung beschränkt sich auf ein sehr schlichtes, gleichförmiges Akkordmuster (Viertel-Viertel-Halbe) in der linken Hand, die Dynamik bewegt sich zwischen ein- und vierfachem piano, lediglich im vorletzten Takt gibt es mit dem — wie geschrienen — Wort »fort« einen kurzen fortissimo-Ausbruch, wonach sofort zum vierfachen piano zurückkehrt wird. Gleichzeitig finden sich auffällige intertextuelle Bezüge zu romantischer Musik bzw. zum romantischen Lied und speziell zu Schuberts Liederzyklus Winterreise (Roth 2007; Glanz 2008, 117); so ist die Tonart c-Moll zwar nicht durch Vorzeichen angezeigt, aber praktisch präsent, wenn auch wiederholt ›ausgehebelt‹; zudem werden Motive aus dem die Winterreise eröffnenden Lied »Gute Nacht« verschlüsselt zitiert (Roth 2007, 172).

Äußerste Resignation klingt Anfang der 1940er-Jahre — zumal vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs — extremer und gebrochener als 1823. Das Lied bewegt sich abseits jeglicher Liebesgeschichte und bringt das Problem der durch äußere Umstände bedingten Suizidgefahr in konzentriertester musikalischer Form auf den Punkt, während es subtil auf ein in diesem Kontext weithin bekanntes älteres musikalisches Idiom referiert.

Vollständige Partitur des Lieds »Über den Selbstmord« für Stimme und Klavier.
Abbildung 9: Hanns Eisler: »Über den Selbstmord«. In ders.: Hollywooder Liederbuch, hg. von Oliver Dahin, Peter Deeg und Manfred Grabs, 20. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik.

Traurige Sonntage32

Extreme Gleichförmigkeit, ein Merkmal der Klavierbegleitung des Lieds von Eisler, kennzeichnet auch das als ›Lied der Selbstmörder‹ bzw. ›Hungarian Suicide Song‹ bekannte Lied »Szomorú vasárnap« (»Trauriger Sonntag«) aus dem Jahr 193333, dessen englische Fassung unter dem Titel »Gloomy Sunday« 🔊 weltberühmt wurde. Es gilt weithin als Inbegriff des Suicide Songs, was vermutlich daher rührt, dass es nicht nur den suizidalen Zustand aus der Ich-Perspektive schildert und musikalisch entsprechend gestaltet ist, sondern auch den Ruf hat, Menschen zum Suizid(versuch) veranlasst zu haben — als fielen hier Inhalt und Wirkung zusammen. Begünstigt wurde die Mythenbildung um den Song durch dessen enorme mediale Präsenz, deren Struktur sich im Laufe der Jahrzehnte zwar stark verändert hat, doch bis heute nicht abgerissen ist. Schon über seine Entstehungs- und erst recht seine Rezeptions- und ›Wirkungs‹geschichte finden sich zahllose widersprüchliche, unbelegte und unbelegbare Aussagen.

Gesichert ist, dass das 1933 beim ungarischen Musikverlag Csárdás erschienene Lied von dem Budapester Kaffeehauspianisten Rezső Seress (1899—1968) komponiert und der Text vom ebenfalls aus Budapest stammenden Journalisten und Schriftsteller László Jávor (1903—1992) verfasst wurde. Bereits an diesem Punkt setzt die Mythenbildung ein, denn Jávor soll den Text aus Liebeskummer geschrieben haben; eine Erzählung besagt, seine Freundin sei gestorben, eine andere, er sei von einer Tänzerin verlassen worden (Patakfalvi 2017, 114).

Szomorú vasárnap (Trauriger Sonntag)
(Text: László Jávor; Übersetzung: Erna-Maria Trubel)
 
Trauriger Sonntag mit hundert weißen Blumen,
Wartete ich auf dich, meine Liebste, mit einem kirchlichen Gebet.
Vergeblichen Träumen nachjagend am Sonntagvormittag
Die Schaukel meines Kummers kehrte ohne dich zurück
Seither sind alle Sonntage immer von Traurigkeit erfüllt
Nur Tränen sind mein Getränk, und Wehmut mein Brot…
Trauriger Sonntag.
 
Letzter Sonntag, meine Liebste, komm hierher,
Der Priester wird da sein, ein Sarg, eine Bahre, ein Leichentuch.
Auch dann werden dich Blumen erwarten, Blumen — und ein Sarg.
Unter blühenden Bäumen gehe ich dann meinen letzten Weg
Meine Augen werde ich offenhalten, um dich noch einmal zu sehen
Fürchte dich nicht vor meinen Augen, auch tot ist dir mein Segen gewiss…
Trauriger Sonntag. (Seress 1946)

