Einleitung

Evelyn Annuß, Ralf von Appen, Sarah Chaker, Silke Felber, Andrea Glauser, Therese Kaufmann, Susanne Lettow


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Annuß, Evelyn, Ralf von Appen, Sarah Chaker, Silke Felber, Andrea Glauser, Therese Kaufmann, and Susanne Lettow, eds. 2024. “Einleitung.” In Populismus Kritisieren. Kunst – Politik – Geschlecht, 11–20. Wien und Bielefeld: mdwPress. https://doi.org/10.1515/9783839474303-002. Cite

Über die Autor*innen

Über die Autor*innen

Evelyn Annuß ist Leiterin des »International Research Center Gender and Performativity« und Professorin für Gender Studies an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Als Theater- und Literaturwissenschaftlerin erhielt sie ihre venia docendi von der Ruhr-Universität Bochum und promovierte an der Universität Erfurt.
Ralf von Appen ist Professor für Theorie und Geschichte der Popularmusik an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und promovierte dort 2007.
Sarah Chaker ist Assistenzprofessorin am Institut für Musiksoziologie der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie studierte Musik in den Massenmedien und Germanistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und promovierte 2012 ebendort im Fach Musik.
Silke Felber ist habilitierte Theater- und Kulturwissenschaftlerin. Sie leitet das Einzelprojekt »Performing Gender in View of the Outbreak« (FWF) an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und hat Fellowships sowie Lehraufträge u.a. an der Freien Universität Berlin.
Andrea Glauser ist Professorin für Kulturwissenschaft am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie studierte Soziologie, Kunstgeschichte, Philosophie und VWL in Bern und New York.
Therese Kaufmann ist Leiterin der Forschungsförderung an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie hat in Wien und London Germanistik, Kunstgeschichte und Cultural Studies studiert.
Susanne Lettow ist Privatdozentin am Institut für Philosophie und leitet den Forschungsbereich am Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin. Sie ist Principal Investigator im Teilprojekt »Eigentum am menschlichen Körper im Kontext transnationaler Reproduktionsökonomien« des SFB/TRR »Strukturwandel des Eigentums«.

Übersicht

Übersicht


Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen prägen seit Jahrzehnten die Politik und sind so gesehen nichts Neues. Neu ist, dass sie seit der Jahrtausendwende zunehmend breiten Zuspruch erfahren und gesellschaftlich resonieren (vgl. z.B. Rooduijn et al. 2019). Hatte die Koalitionsbildung zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zur Jahrtausendwende noch für internationales Entsetzen gesorgt und 14 EU-Regierungen dazu veranlasst, sich von dem österreichischen Regierungsbündnis geschlossen zu distanzieren, so hält sich der Protest über ähnliche politische Konstellationen inzwischen in Grenzen.1 Einher geht dieser Paradigmenwechsel vielerorts mit einem Strukturwandel in Medien und Öffentlichkeit, durch den »etablierte Modi der Veridiktion« (van Dyk 2021, 74), der politischen Gegenrede, erschüttert werden. Zugleich sind neue, ästhetisierte Politikstile entstanden, die wiederum auf bis dato links konnotierte, künstlerisch erprobte Provokationsformen zurückgreifen. Ein Beispiel für solche Provokationsformen ist die Wiener Containeraktion Bitte liebt Österreich – eine Art Big-Brother-Installation, in der Christoph Schlingensief die Internierung und Abschiebung von Asylbewerber:innen simulierte.2 Im Jahr 2000 sorgte diese Aktion, die den öffentlichen Raum in Referenz auf bestehende politische Auseinandersetzungen theatralisierte und in der Schlingensief selbst als maskulinistische Rampensau in Erscheinung trat, noch eindrücklich dafür, dass sich die gesellschaftlichen Verwerfungen auf der Straße handgreiflich manifestierten.3

