Feminität als politisches Kapital – rechtspopulistische Modelle

Gabriele Dietze


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Dietze, Gabriele. 2024. “Feminität Als Politisches Kapital – Rechtspopulistische Modelle.” In Populismus Kritisieren. Kunst – Politik – Geschlecht, edited by Evelyn Annuß, Ralf Von Appen, Sarah Chaker, Silke Felber, Andrea Glauser, Therese Kaufmann, and Susanne Lettow, 155–76. Wien und Bielefeld: mdwPress. https://doi.org/10.1515/9783839474303-011. Cite

Abstract

Abstract

The article deals with two interconnected problems. Firstly, it deals with the question of what right-wing populism offers women and for whom and what can be attractive about it. Secondly, the text deals with the phenomenon that female leaders are increasingly shaping the image of right-wing populist parties in Western Europe, such as Marie le Pen, Alice Weidel and Giorgia Meloni. The connecting idea is to examine ›femininity as political capital‹. The so-called ›tradwifes‹, who propagate ›femininity not feminism‹ with conventional ideas of marriage and clothing styles, refer to this in particular. They exemplify a kind of emancipation disenchantment that is linked on the ultra-right fringes to the so-called Alt-Right movement and pursues racist demographic programs such as a ›White Baby Challenge‹. While this faction advocates sweet submission to a neo-patriarchy with supply-side marriage as a quid pro quo, the female frontwomen of European right-wing parties stage themselves as competent and assertive leaders who give an attractive face to inhuman messages such as racism, anti-immigration and neoliberal market radicalism. This mimicry feminism creates an illusion of modernity and progressiveness that is intended to make us forget the fundamentally patriarchal orientation of right-wing populism.

Über die Autorin

Über die Autorin

Gabriele Dietze lehrt und forscht zu Gender, Race, Media, Sexualpolitik und Rechtspopulismus an der Humboldt Universität zu Berlin und am Dartmouth College N.H. Bis 2023 war sie Fellow der Volkswagenstiftung mit dem Corona-Projekt »Quarantine Culture«. Zuletzt: Sexueller Exzeptionalismus. Über­legen­heits­narrative in Immigrationsabwehr und Rechtspopulismus, Bielefeld (tran­script) 2019; zusammen mit Julia Roth (Hg.), Right-Wing Populism and Gender in Europe and Beyond, Bielefeld (tran­script) 2020.


Moderner Rechtspopulismus1 ist inzwischen ein internationales Phänomen mit unterschiedlichen nationalen Ausprägungen. Im Herzstück der allermeisten findet sich eine gewisse Obsession mit Geschlecht. Neben Polemiken gegen die homosexuelle Ehe, insbesondere auch gegen ein dieser zugeordnetes Adoptionsrecht, gegen jegliche Form von Geschlechtsmigration oder Geschlechtsuneindeutigkeit sowie gendergerechte Sprache – und, je nach Kontext, auch gegen (früh‑)kindliche Sexualerziehung in Kitas und Schulen – stehen die Themen Frau, Familie und Geschlecht im Zentrum des Programms einer neuen konservativen Revolution.2 Agnieszka Graff, Ratna Kapur und Suzanna Danuta Walters schreiben:

Gender conservatism has in recent years become the lingua franca of an otherwise diverse global trend. It is what brings together right-wing activists from otherwise distant walks of life: believers and nonbelievers, nationalists and universalists, populists who demonize global capital and traditional Reagan/Thatcher-style conservatives with a neocon love for the market (2019, 554).

In der ›Keimzelle‹ des Staates, der (Klein‑)Familie mit zwei heterosexuellen Elternteilen, sollen die Verhältnisse neu, oder sagen wir: altneu geordnet werden. Das Modell Vater, Mutter, Kind wird jedoch nicht als Rückkehr zu alten Werten propagiert, sondern tritt als Akteur auf der neu dekorierten Bühne der Familie als nationaler Abstammungsgemeinschaft auf, die jenes ›Volk‹ bildet, das sich gegen die ›Eliten‹ sowie ›Fremde‹ und ›Perverse‹ (sprich Migrant:innen, Geflüchtete, nationale Minderheiten und nicht-konventionelle Geschlechterperformanzen) aufstellt und ethnonationalistische Souveränität beansprucht. Dem Vorwurf, damit Hass zu verbreiten, wird mit dem ›weiblich‹ aufgeladenen Argument begegnet, dass es sich nicht um Hass, sondern um Liebe und Sorge für das ›Eigene‹ handle. Die schwedischen Soziologinnen Maja Sager und Diana Mulinari nennen diese Konstruktion »care racism« (Sager und Mulinari 2018).