Aus der Ich-Perspektive beschreibt ein von seiner Geliebten Verlassener die Fantasie seines eigenen Todes und einer letzten Begegnung mit ihr (vgl. u. a. Schuberts »Trockne Blumen« 🔊). Ob Jávor die Zeilen tatsächlich im Zustand des Liebeskummers geschrieben hat, lässt sich weder verifizieren noch falsifizieren, doch fungiert dieses Narrativ als Authentizitätsmarker für das Lied. Insbesondere in Hinblick auf Liedtexte ist die Identifizierung des lyrischen Ichs mit dem Autor/der Autorin weit verbreitet und eine Authentizität des Texts wird v. a. im Bereich der populären Musik nicht selten von Musiker:innen oder Texter:innen selbst behauptet bzw. kolportiert. In dem Zeitungsartikel »Gespräch mit Laszlo Javor, dem Autor des ›Traurigen Sonntag‹« (Neues Wiener Journal, 5. Februar 1938) zitiert Jean Courthis den »Schöpfer des Liedes […], das zu einer Serie von Selbstmorden in der ganzen Welt geführt hat« entsprechend:

Ich war ein kleiner Reporter, dem es eines Tages schwerfiel, von seiner Sylvia Abschied zu nehmen. So schrieb ich ein Gedicht an dieses Mädchen, worin ich die Trauer schildern wollte, die jetzt meine Sonntage ohne sie umgab. Das ist die Entstehungsgeschichte dieses Liedes, das soviel Unheil angestiftet hat… (Courthis 1938, 7)

Abgesehen von der Hartnäckigkeit dieses Narrativs gibt es musikalische Gründe dafür, dass das Lied zum Suicide Song par excellence und gelegentlich zu einem der traurigsten Songs aller Zeiten34 erklärt wurde. Die Tonart c-Moll trägt sicher dazu bei, doch sollten derartige Charakterisierungen, wie bereits angemerkt wurde, nicht überbewertet werden, denn durch die Transposition in andere Molltonarten verliert ein Stück ja nicht seinen Charakter (bspw. steht die Aufnahme mit Billie Holiday in g-Moll). Wesentlich für das Strophenlied ist seine schlichte, traurige Melodie. Die langsame Dauerschleife der sich vom Grundton aufschwingenden und schon zur Strophenmitte wieder hinabsinkenden Wellenbewegung aus gleichförmig durchlaufenden Triolenketten, die an den Phrasenenden immer wieder gebremst werden, entwickelt in ihrer Repetitivität einen ›Sog‹ nach unten, der durch die längeren Notenwerte am Strophenende noch verstärkt wird. Das Stück weist damit eine der Eigenschaften des von Erwin Ringel beschriebenen präsuizidalen Syndroms auf: eine dynamische Einengung. Diese macht sich durch die starke harmonische Reduktion, die ständige Wiederholung des Melodiebogens und die Einförmigkeit der Motive bemerkbar.35

Die erste Einspielung auf Schallplatte sang 1933 der damals in Ungarn sehr populäre Sänger Pál Kalmár (1900—1988). Sie wurde so erfolgreich, dass bald weitere Aufnahmen in anderen Ländern und Sprachen folgten. Internationale Bekanntheit erlangte das Lied unter dem Titel »Gloomy Sunday« 🔊 mit einem neuen Text von Sam M. Lewis aus dem Jahr 1936, das u. a. 1941 von Billie Holiday interpretiert wurde und in dieser Fassung um eine positive Wendung im Text (»I am only dreaming…«) erweitert ist.36 Mindestens zwei Filme basieren auf dem Song37 bzw. den sich darum rankenden Legenden, es wurde als Filmmusik benutzt38 und in filmischen Dialogen referenziert39.

Die ›lebensgefährliche‹ Aura, die das Lied — auch in der erwähnten ›abgemilderten‹ Fassung — seit Mitte der 1930er-Jahre umgibt, ist in einem medialen Zusammenhang zu verstehen. »Medien« umfasst hier sowohl Musikalien (sheet music, lyric sheets), die Veröffentlichung des Lieds auf Schallplatte und dessen Übertragung im Radio als auch die Berichterstattung. Sensationsträchtig schrieb beispielsweise die Illustrierte Kronen-Zeitung aus Wien im Februar 1936 in einer über eine ganze Woche verteilten Artikelserie über »Das Lied, das achtzehn Menschen tötet«, nannte dabei auch Namen von ›Opfern‹ und schilderte deren Suizide z. T. im Detail — damals existierten noch keine Medienrichtlinien zur Berichterstattung über Suizide. Lokal, national und international erschienen derart viele Reportagen über angeblich durch das Lied ausgelöste Suizid(versuch)e, dass mancherorts sogar auf politischer Ebene reagiert wurde; so veröffentlichte die Tageszeitung Pester Lloyd am 12. April 1936 folgende Nachricht aus den USA:

