7.4 Die sozialwissenschaftliche Forschung zum Feld der ›neuen Musik‹



Innerhalb der sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Musik machen die Ausein­ander­setzungen mit ›neuer Musik‹ nur einen kleinen Teilbereich aus.46 Dieses Defizit artikuliert Frank Hentschel in einem Text aus dem Jahr 2010, in dem er die Kombination einer »Interpretation von Dokumenten aus der Szene der Neuen Musik mit empirischen Forschungen«47 fordert. In eine ähnliche Kerbe schlägt Georgina Borns Vorschlag einer Erforschung des ›neue Musik‹-Bereichs mittels ethnografischer Methoden:

Because these phenomena have the capacity to absorb and conceal contradiction, it takes a method such as ethnography to uncover the gaps between external claims and internal realities, public rhetoric and private thought, ideology and practice.48

Born bringt hier den eingangs artikulierten Anspruch zum Ausdruck, den Selbstdarstellungen der Akteur*innen im kulturellen Feld im Sinne der Kontextualisierung eine Außenperspektive gegenüberzustellen, um ideologische Momente – oder das, was Bourdieu als ›Illusio‹ bezeichnet – sichtbar zu machen.

Den Großteil der sozialwissenschaftlichen Studien zum Bereich der ›neuen Musik‹ bilden Publikumsanalysen, wobei es sich bei der überwiegenden Mehrheit davon um die Untersuchung breiterer Publikumsbereiche handelt, die sich nur zu einem kleinen Teil auf das Publikum der ›neuen Musik‹ beziehen.49 Ausschließlich der ›neuen Musik‹ gewidmete Analysen bilden die Ausnahme. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Simone Heilgendorff durchgeführte Untersuchung der Publika von drei internationalen ›neue Musik‹-Festivals, da es sich dabei nicht nur um die aktuellste, sondern auch die umfangreichste Studie in diesem Bereich handelt.50 Neben der Arbeit von Heilgendorff u.a., deren Ergebnisse vorläufig in einigen Publikationen von Katarzyna Grebosz-Haring und anderen vorliegen, fällt die Untersuchung von Henriette Zehme als zweite deutschsprachige, ausschließlich dem ›neue Musik‹-Publikum gewidmete Studie ins Gewicht. Borns ethnografische Untersuchung des Institut de recherche et coordination acoustique/musique (IRCAM) stellt als Institutionsanalyse einen Sonderfall dar.51

Die Ergebnisse dieser empirischen Arbeiten sind freilich nur mit Einschränkungen auf das Umfeld des Kritischen Komponierens zu übertragen. Zudem sind dessen Akteur*innen nicht repräsentativ für das Publikum ›neuer Musik‹, sondern vielmehr Teil jenes inneren Kerns, den Gebhardt als ›Organisations- und Reflexionselite‹ bezeichnet.52 Dennoch lassen die Studien in begrenztem Umfang Rückschlüsse auf den Diskurs des Kritischen Komponierens zu.

Komplizenschaft von Diskurs und Feld

Wie die Publikumsanalysen übereinstimmend zeigen, repräsentieren Hörer*innen ›neuer Musik‹ sowohl hinsichtlich ihrer ökonomischen Situierung als auch ihrer Bildungsabschlüsse ein privilegiertes Gesellschaftssegment.53 Personen mit niedrigem Bildungsabschluss und/oder geringem Einkommen sind hingegen kaum anzutreffen (wobei die Variablen ›formale Bildung‹ und ›Einkommen‹ weitgehend korrelieren)54. Hans Neuhoff zufolge besetzen die Besucher*innen von Veranstaltungen in den Bereichen ›Klassik‹ und ›neue Musik‹ die Spitzenposition im Internationalen Sozioökonomischen Index (ISEI). Nur scheinbar steht dazu der Befund von Zehme im Widerspruch, wonach das Publikum der Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik ein unterdurchschnittliches Einkommen aufweist. Der Autorin zufolge ist diese Unstimmigkeit nämlich »durch den hohen Anteil an Schülern und Studenten zu erklären«55 und steht somit der allgemeinen Tendenz einer Zugehörigkeit zu privilegierten sozialen Klassen nicht entgegen.

Die Variable mit dem größten Einfluss ist Neuhoff zufolge die Bildung. Auch wenn »die absoluten Unterschiede zwischen den traditionell bildungshoch verankerten Musikarten (Klassik und Jazz) und bestimmten nicht-akademischen Musikarten (House, Mainstream-Rock) im Schwinden sind«,56 besitze der Bildungsabschluss in Relation zu den durchschnittlichen Abschlüssen des jeweiligen Geburtsjahrgangs immer noch prognostischen Wert.57 Zu einem ähnlichen Befund kommt Grebosz-Haring:

It may be concluded that the most important precondition for access to contemporary art music is still a high level of education. In all festivals and concert formats, the audience represents an intellectual elite.58

So verzeichnet die Studie einen Publikumsanteil von 83 Prozent mit Hochschulabschluss, davon knapp 20 Prozent mit Doktorat.59

Im Gefolge des Individualisierungstheorems war in den späten 1980er- und 1990er-Jahren die Position vertreten worden, dass der musikalische Geschmack in der Gegenwartsgesellschaft nicht mehr oder in weit geringerem Ausmaß als zuvor mit der sozialen Herkunft in Verbindung stehe.60 Diese These steht im Widerspruch zu der Position Bourdieus, der Musikgeschmack als wesentliches Mittel der Abgrenzung der ›herrschenden Klasse‹ gegenüber den dominierten Klassen interpretiert.61 Auch Neuhoff erteilt der Annahme einer Bedeutungsminderung des Herkunftsmilieus eine Absage:

Diese Befunde stehen allen Thesen von einer Enttraditionalisierung soziokultureller Strukturen, der Auflösung von sozialen und kulturellen Grenzen in unserer Gesellschaft, offenkundig entgegen. Von einer Durchmischung sozialer Statusgruppen in den Auditorien des Musiklebens, wie sie hier durch das zentrale Merkmal der Erwerbstätigkeit definiert wurden, kann überhaupt keine Rede sein.62

Nicht zuletzt kam auch das Team um Heilgendorff zu dem Schluss, dass die Festivals ›neuer Musik‹ zur Reproduktion sozialer Ungleichheit beitragen.63 Insgesamt ist das Publikum der ›neue Musik‹-Festivals Grebosz-Haring zufolge überdurchschnittlich alt, formal hoch gebildet und zu einem Großteil selbst jenem Gesellschaftssegment zugehörig, das die Autor*innen in Anlehnung an Reckwitz als »creative class«64 bezeichnen.

Die exklusive Zusammensetzung des ›neue Musik‹-Publikums korrespondiert mit den elitären Tendenzen im Diskurs über das Kritische Komponieren, wo eine Ablehnung des Populären mit einer negativen Sicht auf die Mehrheit der Bevölkerung einhergeht (vgl. Kapitel 5.4). Wie erwähnt, sind die sozialwissenschaftlichen Forschungen zum Feld der ›neuen Musik‹ in diesem Zusammenhang mit Vorsicht zu behandeln: Sie repräsentieren zum einen teils bereits historische Momentaufnahmen des Feldes; zum anderen entstammen sie spezifischen Kontexten, die mit dem Umfeld des untersuchten Diskurses nicht deckungsgleich sind. Auch handelt es sich beim Großteil der Untersuchungen um Publikumsanalysen – sie erfassen also lediglich einen Teil der Handelnden im Feld, wobei die ›Organisations- und Reflexionselite‹, aus der sich die Teilnehmer*innen des Diskurses über das Kritische Komponieren mehrheitlich rekrutieren, nicht eigens erfasst wird. Dennoch sind gewisse Rückschlüsse möglich: Folgt man Bourdieus Argumentation der ›feinen Unterschiede‹, so ist anzunehmen, dass auch die Diskursteilnehmer*innen den beschriebenen sozialen Klassen zuzurechnen sind und der Diskurs auch an Angehörige dieser sozialen Klassen adressiert ist, dass also auch die intendierten Leser*innen der analysierten Texte diesen Gesellschaftsgruppen angehören.

