Szenologien einer feministischen Revolution1
Julia Stenzel
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Abstract
Abstract
This article explores the dynamics of the recent feminist revolt in Iran, which erupted after Jina Mahsa Amini died in custody in September 2022. Amini was arrested for not wearing her headscarf appropriately, and her death led to protests throughout the country. The movement has quickly expanded to multiple marginalised groups, demanding freedom and an end to social, gender, and ethnicity-based apartheid under the Kurdish motto »Jin Jiyan Azadî«. The argument focuses on bodily and figurative practices of public appearance and proposes a scenological model of political re-appropriation. The ancient Greek concept of ›demagogics‹ helps grasp the dynamics of figurations between exemplariness and representation. Analysing two exemplary scenes shows how demagogic figurations of protest establish a material and sceno-logic that enables figurations to be evoked anew and continued. One of these is a transformative actualisation of gisuboran (گیسوبران), an ancient Iranian mourning ritual that includes women cutting their hair. The article argues that the feminist revolution in Iran functions primarily through images and figures of emergence, which, following a metonymic aesthetic, spread through practices of repetition. Thus, the article contributes to understanding the current revolt in Iran and provides a new perspective on figuration in political action and democratic communication.
Über die Autorin
Über die Autorin
Julia Stenzel was awarded the Heisenberg fellowship of the German Research Foundation in 2023. She was a junior professor of theatre at the University of Mainz (2012-23), a visiting professor of religion at the University of Bonn (2019) and of theatre at LMU Munich (2021/22) after completing her doctorate (2007) and habilitation (2017). Julia is an alumna of the Young College of the Bavarian Academy of Sciences. Publications: »Agora abbauen: Theater als metökische Konstellation,« FMT 34.1 (2023), 127-141. Politics of the Oberammergau Passion Play, with Jan Mohr, Routledge 2023; »The Ways of Things: Mobilizing Charismatic Objects,« with Jan Mohr, Religions 2022; 13(1):71.
Übersicht
Übersicht
1. Revolution und Demagogie
Im September 2022 wurde in Teheran eine junge kurdische Frau festgenommen, weil sie das vom Regime der Islamischen Republik Iran vorgeschriebene Kopftuch nicht in angemessener Weise trug; so zumindest die offizielle Begründung. Jina Mahsa Amini kam in Gewahrsam der Gascht-e Erschād (گشت ارشاد), der ›Sittenpolizei‹, ums Leben; und die Umstände lassen kaum daran zweifeln, dass ihr Tod ein gewaltsamer war, dass Amini ermordet wurde (Ghoreishi 2022). Dieses Ereignis war der Auslöser einer feministischen revolutionären Bewegung im Iran, die unter der kurdischen Formel Jin Jiyan Azadî (ژن ژیان ئازادی – Frau, Leben, Freiheit) und ihrer Übersetzung ins Persische (زن زندگی آزادی – Zan Zendegi Azadi) scheinbar über Nacht zu einer inklusiven Bewegung der vielfach Marginalisierten wurde, der Frauen, LGBTIQ+-Personen, ethnischen Minderheiten, Studierenden und Künstler*innen, Arbeiter*innen, Jugendlichen und Armen, zur Bewegung der heterogenen Bevölkerung eines Landes, die nicht repräsentiert ist im Sprechen und Handeln seiner politischen Eliten.2
Die Ereignisse sind schwer zu fassen. Sie sind gekennzeichnet durch das Sichtbarwerden marginalisierter Körper, die ihr Recht zu erscheinen im Vollzug einfordern; aber auch durch die Dissemination ikonischer Bilder über Social Media, etwa über die bildbasierte Plattform Instagram. Durch die transformative Aneignung von Gesten des Protests – das Ablegen des Kopftuchs in der Öffentlichkeit ist nur eine davon; denn die aktuelle Revolte steht vor dem Hintergrund einer langen Reihe von Formen des Aufbegehrens und des zivilen Ungehorsams seit der Absetzung des autokratischen Pahlavi-Regimes 1979, die insbesondere von weiblich gelesenen Menschen, von nicht-persischen Iraner*innen, von Studierenden und aktivistischen Künstler*innen mitgetragen oder initiiert wurden (vgl. Tabrizi 2023 sowie Iran Journal 2022).3 Dennoch beschreiben iranische Beobachter*innen der ersten Stunde vor allem auch die zentralen Unterschiede zwischen früheren Protestbewegungen und der gegenwärtigen, immer wieder so genannten »Jina-Revolution« (ژینا انقلاب): In den aktuellen Protesten kommen partikulare und punktuelle Interessen im Ruf nach Jin* Jiyan Azadî zusammen zur umfassenden Forderung nach einem Regimewechsel. Es geht um Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und das Ende von Apartheidpolitik – sei sie gender- oder ethnizitätsbasiert. Aber es geht auch um ein Ende von Korruption und Misswirtschaft, von sozialer Ungleichheit und Armut. Und nicht zuletzt um die Freiheit zur Sichtbarkeit und die, den öffentlichen Raum für private Lebensäußerungen zu nutzen: öffentlich Musik zu hören, zu tanzen oder zu feiern.4
Diese Konstellation ließe sich auf den ersten Blick mit Ernesto Laclau populistisch nennen: Im Sinne einer Verkettung von »popular demands« (Laclau 2005, 74), für deren Äquivalenz Jin* Jiyan Azadî zu stehen kommt. Doch wenngleich sich die aktuelle Revolte durch eine Akkumulation von partikularen Forderungen auszeichnet, scheinen die revolutionären Proteste im Iran doch in einigen signifikanten Punkten in diesem Modell nur unzureichend beschrieben. So zeichnete sich die Revolte, gerade in ihren ersten Monaten, dadurch aus, dass sie auf radikale Pluralität setzte. Das populistische Moment liegt Laclau zufolge in der »consolidation of the equivalential chain through the construction of a popular identity which is something qualitatively more than the simple summation of the equivalential links« (Laclau 2005, 77). Gerade einer solchen Konsolidierung verweigert sich – zunächst – die Revolte im Iran. Sie zeichnet sich vielmehr durch eine konstitutive Pluralität aus. Der gemeinsame Ruf Jin Jiyan Azadî etwa gibt seine Partikularität (als Ruf der kurdischen Freiheitskämpfer*innen) nicht nur nicht auf, er wird auch nicht zum leeren Signifikanten, sondern er ist der Ort fortgesetzter Signifikation: Etwa, wenn er ins Farsi übersetzt und diese Übersetzung Ausgangspunkt einer vielerorts ausgetragenen Debatte wird; wenn Jin*/Zan* mit einem Asterisk versehen wird.
Die globale Forderung nach einer Öffentlichkeit für alle, im Sinne konkreter materialer Räume mit inklusiver Topologie, stabilisierte sich über die Etablierung von Figuren des Hervortretens und Sichtbarwerdens, über körperliche Praxen von variierender Wiederholung und die Distribution dieser Figuren über Social Media. Bereits wenige Wochen nach dem Beginn der Proteste veröffentlichte eine unter der Chiffre L firmierende Person aus dem Iran einen Artikel zur Figuralität der Revolution, der von hervorragender Kenntnis feministischer Theorie ebenso zeugt wie von der persönlichen Involviertheit der Autorin als aktiv Teilhabender: L beschreibt die Figuralität der Revolution als ein Begehren, Figur zu werden, das nicht mit einem Begehren zu führen zur Deckung kommt (Harasswatch 2022).