»Trauriger Sonntag.« Aus Washington wird der United Press gemeldet: Das Parlament der Vereinigten Staaten wird sich demnächst voraussichtlich mit dem ungarischen Lied »Trauriger Sonntag« zu befassen haben, das in Ungarn bekanntlich eine wahre Selbstmordepidemie (?) [sic] hervorgerufen haben soll. Das Mitglied des Kongresses Karl Stefan erklärt soeben, er sei ernstlich darüber beunruhigt, daß dieses Lied in den Vereinigten Staaten zum Vortrage komme. Es sollte nicht erlaubt sein, daß dieses Lied auch in diesem Lande Unheil anrichte, — erklärte das Parlamentsmitglied. Er werde Gelegenheit nehmen, sich das Lied anzuhören, und wenn alles, was man über dieses Lied höre, zutreffe, werde er dem Kongreß eine Resolution vorschlagen, den Vortrag des Liedes in den Vereinigten Staaten zu verbieten. (N.N. 1936b, 12)

Welche von den angekündigten bzw. behaupteten Maßnahmen tatsächlich beschlossen und umgesetzt wurden, ist heute schwer nachvollziehbar und bedürfte umfangreicherer Recherchen. Entsprechende Aussagen beruhen in der Regel auf wenig belastbaren oder gar keinen Quellen — neben zeitgenössischen Zeitungsartikeln trifft dies z. T. auch auf wissenschaftliche Beiträge zu (z. B. Stack et al. 2008 und Patakfalvi 2017); schriftliche Belege für Sendeverbote scheinen kaum zu finden zu sein. Stack et al. (2008) berufen sich auf die persönliche Aussage eines BBC-Mitarbeiters, dass der Song dort bis 2002 gesperrt war, und sie konnten auch auf der Website des Senders keinen Ausstrahlungstermin vor 2002 finden (Stack et al. 2008, 352—53). Grund für den Bann sei gewesen, dass eine Frau sich 1941 beim Anhören des Songs im Radio mit Barbituraten das Leben genommen habe (ebd., 351).40 In einem vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlten Kalenderblatt unter dem Titel »Verbot des Selbstmordtangos« vom 16. April 2015 wird — ohne Quellenangabe — berichtet, dass der ungarische Rundfunk trotz des »wirtschafliche[n] Aufschwung[s] nach dem Ende des Kommunismus« beschlossen habe, »die Ausstrahlung der Ballade [ab dem 16. April 1992] im Radio zu verbieten« (Tölke 2015). Verschiedene Aufführungsverbote seien gar vom Text unabhängig gewesen: Laut Ágnes Patakfalvi (2017, 115—16) gibt es zwar keine offiziellen Unterlagen, die beweisen würden, dass das Lied in Ungarn verboten war, aber mindestens die rein instrumentale Version habe neben einigen anderen Fassungen »sicher« nicht gespielt werden dürfen; eine Referenz fehlt auch hier.

Das Gerücht über die tödliche Wirkung bzw. über Spielverbote des Songs war so verbreitet, dass es in Hal Morgans und Kerry Tuckers 1984 erschienenem Buch Rumor! schon auf den ersten Seiten prominent behandelt wird. Die Behauptung, dass der »song ›Gloomy Sunday‹, recorded by Paul Whiteman, was banned from radio broadcasts because it had triggered so many suicides (1936)«, wird als »partly true« bezeichnet (Morgan und Tucker 1984, 15): »Budapest au­thorities banned the song« — in den USA hingegen hätten die Radiosender den Song ohne Einschränkungen gespielt. Nachweise bleiben auch Morgan und Tucker schuldig.

Die meisten angeblichen Sendeverbote beziehen sich — den zeit‑/mediengeschichtlichen Umständen entsprechend — offenbar auf Radioübertragungen von Schallplattenaufnahmen, was auch auf Berichte über den wiederholten Fund entsprechender Tonträger bei Suizidenten zurückzuführen sein könnte. Einsames Musikhören wird hiermit quasi zu einer ebenso gefährlichen Kulturtechnik erklärt wie das (überhaupt nur individuell praktizierbare) Lesen (z. B. des Werther) — und im Übrigen wurde, wie in Berichten über das »Werther-Fieber« im 19. Jahrhundert, auch bei ›Gloomy Sunday-Suizidenten‹ die ›verantwortliche Lektüre‹ gefunden (vgl. Macho 2017 und im vorliegenden Band):

Neues Opfer des »Traurigen Sonntags«. Das melancholische ungarische Liebeslied »Trauriger Sonntag« hat bereits eine traurige Berühmtheit erlangt. Zahlreiche Verzweifelte unterlagen schon dem eigentümlichen Zauber dieses Liedes und schieden aus dem Leben. Jetzt berichten die ungarischen Blätter, daß sich in der amerikanischen Stadt Sturgis im Staate Michigan der fünfzehnjährige Lloyd Hamilton erhängt habe. In seiner Tasche sei ein Abdruck des Liedes »Der traurige Sonntag« gefunden worden. (N.N. 1936a, 8)

Während in der Sensationspresse ungehemmt über die Gefährlichkeit des Lieds spekuliert wurde, erschienen in seriöseren Zeitungen auch kritische Artikel über das Phänomen, so am 22. April 1936 eine bissige Glosse auf der Titelseite der Pester Lloyd (Morgenblatt, 22. April 1936, 1—2) mit dem Titel »›Szomoru vasárnap‹ oder Zur Soziologie eines Erfolgs«:

In Wirklichkeit gab es stets traurige Lieder, die die Selbstmörder sich aufspielen ließen, bevor sie aus dem Leben schieden, aber sie wurden nicht durch das Lied, sondern durch ihren Liebeskummer, durch die Öde ihres Lebens, durch Elend, Einsamkeit und Ohnmacht in den Tod getrieben. Allerdings ist es kein Zufall, daß der ›Traurige Sonntag‹ zu einem solchen bevorzugten Lied der Selbstmörder geworden ist, weil der Sonntag in dieser seelenlosen Zivilisation wie alle großen Feiertage des Lebens immer mehr zum beklemmenden, neurasthenischen Tag des kleinen Mannes wird, zum einzigen Tage der Selbstbegegnung. (-dor [nicht identifizierter Autor] 1936, 1—2)

Ohne an dieser Stelle weiter auf diesen Aspekt des Gloomy Sunday-Diskurses eingehen zu können, sei darauf hingewiesen, dass sich — nicht nur — im Rahmen der ›Heavy Metal Moral Panic‹ in den 1980er-Jahren ein ähnliches Spektrum an Sichtweisen findet.41 Immerhin wurden Seress und Jávor nicht vor Gericht oder den Senat zitiert wie verschiedene Heavy Metal-Musiker, aber doch öffentlichkeitswirksam zur mutmaßlich tödlichen Wirkung des Lieds befragt. Im oben bereits erwähnten Interview bestreitet Jávor interessanterweise nicht, dass das Lied zu Suiziden geführt habe, sondern argumentiert, u. a. mit Verweis auf Sigmund Freuds Schriften, er sei falsch verstanden worden:

Ich wollte nichts, als der Welt, die so sehr unter dem Schlagwort des »keep smiling« steht, das Leid aller verlassenen Menschen entgegensetzen, die das Lachen verlernt haben. Aber nicht um sie zum Selbstmord zu treiben, sondern im Gegenteil, ich wollte nur allen Einsamen ein wenig aufhelfen, denn ich bin kein Anhänger des Weltschmerzes. Ich wollte nur alles, was sonst in einem ganzen Buch behandelt wird, in ein paar Takten Musik ausdrücken. Mein Inspirator war neben meinem Herzenserlebnis Freud. Denn so wie er durch seine Schriften, wollte ich durch meine Musik die Menschen von ihrem verdrängten Komplex befreien. (Courthis 1938, 7)

Als Wiedergutmachung für das, was sein »›Trauriger Sonntag‹ ungewollt verbrochen« habe, und in der Hoffnung, »die Welt der unglücklich Liebenden und am Sonntag Einsamen zur Fröhlichkeit zu bekehren«, habe er, so Jávor weiter, nun »ein neues Lied geschrieben: ›Die zehn Regeln des Frohsinns‹« (ebd.) — und damit dem ›keep smiling-Gebot‹ schließlich doch nachgegeben (nicht völlig auszuschließen ist jedoch, dass Jávor dies nicht [so] oder in ironischer Absicht sagte).

Dass Mitte der 1930er-Jahre die nicht zuletzt durch die Weltwirtschaftskrise bewirkte miserable wirtschaftliche, politische und soziale Situation der ›Suizidwelle‹ zugrundegelegen haben könnte, wurde (meines Wissens) erst sehr viel später thematisiert (siehe z. B. Bruch 1999, Stack et al. 2008, Patakfalvi 2017). Die mithin noch katastrophalere Situation Mitte der 1940er-Jahre reflektierte Rezső Seress in einer zweiten Textfassung von 1946, die zeitbedingt an Brechts (pointierteren) Text erinnert: »Vége a világnak« (»Die Welt geht zu Ende«):42

Vége a világnak (Die Welt geht zu Ende)
(Text: Resző Seress; Übersetzung: Erna-Maria Trubel)
 
Es ist Herbst, die vergilbten Blätter fallen,
Die menschliche Liebe auf Erden ist tot.
Der Herbstwind weint traurige Tränen.
Kein neuer Frühling und keine Hoffnung für mein Herz.
Vergeblich weine ich und leide,
Die Menschen sind herzlos, böse und voller Gier…
Die Liebe ist tot!
 
Die Welt geht zu Ende, jede Hoffnung verblasst,
Die Städte verwüstet im Schrapnellenklang,
Bunte Wiesen nun rotgetränkt von Menschenblut.
Tote liegen am Weg ringsherum,
Im Stillen spreche ich noch einmal mein Gebet,
»Herr, die Menschen sind schwach und fehlbar«…
Die Welt geht zu Ende! (Seress 1946)

Wenig überraschend wurde diese Textfassung nicht annähernd so populär wie die erste. Das Interesse am Einzelschicksal übertrifft — zumal im Bereich Song — zuverlässig dasjenige am gesellschaftlichen Schicksal.