Feministische (und auch liberale) Kritiken neigen dazu, sich selbst als ›fortschrittlich‹ zu definieren und nicht-feministische Weiblichkeitskonzepte als traditionell oder rückwärtsgewandt zu betrachten. Rechte Frauen werden demnach in die Kästchen Re-Traditionalisierung, Unterwerfung unter männliche Herrschaft und Glucken-Mütterlichkeit einsortiert; Feministinnen besetzen dagegen im Umkehrschluss die Positionen emanzipiert, berufstätig und in ihren reproduktiven Beziehungsökonomien arbeitsteilig organisiert. In dieser Logik kann folglich nicht erkannt werden, was rechte und rechtspopulistische Weiblichkeitsmodelle für Frauen attraktiv macht.3

Im Folgenden möchte ich einige erfolgreiche angloamerikanische und europäische rechtspopulistische Modelle vorstellen, die entweder eine »retrotopische« (Bauman 2019) Vision von Weiblichkeit entwickeln, also alt zu neu aufpolieren, oder einen Stil entfalten, in dem sich weibliche Führungsfiguren Feminität zunutze machen. Im angloamerikanischen Umfeld kann man beispielsweise Versuche beobachten, die traditionelle Hausfrauenehe als modernes Zukunftsmodell in Wert zu setzen und/oder mit ostentativer Mütterlichkeit die Gesetzgebung zu beeinflussen. Aus dem europäischen Umfeld wird die auffällige Häufigkeit weiblicher ›Frontfiguren‹ bzw. Führungspersönlichkeiten betrachtet, die zwar geradezu das Gegenteil des propagierten Familienidylls leben, aber, wie Marine Le Pen in Frankreich und zuletzt triumphal Giorgia Meloni in Italien, in den sogenannten »Männerparteien« (vgl. dazu Sauer 2020) die Führung übernommen haben. Der Soziolinguist Martin Reisigl spricht davon, dass den rechtspopulistischen Geschlechterdiskurs eine Art »kalkulierte Ambivalenz« (Reisigl 2020)4 auszeichne: Er bediene sich der Vielstimmigkeit der gegenwärtigen Genderdiskurse, indem er jedes Modell mit einer jeweils eigenen Interpretation versehe und die gleichzeitige, im Kern widersprüchliche, Existenz von differenten Lebensformen als eine auch von diesem unterstützte Verwirklichung von Wahlfreiheit ausgebe, »eine harmonisierende Vereinigung von widerstreitenden Interessen« (ebd., 226). Auf eine einfachere Formel gebracht, bedeutet das, dass das rechtspopulistische Modell auf Komplexitätsreduktion beruht und mit der kalkulierten Ambivalenz eine Strategie gefunden worden ist, komplexe Wirklichkeit sowohl zu repräsentieren als auch zum Verschwinden zu bringen.

Feminität und Mutterschaft recycelt

Feminität als Vorwärtsverteidigung – tradwives

Ganz offensiv wird das Konzept einer Familienweiblichkeit etwa seit 2018 von den sogenannten »tradwives« (traditional wives) verkörpert. Die entsprechende, hauptsächlich in Großbritannien gepflegte Bewegung hatte auf den ersten Blick keine sichtbaren Verbindungen zur Rechten und wirkte zunächst harmlos. Sie kopiert das Konzept der Hausfrau und Mutter aus den 1950er-Jahren. Eine ihrer Vertreterinnen, Alena Pettitt, ist mit der Äußerung berühmt geworden, ihr Projekt sei gemäß »traditional English manners, lifestyle and values […] submiting to and spoiling her husband like it’s 1959« (zit. n. Hunt 2020, o. S.). Diese Aussage ist keine bloße Floskel, sondern sie wird auch performativ umgesetzt (vgl. Love 2020). Man lässt sich mit Petticoat und in Schürze und auf Pumps abbilden, und dieser Auftritt ist nicht nostalgisch gemeint, sondern gibt sich als Zukunftskonzept für eine zufriedene und gar moderne Weiblichkeit aus: Nicht Feminismus, sondern Feminität! Allerdings handelt es sich hierbei um eine Feminität, die auf den Herrn des Hauses, den Neopatriarchen, ausgerichtet ist. In der New York Times schrieb Annie Kelly schon 2018: »These women extol a 50s fantasy of chastity, marriage and motherhood [and construct] a hyperfeminine aesthetic […] [in order] to mask the authoritarianism of their ideology« (Kelly 2018, o. S.).5