Als weiteres Anzeichen für den elitären Charakter des Publikums ›klassischer‹ – wie auch ›neuer‹ – Musik deutet Neuhoff dessen herausragende »Affektkontrolle«65, die sich in der durch Reglosigkeit und Selbstkontrolle charakterisierten Rezeptionshaltung manifestiere. Neuhoff verweist in diesem Zusammenhang auf Georg Simmel, der die Affektkontrolle als entscheidende Voraussetzung für die bürgerliche Hegemonie im 19. Jahrhundert deutete. In der bürgerlich geprägten Konzertkultur finden diese Verhaltensweisen Neuhoff zufolge einen symbolischen Ausdruck.66

Die elitäre Zusammensetzung des Feldes wird im Diskurs des Kritischen Komponierens – dessen Entstehung im Umfeld der Neuen Linken zum Trotz – jedoch nicht nur keiner (oder nur einer marginalen) Kritik unterzogen, die anti-populären und massenfeindlichen Tendenzen des Diskurses verhalten sich vielmehr in Komplizen­schaft mit dieser sozialen Realität. Somit wird soziale Ungleichheit im Feld der ›neuen Musik‹ durch den Diskurs über das Kritische Komponieren zugleich verschleiert und auf einer symbolischen Ebene reproduziert.

Die Institutionen als Torhüterinnen

Im Bereich der ›neuen Musik‹ bieten insbesondere Institutionsanalysen Einblicke in die Ausdehnung und die Grenzen des Feldes. Dahlia Borsche bemerkt hinsichtlich des Soziotops der ›neuen Musik‹, dieses erhalte »vor allem auch durch seine Konstruktion von etwas ›Anderem‹ seine Kontur.«67 Wie sich herausstellt, sind diese Grenzen jedoch nicht ein für alle Mal festgeschrieben, sondern bilden vielmehr einen Gegenstand der Auseinandersetzung unter den beteiligten Akteur*innen. Solche Aushandlungsprozesse reflektiert Borns IRCAM-Studie ebenso wie Hentschels Untersuchung der Wittener Tage für neue Kammermusik, in deren Zusammenhang sich der Autor auch mit der Geschichte der Darmstädter Ferienkurse beschäftigt hat.68

Borns in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren durchgeführte ethnografische Studie über das IRCAM erlaubt zum einen aufgrund der Spezifik des französischen Kontexts nur bedingt einen Vergleich mit dem deutschsprachigen Raum, in dem der Diskurs über das Kritische Komponieren hauptsächlich verortet ist. Zum anderen stellt das IRCAM eine in seiner Art unvergleichliche Institution an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie dar, zugeschnitten ganz auf die Persönlichkeit ihres Gründers Pierre Boulez. Trotzdem sind auch hier bedingte Ver­all­ge­meinerungen möglich, denn bei aller Verschiedenartigkeit weisen die untersuchten Institutionen doch nicht unwesentliche Gemeinsamkeiten auf. So sind und waren sowohl das IRCAM als auch die Darmstädter Ferienkurse maßgeblich an der Ausbildung und Verfestigung eines Kanons der ›neuen Musik‹69 beteiligt, der ganz oder teilweise durch den Ausschluss ästhetischer Positionen konstituiert wird, die annäherungsweise mit den Adjektiven ›pluralistisch‹, ›populär‹ und ›postmodern‹ gekennzeichnet werden können.70 Mit Einschränkungen gilt dies auch für die Wittener Tage: Zwar grenzt sich das Festival unter seinem Leiter Wilfried Brenneke gegenüber ›orthodoxen‹ Institutionen der Avantgarde wie den Darmstädter Ferienkursen ab, indem eine größere Breite an ästhetischen Positionen einbezogen werden soll.71 Dennoch stützt sich Brennekes Programm nichtsdestoweniger auf implizite Normen – wie jene der Innovation, die etwa den Neoklassizismus ausschließt.72 Auch ist in der Gegenüberstellung des regulären Programms mit dem sogenannten Zusatzprogramm nicht nur eine engere Ausrichtung des Ersteren, sondern auch ein beiden Schienen gemeinsamer ›Kanon des Verbotenen‹ zu erkennen.73

In Bezug auf das IRCAM konstatiert Born weiters eine Ausrichtung am traditionellen Konzertritual sowie ein Festhalten am Prinzip der Autor*innenschaft, das sie mit einer starken Orientierung an Textualität in Verbindung bringt.74 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen IRCAM und Darmstädter Ferienkursen ist das Auftreten von Generationenkonflikten, in denen die Definitionsmacht innerhalb des Feldes sowie dessen Grenzen zur Disposition stehen. So kam es in Darmstadt um das Jahr 1968 zu Auseinandersetzungen zwischen der Leitung der Ferienkurse und Teilneh­mer*innen mit Nähe zur Studierendenbewegung, die für eine Pluralisierung und Demokratisierung der Kurse sowie für eine Öffnung des Repertoires gegenüber anderen, beispielsweise außereuropäischen Positionen eintraten. Interessanterweise erschien in diesem Zusammenhang gerade das (eigentlich inhärent kritische) marxistische Denken als symptomatisch für die elitären und konservativen Tendenzen des ›Establishments‹.75 Auch Born beobachtet – wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt – einen Generationenkonflikt, der hier Boulez als Vertreter der Avantgarde von der Folgegeneration trennt, deren ästhetische Positionen die Anthropologin als postmodern identifiziert.76

Beziehen wir diese Diagnosen hinsichtlich der Grenzen des Feldes auf den Diskurs des Kritischen Komponierens, erscheint dessen Position zunächst klar: Wiederholt bestehen Lachenmann und die Autor*innen in seinem diskursiven Umfeld auf einem engen und normativen Begriff der Kunst im Allgemeinen wie auch der (neuen) Kunstmusik im Besonderen – sie treten also für eine klare Begrenzung des Feldes ein, das vor der Übernahme durch ›feindliche‹ Positionen im Bereich des Populären, der Postmoderne oder des Pluralismus zu schützen sei.77 Dem entsprechen das Festhalten am emphatischen Kunstbegriff und die Ausrichtung an einem Kanon ›avancierter‹ Musik.78 Auch ein Beharren auf Textlichkeit und dem traditionellen Konzertritual lassen sich im Diskurs um Lachenmann beobachten. Dazu ist zu bemerken, dass diese Abgrenzungs­bestrebungen sich nicht auf den Diskurs des Kritischen Komponierens beschränken, sondern für die Auseinandersetzungen im Feld der ›neuen Musik‹ insgesamt kennzeichnend sind. Diese Einschätzung wird jedoch durch den Umstand konterkariert, dass Lachenmann in dem von Hentschel zitierten Konflikt für die junge Generation Partei ergriff.79 Auch widerspricht dem teilweise doktrinären Ton innerhalb des Diskurses die Feststellung von Dollase u.a., dass sich das ›neue Musik‹-Publikum durch einen überdurchschnittlichen Grad an ästhetischer Toleranz auszeichne.80

Doch auch, wenn im Diskurs über das Kritische Komponieren gewisse Aussagen mit einiger Regelmäßigkeit auftreten und damit den Diskurs als solchen erst hervorbringen, sind bereits die Texte Lachenmanns in sich vielschichtig und nicht auf eine einfache Formel zu bringen. Sosehr der Komponist wiederholt einen klar begrenzten Kunstbegriff einfordert, sich auf einen Kanon von Meisterwerken beruft oder eine an Fortschritt und Innovation orientierte Position avantgardistischen Denkens vertritt, finden sich in seinen Schriften doch auch gegensätzliche Elemente. Der Briefwechsel mit Nono macht deutlich, dass sich auch Lachenmann und sein Lehrer in einem Generationenkonflikt befanden: hier der orthodoxe Marxist, dort der skeptische Christ mit Sympathie für die Neue Linke. Hier politisch engagierte Musik, dort eine Gesellschaftskritik, die nur in der musikalischen Struktur manifest werden will. Hier serielles Denken und Reinigung des Materials, dort die dialektische Neukodierung und Resemantisierung überlieferter Mittel sowie der Fokus auf Klang und Wahrnehmung. Auch wenn Lachenmann immer wieder auf dem Fortschritts­prinzip81 besteht und sich von prononciert postmodernen Positionen abgrenzt,82 rücken ihn seine wiederholt durchklingende Kritik an Adorno oder die Beschäftigung mit asiatischer Philosophie in die Nähe postmoderner Positionen.83