Die von der Mitte der 1930er-Jahre bis heute reichende Reihe an Interpretationen dokumentiert, dass die Faszination für den legendenumwobenen Song weiter anhält; 2016 erschien auf dem Label Piranha Records ein Album mit zwölf Fassungen in verschiedenen Sprachen (Hungarian Noir: A Tribute to the Gloomy Sunday) und einer scherzhaften Triggerwarnung.43 Darüber hinaus zeigen entsprechend zusammengestellte und betitelte Playlists diverser Streaming-Anbieter, wie bekannt »Gloomy Sunday« 🔊 nach wie vor als Inbegriff des traurigen, trostlosen Songs ist.

Schlussbemerkungen

Die musikwissenschaftliche Betrachtung einiger bekannter und weniger bekannter Musikbeispiele von der Antike bis ins 20. Jahrhundert sollte zunächst einen Eindruck davon vermitteln, wie lange und (wenigstens phasenweise) kontinuierlich Suizidalität als Sujet von Musik bereits eine Rolle spielt und in welchen (Gattungs‑)Kontexten es erscheint. Eine Untersuchung sowohl der künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Sujet als auch der Art und Weise, wie Diskurse über Musik und ihre Wirkung geführt wurden und werden, kann nicht nur Aufschluss über (zeitgeschichtlich und kulturell bedingte) Vorstellungen vom suizidalen Zustand und suizidalem Verhalten geben; mehr noch lassen sich dadurch — denn dies scheint mir aus der eigenen fachlichen Perspektive ein noch wesentlicherer Punkt zu sein — musiksoziologische und ‑ästhetische Fragen in Hinblick auf Extrembereiche der menschlichen Erfahrung behandeln.

Wie im Zuge der Diskussion einiger Beispiele angedeutet wurde, lassen sich vielfach musikalische und textliche/narrative Eigenheiten beobachten, die bezüglich des suizidalen Zustands aus psychologischer Perspektive beschrieben wurden; dazu gehören beispielsweise Merkmale des präsuizidalen Syndroms (Ringel 1953), wie eine dynamische Einengung44 oder die Flucht in die Irrationalität, sowie Elemente der Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens (Joiner 2005), insbesondere ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl und das Gefühl der eigenen Unwirksamkeit45 (Bsp. »Unwirksamkeit der eigenen Lieder«). Letzteres ist verschiedentlich mit dem ebenfalls häufig dargestellten Motiv bzw. Moment des Verstummens verbunden. Gleichzeitig ist auf musikalischer Ebene, so im Bereich der Harmonik, vieles vergleichsweise unspezifisch gestaltet, was nahelegt, dass es oft eher um die Darstellung bzw. das Nachvollziehen allgemeinerer Affekte/Stimmungen bzw. von Erfahrungen geht, die mit Todeswünschen einhergehen können wie das in den dramatischen Künsten wohl häufigste Suizidmotiv Liebeskummer.

Neben musikhistorischen wurden in diesem Beitrag auch musiksoziologische und ‑ästhetische Themen angerissen, die noch kaum beforscht sind und weiterer Reflexion bedürfen wie u. a. die Geschichte der Abbandonata-Figur (sowie die damit verbundenen musikalischen Konventionen und ihre Rezeption), die musikvermittelte perspektivische ›Entindividualisierung‹ suizidalen Erlebens und Handelns (z. B. in Bezug auf Chorsätze von aus der Ich-Perspektive sprechenden Liedern/Arien oder die Politisierung des Problems ungewollte Schwangerschaft) oder die Ästhetisierung von Suizid und Suizidalität im Bereich der Transgressive Music/Art (vgl. Throbbing Gristles »Entertainment through pain«-Motto oder punktuelle Phänomene wie ein vom Punkrock-Musiker GG Allin angekündigtes, doch nie ausgeführtes ›Halloween Suicide Concert‹). Diese Reihe ließe sich in Anbetracht der unüberschaubaren Menge an exisitierendem (und laufend publiziertem) Material mühelos fortsetzen, zumal viele Zeit- und Kulturräume hier nicht zur Sprache kamen: nicht zuletzt Musik seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, d. h. einer Zeit, in der besonders viel Musik erschien, die Bezug auf das Sujet Suizid(alität) nimmt, darunter Werke aus dem Bereich der Neuen Musik (z. B. Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter [1967—69]), ›Teenage Tragedy Songs‹ der 1950er- und 60er-Jahre und deren Persiflagen oder das oben im Kontext mit der ›Gloomy Sunday Panic‹ erwähnte Heavy Metal-Genre — dem Gegenstand des nachfolgenden Kapitels von Andy R. Brown.