Es liegt zwar nahe, die nostalgische Aufmachung und Sprüche wie »We now spend our time flirting not fighting« (Pettitt, zit. n. Nicholas 2020, o. S.) oder »What he says, goes, and that’s fine« (Tradwife Stacey McCall, zit. n. ebd.) ironisch zu lesen, und sicher gibt es im Zeichensystem tradwife eine Dimension von Ironie. Sie ist aber eingebettet in eine Generalstrategie der Alt-Right, die die Kommunikationswissenschaftlerin Alice Marwick folgendermaßen beschreibt: »Irony has a strategic function. It allows people to disclaim a real commitment to far-right ideas while still espousing them« (zit. n. Wilson 2017, o. S.). Bei dieser »troll culture« handele es sich nach eigener, also Nazi-Aussage (Marwick bezieht sich hier auf Andrew Anglin, den Betreiber der Webseite The Daily Stormer), um einen »non-ironic Nazism masquerading as ironic Nazism« (zitiert nach ebd.).6 Ironische Maskeraden sind keine Seltenheit im populistischen Aktionsregister. Zum Beispiel war es bei den Querdenker-Manifestationen nicht unüblich, dass Demonstrant:innen aus dem Zug ausscherten und Gegendemonstrant:innen umarmten, um angeblich Zuwendung auszudrücken, im Kern aber deren Ansteckungsangst zu karikieren.

Jenseits aller Ironie kann man die tradwife-Sprüche außerdem als Komplexitätsreduktion lesen, als Ausdruck einer »emancipation fatigue« (vgl. Dietze 2020), die sich in der Sehnsucht ausdrückt, scheinbar endlose und mühselige Aushandlungen über die Verteilung der reproduktiven Arbeit in einer emanzipierten Beziehung hinter sich zu lassen. Einerseits stärken tradwives die mit ihnen verbundenen Gatten, während sie für sich selbst Sicherheit finden; »Tradwives: the women looking for a simpler past but grounded in the neoliberal present«, überschreiben Catherine Rottenberg und Shani Orgad einen Artikel zum Thema, in dem sie dann ausführen: »The choices made by women who identify as tradwives may be presented as entirely personal. However, they are inseparable from the profound crisis of both work and care under neoliberal capitalism« (Rottenberg und Orgad 2020, o. S.). Andererseits kann forcierte Weiblichkeit auch als Branding – also zur Entwicklung eines Markennamens – eingesetzt werden: Viele prominentere tradwives sind Internetgrößen, Influencerinnen und Unternehmerinnen, die etwa einen Online-Versandhandel für Haushaltsgeräte, Marmeladen, Gartenbedarf oder Lebensratgeber betreiben. Manche ihrer Lebenshilfetipps könnten auch einer beliebigen Frauenzeitschrift entstammen. Die bereits erwähnte Alena Pettitt, Betreiberin der Seite The Darling Academy, findet, dass Ehemänner immer zuerst kommen sollten, und warnt Frauen davor, sich während der Corona-Lockdowns in »grotty t-shirts and yoga pants« gehenzulassen und damit allen femininen Glanz der perfekten Haushaltsführung zu verschenken: »No wonder the art of Mothering and Homemaking has lost its lustre in recent decades« (zit. n. Hodge 2020, o. S.).

Steigt man tiefer in den tradwife-Kosmos ein, stößt man aber auf immer mehr rechtsextremes und rassistisches Gedankengut. Nancy Love schreibt, dass das Auftreten der tradwives dazu diene, »to soften and normalize white supremacy, often in ironic and insidious ways« (Love 2020, 1). Tradwife Ayla Stewart, die sich im Internet als Wife with a Purpose präsentiert, kombiniert das Image erfüllter Häuslichkeit mit einer sogenannten »white baby challenge«, einer Kampagne für Kinderreichtum, die eine »weiße Auslöschungsangst« (white extinction anxiety) überwinden soll (vgl. Stern 2019, o. S.). »Traditional wives give extremism a tidy front«, beobachtet Emilie Stendahl (zit. n. Campion 2020, o. S.) zu Recht, denn das quietschsaubere Hausfrauenimage übermalt ihre Funktion, das Projekt der white supremacy durch möglichst viele weiße Kinder voranzutreiben (vgl. Sitler-Elbel 2021). Wenn man dazu weiß, dass die meisten tradwives mit Alt-Right-Männern verbunden/verheiratet sind, dann wirkt das gestärkte Retro-Outfit auch nicht mehr so befremdlich: Diese Frauen befinden sich tatsächlich in patriarchalischen Familien- und Ehekonstellationen; sie umgehen indes die Binnenhierarchie, indem sie sich zu Stars einer süßen Unterwerfung machen. Sie verkaufen weibliche Willfährigkeit als edle Feminität, die wegen ihrer scheinbaren Harmlosigkeit die Botschaft ihrer Männer umso effektiver weitertragen kann.