Politische Orientierung

Explizite politische Vorlieben wurden in den Publikumsbefragungen nur in Ausnahmefällen thematisiert. Einzig Dollase und Rüsenberg stellten die »Sonntagsfrage«84 in ihrer 1978-1980 durchgeführten Untersuchung – und damit in zeitlicher Koinzidenz zu der Periode, in welcher Lachenmanns Textproduktion die größte Intensität erreichte.85 Der Politisierung des ästhetischen Diskurses der Zeit, die in Lachenmanns Texten einen Widerhall findet, stehen die Ergebnisse in Bezug auf das Publikum ›neuer Musik‹ jedoch entgegen. So bringt dieses zwar mehrheitlich eine »links-grüne Orientierung«86 zum Ausdruck, ordnete sich auf einer Links-Rechts-Skala aber nur wenig links der Mitte ein87 – und damit deutlich rechts von den Jazz- und Liedermacher-Publika. (Dabei sollte im Blick behalten werden, dass politische Orientierungen keine überzeitliche Essenz besitzen, sondern zeit- und kontextabhängig sind.) Auch ist im ›neue Musik‹-Publikum der Anteil der Nichtwähler*innen besonders hoch und nur ein kleiner Prozentsatz gibt an, politisch aktiv zu sein – dieser ist geringer als etwa beim Opernpublikum oder bei den Hörer*innen volkstümlicher Musik.88

Dieser Befund steht der politischen Konnotation des Diskurses um das Kritische Komponieren entgegen. Zudem nahm die Kritische Theorie in den 1960er- und 1970er-Jahren in den ästhetischen Debatten Westeuropas auch über die Grenzen des Kritischen Komponierens hinaus eine hegemoniale Stellung ein. Es erscheint also als überraschend, dass diese Tendenz bei dem von Dollase u.a. untersuchten Publikum nicht stärker zu Buche schlägt. Dazu ist jedoch zu bemerken, dass die Untersuchung von Dollase u.a. das Publikum eines einzigen Konzerts aus dem Bereich der ›neuen Musik‹ umfasst –89 die Antworten können also keinerlei Repräsentativität beanspruchen. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass sich die politischen Präferenzen des untersuchten ›neue Musik‹-Publikums nicht mit der politischen Orientierung der untersuchten Diskursbeiträge decken. Mit Gewissheit lässt sich jedoch sagen, dass der Diskurs des Kritischen Komponierens ein relativ weit links stehendes Segment innerhalb des ›neue Musik‹-Diskurses repräsentiert.90

Funktionen von Musik

In den Publikumsbefragungen wurden auch die Funktionen abgefragt, die Musik im Leben der Hörenden einnimmt. Dollase u.a. zufolge spielen »Ablenkung«91 und »Trost«92 für das Publikum von ›neuer Musik‹ eine geringere Rolle als für andere Publika, während jenes das Musikhören am häufigsten mit Bildungszwecken verbindet.93 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Neuhoff, dem zufolge »Entspannung«94 und »Trost«95 die geringste und »Kontemplation«96 die größte Bedeutung für das ›neue Musik‹-Publikum besitzen. Dem entsprechen auch die Ergebnisse von Heilgendorff u.a., deren Respondent*innen Musik mehrheitlich als »thought-provoking impulse«97 bezeichnen.

Die Funktionen, welche die Hörer*innen von ›neuer Musik‹ dieser in den Publikumsbefragungen zuschreiben, decken sich weitgehend mit den Inhalten des Diskurses über das Kritische Komponieren. So wird Musik großteils mit dem emphatischen Kunst- und Bildungsanspruch des bürgerlichen 19. Jahrhunderts aufgeladen. Bei der Bewertung des Umstands, dass die Unterhaltungsfunktion beim ›neue Musik‹-Publikum insgesamt schlecht abschneidet, ist freilich auch die soziale Erwünschtheit der Antworten mitzuberücksichtigen.

Neuhoff fragt zwar ebenso wenig wie Heilgendorff u.a. die parteipolitischen Einstellungen der Respondent*innen ab, analysiert aber deren Persönlichkeitsstruktur und schreibt den Hörer*innen dabei Wertorientierungen zu, die ebenfalls politische Implikationen bergen. So gehe eine »materiell-sicherheitsorientierte Grund­einstellung«98 mit der Ablehnung von ›neuer Musik‹ einher, deren Publikum (wie auch die Hörer*innen von Kunstmusik im Allgemeinen) sich vielmehr durch eine »postmateriell-emanzipatorische Grundhaltung«99 auszeichne. Die Persönlichkeitsmerkmale »Anomie, Fatalismus und Autoritarismus«100 weisen laut Neuhoff dagegen eine geringe Korrelation mit ›neuer Musik‹, dafür eine hohe mit Schlager und Volksmusik auf, deren Hörer*innen überhaupt zu »labile[n], wenig ich-starke[n] Persönlichkeiten«101 tendieren würden.

Bei diesen Zuschreibungen muss – ebenso wie bei den von den Hörer*innen genannten Funktionen von Musik – bedacht werden, dass die Hörenden von ›neuer Musik‹ mehrheitlich derjenigen sozialen Klasse angehören, zu der auch der Wissenschaftler zählt, was bei den Publika von ›Unterhaltungsmusik‹ mutmaßlich in geringerem Ausmaß der Fall ist. Somit ist auch anzunehmen, dass das Publikum ›neuer Musik‹ die Ansichten und Werthaltungen des Forschenden in einem größeren Umfang teilt. Auch verfügen die Hörer*innen ›neuer Musik‹ aufgrund ihrer im Schnitt höheren Bildungsabschlüsse eher als das Publikum von Schlager und volkstümlicher Musik über die Voraussetzungen zum Erteilen sozial erwünschter Antworten – also über die Fertigkeit, sich in einer Weise darzustellen, von der anzunehmen ist, dass sie einen vorteilhaften Eindruck macht. Es kann ferner davon ausgegangen werden, dass es der Intention einer Mehrzahl der ›neue Musik‹-Hörer*innen entspricht, sich als aufgeschlossen und progressiv darzustellen, da diese Werte innerhalb des Gesellschaftssegments, dem Hörende wie Forscher entstammen, ein hohes Ansehen genießen. (Dass es für Angehörige materiell gut situierter Klassen verhältnismäßig leicht ist, ›postmaterielle‹ Werte zur Schau zu stellen, sei hier nur am Rande erwähnt.) Ebenso ist die Diagnose, den Hörer*innen ›neuer Musik‹ sei eher eine ›emanzipatorischere‹ Haltung zu eigen als den Publika anderer Musikarten, zwar als interessanter Befund (der im Übrigen der von Dollase bescheinigten Politikverdrossenheit widerspricht), aber dennoch cum grano salis zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn die Haltung einer Person häufig über den Umweg der Selbstdarstellung erschlossen wird, ist der Wunsch zur Image-Konstruktion zumindest in die Bewertung der Ergebnisse mit einzubeziehen.

Die soziologischen Untersuchungen als Diskursbeiträge

Auch in den sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Feld der ›neuen Musik‹ lassen sich Denkfiguren beobachten, die aus dem Diskurs über das Kritische Komponieren bekannt sind. So sieht Gebhardt im »›Soziotop‹ neue Musik«102 eine »widerständige, zeitgeistresistente Szene«103 und bedient damit den Topos von den gesellschaftskritischen Implikationen ›neuer Musik‹. Auch ist an einigen Untersuchungen das von Hentschel als ›Verschwisterungsideologie‹104 bezeichnete Phänomen – also eine geringe Distanz der Forschenden gegenüber ihrem Forschungsgegenstand – zu beobachten.