Rund zwanzig Jahre später nahm die US-amerikanische Gruppe Yes Men vor dem Hintergrund der Konjunktur rechtspopulistischer Strategien, die auf eine Unterminierung der Trennung von Wahrheit und Lüge, Tatsachen und Meinungen (vgl. van Dyk 2021, 70ff.) abzielen, Abstand von ihrem bis dato bewährten Fake-Truth-Artivismus. Berühmt geworden waren Yes Men als Kommunikationsguerilla, die mit performativen Hoaxes die herrschende Repräsentation internationaler Konzerne nachhaltig untergrub. In den 2000er-Jahren etwa hatten sie als vermeintliche Repräsentanten des Konzerns Dow Chemicals, der für das Giftgasunglück im indischen Bhopal 1984 mit bis zu 25.000 Toten verantwortlich ist, im Fernsehen Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe versprochen und damit 20 Jahre nach dieser Katastrophe die Aktienmärkte durcheinandergebracht.4 In dem Moment aber, in dem die Produktion von sogenannten »AltFacts« zur Regierungskunst wurde, stand das kritische Potenzial solcher Aktionen infrage.

Ausgehend von den hier skizzierten politischen Verschiebungen widmet sich unser Band der Analyse von unterschiedlichen, vor allem rechtspopulistischen Strategien und Politiken, die darauf zielen, parlamentarische Kontrollinstitutionen auszuhöhlen, Spielformen repräsentativer Demokratie zu sprengen oder zumindest so zu transformieren, dass sie mit autoritären und radikalen nationalistischen sowie rassistischen Formen des Regierens kompatibel werden. Die Frage nach Ästhetisierungsstrategien, die politische Regularien untergraben, spielt eine wichtige Rolle – ebenso wie die Frage nach dem kulturellen Feld und auch nach Geschlechterdiskursen als spezifischen Aushandlungsterrains. Wie viele Autor:innen des vorliegenden Bandes betonen, steht der »rechtspopulistische Komplex« (zu diesem Begriff vgl. Dietze und Roth 2020)5 dabei keineswegs für eine kohärente Ideologie. Seine politisch-ideologische Stärke resultiert vielmehr daraus, dass es seinen Protagonist:innen gelingt, Disparates zusammenzubringen und die jeweils aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen – man denke an die Proteste im Kontext von COVID-19 – so zu instrumentalisieren, dass dadurch das Projekt einer gesellschaftlichen und politischen Rechtswende gestärkt wird.

Um die spezifische Dynamik dieses Populismus zu verstehen, gilt es auch zu berücksichtigen, dass er »zu einer Konstellation rechter, neofaschistischer, neonazistischer oder autoritär-konservativer Kräfte, Strategien und Weltbilder« (Book et al. 2020) gehört. Innerhalb der genannten Konstellation positionieren sich rechtspopulistische Akteur:innen sehr unterschiedlich, bilden differente und wechselnde Allianzen und Gegner:innenschaften aus. Vor diesem Hintergrund zielt Populismus kritisieren nicht darauf ab, »den« Rechtspopulismus zu erfassen oder den vielfältigen Begriffsbestimmungen innerhalb des Populismusdiskurses eine weitere hinzuzufügen. Vielmehr fragen wir danach, welche Erscheinungsformen rechtspopulistischer Politik es im kulturellen Feld gibt, wie postdemokratische Mobilisierungen von rechts funktionieren und wie und warum gerade Geschlechterfragen in deren Zentrum stehen. Mit Blick auf die potenzielle Rückgewinnung von kritischen Strategien und Impulsen im Sinne radikaldemokratischer und emanzipatorischer Politiken6 werden zudem aktuelle Politisierungen des öffentlichen Raums durch Auftrittsformen an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus untersucht, die mit den gängigen Vorstellungen von rechts-identitärem Populismus nichts gemein haben bzw. sich diesen aktiv widersetzen. Dies schließt auch die Referenz auf Perspektiven eines möglichen Linkspopulismus mit ein.