Diese durchaus geschickte Kompromissbildung erinnert mich an das alte Konzept von »Weiblichkeit als Maskerade« der Psychoanalytikerin Joan Riviere (1994 [1929]), das im frühen akademischen Feminismus viel diskutiert wurde. Riviere berichtete in ihrem Aufsatz von einer Patientin, die eine erfolgreiche Rednerin gewesen sei. Immer dann, wenn sie einen besonders guten Auftritt hatte, habe sie anschließend aber zwanghaft eine große Flirt-Show inszeniert und sich dann dafür verachtet, ihre intellektuelle Leistung mit solch unbeschreiblich weiblichem Verhalten entwertet zu haben. Die Analytikerin interpretierte das als ›Vorhutverteidigung‹ gegenüber möglichen, durch Kastrationsangst bedingten, aggressiven Reaktionen von Männern, die eine mächtige und kluge Frau sonst nicht geduldet hätten. Judith Butler und andere Gender-Theoretiker:innen haben mit diesem Konzept gearbeitet, um Weiblichkeit als Konstruktion zu belegen (vgl. unter anderem Butler 2006, 59-77). Das Konzept tradwife ist in gewisser Weise die Re-Inkarnation des Gedankens von Weiblichkeit als Maskerade: Feminität als Vorwärtsverteidigung, um die Alt-Right-Neopatriarchen nicht zu kastrieren – und gleichzeitig den Benefit einer Anerkennung als begehrenswerte Frau zu erhalten.

Pathosformel Mutterschaft – Amy Coney Barrett

Die strategische Unterwerfung der britischen tradwives zielt nicht primär auf öffentlichen politischen Einfluss, sondern propagiert ein Lebensmodell, das sich dem Stress (post‑)moderner Geschlechterverhandlungen entzieht und ein angeschlagenes Patriarchat ermächtigt. Im Windschatten von Donald Trumps US-amerikanischem (Rechts‑)Populismus hat sich daneben ein neuer Typus der radikalen Republikanerin entwickelt (Meiritz und Schäuble 2022), die sowohl machtbewusst ist als auch ein weiblich-feminines Signalement vor sich herträgt (vgl. Abrams 2012). Ein Beispiel dafür ist die 2020 nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg als Richterin am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten eingesetzte Amy Coney Barrett. Sie vertritt in zentralen Fragen wie affordable care, Abtreibung, Klimawandel, privatem Waffenbesitz, der homosexuellen Ehe und LGBT*IQ-Rechten erzkonservative Ansichten und hat im Supreme Court das Stimmenverhältnis zum endgültigen Kippen nach rechts gebracht. Zusammen mit den dort schon zuvor installierten konservativen bzw. rechten Richtern Samuel Alito, Clarence Thomas, Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh schaffte sie im Juni 2022 das Bundesrecht auf Abtreibung ab, indem die entsprechende Grundsatzentscheidung von 1973 (Roe v. Wade) aufgehoben wurde (vgl. Johnson 2022), was eine Schockwelle insbesondere durch den weiblichen Teil der Vereinigten Staaten getrieben hat und mit einiger Sicherheit die Zwischenwahlen 2022 zugunsten der demokratischen Partei beeinflusste (vgl. McCann et al. 2022).