So präsentiert Heilgendorff die Entwicklung der untersuchten Festivals ›neuer Musik‹ als Erfolgs­geschichte, in der es etwa heißt: »Large festivals of contemporary art music after approximately the year 2000 managed to become a more and more established part of this thriving cultural life, sometimes after decades of a niche existence.«105 Dabei bleibt jedoch unklar, welche Merkmale zutreffen müssen, damit eine Musikform zur »niche« oder zum »thriving cultural life« zu zählen ist. Insgesamt fehlt es an objektivierbaren Indikatoren, an denen der Einfluss, die Bedeutung oder der Erfolg eines Musikfestivals festzumachen wäre. Die Position der Forschenden ist dadurch von den Interessen der ›Organisationselite‹ nicht immer klar zu trennen.106

Heilgendorff und Grebosz-Haring berufen sich auf das von Andreas Reckwitz geprägte »Kreativitätsdispositiv«107 in der »kulturorientierte[n] Stadt«108, wobei sie die untersuchten Musikfestivals als Akteur*innen einer Ästhetisierung und Kulturalisierung der Städte und der Entwicklung hin zu einer pluralistischen und offenen Gesellschaft fernab des Elitendenkens der ›Hochkultur‹ interpretieren.109

In seiner 2012 erschienenen Studie Die Erfindung der Kreativität deutet Reckwitz den Siegeszug der Kreativität seit den 1970er-Jahren als alle sozialen Klassen erfassenden »Kreativitätsimperativ«110, welcher Ideale des Schöpferischen, wie sie in der romantischen Figur des Künstlers angelegt seien, universalisiere und ins Zentrum der kapitalistischen Gesellschaften rücke.111 Ausgehend von Foucault schildert der Soziologe den Aufstieg des Kreativitätsdispositivs im Zuge der ›Counter Culture‹ der 1960er-Jahre in den Rang eines dominanten Paradigmas, das »die gesamte Struktur des Sozialen und des Selbst«112 umfasse.113 Dabei zitiert Reckwitz unter anderem Luc Boltanski und Ève Chiapello, die die Hinwendung zur Kreativität in ihrem 1999 im Original erschienenen Buch Der neue Geist des Kapitalismus als neoliberale Strategie interpretieren, welche vormals emanzipatorische Forderungen wie jene nach Autonomie vereinnahme und damit entschärfe.114 Von einer solchen Vereinnahmung (»capture«115) spricht auch Angela McRobbie, die seit den 1990er-Jahren die Anpassungsleistungen beschreibt, welche ein globalisierter Kapitalismus einer neuen Generation von Kreativarbeiter*innen abverlangt,116 die McRobbie 2016 als »guinea pigs for testing out the new world of work withouth the full raft of social security entitlements and welfare provision«117 beschreibt. Vor diesem Hintergrund wäre Heilgendorffs und Grebosz-Harings Be­schreibung der Festivals als Bestandteile einer Ästhetisierung der ›creative cities‹, die neue Räume erschließen und damit näher an das urbane Leben heranrücken würden, im Lichte des (von Boltanski und Chiapello zitierten) Management-Diskurses der 1990er-Jahre zu lesen. Dieser setzt ähnliche Topoi mit dem Ziel ein, den Subjekten den Abbau sozialer Sicherheiten durch einen Zugewinn an Autonomie und Kreativität zu versüßen, und macht die Angehörigen der ›creative class‹ somit zu Agent*innen eines fragwürdigen sozialen Wandels, an dessen Ende eine Normalisierung atypischer Beschäftigungsformen, verschärfte Ungleichheit und die Prekarisierung weiter Bevölkerungskreise stehen.118

Angesichts affirmativer Darstellungen wie jener des von Heilgendorff und Reckwitz zitierten Richard Florida, der die ›creative class‹ als Instrument zur Imagesanierung städtischer Ballungszentren im postindustriellen Zeitalter preist und das neue kreative Ethos in wirtschaftsliberalen Termini als Katalysator urbaner Prosperität feiert,119 ist die Rolle der Institutionen ›neuer Musik‹ bei der Konfigurierung des städtischen Raumes im Zuge ambivalenter sozialstruktureller Verschiebungen differenziert zu betrachten. So muss die ›Eroberung‹120 neuer Räume etwa nicht zwingend mit einer tatsächlichen sozialen Öffnung verbunden sein, sondern kann auch mit einer Verdrängung benachteiligter sozialer Klassen einhergehen – etwa jener »[m]ore ordinary workers whose ambitions do not coincide with this ideal«121, von denen McRobbie schreibt, sie würden im allgemeinen Kreativitätsrausch ebenso auf der Strecke bleiben wie »those who are vulnerable or ›truly disadvantaged‹«122 (also jene, in deren Tätigkeitsprofilen aller Euphorie zum Trotz kein Raum für Selbst­entfaltung vorgesehen ist).

Die sozialen Funktionen des Diskurses

Die Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Diskurses über das Kritische Komponieren wirft die Frage nach seinen sozialen Funktionen auf. Analog fragt Landwehr mit den Mitteln der historischen Diskursanalyse, »ob es sich um einen Diskurs handelt, der ausgrenzen will, der diskriminiert, der zu überzeugen versucht oder der soziale Differenzen manifestiert.«123 Dies steht in Einklang mit den Zielen der CDA, die nach der Verzahnung und den Wechselwirkungen zwischen Diskurs und sozialen Praktiken oder – in den Worten von Chouliaraki und Fairclough – »the mediation between the social and the linguistic«124 fragt. Dabei stellt die CDA immer auch die Frage, inwieweit Diskurse der Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen dienen. Es wird sich zeigen, dass dies im Fall des Kritischen Komponierens nur schwer zu beantworten ist, da sich die Machtverhältnisse im kulturellen Bereich vielschichtig und uneindeutig gestalten.

Winfried Gebhardt bezeichnet den Topos einer sinnstiftenden Funktion von Kunst für das menschliche Leben als Legitimationsidee, die nicht zuletzt dem Ziel diene, den Bezug von Subventionen zu rechtfertigen.125 Daran ließe sich die Frage anschließen, ob auch der Diskurs des Kritischen Komponierens eine vergleichbare legitimatorische Funktion erfüllt. Dazu müssen zunächst der performative Charakter der Sprechakte, die die Diskursteilnehmer*innen vollziehen, sowie deren Position im Feld der ›neuen Musik‹ ins Visier genommen werden. Im fünften Kapitel wurde gezeigt, wie Lachenmann in seinen Texten eine Hierarchisierung von Musikformen zugunsten der westlichen Kunstmusik vornimmt, als deren zentrale Merkmale Schriftlichkeit und Werkcharakter erscheinen.126 Die Kunstmusik der europäischen Tradition wird von »Musikangeboten«127 abgegrenzt, die Lachenmann als »Unterhaltung«128, »kommerziell gesteuert«129 oder »Enter­tainment«130 bezeichnet, sowie gegenüber oral tradierter und außereuropäischer Musik.131 Lachenmann nimmt also diverse Ab- und Ausgrenzungen vor, die dem Zweck dienen, das Feld der ›neuen Musik‹ zu limitieren. Diese ästhetischen Grenz­ziehungen sind mit einem negativen Urteil über das Publikum und die breite Masse der Bevölkerung verbunden, das sich – ebenso wie die Abwertung populärer Musik – auch im diskursiven Umfeld wiederfindet.

An dieser Stelle muss nach den Positionen gefragt werden, welche die Teilnehmer*innen des Diskurses im Feld der ›neuen Musik‹ besetzen. Diese Frage ist aufgrund des Fehlens empirischer Daten über die Akteur*innen hier nicht eindeutig zu beantworten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die ›Organisations- und Reflexionselite‹ einen ähnlichen sozialen Hintergrund besitzt wie das Publikum ›neuer Musik‹. Wie die Publikumsanalysen zeigen, gehört dieses mehrheitlich einer sozialen Klasse an, die mit überdurchschnittlich hohem Einkommen und Bildungs­kapital ausgestattet ist. Welchen Interessen dient es also, wenn Angehörige dieser Gruppe bestrebt sind, den Kreis derer zu beschränken, die Zugang zum Feld der ›neuen Musik‹ erhalten? Obgleich über die Funktionen – ebenso wie über die Wirkungen des Diskurses – nur spekuliert werden kann, hat dieses Sprechhandeln möglicherweise eine Rechtfertigung und damit eine Stabilisierung der Homogenität des Feldes zur Folge.