Die hier versammelten Beiträge gehen aus einer interdisziplinären Veranstaltungsreihe hervor, die ab dem Wintersemester 2020/21 bis zum Wintersemester 2023/24 von der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien in Kooperation mit dem Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der Freien Universität Berlin realisiert wurde. Ein wichtiger Ausgangspunkt war der Befund, dass die Populismusforschung bislang vor allem von den Politik- und Sozialwissenschaften bestimmt ist. Daraus ergab sich für uns das Anliegen, diese verstärkt mit geistes- und kulturwissenschaftlichen Perspektiven zusammenzuführen. In Anbetracht der zentralen Bedeutung von kulturellen Politiken und ästhetischen bzw. ästhetisierenden Praktiken für das Feld des Rechtspopulismus ist es aus unserer Perspektive sowohl in wissenschaftlicher als auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht notwendig, die Schnittstelle zu Kultur, Ästhetik und künstlerischen Praktiken – u.a. populärkulturelle Phänomene in der Musik – in den Blick zu nehmen. Kulturkämpferische Rhetorik von rechts, Angriffe auf kulturelle Freiheit und Herabwürdigung, Störung, Skandalisierung von künstlerischen Produktionen und kulturellen Einrichtungen sind Teil des rechtspopulistischen Instrumentariums. Gleichzeitig ist gerade Kulturpolitik der Ort der Aushandlung darüber, wie und ob Publika die reale gesellschaftliche Zusammensetzung repräsentieren. Vor dem Hintergrund der zentralen Rolle, die Geschlechterpolitiken in der Auseinandersetzung um Populismus einnehmen, haben wir zudem einen Fokus auf die aktuellen Forschungen zu dieser Problematik gelegt. Denn Geschlecht, Familie und Sexualität haben sich in der Tat zu Kristallisationspunkten der Auseinandersetzung um populistische Politiken entwickelt (vgl. exemplarisch bereits Dietze und Roth 2020). So zeichnen sich zwei einander berührende Schwerpunkte dieses Bandes ab, die über viele derzeit gängige Ansätze der Populismusforschung hinausweisen: Zum einen ist dies die Akzentuierung von Ästhetik, Kunst und Kulturpolitik, zum anderen die Analyse von – zunächst oft widersprüchlich erscheinenden – Sexualitäts- und Geschlechterpolitiken.

In vier Abschnitten geht dieser Band der Kritik des Populismus in seinen mannigfaltigen, auch widersprüchlichen, Ausformungen nach. Der erste Abschnitt, Begriffliche Reflexionen, verfolgt zunächst eine einführende Diskussion des bereits vielfach kritisierten Populismusbegriffs: (1) mit Blick auf das jeweils zugrunde liegende Verständnis von populus/Volk, das als demos/Volk im Begriff der Demokratie ebenfalls aufgerufen wird, (2) bezogen auf die vermeintliche Gleichsetzung von Links- und Rechtspopulismus und (3) hinsichtlich des Verhältnisses von Populismus und Antipopulismus. »Populismus kritisieren« bezieht sich auf zwei unterschiedliche Akzentuierungen – einerseits auf die Kritik an den Bedingungen rechtspopulistisch begriffener Entwicklungen und andererseits auf die Frage nach möglichen linken, emanzipatorisch-inklusiven kulturpolitischen Mobilisierungen, die Verteidigung minoritärer Positionen sowie die Eröffnung von Möglichkeiten für widerständiges politisches Handeln. Entsprechend ist dieser Band keineswegs einstimmig. Vielmehr lotet er unterschiedliche Argumentationen aus und fordert so zur Diskussion heraus.