Barrett ist durch und durch ein Geschöpf Trumps – er hat sie persönlich für den hastig neu besetzten Posten ausgewählt und sie stolz, als wäre sie seine Tochter, auf einer Feier präsentiert.7 Ihr Einsatz im populistischen Spektrum lässt sich jenem der »shieldmaidens« zuzuordnen; so nennt Alt-Right-Forscherin Ashley A. Mattheis nach der nordischen Sage intellektuelle Vorkämpferinnen, die sich über das Vehikel der Mutterschaft Autorität und Kampfkraft für ein rechtes Programm verschaffen (vgl. Mattheis 2018). Barrett inszenierte sich für die Senatsanhörung, die ihre Kandidatur zu bestätigen hatte, folgendermaßen: Wegen Coronabeschränkungen war der Verhandlungssaal bis auf die anwesenden Senator:innen auf der Befragungsbühne fast leer. Dann zog die Richterin ein. Im Gänsemarsch folgten sechs ihrer sieben Kinder, zwei davon aus Haiti adoptiert, und der Ehemann. Sie nahmen direkt hinter ihr Platz und füllten damit fast den gesamten Raum. In der zweiten Reihe saßen ihre fünf Schwestern. Alle zusammen bildeten, wenn die Kamera von vorne auf Barrett gerichtet war, eine Art weiblich dominierte Schildwache, einen »cordon familiale« (vgl. Dietze 2020b).

Amy Coney Barrett stellte hier Mutterschaft als eine Kombination aus Macht und Gefühl dar: Macht insofern, als es eine (Bild‑)Tradition regierender Monarchinnen gibt, sich mit ihrer zahlreichen Nachkommenschaft aufzubauen und, wie Queen Victoria von Großbritannien und Irland oder Kaiserin Maria Theresia von Österreich, ihr zukünftiges dynastisches Heiratskapital zu demonstrieren (vgl. Kohler 1994); Gefühl insofern, als mit dem Image mütterlicher Sorge eine geradezu entwaffnende Sentimentalität inszeniert wird.

Dieses Kompositum nenne ich, angelehnt an den Begriff der »Pathosformel« des Kunsthistorikers Aby Warburg (1905), der in der bildenden Kunst Gesten des Gefühlsausdrucks universeller Gültigkeit von der Antike bis in die Renaissance nachverfolgt, Pathosformel Mutterschaft. Über Pathosformeln werden Affekte erzeugt8, die wiederum bestimmte Effekte nach sich ziehen. Eine Pathosformel Mutterschaft kann man zum Beispiel in den Zugeneigtheiten von Madonnen- und Pietà-Darstellungen beobachten. Die entwaffnende Bilderpolitik ostentativer Mütterlichkeit trug, wie ich argumentieren möchte, entscheidend dazu bei, dass Barrett sich nur einer vergleichsweise sanften Befragung durch die Senator:innen aussetzen musste, die ihre Positionen zu Abtreibung und Antidiskriminierungsgesetzgebung im Unklaren ließ. Damit überstand sie das Senatshearing, das zu ihrer Einsetzung nötig war, relativ unangefochten. In der Folge trug ihre Stimme im Supreme Court unter anderen maßgeblich dazu bei, die reproduktive Freiheit auf Bundesebene zu beenden.

Solche Sentimentalisierungen von Mutterschaft und Kinderreichtum leisten eine in mehrfacher Hinsicht wirksame kulturelle Arbeit. Einerseits messen sie Mütterlichkeit eine soziale Kompetenz bei, die ihre Trägerinnen für politische und andere Führungsämter geeignet erscheinen lässt. So hat etwa auch der rechtspopulistische ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán 2019 Ursula von der Leyens Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin begrüßt, weil sie als siebenfache Mutter ja wohl die Fähigkeit habe, diese Aufgabe zu bewältigen (vgl. Kálnoky 2019). Und auch Barrett wies während des Senatshearings – unter kräftiger Unterstützung von Senator:innen der Grand Old Party– mehrfach darauf hin, dass sie als Mutter vieler schulpflichtiger Kinder eine besondere Befähigung für die Wahrnehmung und Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme habe (vgl. Campoamor 2020).