Die folgenden Überlegungen lassen sich von der Idee der Figuralität anregen, die L etabliert hat und die in den letzten Monaten bereits vielfach aufgegriffen und weitergedacht wurde. Ich entwickle dabei ein basales topo- und szenologisches Modell von politischer Teilhabe als Sichzeigen‑, Hervortreten- und (öffentlich) Sprechenkönnen, das ich als Demagogik fasse (Vgl. Stenzel 2021; Stenzel 2023). So denke ich einen Begriff von Demagogie weiter, der auf eine der folgenreichen okzidentalistischen Ursprungserzählungen verweist – die der attischen Demokratie, ihrer Konstrukteure und ihrer Feinde. Ich rufe damit ein Modell des Erscheinungsraums und der Sprech-Stelle auf, wie es vielfach, besonders prominent und konsistent von Hannah Arendt, von der Agora der attischen Polis her gedacht worden ist. Damit plädiere ich mitnichten für eine Fortschreibung dieser Erzählung; stattdessen mache ich mir ihre dekonstruktive Lektüre zur Aufgabe: Ausgehend von der gut belegbaren These, dass Demagogie kein Verfallsmoment, sondern ein Mechanismus der funktionierenden attischen Demokratie war, setze ich hier an, um die Ein- und Ausschließungsmechanismen der Diskursgeschichte von Demokratie offenzulegen. Mein Interesse liegt dabei nicht etwa in der Übersetzung eines Konzepts der Figuration in ein anderes, gar in seiner hegemonialen Überschreibung. Vielmehr soll der vorgeschlagene Begriff es erlauben, die Diachronie der Figurationen zu beschreiben, insbesondere ihre Position zwischen Exemplarizität und Repräsentation.
Denkt man an die militant-pastorale Rhetorik der klerikalen Führer im Iran, die für eine national-religiöse Kultur zu sprechen und diese vor westlichem Paternalismus zu schützen vorgeben, selbst aber mit äußerster Brutalität gegen das beschworene Volk vorgehen, scheint hier geradezu idealtypisch verkörpert, was schon in der antiken Staatstheorie unter dem Begriff Demagogie ansprechbar war. Der Demagoge als Verführer des Demos, der sich zu dessen Führer aufschwingt, um seine Individualinteressen durchzusetzen. Ayatollah Ruhollah Khomeini, ein islamistischer Kleon also? Einer, der den Demos in der Wahl nach der Revolution von 1978/79 für sich einnimmt, sie als islamisch deklariert, den Demos dann stillstellt und entmündigt (Keshavarzian und Mirsepassi 2021)? Demagogie ist schon in der Antike ein bestechend unklarer Begriff, der rhetorische Brillanz ebenso bezeichnen kann wie plumpe Phrasendrescherei, interesselose Beratung des Demos ebenso wie dessen strategische Beeinflussung. Jedenfalls steht Demagogie in enger Verbindung zu den Transformationen demokratischer Herrschaft seit der attischen Polis, und mit Demokratie teilt sie denn auch das Determinans Demos. Das Potential eines Modells von Demagogie wäre verschenkt, reduzierte man es auf eine Chiffre für autoritäre Regimepraxen. Denn Demagogie meint zunächst das Prinzip eines Hervortretens und Sprechens des Einen für die Vielen des Demos.5
Im Sinne der differenzierenden Abgrenzung ist daher hier von Demagogik die Rede, wenn es nicht um die Etablierung von Führerschaft geht. So sollen Formen des Hervortretens und Exemplarischwerdens benennbar werden, die Repräsentieren, Führen und Entscheiden figurieren, ohne dass die Hervortretenden notwendig zu Repräsentant*innen, Führenden, Entscheidenden werden. Momente von Demagogik als Momente des Hervortretens einzelner aus der Menge, für die sie exemplarisch stehen, sind grundlegend für demokratische Kommunikation überhaupt. Ausgehend von dieser Annahme sollen Prozesse, Praktiken und Taktiken beschreibbar werden, die hinter Demagog*innen als personalen Interfaces operieren, durchaus aber auch ohne sie auskommen, also im Stadium der nichtpersonalen Figuration verbleiben können. Das Konzept der Demagogik erlaubt es, die Kipp-Punkte zu beschreiben, an denen Figuration sich verstetigt und Führungsfiguren – Demagog*innen – hervorbringt.
Zur Argumentation im Weiteren: Ich skizziere zunächst zwei Szenen des Hervortretens, die Dinge, die Bilder, die Performanzen und die Geschichten, die sie hervorbringen (II): Die erste geht auf das Jahr 2017 zurück und ikonisiert den Akt des unveiling; sie verbreitete sich mit dem Hashtag #GirlsofRevolutionStreet (دختران خیابان انقلاب, Töchter – oder Mädchen – des Ghiaban Enqhelab) auf bildzentrierten sozialen Plattformen wie Instagram. Unter anderem von der Initiative Iranian Women of Graphic Design wurde sie in eine spezifische Ästhetik des Protests überführt, die mit dem Hashtag #iranianwomenofgraphicdesign viral ging (Hemingway 2022). Die zweite Szene – und auf ihr liegt mein Schwerpunkt – präsentiert sich als transformative Aktualisierung einer protestförmigen Trauerpraxis, die schon vor der Islamisierung auf dem Gebiet des heutigen Iran bekannt war und auch nicht ausschließlich persisch ist: Gisuborān (گیسوبران), wörtlich zu übersetzen als Haareschneiden, ist Teil eines Klagerituals,6 von dem bereits das persische Versepos Shanahmeh (شاهنامه – Buch der Könige) berichtet, das aber als körperlicher Vollzug von Klage und Trauer nicht nur persischen Ursprungs ist.
Sodann ist Demagogie begriffshistorisch und szenologisch einzuordnen (III). Die gewissermaßen dekonstruktive, einen Gründungsort der Moderne abbauende Lektüre von Demagogie versteht sich auch als Strategie der Des-Orientierung und Dezentrierung. Demagogik, das ist zu zeigen, kann systemstabilisierend, aber auch dynamisierend wirken. So generiert sie figurale Abbreviaturen für komplexe Gefüge, macht diese ansichtig, ansprechbar und kommunikabel. Sie folgt einer szenischen Logik, erzeugt neben der figurativen auch eine Ästhetik von Dingen, die in die Lage versetzen, die Figuration zu evozieren und fortzuführen. Hier hat denn auch die Abgrenzung von Demagogik und einem formalen Konzept von Populismus seinen Platz, wie es etwa Ernesto Laclau entwickelt hat: Während für ein solches Konzept die Idee der Äquivalenzkette und des leeren Signifikanten zentral ist, will Demagogik gerade solche Kollektivierungen partikularer Interessen beschreibbar machen, die, diesseits der Äquivalenz, auf radikale Diskontinuität setzen und deren Figuren als offene Signifikanten Narrative akkumulieren.
Sodann möchte ich die Produktivität des Modells erweisen (IV): Die Auftrittsweisen, die sich derzeit im Iran beobachten lassen, verkörpern eine Form von Revolution, die auch kritisch-besorgte Stimmen auf den Plan ruft: Es gebe keine politische Strategie hinter den Protesten, keine Führungsfiguren, keine potentiellen Nachfolger*innen des Regimes. Tatsächlich macht es dem Regime gerade die selbstorganisierende, distribuierte, rhizomatische Dynamik der Bewegung so schwer, Kontrolle auszuüben. Die Revolution funktioniert in erster Linie über Bilder des Hervortretens und deren Zeichen, die sich, einer metonymischen Ästhetik folgend, über Praxen der Wiederholung verbreiten. Dabei nehmen sie partikulare Narrative in ihr Interesse auf, generieren ihre eigene Historiografie, ihre Traditionen, ihre Bildarchive – aber auch ihre Zukünfte und Utopien des Zusammenlebens. Diese abstrakten Forderungen werden visibilisiert in den von mir so genannten demagogischen Figurationen des Protests, in Praktiken von Demagogik.
Abschließend frage ich nach dem Mehrwert der heuristischen Verkopplung einer feministischen Revolution im Iran und der Herausbildung repräsentationaler Prinzipien in der attischen Polis (V). Wenn ich die spezifischen Formen der Figuration, die sich hier beobachten lassen, als Demagogik bezeichne, so frage ich damit auch nach dem Ausgeschlossenen jener Vorstellungen von Demokratie, die sich auf die attische Polis als ihre Urszene beziehen, und auf deren Erscheinungsräume, die freie und gleiche Rede nur für die freien und gleichen Politai zulässt, die zum Agoreuein, zum Miteinander‑, Zueinander- und Füreinandersprechen auf der Agora, zugelassen sind.