Wie die Institutionsanalysen zeigen, sind die Grenzen des Feldes der ›neuen Musik‹ nicht ein für alle Mal festgelegt, sondern bilden vielmehr den Gegen­stand diskursiver Kämpfe. Der Diskurs des Kritischen Komponierens nimmt darin insgesamt einen konservativen Standpunkt ein, der darauf abzielt, die Ausdehnung des Feldes zu beschränken. Einzelne Beobachtungen stehen diesem Befund jedoch entgegen, etwa Lachenmanns Parteinahme für die junge Generation in Darmstadt um 1968. Dennoch überwiegt der ausschließende Charakter des Diskurses, wobei die Festigung der eigenen Position – die Stabilisierung der Identität nach innen – mit einer Abgrenzung nach außen verbunden ist.

Wie Bourdieu in Bezug auf das literarische Feld im Frankreich des 19. Jahrhun­derts ausführt, steht bei den feldinternen Auseinandersetzungen immer auch die Definition des Feldes in seiner Gesamtheit zur Disposition:

In short, the fundamental stake in literary struggles is the monopoly of literary legitimacy, i.e., inter alia, the monopoly of the power to say with authority who are authorized to call themselves writers; or, to put it another way, it is the monopoly of the power to consecrate producers or products […].132

Umgelegt auf den Diskurs des Kritischen Komponierens bedeutet dies, dass darin nicht nur die Merkmale des Kritischen Komponierens an sich verhandelt werden, sondern die legitime Definition dessen, was überhaupt Anspruch auf die Bezeichnung ›neue Musik‹ (oder Musik im Allgemeinen) erheben darf. In der Tat lässt sich genau dies in den Schriften von Lachenmann und Mahnkopf beobachten. Heißt es bei Lachenmann: »Musik als Kunst findet dort statt, wo ich mich mit meiner ganzen Existenz, meinem denkenden und fühlenden Sensorium dem Gehörten aussetze«133, so attestiert Mahnkopf der Institution Darmstädter Ferienkurse das Vorrecht auf jene »zeitgenössische Musik, die den Titel der Neuheit auch verdient«134. So gesehen ließe sich das Kritische Komponieren als eine unter mehreren Fraktionen begreifen, die um die legitime Definition der ›neuen Musik‹ rivalisieren.

Das Bourdieu’sche Feldkonzept hilft, die Funktion zu erfassen, welche die Grenzziehungen im Diskurs um das Kritische Komponieren innerhalb des Feldes der ›neuen Musik‹ erfüllen. So führt Bourdieu – in Bezug auf die Genese des literarischen Feldes – die Bedeutung ins Treffen, die ein ›Numerus clausus‹ für die Homogenität des Feldes besitzt: Demnach stellt jede nennenswerte Vergrößerung der Anzahl derer, die Zutritt zum Feld erhalten, die Beschaffenheit des Feldes selbst radikal in Frage.135 Dieser Prozess ist auch im Bereich der ›neuen Musik‹ zu beobachten. Georgina Born und Kyle Devine berichten von einer umfassenden Transformation innerhalb des britischen Spektrums ›neuer Musik‹. Dieses würde sich zunehmend gegenüber bisher ausgeschlossenen ästhetischen Phänomenen öffnen – insbesondere der freien Improvisation, der Klangkunst und der experimentellen Musik.136 Die genannten Veränderungen führen die Autor*innen auf mehrere Ursachen zurück. Neben den Kulturvermittlungsbestrebungen seit den 1990er-Jahren und politischer Kritik am elitären Charakter des Feldes sehen sie auch den Rechtfertigungsdruck, unter dem Musikinstitutionen als Bezieherinnen öffentlicher Gelder stehen, als treibende Kraft hinter den Veränderungen. Insgesamt konstatieren Born und Devine eine Diversi­fizierung des Feldes, eine Erneuerung des Kanons und die Koexistenz einer Vielfalt ästhetischer Standpunkte innerhalb des Bereichs der ›neuen Musik‹.137

Ähnlich lautet die Diagnose Harry Lehmanns, auch wenn dieser der ›neuen Musik‹ aufgrund ihrer Abhängigkeit von großen institutionellen Apparaten eine innerhalb der Künste ungewöhnliche Resistenz gegenüber kulturellem Wandel attestiert.138 Die Abgrenzung gegenüber dem Populären – also die Unterscheidung zwischen ›E‹ und ›U‹ – definiert Lehmann als »konstitutive Leitdifferenz«139 der ›neuen Musik‹. Die Torhüterinnenfunktion der Institutionen sieht Lehmann allerdings durch technologische Neuerungen geschwächt. Lehmann zufolge bedingt dieser Prozess eine Pluralisierung musikalischer Konzepte, einen Wegfall von Zugangsbeschränkungen und – ein entscheidender Punkt – »kein verbindliches Ausleseverfahren mehr für eine Elitenbildung wie unter der Leitidee der historischen Avantgarde«140. Wie Born und Devine attestiert auch Lehmann dem Feld der ›neuen Musik‹ eine Erschütterung seiner Grundfesten, »denn man kann eine konstitutive Leitdifferenz nicht einfach preisgeben, ohne dass etwas von der Sache selbst preisgegeben wird.«141

Mit der von Born, Devine und Lehmann prognostizierten Pluralisierung und Diversifizierung des Feldes, mit der Koexistenz heterogener Ästhetiken und dem Wegfall einer hegemonialen ästhetischen Position, wie sie die Avantgarde lange Zeit für sich beanspruchen konnte, wird deutlich, dass es sich bei dem vom Diskurs des Kritischen Komponierens bestrittenen Kampf um ein Rückzugsgefecht handelt. Die Verbitterung, die manchen der vorgetragenen Positionsbestimmungen anzumerken ist, wird vielleicht in diesem Licht besser verständlich. Der Anspruch auf diskursive Hegemonie – auf die eine legitime Definition des Feldes – steht jedenfalls quer zu einer faktisch vorhandenen Pluralität. Die Geschichte ›avancierter‹ Musik, erzählt entlang eines Kanons von Meisterwerken – von Beethoven über Brahms und Wagner bis zu Schönberg und Lachenmann –, wird von einer Realität konterkariert, in der die vorgetragenen Macht­ansprüche ihren Anachronismus nur schwer verbergen können.

Dennoch ist daran zu erinnern, dass sich der Diskurs des Kritischen Komponierens keineswegs als homogen und geschlossen darstellt, sondern wider­sprüchliche Tendenzen umfasst, die eine eindeutige Auslegung als ›progressiv‹, oder ›konservativ‹ als ›partizipativ‹ oder ›elitär‹ erschweren. So sind einerseits aus der Studie von Zehme signifikante Unterschiede zwischen dem generellen Publikum ›neuer Musik‹ und dem Lachenmann-Publikum abzulesen: Dieses verfügt über die höchste formale Bildung (und dabei den höchsten Anteil an Geistes- und Kultur­wissenschaftler*innen, wobei die Musikwissenschaft besonders stark vertreten ist). Insgesamt ist das Publikum bei Lachenmann überdurchschnittlich alt, männlich und gebildet (wobei insbesondere der hohe Prozentsatz mit fachspezifischer Ausbildung ins Auge springt).142 Es handelt sich demnach um eine besonders exklusive Enklave innerhalb des insgesamt elitären Publikums ›neuer Musik‹. Diese Zusammensetzung deckt sich wiederum mit den elitären Tendenzen des Diskurses, der auf den Ausschluss von ästhetischen Positionen außerhalb der europäischen Kunstmusik abzielt. Ein solcher Elitismus ist auch dem Denken Adornos, der sich als wichtiger Bezugspunkt des Diskurses über das Kritische Komponieren erwiesen hat, keineswegs fremd.143 Es ist also kein Spezifikum des Diskurses um Helmut Lachenmann, dass eine Kritik an gesellschaftlichen Machtverhältnissen mit einer privilegierten gesellschaftlichen Position sowie einer ablehnenden Haltung gegenüber der Gesellschaft im Allgemeinen und dem Publikum im Besonderen einhergeht.