Marie Reusch entwirft in ihrem Aufsatz »Mutterschaft als modernisiertes Inklusionsversprechen für Frauen« (Reusch 2021) folgende Entwicklungslinie für den relativen Erfolg einer Mutterschaft hervorhebenden rechtspopulistischen Geschlechterpolitik: Der »heimliche Familialismus« (ebd., 230),9 der nach dem Zweiten Weltkrieg die Hausfrauenehe privilegierte,10 habe die weibliche Zugehörigkeit zum (Wohlfahrts- bzw. Sozial‑)Staatswesen an Ehe und Mutterschaft geknüpft: »Politisch institutionalisiert war diese mittelbare Zugehörigkeit der Frauen zum Wohlfahrtsstaat in der sogenannten Versorgerehe, die Frauen über ihren Ehestatus absicherte, und dem Familiengehalt für männliche Erwerbsarbeit« (ebd., 231). Die Durchsetzung des Neoliberalismus habe dann aber das Alleinverdienermodell liquidiert, den »Zugang [von Frauen] zu sozialstaatlichen Leistungen […] nicht mehr an den Ehestatus, sondern an ihre eigene Positionierung auf dem Arbeitsmarkt gebunden« (ebd.) und Mütter häufig in schlecht bezahlte Teilzeitarbeit und Doppelbelastung durch zusätzliche Care- und Reproduktionsarbeit getrieben. Ein an individuelle (Wahl‑)Freiheit geknüpftes Versprechen habe den damit einhergehenden Statusverlust für Ehefrauen kaschiert. Das habe zu einer »Krise der sozialen Reproduktion« (ebd.) geführt, die sich rechte Diskurse zunutze gemacht hätten. Eine Inhaltsanalyse rechter Texte zu Mutterschaft inspiriert Reusch zu folgender Zusammenfassung:

Indem sie das Mutterwerden als Ausdruck weiblicher Naturhaftigkeit einerseits als individuelle Wahl darstellen (die theoretisch auch anders hätte ausfallen können) und es gleichzeitig zu einem (positiv bewerteten) Akt der Rebellion gegen ›das System‹ machen, betonen sie den gesellschaftlichen Wert der Selbstbestimmung und verleihen der Entscheidung für Kinder gleichzeitig eine überindividuelle Bedeutung (ebd., 237).

In gewisser Weise hat man es hier mit einer Art Mimikry-Feminismus zu tun. Auf der performativen Ebene wird Stärke und, in der Manier der bekannten Diskurspiraterie11 der Rechten, vor allem Widerstand ausgestellt. Dieser Widerstand gilt allerdings nicht der Prekarität von Frauen* im Neoliberalismus, sondern richtet sich gegen eine angebliche Bedrohung heteronormativer Genderregimes und Familienbilder durch den ›unnatürlichen‹ Feminismus.

Das Paradox rechtspopulistischer weiblicher Führungsfiguren

Bislang mag es so erschienen sein, als sei weibliche Stärke im Rechtspopulismus lediglich eine geschickte Manipulation, eine geglückte Vernebelung festgefügter Geschlechterhierarchien. Es existieren aber immer mehr Frauen in Führungspositionen rechtspopulistischer Parteien: Man denke an die Französin Marine Le Pen, die Norwegerin Siv Jensen, die Deutsche Alice Weidel und nicht zuletzt die Italienerin Giorgia Meloni, die im Herbst 2022 in Italien an die Regierungsspitze gewählt wurde. Die Däninnen Susi Meret und Birte Siim haben zusammen mit dem Franzosen Étienne Pingaud schon 2017 in einer vergleichenden Studie weibliche »right-wing populist leaders« in den »men’s parties« untersucht und identifizieren recht unterschiedliche Fremd- und Selbstrepräsentationen, die in jedem einzelnen Fall kontextabhängig sind und auf unterschiedlichen Selbstinszenierungen beruhen (vgl. Meret et al. 2017).

Die Nation als streng geführter Haushalt – Pia Kjærsgaard

Die dänische Führerin Pia Kjærsgaard, Gründerin der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti, deren Vorsitzende sie von 1995 bis 2012 war, kann in diesem Zusammenhang als Veteranin gelten. Ihr wird nachgesagt, sie habe die zunehmende Darstellung von Politiker:innen-Personae in deren privatem Umfeld in Infotainment-Fernsehformaten dazu genutzt, ihr Image als aggressive und despotische Parteiführerin mit Homestorys zu konterkarieren, in denen sie in Schürze beim Kuchenbacken auftrat, flankiert von Ehemann und Hund, um so eine »authoritarian leadership in a motherly disguise« (ebd., 133) zu verkaufen. Hier haben wir also nochmals die Inszenierung einer ›strategischen Unterwerfung‹, wie sie etwa auch von den tradwives propagiert wird; Kjærsgaard aber nutzt diese, um ihren Führungsanspruch als unbedrohlich erscheinen zu lassen. Eine ähnliche Strategie fuhr schon die US-amerikanische Kulturkämpferin Phyllis Schlafly, die in den 1970er-Jahren eine antifeministische Kampagne gegen Abtreibung und das (bis heute nicht abschließend ratifizierte) Equal Rights Amendment um ein häusliches Image von Mutterschaft und Hausfrauenidylle aufbaute. Sie wird in der neunteiligen Drama-Fernsehserie Mrs. America (USA 2020) von Cate Blanchett verkörpert, wobei die Autor:innen sicher mehr als nur einen Seitenblick auf das neuere Phänomen und die Paradoxien rechtspopulistischer weiblicher leadership geworfen haben dürften. Eine Kritik zur Serie vermerkt: »Schlafly comes across not as a villain, but as a charismatic organizer and a paradoxical foil who embodies the feminist ideas she works to defeat« (Barker-Devine 2020, 187).