2. Figurwerden
Erste Szene: Eine Person in dunkler Kleidung steht auf einem Stromkasten am Ghiaban Enqelab-e Islami (خیابان انقلاب اسلامی – Straße der Islamischen Revolution), einer der Hauptverkehrsadern Teherans. In der rechten Hand hält sie einen Stock, an dem ein weißes Kopftuch befestigt ist. Die junge Frau – Vida Movahed – steht dort eine knappe Stunde, wird immer wieder von Passant*innen angesprochen, bis sie von Beamten der Gascht-e Erschād festgenommen wird.7 Die Aktion fand am 27. Dezember 2017 statt und die Proteste, die sie initiierte, waren weder die ersten noch die einzigen, die der aktuellen Revolte vorausgehen. Movahed griff in ihr eine Handlung auf, die bereits seit einiger Zeit kursierte: Frauen nahmen im öffentlichen Raum ihr Kopftuch ab und filmten sich dabei, die Clips stellten sie ins Internet.8 Knapp fünf Jahre später, in einem am 5. Oktober 2022 online veröffentlichten Essay, beschreibt die bereits genannte anonyme Autorin L das Bild der Frau auf dem Stromkasten als eine Figurwerdung der Revolution:
Vida Movahhed became the dense figure of all the videos before her that women had uploaded of walking without hijab. […] Vida Movahhed, that unknown woman, was not Vida Movahhed but a picture of a revolutionary figure. The figure of all the women before her and a stimulus for women’s figures after her (L 2022).9
Die Aktion findet seit 2017 Nachahmer*innen, doch seit dem Mord an Jina Mahsa Amini sind es unzählige. Überall, zunächst in Teheran, dann im gesamten Iran, steigen Frauen* auf Stromkästen, Parkbänke, Treppen, Mauern, Autos und halten weiße Tücher in die Höhe, schweigend die meisten, bis sie festgenommen werden. L beschreibt die Relation von Figuration und Fotografie, Roland Barthes’ Konzept des punctum umspielend, als einen Stich, ein unmittelbares, affektives Eindringen der Gegenwart des Fotos in die Gegenwart der Betrachterin (Barthes 1989, 48); und sie nutzt eine grammatische Metapher:
The present perfect: The time of the photographs is the present perfect. It arouses desires, brings the past to life, extends it until a second ago, and in the moment of now, it hands the marathon of instants over to the next moment, the next photo, and the next figure (L 2022).
Das Abgebildete rückt in seiner Figuralität in ein relatives ›gerade eben‹. Es verlängert ein Nachbild des Geschehens bis in den Augenblick vor dem ›jetzt gleich‹, in dem die Figuration wiederholt, die Geste wiederausgeführt wird – oder eine andere, die in einem Verhältnis der Kontiguität zu ihr steht. Das Begehren, das die Reihe der Bilder evoziert, beschreibt L als ein Begehren der Körper, die ins Erscheinen treten:
Bodies that wanted to be »that« figure, had seen that their bodies possessed the capacity to become that figure. Bodies that therefore endangered themselves, entered the fray, struck that figure. In a field where there are few opportunities to take up space, they sought the chance to create moments of resistance (L 2022).
Das Erscheinen, das L hier beschreibt, ist ein Erscheinen derer, die nicht erscheinen dürfen; und es ist zunächst ein Hervortreten der Körper, das sich dem Erscheinen eines sprechenden, eines für-sprechenden Subjekts verweigert. Hervor treten die nichtmännlichen, nichtpersischen, die marginalisierten Körper, auf deren erzwungener Unkenntlichkeit die biopolitischen Strategien des klerikalen Regimes im Iran basieren. In diesen visibilisierenden Gesten geht es freilich nicht darum, das Sichtbarkeitsverbot durch einen Sichtbarkeitszwang zu ersetzen, ein Kopftuchverbot für den öffentlichen Raum durchzusetzen. Wenn Alice Schwarzer im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk Musliminnen* in aller Welt auffordert, solidarisch ihr Kopftuch abzulegen, hat sie etwas ganz fundamental missverstanden.10
Nicht die Entscheidung einer Person für oder gegen den Hijab, sondern dessen Instrumentalisierung als sichtbarer Teil einer Überwachungsmaschinerie macht ein Stück Stoff zum Teil einer demagogischen Figuration: »[…] compulsory hijab is the main pillar of Islamic Republic, [sic!] It’s like the Berlin wall. If we tear this wall down, the Islamic republic won’t exist«, so Masih Alinejad, Journalistin und feministische Aktivistin, am 19. September 2022 auf Twitter (Alinejad 2020).11
Zweite Szene: Eine langhaarige Person ist dabei, sich mit einer einfachen Haushaltsschere den lose gebundenen Pferdeschwanz abzuschneiden. Sie befindet sich inmitten einer protestierenden Menschenmenge vor der iranischen Botschaft in Istanbul und sie steht an einer anderen Position in der Kette der Bilder als Vida Movahed. Sie ist eine derjenigen, die den Akt des Figurwerdens wiederholen, eines Figurwerdens, dessen materielle remains – die abgeschnittenen Haare – sie wie eine Trophäe in der hochgereckten Faust hält.12 Das Abschneiden der Haare, ein ritueller Akt der Trauer und des Zorns, wird zum Akt der Wiederaneignung. Das weiblich gelesene lange Haar wird zum Ding in der Hand der Frau, die es abschneidet, sexualisierbar ist es nur noch als Fetischobjekt, losgelöst vom Körper, der es hervorgebracht hat, verwechselbar, verflechtbar mit dem Haar anderer Menschen; und verweisend auf die Frage nach den Geschlechtern seiner Träger*innen.
Eingangs habe ich die Verkopplung von Klage und Protest im Akt des Haareschneidens auf das Epos Shanahmeh bezogen: Shanahmeh wird auf das Jahr 1000 datiert und Abu l-Qasem-e Firdausi (ابوالقاسم فردوسی) zugeschrieben. Es berichtet die Geschichte Irans vor der islamischen Eroberung im siebten Jahrhundert und verkoppelt historisches mit mythischem Erzählen. Gisuborān geht auf eine Erzählung um den Helden Siyâvash (سياوش) zurück. Als Prinz Siyâvash, ein Vertreter des semi-mythologischen Herrschergeschlechts der Kayaniden, getötet wird, schneidet seine Lieblingsfrau Farangis (فَرَنگیس) ihr Haar ab und trägt es als Keuschheitsgürtel um ihre Hüfte, ihre Begleiterinnen tun es ihr nach (Mehrabi 2023). Die abgeschnittenen Haare stehen für eine Zäsur im biografischen wie im historischen Maßstab: Bis der Tod gesühnt ist, stagniert das Leben in der Klage. Siyâvash gilt in der persischen Literatur als figurale Chiffre der Unschuld, Gisuborān ist entsprechend als ein Akt der Klage angesichts eines ungerechten Todes zu beschreiben (ebd.).
Doch die Geschichte von Siyâvash und Farangis ist nur eine von zahlreichen mythenförmigen Geschichten um Haar, Protest und Klage, die als Praxen und Erzählungen des Haareschneidens und auch des Haar-Opfers im westasiatischen Raum zirkulieren – und die beileibe nicht alle persischen Ursprungs sind: Das abgeschnittene Haar wird in regionalen Traditionen rituell zu Boden geworfen und in die Erde getreten, in anderen wird es zur Grabbeigabe (exemplarisch Shahmoradi 2005). Mojgan Ghazirad, Autorin, Journalistin und Ärztin, berichtet von der Tradition des gisoo tree: Frauen hängen ihre abgeschnittenen Zöpfe an die Äste eines Baums, um die Trauer über den Tod eines nahen Menschen sichtbar zu halten. Ghazirad beschreibt das Abschneiden der Haare als einen Schnitt, eine Zäsur, die ein ›Vorher‹ von einem ›Nachher‹ trennt:
In the kaleidoscope of rituals that vary based on geographical region, there seems to be a fundamental connection between hair and life. »Life« is woven among the strands of a young woman’s hair and cutting that hair implies her unwillingness that life can go on as before the loss of the beloved. Her liveliness is gone with the departure of the beloved, and so is the hair that once signified the beauty of life. She sends a clear message as she mourns: that she will appear and act differently after the tragic event (Ghazirad 2022).