Andererseits verlangt gerade das Verdikt über das Publikum nach einer differenzierteren Betrachtung. So lässt sich Lachenmanns ablehnende Haltung dem Publikum gegenüber nicht nur als Massenfeindschaft und somit als Ausdruck einer elitären Haltung verstehen, sondern auch als »Künstlerkritik«144 an einer sozialen Klasse, der ihrerseits (in der Tradition der Kritischen Theorie) eine gesellschaftlich dominante Rolle zugeschrieben wird und zu der sich Lachenmann als Komponist selbst nicht notwendigerweise zugehörig fühlt.145 In Anbetracht von Lachenmanns Nähe zur Kritischen Theorie ließe sich also argumentieren, dass die ablehnende Haltung gegenüber ›dem Publikum‹ oder ›der Gesellschaft‹146 der Tradition der Künstlerkritik am Bourgeois zuzuordnen ist und somit einer Kritik, die eher ›nach oben‹ als ›nach unten‹ tritt.

Die Frage nach den Funktionen des Diskurses muss demnach ambivalent beantwortet werden. Einerseits will dieser gesellschaftskritisch agieren und versteht sich in der Tradition der Frankfurter Schule als Beitrag zu einer Kritik an gesell­schaftlichen Macht‑, Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen. Andererseits wird dieser kritische Blick durch den privilegierten gesellschaftlichen Standort der Diskursteilnehmer*innen sowie durch den Umstand konterkariert, dass der Diskurs durch den Ausschluss von Positionen, die nicht europäisch, männlich oder bürgerlich geprägt sind, wiederum bestehende Machtverhältnisse stärkt. Eine Öffnung und Transformation des Feldes können diese Sprechakte in jedem Fall nicht mehr verhindern.

Ziel des dritten Hauptteils dieser Arbeit war es, Lachenmanns Aussagen zum (Kritischen) Komponieren in einen größeren – einerseits diskursgeschichtlichen, andererseits gesellschaftlichen – Kontext zu stellen. Dabei stellte sich heraus, dass der Diskurs des Kritischen Komponierens keineswegs homogen, sondern vielmehr dynamisch und wandelbar ist: Auf die konzeptuelle Vorherrschaft der Kritischen Theorie bis in die 1980er-Jahre folgten ein Reflexivwerden des Diskurses und die Integration divergierender Erklärungsmuster. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang poststrukturelle Denkansätze sowie solche, die über die westliche Tradition hinausweisen.

Zugleich zeigt sich die Fortführung eines weit in die Musikgeschichtsschreibung zurückreichenden Narrativs, welches ein idealisiertes Künstler-Genie in den Mittelpunkt stellt. Die personellen und diskursiven Verflechtungen von ›legitimer‹ Musikproduktion und begleitender Musikwissenschaft, die sich häufig als Multiplikatorin versteht, sind ein Spezifikum der Musik- und Kunstgeschichte, welches diese Disziplinen von der allgemeinen Historiografie unterscheidet.147

Das Augenmerk auf »Das soziale Feld der ›neuen Musik‹« schließlich unterscheidet den hier vertretenen Ansatz von einer diskursimmanenten Analyse in der Tradition Foucaults. Anstatt die soziale Wirklichkeit als Resultat von Diskursen zu begreifen, wird hier davon ausgegangen, dass Diskurse ihre Wirkmacht erst in der Interaktion mit sozialen Praktiken und Strukturen sowie den darin wirkenden Machtverhältnissen entfalten. Aufbauend auf der CDA und im Sinne von Bourdieus »Stellungen und Stellungnahmen«148 (Nachweis) wurden die Stimmen des Diskurses daher spezifischen Positionen innerhalb des sozialen Gefüges zugeordnet.

Welche sozialen Funktionen erfüllt der Diskurs des Kritischen Komponierens? Mit seiner eloquenten Verteidigung eines exklusiven Kunstbegriffs festigt er die Grenzen des Feldes der ›neuen Musik‹ und verweist unbefugte Eindringlinge vom Platz. Die normative Festschreibung dessen, was Anspruch auf die Bezeichnung ›(neue) Musik‹ erheben darf, ist somit Ausdruck einer defensiven Haltung, die das Feld absteckt und ausschließt, was unerwünscht, neu oder anders ist. Der damit verbundene Anspruch auf Hegemonie erweist sich als zunehmend illusionär.

Und nun? Anstelle eines Fazits wird am Ende dieses Buches nochmals auf allgemeinere Weise die Frage gestellt, warum Ästhetik zwar von der Kunst spricht, aber immer auch anderes meint – die Frage nach der Schlagkraft symbolischer Handlungen und nach der ambivalenten Wirkung, die das Ästhetische auf die gesellschaftliche Ordnung ausübt. Geschlossen wird mit einem Ausblick auf die Aktualität der Politik des Ästhetischen.

Endnoten


  1. Vgl. Katarzyna Grebosz-Haring und Martin Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences. Age, Gender, and Social Class Profile«, in: Musicae Scientiae (2018), https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/1029864918774082 (Zugriff am 24. Oktober 2020), S. 4.↩︎

  2. Hentschel, Neue Musik in soziologischer Perspektive, S. 4.↩︎

  3. Georgina Born, Rationalizing Culture. IRCAM, Boulez, and the Institutionalization of the Musical Avant-Garde, Oakland 1995, S. 7.↩︎

  4. Dass die dabei herangezogenen Genrebezeichnungen grobe Verallgemeinerungen darstellen und der faktischen Vielfalt und Unabgrenzbarkeit musikalischer Ausdrucksformen nicht gerecht werden, ist vom Prinzip her wohl nicht vermeidbar, sofern eine Aufschlüsselung des Musikkonsums nach Sparten überhaupt angestrebt wird. Ein Blick auf die den Publikumsanalysen zugrunde gelegten Kategorisierungsschemata ist dennoch aufschlussreich. So untersuchen die Befragungen von Heilgendorff u.a. und Zehme ausschließlich Publika ›neuer Musik‹, die als »contemporary art music« respektive »zeitgenössische Musik« bezeichnet wird. Dollase/Rüsenberg, Neuhoff und Huber erheben demgegenüber den Anspruch, das jeweils lokale Musikpublikum in seiner Gesamtheit abzubilden. Bei Dollase/Rüsenberg steht »Neue Musik« den Genres Klassische Musik, Jazz, Rockmusik, Schlager und Volksmusik gegenüber. Bei Neuhoff wird das Genre »Neue Musik/Avantgarde« durch ein Konzert der Musik-Biennale Berlin repräsentiert und zwischen »Klassik« und »Jazz« angesiedelt. Bei Huber scheint »moderne Kunstmusik« zwar in Zusammenhang mit der Besuchshäufigkeit von Konzerten als distinkte Musikrichtung auf, bei der Frage nach den Präferenzen, deren Antworten nach neun Stilfeldern gruppiert wurden, wurde sie hingegen vermutlich der »Klassik« zugeschlagen. Vgl. Simone Heilgendorff, »Wien Modern, Festival d’Automne à Paris, and Warsaw Autumn after the Year 2000 in a Comparative Perspective: European or National Forums for Contemporary Art Music and Culture?«, in: From Modernism to Postmodernism. Between Universal and Local, hg. von Katarina Bogunović Hočevar u.a., Frankfurt a.M. 2016, S. 253-266, hier S. 253; Henriette Zehme, Zeitgenössische Musik und ihr Publikum. Eine soziologische Untersuchung im Rahmen der Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik (= ZeitMusikSchriften, Bd. 1), Regensburg 2005 S. 107; Rainer Dollase, Michael Rüsenberg und Hans J. Stollenwerk, Demoskopie im Konzertsaal, Mainz 1986, S. 105; Hans Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur. Empirische Publikumsforschung in der Musiksoziologie«, in: Handbuch der Musiksoziologie, hg. von Helga de La Motte-Haber u.a. (= Handbuch der systematischen Musikwissenschaft, Bd. 4), Laaber 2007, S. 473-509, hier S. 479; Huber, Musikhören im Zeitalter Web 2.0, S. 141-143.↩︎