Endnoten


  1. László Jávor (Text), Sam M. Lewis (englischer Text), Rezső Seress (Musik). 1936. »Gloomy Sunday«. New York: Chapell & Co. Zu »Gloomy Sunday« siehe auch die Beiträge von Harm Willms und Markus Storf et al. im vorliegenden Band.↩︎

  2. Im Kontext einzelner Gattungen bzw. Genres, v.a. der Oper und dem – wiederholt als ›Problem Music‹ stereotypisierten – Heavy Metal, wurde das Thema hin und wieder in den Blick genommen. Zum Thema Heavy Metal siehe den Beitrag von Andy R. Brown im vorliegenden Band.↩︎

  3. »Industrial Music, dissonant electronic music that arose in the late 1970s in response to punk rock. Coined by British postpunk experimentalists Throbbing Gristle, the term industrial simultaneously evoked the genre’s bleak, dystopian worldview and its harsh, assaultive sound (›muzak for the death factories,‹ as Throbbing Gristle put it). Believing that punk’s revolution could be realized only by severing its roots in traditional rock, industrial bands deployed noise, electronics, hypnotic machine rhythms, and tape loops. Instead of rallying youth behind political slogans, industrial artists preferred to ›decondition‹ the individual listener by confronting taboos. Key literary influences were J.G. Ballard’s anatomies of aberrant sexuality and the paranoid visions and ›cut-up‹ collage techniques of William S. Burroughs« (Reynolds 2023).↩︎

  4. Die Autorschaft Ovids wird für die Sappho-Briefe angezweifelt.↩︎

  5. Siehe bspw. die Sappho-Gemälde von Gustave Moreau (1826–1898).↩︎

  6. Im Französischen ist Amour der Name des Gottes Amor, kleingeschrieben bedeutet amour Liebe.↩︎

  7. »Jeunes filles, voyez où nous conduit l’Amour! / Sous nos pieds si mignons, le gueux creuse une abime / Où l’on tombe aisément; car du plaisir au crime / Le chemin est bigrement court.« (M.lle Esther, poésies morales). Abbildung aus: Histoire Ancienne, veröffentlicht in Le Charivari, 4. Januar 1843. Übers. von J. H.↩︎

  8. Siehe hierzu Claudius Steins Beitrag im vorliegenden Band.↩︎

  9. Dass Theokrit und Vergil (s. u.) derart offen über Suizidgedanken und Suizide schrieben, ist vermutlich auch dem Umstand geschuldet, dass man diesbezüglich in der Antike eine tolerantere Haltung hatte; bspw. unter dem Einfluss der stoischen Philosophie war der Suizid in Rom nur Sklaven und Legionären untersagt (Macho 2017, 61).↩︎

  10. Ein Merkmal der Hirtengedichte Vergils ist der erkennbar musikalische Duktus ihrer Sprache und der vielfache Gebrauch von Refrains (Albrecht 2015, 277). Die Eklogen wurden schon zu Vergils Lebzeiten durch Sänger auf der Bühne aufgeführt (ders. 2019, 58).↩︎

  11. Vgl. insbesondere das 1. Gedicht »Thyrsis oder der Gesang« in Theokrits Idyllen.↩︎

  12. Diese Beschreibung entspricht der orpheischen Wirkung des Gesangs nicht von ungefähr. Vergil führte Orpheus mit den Bucolica in die lateinische Dichtung ein.↩︎

  13. Unwürdig, weil unerwidert (Albrecht 2015, 67).↩︎

  14. Gebirge in Arkadien, Heimat des Pan.↩︎

  15. D. h. den Aulos, das (altgriechische) Instrument der elegischen Klage.↩︎

  16. Die Liedkonstellation bezieht sich direkt auf die drei Jahrhunderte früher entstandenen Idyllen 2 und 3 Theokrits und stellt ein unglücklich endendes einem glücklich endenden Lied gegenüber. »Im Damon-Lied verzweifelt der Liebende an der Macht der Lieder. […] im Alphesiboeus-Gesang verzweifelt die Liebende zunächst an der Kraft ihrer carmina; bevor sie aber zu schlimmeren Beschwörungen greift, stellt sich die Wirkung dennoch ein« (Albrecht 2019, 34).↩︎

  17. Kimberley B. Stratton merkt in ihrem Kapitel »Early Greco-Roman Antiquity« der Cambridge History of Magic and Witchcraft in the West an, dass diese die ersten in lateinischer Sprache erschienenen Darstellungen von Magie waren. Sogenannte Fluchtafeln (defixiones) aus dem Mittelmeerraum der hellenistischen Periode weisen einen sehr elaborierten Typ von Ritualen auf und waren offenbar vielfach von literarischen Darstellungen geprägt, umgekehrt inspirierten sie aber auch literarische Darstellungen (»this appears to be a case of life imitating art imitating life«) (Stratton 2015, 106).↩︎

  18. »Und mit dem gebotenen ›lieto fine‹ ging Metastasio in Didone abbandonata (1724) und in Catone in Utica (1728) so frei um wie die Librettisten an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Der Selbstmord der Dido, die sich bei der Entscheidung zwischen Pflicht und Liebe für letztere entschieden hatte, bedeutete zwar ein tragisches Ende der Person, stellte aber gleichzeitig die moralische Ordnung wieder her. Und der Selbstmord Catos zeigte etwas von der Größe Roms, wenn auch in einer für das Publikum so unannehmbaren drastischen Weise, daß Metastasio diesen Schluß in einer zweiten Fassung abänderte« (Leopold 2016).↩︎