Dynastische Entdiabolisierung – Marine Le Pen

Während Pia Kjærsgaard als Politikerin eines vergleichsweise kleinen Landes eher am Rande der europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, verursachte Marine Le Pens Erscheinen auf der politischen Bühne, als sie 2011 den Vorsitz des damaligen Front National (seit 2018 Rassemblement National) von ihrem Vater übernahm, sofort große Aufregung. Das Interesse wuchs noch, als es ihr zweimal, 2017 und 2022, gelang, bei den französischen Präsidentschaftswahlen in die Stichwahl gegen Emmanuel Macron zu kommen.

Zu Beginn ihres Aufstiegs nutzte sie ihr Geschlecht, um sich als Kontrastprogramm zur offenen Faschismusnostalgie und zum Autoritarismus ihres Vaters Jean-Marie Le Pen zu positionieren und in medialen Darstellungen die ›schöne Seite‹ der von beiden verbreiteten nativistischen Botschaft zu verkörpern. Diese Strategie der dynastischen De- oder Entdiabolisierung sollte eine ›moderate‹ und ›moderne‹ Seite der äußeren Rechten zeigen, und diese in der Regel positiv rezipierte angebliche Wandlung vom schlechten (männlichen) Faschismus zum ›guten‹ (weiblichen) Populismus schützte Le Pen außerdem vor dem sogenannten »femininity/competence double bind« (vgl. dazu Jamieson 1995, 120-145),12 mit dem weibliche Führungspersonen in der Regel zu kämpfen haben.13 Eine wissenschaftliche Analyse des media framing von Le Pen in zwei französischen und zwei US-amerikanischen Zeitungen von Alexandra Snipes und Cas Mudde (2020) ging noch einen Schritt weiter, indem sie nachwies, dass das besagte double bind bei ihr nicht nur gemildert werde, sondern ihr sogar zum Vorteil gereiche, weil es den Nachteil aufhebe, dass die Berichterstattung zu Rechtspopulismus in der Regel negativ sei: Während Politikerinnen allgemein zwar hauptsächlich in Hinblick auf ihre Weiblichkeit betrachtet werden würden, könne man bezüglich Marine Le Pens feststellen, dass bei ihr Geschlecht (als Kompetenzschwelle) weniger im Vordergrund stehe als bei Politikerinnen anderer Parteien, wobei die politische Verurteilung ihrer rechten Politik nichtsdestotrotz milder ausfalle als die von männlichen Politikern gleicher Couleur (vgl. ebd., 464).

Celebrity-Pop-Politikerin – Giorgia Meloni

Giorgia Meloni, die im Herbst 2022 gewählte Regierungschefin Italiens, musste sich mit den Aushandlungen, wie man in klassischen Männerparteien als Frau in eine Führungsposition gelangt, nicht herumschlagen, denn sie war 2012 Mitgründerin ihrer Partei Fratelli d’Italia. 2014 wurde sie zunächst zur Parteivorsitzenden gewählt. Mit Mitte 40 ist sie vergleichsweise jung und wird als attraktiv beschrieben, außerdem furchtlos und selbstbewusst. So hat sie ihre beiden Koalitionspartner – ›Dinosaurier‹ der rechten bzw. (post‑)faschistischen italienischen Politik, den 2023 verstorbenen Silvio Berlusconi und Matteo Salvini – bei der Kabinettsbildung umstandslos übergangen, wenn es um zentrale Ministerien ging, und eine Mannschaft nach ihrem Geschmack zusammengestellt. Es scheint fast, als würden die Ambivalenzen, denen sich die zuvor beschriebenen Politikerinnen in ihren jeweiligen Kontexten zu stellen hatten, für sie keine Rolle spielen. Man könnte auch sagen: Bei ihr es ist genau umgekehrt. Die Tatsache, dass sie eine Frau ist und sich in einer spezifisch italienischen Spielart populistischer »Celebrity-Politiker:innen« (vgl. dazu Campus und Mazzoni 2021)14 als weibliches ›Sondermodell‹ präsentiert, hat ihr mit zu ihrem unerwarteten und zunächst unwahrscheinlichen Wahlerfolg verholfen.