In ihrem einleitenden Beitrag Populismus und Kritik geht Evelyn Annuß dem Populismusbegriff, dessen funktionalisierendem Gebrauch und seiner Kritik nach und befragt, inwiefern die Populismuskonjunktur in Politik und Wissenschaft symptomatisch für den gegenwärtigen gesellschaftlichen und medialen Wandel ist. Anhand der Anti-Genderismus-Kritik diskutiert sie exemplarisch die Fallstricke des Populismusdiskurses und stellt dem Laclau’schen »leeren Signifikanten« des Volkes und damit der Figuration eines potenziell gegenhegemonialen Wir die offene Figur der tout-monde aus der Kreolisierungsforschung entgegen. Im Rekurs auf Ernesto Laclau und Gayatri Chakravorty Spivak argumentiert hingegen Monika Mokre im daran anschließenden Beitrag Leere Signifikanten und kulturpolitische Herausforderungen dafür, strategische Essenzialismen für die Analyse von konkreten Politiken im Feld der Kulturpolitik zu nutzen. Dabei geht sie von einem weit gefassten und gerade nicht auf rechte Strategien beschränkten Populismusbegriff aus. Sie votiert also für die Möglichkeit inklusiver populistischer Diskursformen. Anhand entsprechender Auseinandersetzungen im kulturellen Feld verdeutlicht sie die Relevanz von künstlerischen und kulturpolitischen Beiträgen zu demokratischen Aushandlungsprozessen. Auch Drehli Robniks Beitrag Demokratiekritik des Populismus <–> Politiktheorie des Films befragt den zeitgenössischen Populismusdiskurs. Im Rückgriff auf Laclaus Konzept der »elevation« (Laclau 2005) untersucht er anhand von Jordan Peales Black Horror Movie Us (2019) die filmische Reflexion dieses Diskurses durch die Doppelgänger-Figur eines bis dato inexistent erscheinenden, unter der Erdoberfläche hausenden Volkes, das nun im Feld der Sichtbarkeit gewaltförmig Hegemonie zu gewinnen versucht.

Die Beiträge im zweiten Abschnitt dieses Buchs, Popkulturelle Artikulationen, sind im Rahmen des von der VW-Stiftung geförderten Projektes »Popular Music and the Rise of Populism in Europe« entstanden, in dem die Rolle populärer Musik in populistischen Bewegungen in Österreich, Deutschland, Schweden, Ungarn und Italien vergleichend untersucht werden, wobei die Geschlechterdimension popmusikalischer Inszenierungsformen auf je verschiedene Weise akzentuiert wird.

André Doehring und Kai Ginkel untersuchen am Beispiel von Andreas Gabaliers Song »Hulapalu« (2015) die Rolle von Musik im Wahlkampf der FPÖ. Dabei zeigen sie, dass politische Effekte bei FPÖ-nahen Bands meist nicht oder nicht in erster Linie von den Songtexten ausgehen, da Politik in diesen keine erkennbare Rolle spielt. Vielmehr ergeben sich Wirkungen und Bedeutungszuschreibungen auf subtile Weise aus dem Zusammenspiel der vom Interpreten verkörperten Persona als »Naturbursche« oder »VolksRock’n’Roller«, Affordanzen der Musik und einem spezifischen materiellen Setting wie etwa dem Bierzelt. Mario Dunkel und Reinhard Kopanski warnen in ihrem Beitrag davor, jegliche Form von Populismus pauschalisierend als eine politische Bedrohung zu sehen und plädieren ihrerseits für eine differenzierte Betrachtung. Im Musikvideo zu »Der Osten rockt« (2015) von der Band Goitzsche Front erkennen die Autoren eine mit populistischen Mitteln operierende Kritik an hegemonialen Strukturen aus einer dezidiert ostdeutschen Underdog-Perspektive. Mit dem pauschalen Populismus-Vorwurf würde, so die Autoren, diese mitunter berechtigte Kritik leicht übersehen und die Band zu Unrecht in eine Ecke mit der rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) gestellt. Selbstkritisch reflektieren und hinterfragen sie dabei ihre eigene Rolle im Forschungsprozess. Am Beispiel des ungarischen Rockstars Ákos, dessen Praktiken und Inszenierungsstrategien Emília Barna und Ágnes Patakfalvi-Czirják in ihrem Beitrag untersuchen, wird deutlich, dass der Populismus der Fidesz-Regierung gerade nicht auf sozial Benachteiligte zielt, sondern auf die Stärkung einer bürgerlichen, streng konservativen und nationalistischen Mittelklasse, die sich als bedroht und unterdrückt inszeniert, obwohl sie eine (männlich‑)hegemoniale Position innehat. Deren Werten entspricht die Inszenierung und das öffentliche Bild des Orbán-nahen Ákos, der sich mit poetischen Songtexten und Sinfonieorchester-Kooperationen bemüht, nicht »bloß« als gesellschaftskritischer Rockmusiker, sondern zugleich als gebildete Künstlerpersönlichkeit wahrgenommen zu werden.