  19. In Tates Fassung gibt es den verstorbenen Ehemann nicht und die Intrige der Göttinnen wird ebenfalls nicht erzählt.↩︎

  20. Das Libretto zu L’Arianna ist vollständig erhalten, von der Musik jedoch nur das Lamento.↩︎

  21. Der Festbericht ist abgedruckt in Ottavio Rinuccinis (1562–1621) Drammi per musica. Dafna – Euridice – Arianna, hg. von A. della Corte (= Classici Italiani L), Turin 1926, 67 ff. (Angabe in Michels 1984).↩︎

  22. »Herr Roubaut erzählt in seinen Recherches medicophilosophiques sur la mélancholie, er habe eine Dame gekannt, die zu drei verschiedenen Epochen heftige Erschütterungen im Nervensysteme empfand, auf die ein Wahnsinn mit Neigung zum Selbstmorde folgte, deren Veranlassung zwei oder drei Gesänge aus der Oper Nina waren« (Falret 1824, 23). Siehe zu Falret auch den Beitrag von Thomas Macho im vorliegenden Band.↩︎

  23. Kurz erwähnt sei in diesem Zusammenhang eine bizarr anmutende Studie des Soziologen und Suizidologen Steven Stack aus dem Jahr 2002 mit dem Titel »Opera Subculture and Suicide for Honor«, der den möglichen Einfluss der Opernsubkultur [sic!] auf die Suizidakzeptanz untersucht. Stack stellt fest, dass Suizide aufgrund verlorener Ehre – er nennt dies »Madame Butterfly Effect« – in Opern thematisiert werden und Personen, die von einer »Ehrensubkultur« beeinflusst sind, im Falle einer Entehrung der Familie eher bereit seien, Suizid zu begehen. In seiner Untersuchung kommt er zu dem Ergebnis, dass Opernfans eine 2,37-mal höhere Akzeptanz gegenüber Ehrenselbstmorden zeigten als Nicht-Fans. Außerdem spekuliert er auf der Grundlage einer weiteren eigenen Studie, die ein höheres Suizidrisiko für Personen mit höherer Suizidakzeptanz findet, dass das durchschnittliche Risiko eines Ehrensuizids bei Opernfans (insbesondere im Fall von Untreue) erhöht sein müsste. Zu weiteren Studien Stacks siehe den Beitrag von Benedikt Till und Thomas Niederkrotenthaler im vorliegenden Band.↩︎

  24. Die Berliner Liedertafel war ein von Carl Friedrich Zelter 1809 gegründeter Männerchor.↩︎

  25. Siehe das vollständige Digitalisat des Programmhefts unter: http://digital.sim.spk-berlin.de/viewer/image/001922629/1/LOG_0000/. Zugriff am 7. Mai 2024.↩︎

  26. Eine in Tongers Taschenalbum Bd. 1 [1898] erschienene Fassung für mittlere Singstimme mit einfacher Klavierbegleitung ist mit »Die Trauernde. (Schwäbisch)« betitelt und steht in F-Dur mit der Vortragsbezeichnung »Wehmütig« (104–5).↩︎

  27. Aufnahme mit Ethel Reschke (B-Dur): https://www.youtube.com/watch?v=CELmEJXa6Vs. Zugriff am 7. Mai 2024.↩︎

  28. Vgl. auch die Interpretation von Freddy Quinn auf dem Album Bitte recht traurig: Moritaten und Bänkellieder mit einem lachenden und einem weinenden Auge gespielt und gesungen von Freddy. https://www.youtube.com/watch?v=uR3jtYmH2qo. Zugriff am 7. Mai 2024.↩︎

  29. Zum Suizidmotiv ungewollte Schwangerschaft siehe Michaela Maria Hintermayr. 2022. Suizid und Geschlecht in der Moderne: Wissenschaft, Medien und Individuum (Österreich 1870–1970). Berlin: De Gruyter, insbes. 182–87.↩︎

  30. Kalbeck schreibt in diesem Kontext auch: »[A]ls er [Brahms] im Sommer 1868 in Bonn seinem Freunde Hermann Deiters den ersten Satz des Quartetts zeigte, sagte er, ehe er zu spielen anfing: ›Nun stellen Sie sich einen Menschen vor, der sich eben totschießen will, und dem gar nichts anderes mehr übrig bleibt.‹ Niemals würde Brahms auch nur andeutungsweise von einem solchen Zustande seines Gemütes gesprochen haben, wenn er sich nicht längst aus ihm herausgearbeitet hätte. Der Ernst aber, mit dem er davon sprach, bewies, daß es sich für ihn um keine bloße Jugendtorheit gehandelt hatte« (Kalbeck 1903, 241).↩︎

