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Drazic: Die Politik des Kritischen Komponierens

5.2 Emphatisches Kunstverständnis

Auf welchem Kunstverständnis basiert die Politik des Kritischen Komponierens, wie sie in Lachenmanns Texten zum Ausdruck kommt? Ich möchte in der Folge nochmals auf den bürgerlichen Diskurs im Europa des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts zurückkommen. Dieser ist geprägt durch die Entstehung einer »Eigensphäre von Kunst, Wissenschaft und Kultur«82, worin die Kunst als Selbstzweck erscheint – jeglicher Bezug zur …

5.3 Zwischen Fortschritt und Konservatismus

Als kompositorische Strömung, die der Avantgarde zuzurechnen ist, ist auch das Kritische Komponieren vom Geist des Fortschritts durchdrungen. So bemerkt Nonnenmann in Bezug auf Lachenmann: Das Kontinuum einer bürgerlich revolutionären Musiktradition, auf das sich Lachenmann mit seinem Begriff der »latenten Tradition« stützt, wird also nicht durch die mehr oder minder reflektiert angewandte Regelhaftigkeit von Satz‑, Form- und Gattungsnormen verbürgt, sondern …

5.4 Zwischen Egalitarismus und Elitismus

»Denn […] Unterhaltung soll sein«: Gleichwertigkeit der Musik- und Rezeptionsformen? 1971 äußert Lachenmann in einem »Werkstatt-Gespräch« mit Ursula Stürzbecher: »Was ich will, mein ›Ziel‹, ist immer dasselbe: eine Musik, die mitzuvollziehen nicht eine Frage privilegierter intellektueller Vorbildung ist, sondern einzig eine Frage kompositionstechnischer Klarheit und Konsequenz«212. Im antiautoritären Geist der 1968er-Bewegung und unter dem Eindruck einer neomarxistischen Hegemonie in linksintellektuellen …

5.5 Universalismus

In »Zur Analyse Neuer Musik« übt Lachenmann harsche Kritik an den aktuellen Erscheinungsformen zeitgenössischer Kunstmusik: Durch ihre Anbiederung an ein breiteres Publikum habe sie zwar breite Akzeptanz erlangt, dafür aber ihren Wahrheitsgehalt eingebüßt. Durch Konzessionen an die Bequemlichkeit sei die ›neue Musik‹ scheinhaft geworden, sie bediene eine gesellschaftliche Sehnsucht nach Geborgenheit und trage damit zur Unwissenheit und infolgedessen zur Ruhigstellung …

5.6 »Lieschen Müller beim Geschirrspülen« – die Marginalisierung des Weiblichen und die Unsichtbarkeit des Männlichen

Konstruktionen von Weiblichkeit Das Kritische Komponieren ist mit dem Anspruch einer kompositorischen Kritik an gesellschaftlichen Dominanzstrukturen verbunden. Im Gefolge der Kritischen Theorie wird ihm das Potenzial zugeschrieben, herrschende Wahrnehmungsmuster zu destabilisieren, um zu Aufklärung, Emanzipation und Autonomie der Individuen beizutragen. Das Kritische Komponieren hat – so ließe sich vermuten – kein Geschlecht: Schließlich ist weder die Kritik noch das Komponieren …

6.1 Tendenzen in der Lachenmann-Literatur

Teil III: Außenansicht 6 Über Lachenmann sprechen 6.1 Tendenzen in der Lachenmann-Literatur Der Diskurs, der den Gegenstand dieser Arbeit bildet, kann als Anordnung konzen­trischer Kreisen visualisiert werden, deren relative Position die Nähe zum Kern des Korpus veranschaulicht, der von Lachenmanns eigenen Texten gebildet wird. Diesem Subkorpus wird in diesem Buch die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Der zweite Kreis repräsentiert das diskursive …

6.2 Stadien im Sprechen über Lachenmann

In der frühen Lachenmann-Literatur stechen neben der Nähe der Positionen die ostentativ zur Schau getragene Gelehrsamkeit und der oft hochtrabende Stil hervor, die den vorgetragenen Standpunkten Dignität verleihen sollen. Die Autor*innen äußern sich im Sinne von Adornos Kulturindustrie-27 und Materialbegriff28, geißeln in der Sprache der Neuen Linken Entfremdung29 oder berufen sich auf das Fortschrittsprinzip30 und den utopischen Charakter von Kunst31. …

7.1 Szenen und Milieus: Terminologie kultureller Vergemeinschaftung im Zeichen der Lebensstilforschung

7 Das soziale Feld der ›neuen Musik‹ In den vorigen Kapiteln wurden verschiedene Aspekte des Diskurses um das Kritische Komponieren beleuchtet, wobei die Texte Helmut Lachenmanns im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Auf den folgenden Seiten wird unterdessen der Versuch unternommen, diesen Diskurs in seinem sozialen Kontext zu verorten, um neben den diskursinternen auch die externen Bedingungen seiner Entstehung und Entwicklung …

7.2 Das kulturelle Feld

Von den als labil und unstrukturiert gedachten Szenen,23 die über keine verbindlichen Regeln oder Handlungsnormen verfügen, unterscheidet sich Pierre Bourdieus Konzept des kulturellen Feldes in mehrfacher Hinsicht. Gemäß den Konnotationen des Feldbegriffs, der aus der Physik in die Sozialwissenschaften übernommen wurde, schwingt bei seiner Verwendung der Gedanke an Kräfteverhältnisse mit, die auf einen örtlich bestimmbaren Bereich wirken und auf die …

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