Der dritte Abschnitt, Postdemokratische Mobilisierungen, fokussiert die geschlechter- und sexualitätspolitischen Dimensionen rechtspopulistischer Politiken. Birgit Sauers Beitrag Autoritärer Rechtspopulismus und maskulinistische Identitätspolitik widmet sich den politischen Kommunikationsstrategien autoritärer rechter Parteien, insbesondere der deutschen AfD und der österreichischen FPÖ. Deren Popularität erklärt Sauer mit Verweis auf die Verwerfungen neoliberaler Vergesellschaftung. Als Antwort auf die damit verbundenen Veränderungen der Geschlechterregime diene rechtspopulistischen Parteien das Diskursangebot maskulinistischer, selbstaffirmativer Identitätspolitik. Der Beitrag von Julia Roth über Gender als Affektbrücke und Arena: Rechtspopulistische Muster der Vergeschlechtlichung erweitert die an anderer Stelle bereits skizzierten Überlegungen zum »rechtspopulistischen Komplex« (Dietze und Roth 2020) um affektpolitische Aspekte. Dabei problematisiert Roth auch rechts-feministische, anti-migrantische Positionen, die sie als femonationalistisch und okzidentalistisch bezeichnet. Hieran knüpft Gabriele Dietzes Beitrag Feminität als politisches Kapital – rechtspopulistische Modelle an. Am Beispiel der sogenannten »Tradwives«, die eine retrotopische Form von Familienweiblichkeit propagieren und durch diese Inszenierung zu Führungsfiguren der neuen Rechten avanciert sind, geht der Beitrag in komparativ-kulturwissenschaftlicher Perspektive auf den Globalen Norden der traditionalistisch feminisierten Kehrseite maskulinistischer Identitätspolitiken ein. Dietze zufolge sind diese rechten Geschlechterinszenierungen sowohl Ausdruck einer emancipation fatigue als auch Mimikry feministischer Politik, die hier zum Einfallstor für homophobe und rassistische Familienpolitiken wird. Die politische Inszenierung von Feminität spielt dabei für rechtspopulistische Politiken deshalb eine zentrale Rolle, weil dadurch deren Gewaltförmigkeit verdeckt wird. Den Widersprüchen rechtspopulistischer Geschlechterpolitiken ist auch der Text Paradoxien rechter sexueller Politiken in Frankreich. Populismus oder Opportunismus? von Cornelia Möser gewidmet. Am Beispiel Frankreichs faltet er das breite Spektrum dieser Politiken sowohl im Hinblick auf politische Organisationsformen als auch auf unterschiedliche Politikstile auf und verdeutlicht, wie die Rechte zugleich vom Rekurs auf femonationalistische Positionen als auch von antifeministischen Invektiven profitiert. Mit Blick auf die Diversität der französischen Rechten und die Überlappungen von rechten und rechts-konservativen Positionen fragt Möser zudem danach, welcher Erklärungswert dem Populismusbegriff in diesem Kontext zukommt. Silke Felber problematisiert in ihrem Beitrag (S)Caring Masculinities? Politische Männlichkeiten im Kontext von COVID-19 ebenfalls den Populismusbegriff, allerdings liegt ihr Fokus auf der Entdifferenzierung zwischen linken und rechten Positionen. Ausgehend von der spezifischen Choreografie des Erscheinens, der die Lockdown-Auftritte von Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterlagen, untersucht Felber vergeschlechtlichte affektmobilisierende Inszenierungen von Sorge angesichts des Ausnahmezustands und richtet dabei den Blick auch auf weibliche Entwürfe von Führungspositionen.