  31. Siehe hierzu auch Oechsle 2009 (429): »Dies [Brahms Werther-Referenz im Brief an Simrock] mit der Liebe zu Clara Schumann zu verbinden, liegt anscheinend nahe und hätte – biographisch wörtlich genommen – zu bedeuten, dass Brahms sich in den Jahren 1855/56 im Zustand tiefster Verzweiflung befand. Vor einer direkten Zuordnung von biographischem Wissen und kompositorischen Sachverhalten wäre indes zu warnen; denn Brahms’ späte Äußerungen bemühen einen literarischen Topos, der noch dazu durch das Mittel der Ironisierung auf Distanz gehalten wird.«↩︎

  32. Dieses Unterkapitel basiert auf und führt Überlegungen weiter, die ich bereits andernorts veröffentlicht habe (vgl. Heimerdinger 2020).↩︎

  33. Datum des Copyrights des Verlags »Csàrdàs« [sic], Budapest, auf der Sheet Music-Ausgabe von Chappell & Co. aus dem Jahr 1936.↩︎

  34. Siehe z. B.: https://www.bbc.co.uk/radio4/today/reports/arts/saddestmusic_vote.shtml. Zugriff am 22. August 2024.↩︎

  35. Ein weiterer Aspekt der Einengung nach Ringel ist die »Einengung zwischenmenschlicher Beziehungen, die sich vor allem in der Vereinsamung ausdrückt« (Willms 1975, 40). Daneben kann man auch einen Bezug zum Gedankenkreisen als depressives Symptom herstellen.↩︎

  36. Bisher konnte ich keine Hinweise auf die musikalische Urheberschaft der neuen Strophe finden.↩︎

  37. Sombre Dimanche (F 1949, Regie: Jacqueline Audry), Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday (D 1999, Regie: Rolf Schübel), siehe zu letzterem Film auch Heimerdinger 2020.↩︎

  38. U. a. in Schindler’s List (USA 1993, Regie: Steven Spielberg; instrumentale Version), Wrist Cutters – A Love Story (USA 2006, Regie: Goran Dukic) oder Babylon Berlin (Serie, D 2017–).↩︎

  39. Bspw. in der Netflix-Serie Tote Mädchen lügen nicht (13 Reasons Why, USA 2017); siehe dazu den Beitrag von Markus Storf et al. im vorliegenden Band.↩︎

  40. Von einem vergleichbaren Sendeverbot berichteten österreichische Medien in Zusammenhang mit Ludwig Hirschs »Komm großer schwarzer Vogel« 🔊, das nach seinem Erscheinen Ende der 1970er-Jahre angeblich vom Sender Ö3 nicht nach 22 Uhr gespielt wurde, weil man befürchtete, dass Zuhörende dadurch zum Suizid angeregt werden könnten (siehe z. B.: https://oe1.orf.at/artikel/681648/Ludwig-Hirsch-Oesterreichs-dunkler-Chansonnier). Ö3 konnte auf meine Nachfrage hin keinen schriftlichen Beleg für diese Behauptung finden (persönliche E-Mail von Diego Kasika/Ö3-Touchpointteam an die Autorin vom 22. September 2020).↩︎

  41. Siehe hierzu Andy R. Browns Artikel im vorliegenden Band.↩︎

  42. Die Notenausgabe ist mit 1946 datiert.↩︎

  43. »Warning. This music may be hazardous to your health. Listeners precaution is advised.« Daneben wird Thomas Lauderdale von der Band Pink Martini zitiert: »I don’t want to go near that song… It’s totally haunted and cursed. I want to live.«↩︎

  44. Siehe hierzu auch Susanne Korns Beitrag im vorliegenden Band (»Mögliche Herausforderungen im aktiven Musikspiel zu Therapiebeginn«).↩︎

  45. Joiner (2005) beschreibt dieses als einen Teilaspekt des Empfindens, für andere eine Last zu sein (»perceived burdensomeness«).↩︎

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Abbildungsverzeichnis

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Abbildung 4: Ernst Stückelberg: Sappho (1897). Kunsthaus Zürich, Vermächtnis August Weidmann, 1929. Sammlung Online. Lizenz: gemeinfrei. Zugriff am 12. Juni 2024. https://collection.kunsthaus.ch/de/collection/item/3784/.

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Abbildung 6: Schwäbisches Volkslied »Mei Mutter mag mi net«. Programmheft des Volksliederkonzerts zum Besten des Hauptvereins »Kinderhort«, Berlin, 24. April 1904, 10. Digitale Sammlungen des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, Archiv des Konzertlebens. Lizenz: BY-NC-SA. https://digital.sim.spk-berlin.de/viewer/image/001922629/10/.

Abbildung 7: Johannes Brahms: Quartett C moll für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell. Berlin: N. Simrock 1875. 1. Satz, T. 1—10. Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck. Lizenz: gemeinfrei.

Abbildung 8: Johannes Brahms: Quartett C moll für Pianoforte, Violine, Bratsche und Violoncell. Berlin: N. Simrock 1875. 4. Satz, T. 271—80. Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck. Lizenz: gemeinfrei.

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