Das gegenwärtige kollektive Reenactment des Haarschneidens vollzieht eine Zäsur, allerdings in fundamentalerer Hinsicht. Die traditionellen Akte des Gisuborān, die sich in aller Regel auf männliche Verstorbene beziehen, stabilisieren in der wiederholenden Aktualisierung in letzter Konsequenz eine binäre Geschlechterordnung: Der Kampf der Frauen ist die Klage, der der Männer das Aufbegehren. Die Frau hält die Wunde offen, die ein Tod geschlagen hat, der Mann sühnt und heilt sie (vgl. Moallem 2005).13
Doch die Transformation des Gisuborān in einen systemdestabilisierenden, emanzipatorischen Akt wäre unterkomplex beschrieben, wollte man ihn ausschließlich auf die als Praxis und Narrativ tradierten Klage- und Trauerkontexte beziehen. Gerade unter den in die Islamische Republik hineingeborenen und in ihr aufgewachsenen jungen Menschen der 1980er-Generation war das Tragen kurzer Haare oder gar eines geschorenen Kopfes unter dem Hijab ein stummer Akt des Widerstands, der Appropriation des eigenen Körpers als Feld der Selbstbestimmung.
Marked by cis-normative stereotypes of femininity and masculinity as ›radical opposites‹, hair is seen as a visible material marker of gender both before and after puberty. As such, women’s hair is heavily guarded by cultural norms, religious doctrines, and policing practices in a paradoxical way. It must be long, voluminous, and wild, yet tamed and hidden carefully under the scarf (Mehrabi 2023).
Das Paradox, das Mehrabi benennt, wendet sich nochmals im geschorenen Haar unter dem Kopftuch, von dem sie berichtet: Was der Hijab verbirgt, bleibt dem männlichen Blick verborgen; so auch die Tatsache, dass er gerade die Abwesenheit des Skandalons – des weiblichen Haars – (welche ihrerseits ein Skandalon darstellt) dem männlichen Blick entzieht. Der Hijab macht die Inbesitznahme des eigenen Haars unsichtbar. Doch so bleibt die Unsichtbarkeit weiblich gelesener Menschen im öffentlichen Raum bestehen; die Geste des Protests bleibt im Verborgenen und lässt das gendered identity formation der Islamischen Republik intakt – vordergründig (vgl. Moallem 2005, 69-73; 91-94).
Im Anschluss an die Analysen von Firoozeh Farvardin begreife ich die spezifische Ästhetik der revolutionären Figurationen als eine der transformativen Wiederholung von Gesten des nonmovement im Sinne von Ali Bahyat (2010)14 und des zivilen Ungehorsams: Gesten wie etwa das Zeigen oder Nichtzeigen von Haar und Frisur unter dem Kopftuch, die Nutzung von Makeup und Nagellack, aber auch das offene Tragen kurzer Haare durch queer und disabled people, die sich nur so der heteronormativ begründeten Identitätspolitik der Islamischen Republik entziehen können, sind pragmatisch in Lebens- und Alltagsvollzüge eingebunden.15 Sie unterscheiden sich kategorial von den stummen Akten des Protests, wie sie Vida Movahed und die Töchter des Ghiaban (Maydan) Enqhelab vollziehen.
Signifikant ist aber ihre kollektive Wiederauf- und Wiederausführung in der gegenwärtigen Revolte: Performative Akte und emphatische Gesten körperlicher Selbstbestimmung, insbesondere des Rechts auf Sichtbarkeit, konvergieren mit historischen, mythischen und literarischen Figuren des Hervortretens weiblicher – feminized – Körper: Die kollektive Wiederausführung einer rituellen Trauergeste und ihrer Verschränkung mit Formen des nonmovement hat eine Reihe weiterer Figuren hervorgebracht, mit denen die Geschichte weiblicher Klage im Iran zu einer Geschichte des Aufbegehrens wird. So werden die im Wind wehenden, an keinen bestimmbaren Körper gebundenen Haare zur Flagge der Revolution (Abb. 2a); mit dem Abschneiden des Haars, und damit der Verweigerung heteronormativer Geschlechterpolitik, schneidet sich die trauernd Protestierende vom System patriarchal-islamistischer Hegemonie los (Abb. 2b). In einer Umkehrung der zäsuralen Metapher schwebt die Islamische Republik, figuriert von einem Basij-Milizionär, mit dem Schlagstock in der Hand über dem Abgrund. Die Figur klammert sich am weiblichen Zopf fest und wird gestürzt von der Schere der Protestierenden.
Das Ablegen des Kopftuchs und das Abschneiden langer, geflochtener Haare als Chiffren für die domestizierte Frau werden zu Eikones für das Ende der Islamischen Republik, zu einer wirksamen Metapher, aber auch zu Figurationen einer Fortführung der unvollendeten Revolution von 1978/79. Der Akt des Haareschneidens in den jüngeren und jüngsten Protesten, der als Geste der Solidarität von Frauen weltweit vollzogen wurde, nimmt in der Wiederholung aktuelle Semantiken auf; er reichert sich gewissermaßen mit Gegenwarten und deren Geschichten an, so dass seine mythische Herkunft zu einer unter mehreren Gründungserzählungen wird. »To cut one’s hair turns not merely into an act of mourning, but also into a public eulogy to all deaths in the margins: gender and sexual minorities, ethnic minorities, Afghan refugees, non-human species, nature« (Mehrabi 2023, 117).17
Die abgeschnittenen Zöpfe und Haarsträhnen werden wiederum in künstlerische und aktivistische Praxen eingespeist, in ihnen transformiert und so zu einem Teil neuer Figurationen des Hervortretens – zu Formen von Demagogik; Beispiele dafür werde ich im Folgenden diskutieren. Andererseits kann der ikonische Akt freilich eine Entleerung und semantische Vereindeutigung erfahren, wenn er anstelle wirksamer politischer Maßnahmen öffentlich von westlichen18 Akteur*innen vollzogen wird.
3. Demagogik und Figuration
Die bereits zitierte L begreift ikonische Akte wie die im Vorigen beschriebenen als Momente einer figurativen Revolution. Das Motiv der Figura, der wiederholten und wiederholbaren Geste, steht auch für andere Forschende, je unterschiedlich ausbuchstabiert, im Zentrum der gegenwärtigen Revolution.19 Für den hier in Frage stehenden Kontext sind insbesondere die Überlegungen von Azadeh Ganjeh anschlussfähig, die Hannah Arendts Konzept des Erscheinens und des »space of appearance« mit Judith Butler in Richtung der anfälligen, vulnerablen Körper weiterdenkt und auf konkrete urbane Architekturen bezieht (Ganjeh 2023). Demagogik als Praxis ist gebunden an einen solchen Erscheinungsraum. Die Institution des Agoreuein, das demagogisches Sprechen allererst möglich macht, ist etymologisch auf den Platz des Politiktreibens, die Agora, bezogen. Agoreuein, das bezeichnet im Griechischen das Sprechen vor den anderen, zu denen man sich zählt: »τίς ἀγορεύειν βούλεται« – »Wer will hervortreten und sprechen in der Agora?« – Mit dieser Frage eröffnet der Herold performativ die Volksversammlung, und wer hervortritt und spricht, spricht nie nur für sich, sondern immer für den Demos, aus dem er heraustritt. Sein Akt der Besonderung ist also kein Akt der Absonderung, sondern einer der – wenngleich äußerst exklusiven – Exemplarizität. Jeder einzelne Politēs weiß, dass er auch hervortreten und sprechen kann, das zeigt ihm jeder Akt des Hervortretens von neuem, und das garantieren ihm Recht und Pflicht der Isegoria, der gleichen Rede aller Gleichen.