  5. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit lag die finale Publikation der Ergebnisse noch nicht vor.↩︎

  6. Anders gelagert ist der Fall von Hentschels Untersuchung der Wittener Kammermusiktage, die zwar ebenfalls von einem soziologischen Blickwinkel getragen ist, auf empirische Forschung jedoch verzichtet. Vgl. Frank Hentschel, Die »Wittener Tage für neue Kammermusik«. Über Geschichte und Historiografie aktueller Musik (= Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 62), Stuttgart 2007; Born, Rationalizing Culture.↩︎

  7. Gebhardt, »Soziotop oder Szene?«, S. 23.↩︎

  8. »Ganz gleich, ob im Opernhaus ›Fidelio‹ aufgeführt wird, Wolf Biermann in der Messehalle oder Klaus Hoffmann im Schauspielhaus auftreten, die unterschiedlichsten Jazzgruppen und ‑interpreten in der Musikhochschule spielen oder exponierte Vertreter der Neuen Musik das Programm gestalten, Besucher mit höherer Bildung stellen durchweg die Mehrheit des Publikums und dies meist recht deutlich.« Dollase, Rüsenberg, Stollenwerk, Demoskopie im Konzertsaal, S. 44-45.↩︎

  9. So befanden sich im Sample von Zehme 1,9 Prozent (Fach‑)Arbeiter*innen, 2,6 Prozent Arbeitslose, 2,2 Prozent Hausfrauen und ‑männer sowie 0,9 Prozent Auszubildende. Andere einkommensschwache Beschäftigungsgruppen wie etwa prekär beschäftigte Personen wurden nicht erfasst. Zehme, Zeitgenössische Musik und ihr Publikum, S. 113.↩︎

  10. Ebd., S. 115.↩︎

  11. Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 482.↩︎

  12. Ebd., S. 482-483.↩︎

  13. Katarzyna Grebosz-Haring, Audiences of Contemporary Art Music. Brief Report on Audience Surveys at the Festival d’Automne à Paris, Warsaw Autumn, and Wien Modern in the Autumn of 2014, https://uni-salzburg.at/index.php?id=63689 (Zugriff am 24. Oktober 2020), S. 14.↩︎

  14. Ebd., S. 4; Grebosz-Haring, Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences«, S. 8.↩︎

  15. Oliver Berli, Grenzenlos guter Geschmack, Bielefeld 2014, S. 57.↩︎

  16. Bourdieu, Die feinen Unterschiede, S. 41.↩︎

  17. Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 488.↩︎

  18. Grebosz-Haring, Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences«, S. 13.↩︎

  19. Ebd., S. 8.↩︎

  20. Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 508.↩︎

  21. Ebd., S. 508-509.↩︎

  22. Dalia Borsche, »Schnittstellen zeitgenössischer und populärer Musik«, in: NZfM 171 (2010), Heft 5, S. 31-33, hier S. 32.↩︎

  23. Frank Hentschel, »Ein Popkonzert und die ästhetische Entdogmatisierung der ›neuen Musik‹ nach 1968«, in: Musikkulturen in der Revolte: Studien zu Rock, Avantgarde und Klassik im Umfeld von ›1968‹, hg. von Beate Kutschke, Stuttgart 2008, S. 39-54, hier S. 46-51.↩︎

  24. Born, Rationalizing Culture, S. 171; Hentschel, »Ein Popkonzert und die ästhetische Entdogmatisierung der ›neuen Musik‹ nach 1968«, S. 49.↩︎

  25. Dabei spielte im Bereich des IRCAM die Abgrenzung gegenüber dem Populären eine größere Rolle, während bei den Darmstädter Ferienkursen der Pluralismus ein besonderes Feindbild darstellte. Born, Rationalizing Culture, S. 171, 260-262, 290; Hentschel, »Ein Popkonzert und die ästhetische Entdogmatisierung der ›neuen Musik‹ nach 1968«, S. 43, 51, 53.↩︎

  26. Hentschel, Die »Wittener Tage für neue Kammermusik«, S. 163.↩︎

  27. Ebd., S. 163.↩︎

  28. Ebd., S. 191, 194.↩︎

  29. Born, Rationalizing Culture, S. 224.↩︎

  30. Hentschel, »Ein Popkonzert und die ästhetische Entdogmatisierung der ›neuen Musik‹ nach 1968«, S. 42.↩︎

  31. Born, Rationalizing Culture, S. 298.↩︎

  32. Zur Abgrenzung gegenüber dem ›Populären‹: vgl. Lachenmann, »Zum Problem des musikalisch Schönen heute«, S. 106; Mahnkopf, Kritische Theorie der Musik, S. 35; Mahnkopf, Kritik der neuen Musik, S. 59; zur ›Postmoderne‹: Jörn Peter Hiekel, »Ist Versöhnen das Ziel? Zum Spannungsfeld zwischen ›populärem‹ und ›Elitärem‹ in der heutigen Musik«, in: Populär vs. elitär? Wertvorstellungen und Popularisierungen der Musik heute, hg. von Jörn Peter Hiekel (= Edition Neue Zeitschrift für Musik), Mainz 2013, S. 9-21, hier S. 13-14; Mahnkopf, Kritik der neuen Musik, S. 82; zum ›Pluralismus‹: Nicolaus A. Huber, »Intention und Wirkung. Zur Situation der Neuen Musik«, in: Durchleuchtungen. Texte zur Musik 1964-1999. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Josef Häusler, Wiesbaden 2000, S. 264; Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 359. Freilich gibt es auch Gegenbeispiele; so weist Hiekel auf pluralistische Elemente in Lachenmanns Accanto hin: Hiekel, »Die Freiheit zum Staunen«, S. 16.↩︎

  33. Vgl. Kapitel 5.4.↩︎

  34. Hentschel, »Ein Popkonzert und die ästhetische Entdogmatisierung der ›neuen Musik‹ nach 1968«, S. 49.↩︎

  35. Dollase, Rüsenberg, Stollenwerk, Demoskopie im Konzertsaal, S. 94.↩︎

  36. So etwa 1991: »Dahinter steht die erkannte Notwendigkeit, den Musikbegriff, die Idee von Musik selbst, kategorisch neu zu bestimmen.« Helmut Lachenmann, »Idée musicale«, in: MaeE3, S. 351.↩︎

  37. In seinen Texten grenzt sich Lachenmann – anders als Mahnkopf – nicht dezidiert von der ›Postmoderne‹ ab, sehr wohl aber von Begriffen wie ›Pluralismus‹ oder ›Orientierungslosigkeit‹, die im Zuge der deutschsprachigen Postmoderne-Diskussion häufig von Gegner*innen der Postmoderne ins Spiel gebracht werden. Vgl. Helmut Lachenmann, »›Bewundernswerter Geist‹. Nachruf auf Heinz-Klaus Metzger«, in: MusikTexte 123 (2009), S. 52; Lachenmann, »In Sachen Eisler«, S. 329, Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 359. Elke Hockings weist darauf hin, dass Lachenmann im Zuge eines Symposions der Münchner Biennale 1990 unter dem Titel »Moderne versus Postmoderne« als Vertreter der ›Moderne‹ mit Wolfgang Rihm kontrastiert wurde, der wiederum als Repräsentant der ›Postmoderne‹ galt. Elke Hockings, »Helmut Lachenmann’s Concept of Rejection«, in: Tempo (1995), Heft 193, S. 4-14, hier S. 10.↩︎