Der vierte Abschnitt, Artivistische Politisierungen, schlägt die Brücke zurück zu künstlerischen und kulturpolitischen Fragen. Hier stehen emanzipatorische Gegenpositionen zu den herrschenden »Regierungskünsten« (Foucault 2010) an der Schnittstelle zwischen performativer Kunst und Aktivismus im Zentrum. Rachel Mader zeichnet in ihrem Beitrag, der (visuelle) Strategien für einen linken Populismus auslotet, aktivistische Interventionen an der Schnittstelle zur Kunst nach, die ihr zufolge als linkspopulistisch gedeutet werden können. Aktionen des Künstler:innenkollektivs Zentrum für Politische Schönheit und von Black Lives Matter zusammenlesend, geht sie der Frage nach komplementären performativen Erinnerungspolitiken nach – zum einen mit Blick auf inszenierte Begräbnisse für die Opfer der europäischen Grenzpolitik (Zentrum für Politische Schönheit), zum anderen hinsichtlich des dekolonialen Ikonoklasmus (Black Lives Matter). Diese werden von Mader als performative Ausformungen der Parrhesia im Sinne des Widerstreits gegen rechtspopulistische Exklusionsrhetoriken gelesen. Julia Stenzels Beitrag Demagogik und Figuration. Szenologien einer feministischen Revolution öffnet schließlich die Diskussion um die Kritik am Populismusbegriff sowie um das Verständnis und die Rolle des Volks als demos der Demokratie mit Blick auf die Inszenierungen der feministischen Revolte im Iran. Der Demagogie, hier als Synonym des Populismus bestimmt, setzt Stenzel ein inklusives, auf fortgesetzter Signifikation basierendes Modell politischen In-Erscheinung-Tretens – der Demagogik – entgegen. Mit Nitzan Lebovics auf die Unterwanderung demokratischer Institutionen in den USA und Israel ausgerichtetem, nach Redaktionsschluss stattfindendem Beitrag hat unsere Reihe eine weitere geopolitische Redimensionierung erfahren und die Auseinandersetzungen mit Populismus für zukünftige Fragen nach Komplizität im Kontext illiberaler Politikentwicklungen geöffnet.

Endnoten


  1. Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), etwa erklärte das Bündnis der italienischen Christdemokratischen Partei mit Giorgia Melonis Fratelli d’Italia (Brüder Italiens – FdI) gar zum Erfolgsmodell für die bürgerliche Rechte (vgl. Becker et al. 2023).↩︎

  2. Zu Schlingensiefs Container-Aktion vgl. Lilienthal und Philipp 2000; mit Blick auf die affektpolitische Dimension und der Historisierung populistischer Politiken vgl. Annuß 2019; zur Theatralisierung der Öffentlichkeit Balme 2015.↩︎

  3. Siehe Paul Poets Film Ausländer raus! Schlingensiefs Container (2002).↩︎

  4. Ein Überblick über die Aktionen der Yes Men findet sich auf ihrer Website: https://theyesmen.org/. Siehe allerdings auch die aktuelle Aktion der Yes Men gegen die Ausbeutung kambodschanischer Arbeiter:innen durch Adidas während der Berlin Fashion Week (Oltermann 2023). Zur Geschichte performativer Hoaxes vgl. Niehoff 2017.↩︎

  5. Siehe auch Roth in diesem Band.↩︎

  6. Zur Aktualisierung des Begriffs der Emanzipation vgl. Lettow 2019:, sowie insgesamt Demirović, Lettow, Maihofer, 2019..↩︎

Literatur

Annuß, Evelyn. 2019. Volksschule des Theaters. Nationalsozialistische Massenspiele. Paderborn: Fink.