Entscheidend ist jedoch, dass mit agoreuein erst sekundär ein Redeprinzip, primär aber ein proxemisches Raumprinzip – eine Szenologie – benannt ist. Vor dem Sprechen für, gar anstelle von, steht der Akt des Hervor- und Heraustretens, des wechselseitigen Sichtbarwerdens: Die in der Menge sehen sich als die, die hervortreten können, der Hervorgetretene sieht die Menge, deren Teil er eben noch war und gleich wieder sein wird, seinen Platz, die Sprechstelle, dem nächsten einräumend.20
Dieses proto-repräsentationale Prinzip wird in der Institution der Demagogie bestätigt, und zugleich läuft es in ihr aus dem Ruder: Demagogen sprechen auf der Agora, das ist die Sammelstelle des Demos von Athen – wer hier auftreten darf, kann Demagoge werden. Das Begehren, Figur zu werden, das im Wechselblick von Menge und Einzelnem befriedigt und zugleich immer wieder neu gestiftet wird, wird zum Begehren desselben Einzelnen, immer wieder Figur zu werden, schließlich Figur zu bleiben. Demagogie ist in diesem Sinne eine Form institutionalisierter Stellvertretung; und diese erste Bedeutung von demagogos lässt sich durchaus auch in den historiografischen und staatstheoretischen Schriften der Antike wiederfinden: Demagogos wird also, wer immer wieder hervortritt, seine Stimme erhebt und den Demos in Bewegung setzt; das meint agein in der Grundbedeutung: in Bewegung setzen; »führen« ist eine Spezifizierung.21
Die Bewertung dieses Gestus des wiederholten Hervortretens konnte unterschiedlich ausfallen, schon in der Antike. Thukydides etwa unterscheidet zwischen den alten, den guten Demagogen, die die verschiedenen Seiten eines Problems abwägend beleuchten, den Demos im Entscheiden beraten und ihn zum Entscheiden emanzipieren (Perikles), und den schlechten Demagogen, die ihre Fähigkeit der Peitho, der Überredungskunst, dazu nutzen, den Demos zu entmündigen, ihn stillzustellen. Diese späten Demagogen (Kleon) sprechen für den und vor dem Demos, aber im Sinne eigener Interessen, um ihn zum Erfüllungsgehilfen eigener Individualinteressen zu machen. Aristoteles vergleicht diesen Demagogen in seiner demokratiekritischen Staatstheorie mit der Figur des Einflüsterers und Schmeichlers – kolax – in der Monarchie: Seine Staatsutopie ist die eines Rechtsstaats, in dem die oberste Gewalt weder vom Demos noch von einzelnen ausgeht, sondern in der alle unter der Herrschaft der Nomoi stehen. Aristoteles’ Geschichte der Demagogie in der Politik ist eingespannt in eine umfassende Staatstheorie, in der Figuren und Figurationen des Demagogischen in erster Linie als Einfallstor für degenerative Tendenzen gesehen werden. Demagogen haben dort eine Chance, wo situative Willensentscheidungen des Demos potentiell autonom gegenüber gesatztem Recht sind:
Eine solche Art von Volk, da es monarchos ist, sucht unumschränkt zu gebieten, indem es sich von den Gesetzen nicht regieren lässt, und wird so despotisch (δεσποτικός), so dass auch die Schmeichler (ὁι κόλακες) bei ihm zu Ehren kommen, und eine solche Demokratie entspricht der Tyrannis unter den Monarchien. […] Demagoge und Schmeichler entsprechen einander genau, und beide haben bei beiden am meisten Einfluss, der Schmeichler beim Tyrannen und der Demagoge bei einem solchen Volk (Aristot. pol. 1292 a 7-30).
Die Figur des demagogos ist auf die Isegoria, das Prinzip der gleichen Rede aller Gleichen bezogen – ein Handlungsmodell von Öffentlichkeit, das, anders als die schillernde, implikationsreiche Parrhesia, für die Philosophie der Moderne nie besonders interessant geworden ist.22 Doch gerade in ihm konkretisiert sich die Agora als Ort der politischen Szene; als ein exkludierender Erscheinungsraum der männlichen Vollbürger. Verschwiegen bleibt dabei, dass Agora zuallererst auch der Markplatz ist, ein infrastruktureller Knotenpunkt, auf dem Politai und Bevölkerung, die aus der Fremde und die von hier sich mischen. Die Mehrschichtigkeit der Agora und ihr ökonomisch-politischer Doppelsinn schlägt sich durchaus auch etymologisch nieder: Neben dem agoreuein als politischer Praxis steht das agorazein (ἀγοράζειν), das Einkaufen; dem agoretes, dem versierten Redner, steht der agorastes, der zum Einkaufen geschickte Sklave gegenüber; und auf der Agora trifft man sich auch, um Neuigkeiten auszutauschen. Agora ist ein Ort nicht allein des politischen Handelns, sondern auch des Handels als Warentausch und Daseinsvorsorge, des Geredes, des Gerüchts und des Gossip, der Frauen, Sklaven, Metöken und Kinder; all das ist im demagogischen Moment ausgeblendet.23
Hier liegt ein zentraler Ansatzpunkt für meine Überlegungen: Denn zurückgelesen auf die skizzierte Mehrschichtigkeit der Agora impliziert das ison in Isegoria – die Zuschreibung »gleich-« – eine grundsätzliche Verunsicherung. Gelesen wird Isegoria zumeist im Sinne des gleichen Rechts aller auf öffentliches Zu-Wort-Kommen. Doch Isegoria ist, im Sinne eines Relationsbegriffs, auch als Rederecht in einer Gruppe aus Gleichen zu lesen. Sie bezeichnet dann aber umgekehrt zugleich ein Prinzip des Ausschlusses und der Grenzziehung; gar einer gleichgeschalteten Rede, die jene ausschließt, die sich nicht einem gemeinsamen Sinn des je personalen Redens zuordnen. Isegoria beginnt dann dem Prinzip der protagonistischen Rede zu entsprechen, in der die Körper in der Versammlung zu Sprachrohren werden, Fürsprache, Repräsentation behaupten. Und hier kommt nun das Konzept der Demagogik als dynamisierende Praxis ins Spiel, die von »agein« als »in Bewegung setzen« her gedacht ist. Mit Demagogik sind personalisierende Momente des Hervortretens angesprochen, die eine demagogische Sprechstelle herstellen können: Demagogik als Verfahren und als Sprechweise figuriert Führung, figuriert Entscheiden, indem sie ein protagonistisches Interface für distribuierte, komplexe Entscheidungsprozesse anbietet. Sie ist raumeinnehmend und bildgebend. Demagogiken setzen Grenzräume als Erscheinungsräume voraus, von denen aus sie teichoskopisch, im Blick über die Grenze, ein Anderswo berichten und ein angesprochenes ›wir‹ und ›hier‹ stabilisieren. Demagogik ist ein szenologisches Prinzip.
4. Hervortretenlassen. Szenen kritischen Fabulierens
Indem Demagogik dichte Figuren generiert, die heterogene Praxen, Ästhetiken, Narrative, Forderungen und Perspektiven inkorporieren, vollzieht sie einen Akt der Komplexitätsreduktion; nicht jedoch, um Komplexität unsichtbar zu halten, sondern um sie sichtbar werden zu lassen. Denn ihre Figurationen sind in ihrer Wiederholbarkeit und Zitierbarkeit offen für modifizierenden Nachvollzug. Einen Aspekt der Nachvollziehbarkeit möchte ich abschließend exemplarisch ins Zentrum stellen: Die demagogischen Figurationen lassen Relikte zurück, die nicht zu Reliquien werden, die exemplarisch bleiben für den Akt, nicht für die Person, die ihn vollzieht. Der Unterschied zwischen Relikt und Reliquie wird insbesondere im Kontext der aktuellen Revolte im Iran immer wieder gesetzt: Neben dem Kopftuch ist eines dieser Relikte abgeschnittenes menschliches Haar, mal als Material und Substanz, mal als Ding: ein geflochtener Zopf etwa oder ein Büschel Haare.
Performer*innen und Künstler*innen nehmen diese Dinge, die remains des performing protest, zum Anlass, die diversen Narrative und Momente, die Körper und die leiblich vollzogenen Akte hinter dem dichten, opaken Ding transparent zu machen; die figurative Bewegung der Revolution weiterzuführen. Wie Azadeh Ganjeh gezeigt hat, fungieren gerade performative Kunst und deren Studies als Transformator und ästhetischer Verstärker von demagogischen, bildgebenden und figurativen Gesten, auch von solchen, die als demagogisch zu beschreiben sind (Ganjeh 2022). Sie bearbeiten Relikte der Revolution, stellen deren Leibgebundenheit aus, finden und erfinden deren Geschichte und deren Zukunft in Formen des szenisch-kritischen Fabulierens. Die Figuren der Demagogik und die exemplarischen Dinge, die sie hinterlassen, sind – anders als Laclaus empty signifiers – gesättigt mit geteilter leiblicher Erfahrung und verstrickt in Geschichten.