  38. Den Bezügen zwischen Lachenmann und ›dem Postmodernen‹ in ihrer ganzen Komplexität gerecht zu werden, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Zudem wäre dabei, wie Pietro Cavallotti bemerkt, zwischen Postmoderne, Poststrukturalismus und Dekonstruktion zu differenzieren. Jörn Peter Hiekel zufolge hat sich Lachenmann in den letzten Jahren eingehend mit der Philosophie der französischen Dekonstruktion und des Poststrukturalismus auseinandergesetzt. Autoren wie Hiekel, Kaltenecker, Hüppe, Jungheinrich oder van Eecke haben postmoderne, dekonstruktive und poststrukturalistische Momente in Lachenmanns kompositorischer Ästhetik beleuchtet. Cavallotti widmet diesem Aspekt in Differenzen. Poststrukturalistische Aspekte in der Musik der 1980er Jahre am Beispiel von Helmut Lachenmann, Brian Ferneyhough und Gérard Grisey, Schliengen 22002, umfangreiche Überlegungen; Hiekel, »Interkulturalität als existentielle Erfahrung«, S. 65; Hüppe, »Helmut Lachenmann«; Kaltenecker, Avec Helmut Lachenmann, S. 200; Hiekel, »Lachenmann verstehen«, S. 11; van Eecke, »NUN?! On the Idea of the Immanent-Sublime to the Minds of Jean-François Lyotard and Helmut Lachenmann«, S. 56; van Eecke, »The Adornian Reception of (the) Child(hood) in Helmut Lachenmann’s ›Ein Kinderspiel‹«, S. 226.↩︎

  39. Dollase, Rüsenberg, Stollenwerk, Demoskopie im Konzertsaal, S. 135.↩︎

  40. Neuhoff fragt in seiner Untersuchung von Konzertpublika zwar auch nach der Parteipräferenz, diese spielt in seiner Analyse, die vor allem auf Lebensstil und Persönlichkeitsmerkmale fokussiert, jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Siehe Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 479.↩︎

  41. Dollase u.a., Demoskopie im Konzertsaal, S. 136.↩︎

  42. Auf einer Skala von 1 (links) bis 11 (rechts) lag der Mittelwert des ›neue Musik‹-Publikums zwischen 4 und 5. Ebd., S. 138.↩︎

  43. Ebd., S. 136, 142.↩︎

  44. Konzertschiene »Musik der Zeit« des WDR, Konzert des Ensembles Klangerzeuger vom 25. Januar 1980; N = 108; ebd., S. 22.↩︎

  45. Dass eine ›objektive‹ Positionierung innerhalb eines Links-Rechts-Schemas nicht möglich ist, da es – abseits der Selbstverortung – keine eindeutigen Parameter gibt, an denen eine solche Platzierung festgemacht werden könnte, sei hier nur am Rande bemerkt.↩︎

  46. Dollase u.a., Demoskopie im Konzertsaal, S. 60.↩︎

  47. Ebd.↩︎

  48. Ebd., S. 63.↩︎

  49. Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 494.↩︎

  50. Ebd.↩︎

  51. Ebd.↩︎

  52. Grebosz-Haring, Audiences of Contemporary Art Music, S. 7.↩︎

  53. Neuhoff, »Die Konzertpublika der deutschen Gegenwartskultur«, S. 491.↩︎

  54. Ebd.↩︎

  55. Ebd., S. 489.↩︎

  56. Ebd., S. 492.↩︎

  57. Gebhardt, »Soziotop oder Szene?«, S. 28.↩︎

  58. Ebd.↩︎

  59. Vgl. Kapitel 6.1.↩︎

  60. Heilgendorff, »Wien Modern, Festival d’Automne à Paris, and Warsaw Autumn after the Year 2000 in a Comparative Perspective: European or National Forums for Contemporary Art Music and Culture?«, S. 254.↩︎

  61. Wenn etwa die Erklärung einer Mehrheit der Besucher*innen, das Festival erneut besuchen zu wollen, unter »positive tendencies« subsumiert wird, scheinen sich die Forschenden mit den Zielen der Veranstalter*innen zu identifizieren. Grebosz-Haring, Audiences of Contemporary Art Music, S. 12-13.↩︎

  62. Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin 52017, S. 20; vgl. Grebosz-Haring, Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences«, S. 14.↩︎

  63. Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, S. 274; vgl. Heilgendorff, »Wien Modern, Festival d’Automne à Paris, and Warsaw Autumn after the Year 2000 in a Comparative Perspective: European or National Forums for Contemporary Art Music and Culture?«, S. 257.↩︎

  64. Ebd., S. 257; Grebosz-Haring, Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences«, S. 3-4, 14.↩︎

  65. Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, S. 10.↩︎

  66. Ebd., S. 11.↩︎

  67. Ebd., S. 15.↩︎

  68. Ebd., S. 13-15.↩︎

  69. Ebd., S. 14-15; vgl. Luc Boltanski und Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus (= Édition discours, Bd. 38), Konstanz 2018, S. 32, 216-217, 352.↩︎

  70. Angela McRobbie, Be Creative. Making a Living in the New Culture Industries, Cambridge, UK, Malden, MA 2016, S. 40.↩︎

  71. Angela McRobbie, In the C Society. Art, Fashion and Popular Music, London 1999, S. 3, 8-9, 27.↩︎

  72. McRobbie, Be Creative, S. 35.↩︎

  73. Vgl. Boltanski und Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, S. 227, 243; McRobbie, Be Creative, S. 36.↩︎

  74. Richard L. Florida, The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, North Melbourne, Australien 2003, S. 21-43; vgl. Heilgendorff, »Wien Modern, Festival d’Automne à Paris, and Warsaw Autumn after the Year 2000 in a Comparative Perspective: European or National Forums for Contemporary Art Music and Culture?«, S. 257; Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität, S. 9.↩︎

  75. Heilgendorff, »Wien Modern, Festival d’Automne à Paris, and Warsaw Autumn after the Year 2000 in a Comparative Perspective: European or National Forums for Contemporary Art Music and Culture?«, S. 257-258; Grebosz-Haring, Weichbold, »Contemporary Art Music and Its Audiences«, S. 3-4.↩︎

  76. McRobbie, Be Creative, S. 49.↩︎

  77. Ebd., S. 50.↩︎

  78. Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 128.↩︎

  79. Chouliaraki, Fairclough, Discourse in Late Modernity, S. 16.↩︎

  80. Gebhardt, »Soziotop oder Szene?«, S. 26.↩︎

  81. Vgl. Kapitel 5.4.↩︎

  82. Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 359.↩︎

  83. Lachenmann, »Zur Analyse Neuer Musik«, S. 61.↩︎

  84. Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 359.↩︎

  85. Lachenmann, »Präzision und Utopie«, S. 14.↩︎

  86. Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 361; Lachenmann, »›East meets West? West eats meat‹ … oder das Crescendo des Bolero«, S. 88.↩︎

  87. Bourdieu, »The Field of Cultural Production, or: The Economic World Revised«, S. 42.↩︎

  88. Fastner, »›Ich verehre Morricone‹. Komponist Helmut Lachenmann im Gespräch«, S. 69.↩︎

  89. Mahnkopf, Kritische Theorie der Musik, S. 45.↩︎

  90. Bourdieu, »The Field of Cultural Production, or: The Economic World Revised«, S. 62.↩︎

  91. Georgina Born und Kyle Devine, »Music Technology, Gender, and Class. Digitization, Educational and Social Change in Britain«, in: Twentieth-Century Music 12 (2015), Heft 2, S. 135-172, hier S. 162.↩︎

  92. Ebd., S. 162-164.↩︎

  93. Lehmann, »Elitär – Populär«, S. 61.↩︎

  94. Ebd., S. 53.↩︎

  95. Ebd., S. 62.↩︎

  96. Ebd.↩︎

  97. Zehme, Zeitgenössische Musik und ihr Publikum, S. 106, 110-114.↩︎

  98. Vgl. z.B. Adorno, Philosophie der neuen Musik, S. 15-19. Für Kritik an Adornos Klassismus und seine Haltung gegenüber der Popularmusik vgl. Richard Middleton, Studying Popular Music, Milton Keynes 2010, S. 57-60.↩︎

  99. Vgl. Boltanski, Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, S. 81.↩︎

  100. Siehe Bourdieus weiter oben zitierte Überlegungen zu den Homologien, welche die avantgardistischen Teile des künstlerischen Feldes zur Opposition gegenüber dem ökonomisch dominanten Spektrum und zur Solidarität mit den Unterdrückten prädisponieren. Kapitel 7.2.↩︎

  101. Vgl. Kapitel 5.4.↩︎

  102. Vgl. Hentschel, »Über Wertung, Kanon und Musikwissenschaft«.↩︎

  103. Bourdieu, »The Field of Cultural Production«, S. 3; im Original: »positions« und »position-takings [prises de position]«.↩︎