Balme, Christopher. 2014. The Theatrical Public Sphere. Cambridge: Cambridge University Press.

Becker, Martin, Veit Medick, und Serafin Reiber. 2023. »Empörung über Manfred Webers Flirt mit Italiens Rechten.«. Der Spiegel, 13.05.2023. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-csu-empoerung-ueber-manfred-webers-flirt-mit-italiens-rechten-a-f2006110-3e4e-4fae-800b-3fd27a64629b.

Book, Carina, Nikolai Huke, Norma Tiedemann, Olaf Tietje. 2020. »Konservative Mobilmachung. Liberale Demokratie als fragile Herrschaftsordnung und der Aufstieg des autoritären Populismus.« In Autoritärer Populismus, herausgegeben von Carina Book, Nikolai Huke, Norma Tiedemann, Olaf Tietje, 8-27. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Demirović, Alex, Susanne Lettow und Andrea Maihofer, Hg. 2019. Emanzipation. Zur Geschichte und Aktualität eines politischen Begriffs. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Demirović, Alex. 2020. »Einleitung: Globaler Autoritarismus – Überlegungen und Fragen.« In Autoritärer Populismus, herausgegeben von Carina Book, Nikolai Huke, Norma Tiedemann, Olaf Tietje, 28-29. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Dietze, Gabriele und Roth, Julia, Hg. 2020. Right-Wing Populism and Gender. European Perspectives and Beyond. Bielefeld: transcript.

Foucault, Michel. 2010. Kritik des Regierens. Berlin: Suhrkamp.

Laclau, Ernesto. 2005. On Populist Reason. London/New York: Verso.

Lettow, Susanne. 2019. »Subjektivität, Herrschaft und Zeit. Dimensionen eines feministischen Begriffs der Emanzipation.« In Emanzipation. Zur Geschichte und Aktualität eines politischen Begriffs, herausgegeben von Alex Demirović, Susanne Lettow und Andrea Maihofer, 156-174. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Lilienthal, Matthias und Claus Philipp, Hg. 2000. Schlingensiefs Ausländer raus! Bitte liebt Österreich. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Möller, Kolja, Hg. 2022. Populismus. Ein Reader. Berlin: Suhrkamp.

Niehoff, Simone. 2017. »Theatrale Interventionen: Subversiv-mimetische Dramaturgien und agonale Öffentlichkeiten.« Dissertation, LMU München: Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften.

Oltermann, Philip. 2023. »Berlin fashion spoof causes chaos as Adidas denies involvement.« The Guardian, 16.1.2023. Stand: 18.01.2024. https://www.theguardian.com/fashion/2023/jan/16/berlin-fashion-spoof-causes-chaos-as-adidas-denies-involvement.

Rooduijn, Matthijs, Stijn van Kessel, Caterina Froio, Andrea Pirro, Sarah De Lange, Daphne Halikiopoulou, Paul Lewis, Cas Mudde und Paul Taggart. 2019. The PopuList: An Overview of Populist, Far Right, Far Left and Eurosceptic Parties in Europe. Stand: 18.01.2024. https://www.popu-list.org.

Spivak, Gayatri Chakravorty. 2008. Can the Subaltern Speak. Postkolonialität und subalterne Artikulation. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl. Aus dem Englischen von Alexander Joskowicz und Stefan Nowotny. Wien: Turia + Kant.

Van Dyk, Silke. 2021. »Die Krise der Faktizität und die Zukunft der Demokratie.« In Leviathan 37 (49): 68-90.