Das Hervortreten einer Leiblichkeit, die nicht nur in der Islamischen Republik nicht hervortreten darf, vollzieht paradigmatisch die Arbeit der kurdisch-türkischen Performerin Zehra Doğan – und zwar in der Ästhetisierung von Abscheidungen ebendieser Leiblichkeit. Als Arbeit einer türkischen Kurdin in und an einer iranischen Revolte exemplifiziert sie zugleich die Inklusivität von deren Signifikanten. Doğan hat in türkischer Haft begonnen, mit Materialien, die ihr eigener und die Körper ihrer Mitgefangenen hervorbrachten, zu zeichnen und zu malen – mit Haar, Menstruationsblut und Urin: »Little did I know that I could break down the walls of Diyarbakır prison, the major site of torture, with nothing but a paintbrush made out of the hair of my fellow prisoners« (Doğan n. d.). Wer Doğans Website besucht, trifft zunächst auf diese Fotografie eines Pinsels aus Menschenhaar und auf dieses Zitat. Es lässt keinen Zweifel daran, dass Doğan ihre Arbeit im Zeichen der narrativen und materiellen Wiederaneignung des weiblichen Körpers sieht, dem historischen Ort und Instrument patriarchaler Unterdrückung. Sie stellt seine Abjektivierung aus, indem es seine Ausscheidungen und Auswüchse zu ihrem Material macht, im Sinne der kritisch fabulierenden Neuschreibung seiner Geschichte24:
[W]e are women who refuse the mechanically-imposed fate tying us to the instruments of domination in the world of contemporary States, with our hair rooted in our memory making us who we are. As we attempt to distance ourselves from this destructive machine trying to grab each of our steps forward, ever-deeper pain is awakened in our body of suffering (Doğan 2021).
Dieser Text begleitet die Videoperformance Kuvvet Kuvvet (Force Counterforce, 2021). Das Video zeigt Doğan im Kampf mit einem Panzer, dessen Kanonenrohr ihr Haar einzusaugen scheint, dem sie aber immer wieder entkommt. Der Begleittext auf der Website erzählt den Ort und den historischen Hintergrund der Performance; und er evoziert die Vorstellung von einer anderen Geschichte, die vom Haar des sprechenden Ich aus erzählt werden müsse:
Oh macho world! I resist you to the very end of my hair which you grab to forcefully pull me to you.
With my hair, the memory of my universe, my hair rooted in my body, I resist your force with my counter-force (ebd.).
Hier sind es gerade das Nichtabschneiden und das Zeigen des Haars in seiner Widerständigkeit, die inszeniert werden, der Kampf um seine Wiederaneignung als Kampf um Geschichte und Gedächtnis der weiblichen Körper. Und auch das abgeschnittene Haar wird nicht zum sichtbaren Zeichen der Trauer allein, es wird zum Instrument, zum Pinsel in der Hand der Künstlerin.
In unmittelbarer Reaktion auf die Ermordung Jina Aminis schreibt Doğan sich und ihre Arbeit in die aktualisierte Geschichte des rituellen Haar-Abschneidens ein; eine ihrer ersten Aktionen ist eine Geste der Markierung und Aneignung: Doğan lässt sich dabei filmen, wie sie ihr abgeschnittenes Haar mit einer Mischung aus Henna und Menstruationsblut tränkt und am Tor der Iranischen Botschaft in Berlin anbringt:25 Das Video zeigt zunächst, auf dem Untergrund eines Gehwegs mit Herbstlaub, ein Büschel dunkler Haare und eine Schere. Hände öffnen ein Schraubglas, das eine pastose, rotbraune Masse enthält. Die Performerin verreibt etwas von der Masse in ihren Händen und greift das Haarbüschel. In der nächsten Sequenz geht sie rasch auf das Metalltor der Botschaft zu und verreibt die Masse am Torpfosten. Polizist*innen mit Schäferhunden sind bereits zu sehen, kommen näher, führen Doğan von der Szene; das Video zeigt für 20 Sekunden die remains der Performance – eine rotbraune, klumpige Masse, durchzogen von Fingerspuren am Metall des Pfostens (Abb. 3).
Das Video dauert ungefähr eine Minute, erscheint auf Twitter und Instagram und wird dort hunderttausendfach geteilt. Das Gesicht der Performerin wird der Betrachterin in den ersten 20 Sekunden vorenthalten, die kurze Aufzeichnung lenkt den Blick zunächst auf Hände und Haar. In der Masse aus körperlichem Material und pflanzlichem Pigment, mit der die Künstlerin das Tor zeichnet, nimmt die Materialität des Abjekten Praxen von Klage und Protest, Narrative des Trauerns, nicht zuletzt auch des blutigen Märtyrerkults der Islamischen Republik auf: Während das Blutvergießen Menstruierender unrein ist und im Verborgenen unter der Kleidung seinen Ort hat, ist das der Märtyrer heilig; deren Blut wird ikonisch, wird sichtbar im öffentlichen Raum (Gölz 2021, 140-144; Gölz 2019).
Auf ganz andere Weise figurativ verhandelt die Performerin Astera Mortezai26 die Figur der Wiederaneignung als Inbesitznahme des eigenen Haars in einer Aktion im niederländischen Museum Gouda. Unter dem Titel The Power of Braids konkretisiert Mortezai in einer partizipativen Performance die kulturtheoretische Metapher des Entanglement: Haarträger*innen sind eingeladen, sich miteinander zu verbinden, indem sie ihre Haare zu gemeinsamen Zöpfen flechten. Die Aktion überführt die aktivistisch figurierte Geste der Wiederaneignung in eine Figur des Entanglement, die über die Grenzen des Iran hinausreicht. Hier wird nicht die Materialität des Körpers, seines Haars und seiner Ausscheidungen ausgestellt, sondern es werden Symbol- und Motivgeschichten menschlichen Haars in der Verkörperung evoziert. Beide Performances verhandeln Figurationen der Revolution und speisen sie in eine Ästhetik des Protests ein; sie sind Vorschläge an protestförmige Praxen der Figuration.
5. Figurwerden, noch einmal: Eine andere Geschichte des Erscheinens
Mein Beitrag positioniert sich zu einer Debatte, die nicht ausschließlich Frauen, LBGTIQ+, nicht ausschließlich den Iran angeht, sondern angesichts dessen sich die Frage nach Figuren des Protests, nach Figuren des Demagogischen und nach dem Figurieren von Führung und Entscheidung generell stellt. Daher komme ich abschließend zurück auf die Frage nach dem Konzept von Demagogik und seiner Funktion für meine Überlegungen.
L vertritt die gut begründete Position, dass es sich bei den gegenwärtigen Protesten im Iran um eine spezifisch feministische Revolution handelt. Das Feministische der Revolution beschränkt sich dabei nicht auf ihre Initiatorinnen und es soll auch nicht impliziert sein, dass es hier ausschließlich um die Rechte weiblich gelesener Menschen gehe. Um das inklusive Selbstverständnis des kollektiven Aufbegehrens gegen das klerikale Unrechtsregime zu markieren, wird hinter Jin/Zan immer häufiger ein Asterisk gesetzt. Im feministischen Selbstverständnis der Revolution geht es aber auch um die Aufforderung, Geschichte – geschriebene und zu schreibende – radikal plural zu denken. In der gerade von westlichen Beobachtenden geäußerten Sorge, es gebe keine Repräsentant*innen einer Opposition, beim Erfolg der Revolution sei mit einem Machtvakuum zu rechnen, tritt ein Verständnis von Repräsentation hervor, das den exklusiven Charakter der Isegorie – des gleichen Rederechts der Gleichen – als alternativlos begreift. Doch es ist gerade die distribuierte, grassroots-like Dynamik der Geschehnisse im Iran, die ihre Figurationen und ihre Zeichen offenhält, sie der Kontrolle immer wieder entzieht.
Mit der Etablierung von Demagogik als einem Komplementärbegriff zu Demagogie setze ich zu einer kritischen Wiedererzählung der Geschichte von Repräsentation an: Während Demagogie das Hervortreten auf Dauer stellt, eine Sprechstelle besetzt und Entscheiden personalisiert, bezeichnet Demagogik den Akt des Hervortretens als einen exemplarischen, einen variationsoffenen Akt, der sowohl ins Stillstellen als auch in eine Dynamik von Wechsel und Tausch weiterzuführen wäre. Die Figurationen von Demagogik sind Verdichtungsstellen, von denen aus Geschichte multiperspektivisch schreibbar wird: Die Geschichte des Gisuburān etwa wird zu einer Geschichte der Enteignung und Wiederaneignung körperlicher Autonomie. So erzeugen diese Figurationen andere Lektüren, andere Vollzugsweisen, andere Konstellationen von narrativ und ikonisch gebundener, in Praxen wiederholter Identität. Ausgehend von einer auf spezifische Weise durchlässigen Gruppe von Ausgeschlossenen der attischen Polis – den Metöken – schlage ich vor, die dichten Figurationen des Protests als Zentren metökischer Konstellationen zu beschreiben, in denen Agoreuein zur Praxis eines Zusammenkommens wird, dessen Grundlagen es zugleich zum Gegenstand der Aushandlung macht (Stenzel 2023). Dabei geht es mir um die typologische (nicht etwa genealogische) Erfassung einer Form von sichtbarer Ungleichheit am Rande des Politischen: Metöken – wörtlich: Mitbewohner – besetzen eine intermediäre Position zwischen Freiheit und Abhängigkeit; in ihrer Zuordnung zu einem Vollbürger als Fürsprecher in rechtlichen Dingen (prostates) stehen sie zugleich innerhalb und außerhalb des politischen Systems der Polis. Wer als Sklave freigelassen wird, wird Metöke, wer seine Bürgerrechte verliert, steht mit den Metöken rechtlich auf einer Stufe.27
Der Kurzschluss der attischen Polis mit der iranischen Klerikokratie macht Probleme sichtbar, die zuweilen auch in Ansätzen zu einem kritischen Okzidentalismus undiskutiert bleiben: Die Erzählung einer Geschichte der Demokratie ausgehend von der attischen Polis ist nicht nur historiografisch problematisch (es ist mittlerweile gut bekannt, dass es vor Athen auch andere protodemokratische Gefüge gab). Sie ist selbst eine Geschichte der gewaltsamen Aneignung, die im 19. Jahrhundert in der Einsetzung Ottos von Wittelsbach als Otto I. von Griechenland und der Neuplanung von Athen durch Leo von Klenze nur einen besonders signifikanten Ausdruck fand (Roubien 2017). Die Um- und Überschreibung griechischer Begriffe mit staatstheoretischen und politisch-philosophischen Konzepten der europäischen Moderne suggeriert ein ›Wir‹, das es so nie geben konnte. Die Forderungen nach Demokratie, Menschenrechten und Meinungsfreiheit, die sich derzeit im Iran äußern, sind auf diese Konzepte bezogen, ohne dass sie einfach übernommen würden. Im Sinne eines Entanglement werden sie zum Teil einer Eigengeschichte. Die Provinzialisierung nicht allein von Europa (Chakrabarty 2000), sondern auch europäischer Konstruktionen von demokratischen Gründungsorten, insbesondere der attischen Polis, erlaubt es, Grundbegriffe eines Redens über Demokratie neu zu verhandeln, ihre Bruchstellen und ihre Aporien zu erkennen und zum Thema zu machen. Einer dieser Begriffe ist Demagogie, ein antidemokratisch semantisiertes Konzept, das sich bei genauem Hinsehen als mehrschichtig und anschlussfähig erweist.
Endnoten
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Seit knapp zwei Jahren befasse ich mich als Theaterwissenschaftlerin mit Geschichte und Gegenwart performativer Kunst im Iran. Ich durfte in dieser Zeit von einigen Kolleg*innen lernen; besonders aber von Azadeh Ganjeh, die seit April 2022 als Philipp-Schwartz-Fellow der Humboldt Foundation in Hildesheim forscht und lehrt. Ich danke auch den Studierenden meiner Seminare zum Theater im Iran an der LMU München (Sommersemester 2022) und der JGU Mainz (Wintersemester 2022/23), insbesondere Mehrnoosh Esmaeilimatin, für kritisches Nachfragen und kluge Einwände.↩︎
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Ausführlich zur aktuellen feministischen Revolte und ihren Hintergründen Sahebi 2023. In einem wöchentlichen Podcast (Das IRAN Update) informiert die Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi zusammen mit Sahar Eslah über die aktuelle Situation. Einen guten und ausgewogenen Einblick bietet auch das Dossier auf der Seite des Iran Journal: https://iranjournal.org/dossier-iranprotests2022. Die Formel Zan Zendegi Azadi fand schnell Eingang in die Populärkultur; international bekannt wurde eine politische Ballade, die oft sogenannte »Hymne der Revolution«, Baraye (برای) von Shervin Hajipour, die am 28. September 2022 zunächst auf Instagram veröffentlicht wurde. Der Titel besingt ein vielfältiges »wegen/für« (baraye) der Revolte und erhielt 2023 den Grammy in der Kategorie »Best Song for Social Change«. Stand: 3.3.2023. https://www.youtube.com/watch?v=BKo6DqTU7M8.↩︎
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Die Geschichte des Feminismus im Iran ist freilich weit älter und geht als Bewegung auf die Zeit der sog. Konstitutionellen Revolution zurück; vgl. Afary 1996; Paidar 1995. Zu unveiling und Öffentlichkeit vgl. Sedghi 2007; Chavoshian 2019. Zu Artivism im Iran vgl. Ganjeh 2022. Zur Rolle weiblicher Intellektueller seit dem mittleren 19. Jahrhundert, Milani 2011.↩︎
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Diese Kollektivierung partikularer Interessen bringt das Video einer jungen Iranerin der sogenannten 80er-Generation exemplarisch zum Ausdruck (Payar 22). Nach iranisch-islamischer Zeitrechnung entspricht die 1380er-Dekade den 2000er-Jahren in westlicher Zeitrechnung. Vgl. auch Farsaie 2022.↩︎
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Erst spät reduziert sich Demagogie auf das Bild der charismatischen Hetzer, die sich gesellschaftliche Krisenmomente zunutze machen, um Macht zu akkumulieren und auszuüben; ein Bild, das heute den Diskurs beherrscht. Die Begriffsgeschichte ist aus historiografischer und gräzistischer Perspektive bereits umfassend aufgearbeitet: stellvertretend Mann 2007, Meier 1989, Meier 1987. Zum Versuch einer Systematisierung vgl. Stenzel 2021.↩︎
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Den Hinweis auf die Protestförmigkeit des Rituals verdanke ich Azadeh Ganjeh. Vgl. auch Mehrabi 2023.↩︎
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Zu Vida Movaheds Aktion kursieren zahlreiche Bilder und ein Video im Internet vgl. Atai 2021. Stand: 27.2.2023. https://www.youtube.com/watch?v=omHKiXVa788.↩︎
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Masih Alinejad, Exiliranerin und feministische Journalistin, hat sie gesammelt. Stand: 27.2.2023. https://www.mystealthyfreedom.org/girls-of-revolution-street/.↩︎
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انقلاب فیگوراتیو زنانه؛: L (Enqhelab figurativ zananeh?). Ich zitiere im Folgenden die autorisierte englische Übersetzung »Figuring a Women’s Revolution. Bodies Interacting with their Images«. Übers. v. Alireza Doostdar, 05.10.2022. Stand: 27.2.2023. https://www.jadaliyya.com/Details/44479.↩︎
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Etwa in der Talk-Sendung Maybrit Illner Spezial mit dem Thema »Heuchler oder Helfer – kuscht der Westen vor dem Iran?«, 1.12.2022, 22:15 Uhr, ZDF. Stand: 1.5.2023. https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/heuchler-oder-helfer-kuscht-der-westen-vor-dem-iran-maybrit-illner-spezial-am-1-dezember-2022-100.html.↩︎
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Eine ähnliche Formulierung findet sich auf der Website mystealthyfreedom: »Iranian women face many injustices. We have always maintained that although our focus is removing compulsory hijab laws, that is only the first step to gaining equal rights. Once the wall of compulsory hijab falls down, other fights would be easier to win« (n. d.). Stand: 3.3.2023. https://www.mystealthyfreedom.org/faq/.↩︎
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Siehe hier ein Video der Aktion, Stand: 26.03.2024 (ABC News 2022): https://x.com/ABC/status/1572667544036581378.↩︎
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Diese und die folgenden Überlegungen stützen sich auf Forschungsliteratur zum gendering der Klage in rituellen Kontexten, insbesondere im schiitischen Islam; allerdings fehlen mir die Möglichkeiten, die aktuelle Situation vor Ort zu kartieren. Auch diese Annahme steht daher unter dem ganz grundsätzlichen Vorbehalt, zu dem ich mich als nicht-iranische Wissenschaftlerin verpflichte.↩︎
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Ich beziehe mich auf einen Vortrag, den Farvardin unter dem Titel »Unveiling the Feminist Revolution in Iran: Feminized Bodies as the Counter-Archive of Resistance« am 27. Februar im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe »Leib und Leiblichkeit« an der Universität Münster gehalten hat und dessen Publikation sie derzeit vorbereitet. Stand: 3.3.2023. https://www.uni-muenster.de/ZIT/Kalam-Philosophie-Mystik/Leib_und_Leiblichkeit/index.html.↩︎
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Tara Mehrabi deutet – allerdings ohne konkrete Belege – Fälle von neurodivergenten Mädchen an, die aus sensorischen Gründen kein Kopftuch tragen können und von ihren Familien als (kurzhaarige) Jungen eingeschult werden (Mehrabi 2023, 116).↩︎
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Der Tweet von Leena Manimekali wurde vielfach geteilt und erscheint auch auf anderen Social Media-Plattformen, zumeist wird suggeriert, es handle sich um eine spontane artivistische Performance im Kontext der Proteste im Iran. Tatsächlich handelt es sich um die Arbeit der belgischen Künstlerin Edith Dekyndt, die aus dem Jahr 2014 stammt und 2023 in der Bourse de Commerce (Paris) ausgestellt wurde. Für den Hinweis auf diesen Zusammenhang danke ich Kathrin Heinrich.↩︎
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In den Überlegungen zu Tod, Klage und Eulogie bezieht sich die Autorin auf Butler 2004.↩︎
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Dass Konzepte wie der Westen, das Westliche oder die westliche Person problematisch und uneindeutig sind, Homogenitäten behaupten, wo es keine gibt, und Superioritätsnarrative transportieren, ist bekannt. Dennoch lassen sich Momente eines orientalisierenden Blicks auf den Iran, eines western gaze, beschreiben, insbesondere auch in der Bewertung der gegenwärtigen Revolte durch Akteur*innen aus Europa und Nordamerika. Ich nehme im Folgenden eine kritisch okzidentalistische Perspektive ein, die helfen soll, diese Momente transparent zu machen; diese Haltung äußert sich typografisch in der Kursivierung des Begriffs und seiner Ableitungen. Westen oder westlich benennt dann keine topografische oder ethnische, schon gar keine biologische Gegebenheit, sondern eine implizite Selbstzuschreibung von Modernität, Säkularität, Gleichberechtigung etc., die sich als Gegenbild zu dem rückständigen, klerikokratischen, von Benachteiligung und systemischer Rechtlosigkeit insbesondere unsichtbar gehaltener Frauen geprägten Osten entwirft. In dieser stetig wiederholten und performativ rekonstruierten Opposition gewinnt der Hijab bzw. die Invisibilisierung weiblich gelesener Körper im öffentlichen Raum an symbolischem Unterscheidungswert: Die Zwangsverschleierung wird zur Berliner Mauer des Iran, pointiert Masih Alinejad (s.o.). Zu einer kritisch-okzidentalistischen Haltung vgl. etwa Dietze 2010.↩︎
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Entsprechende Perspektiven wurden auf Tagungen und in Vorträgen, etwa von der Theaterwissenschaftlerin Maryam Palizban oder der Autorin und Übersetzerin Yeganeh Khoie, vorgestellt, sind aber großenteils noch nicht publiziert. Palizban etwa geht von Auerbachs Überlegungen zu Mimesis und Figur aus, um die protestierenden Körper als unablösbar von orientalisierenden Zu-Schreibungen in den Blick zu bekommen (2022).↩︎
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Der Begriff des Einräumens ist hier verstanden im Sinne von Haß 2010.↩︎
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»ἄγειν (ágein), gr., V.: nhd. in Bewegung setzen, bringen, holen, führen, leiten, verfolgen; Vw.: s. ἀν- (an), ἀπ- (ap), εἰς- (eis), ἐξ- (ex), ἐπ- (ep), κατ- (kat), προς- (pros), συν- (syn); E.: idg. *aĝ‑, *h2eĝ‑, *h2aĝ‑, *h2oĝ‑, V., treiben, schwingen, bewegen, führen, Pokorny 4« (Köbler 2007).↩︎
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Zum Verhältnis von parrhesia, dem Prinzip der freien Rede, und isegoria, dem gleichen Recht auf Redefreiheit vgl. etwa Carter 2004, 202. Vgl dazu auch Stenzel 2021.↩︎
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Aristoteles unterscheidet typologisch die eigentliche, freie Agora von der »Kaufagora« (ἥ τῶν ὠνίων ἀγορὰ), Aristot. pol. 7, 1331 a 32-35; b 1-3. Vgl. Moggi 2012.↩︎
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Zum Konzept des kritischen Fabulierens vgl. Hartman 2008, 2.↩︎
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Zehra Doğan (@zehradogan), »Berlin, Iranian Consulate. We are in front of them with what they curse; menstrual blood, henna and hair. We are not alone, we are everywhere! #JinaMahsaAmini #mahsaamini #jinamahsaamini« Camera: Ulaş Yunus Tosun, Video edit: Özgür Rayzan. Twitter, 26.9.2022. Vgl. Harris 2022.↩︎
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Mortezai wurde 1980 im iranischen Teil Kurdistans geboren und beendete 2008 ein Kunststudium in Teheran. Stand: 3.3.2023. https://www.asteramortezai.com/cv.↩︎
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Der Status der Metöken ist seit Jahrzehnten ein umstrittener Gegenstand althistorischer Debatten. Dabei haben sich in den letzten Jahren einige Diskussionslinien konkretisiert, die für mein typologisches Vorhaben anschlussfähig scheinen: Metöke wurde man durch das Zusammentreffen formaler Rechtsakte (die Freilassung eines Sklaven, die Erklärung eines Reisenden zum Ansässigen, aber auch durch die Entrechtung und Entpflichtung als Bürger. Das Metökentum war zunächst eine politische Status‑, keine Klassenzuordnung. Es gab wohlhabende Metöken und arme Vollbürger gleichermaßen (selbst als Sklave konnte man es zu einigem Vermögen bringen). Die Metöken waren eine intermediäre Gruppe von Nicht-Bürgern. Jeder Metöke war einem Vollbürger als seinem gesetzlichen Vertreter (prostates) zugeordnet und zur Zahlung einer speziellen Steuer, des metoikion, verpflichtet (vgl. Mogens 1995). Zu Metoikie als sozialer Praxis vgl. Sosin 2016.↩︎
Literatur
ABC News. 2022. X (Twitter), 21.09.2022, 21:22. Stand: 26.04.2024. https://x.com/ABC/status/1572667544036581378.
Afary, Janet. 1996. The Iranian constitutional revolution, 1906-1911: grassroots democracy, social democracy, and the origins of feminism. New York: Columbia University Press.
Alinejad, Masih (@AlinejadMasih). 2022. »Do you know why Iranian regime savagely crackdown the peaceful protests ofter the brutal death of #MahsaAmini?« Twitter, 19.9.2022. Stand: 3.3.2023. https://twitter.com/AlinejadMasih/status/1571886361271062529?lang=de.
Alinejad, Masih. 2019. »The Women who Took to the Streets.« My Stealthy Freedom. 5.7.2019. Stand: 27.2.2023. https://www.mystealthyfreedom.org/girls-of-revolution-street/.
Alinejad, Masih. o.J. »What inspired My Stealthy Freedom?« My Stealthy Freedom. Stand: 3.3.2023. https://www.mystealthyfreedom.org/faq/.
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