Melonis Medienpolitik ist dabei eine bewusste Entscheidung zugunsten von »intimate politics« (Ventura 2022, 6), die sie nach langer Zurückhaltung bezüglich ihres Privatlebens mit der Veröffentlichung ihrer Autobiografie Io sono Giorgia: Le mie radici, le mie idee (Meloni 2021) in Angriff genommen hat. Sie bewarb das Buch in den sozialen Medien15 und mit Auftritten in Talkshows, die »Melonis poppige und intime Seite in den Vordergrund rücken« (Ventura 2022, 6) und sie als ehrgeizige, aber ansonsten völlig normale Frau darstellen, die auch mal als Kellnerin, Barfrau oder Kindermädchen gearbeitet hat, womit sie den Anti-Elitismus des Rechtspopulismus bedient. Sie enthüllt Familiendramen – der Vater habe die Familie verlassen, als sie und ihre Schwester noch Kleinkinder waren (vgl. Bombino 2022, o. S.)16 – und spricht von Freundschaften und der Liebe zu ihrer kleinen Tochter, wobei sie auch das schlechte Gewissen einer arbeitenden Mutter thematisiert.

Auffällig ist auch, dass sie die neoliberale Grundströmung, die vielen Rechtspopulismen zu eigen ist, um eine spezifisch weibliche Dimension erweitert: Neben einer starken Betonung von Individualität und persönlicher Freiheit, »wobei der oder die Einzelne stets der Familie und der [vaterländisch-völkischen, GD] Gemeinschaft verpflichtet ist« (Ventura 2022, 6), spricht sie zum Beispiel im Jargon der Selbstoptimierung ausführlichst von einem lebenslangen Kampf gegen Übergewicht: »›Ho combatuto tutta la vita con la dieta. […] Ancora oggi […] mi alleno quatro volte a settimana, sono a dieta 5 giorni su 7, c’é insomma c’ho combatuto tanto per stare a mio agio‹ (I have struggled my whole life with the diet. […] Even today […], I train four times a week, I’m on a diet 5 days [of] 7. In short, I struggled a lot to feel comfortable)« (zit. n. Maréchal 2022, 13).

Akzeptierte ›Weiblichkeitshandicaps‹, nämlich am ›Rabenmutter-Syndrom‹ zu leiden oder Gewichtsprobleme zu haben, kombiniert bzw. konterkariert Meloni mit ostentativer Stärke, Konfliktbereitschaft und Konfrontationslust. Das macht sie in der italienischen Politik- und Medienlandschaft zu einer, wie viele Kommentare bestätigen, neuartigen Erscheinung (Ventura 2022, 6). Vergleicht man ihre Selbstinszenierung mit den sexualisierten ›Trophäendamen‹, die beispielsweise Berlusconi regelmäßig ins Bild schob, steht mit ihr ein volksverbundenes Emanzipationsmodell auf der Bühne eines Landes, das noch nie zuvor eine dermaßen bekannte und beliebte Politikerin hervorgebracht hat.17 Das gibt ihr auch die Freiheit der Inkonsistenz: Obwohl ihr endlos wiederholter Wahlslogan »Dio, Patria, Famiglia« (»Gott, Vaterland, Familie«) lautete, bezieht sie auch ihren Lebensgefährten und Vater ihres Kindes mittels Instagram-Posts in die Veröffentlichung ihres Privatlebens ein – ohne jedoch bislang eine Notwendigkeit zu sehen, diesen zu ehelichen. Als allerdings ihr Lebensgefährte Andrea Gambruno durch öffentlich dokumentierten Sexismus auffiel, trennte sie sich genauso öffentlich und entschieden.

In Anbetracht der Tatsache, dass fast alle hier beschriebenen weiblichen rechtspopulistischen Führungspersonen konträr zur Familienideologie ihrer Parteien leben, kann man schon fast darüber spekulieren, ob die Vermeidung der bürgerlich-heterosexuellen Ehe eine Voraussetzung für ihre Stärke ist, bzw. mutmaßen, dass ihre Sympathisant:innen und Wähler:innen das instinktiv auch so lesen und honorieren. Es kommt offenbar darauf an, welche Identifikationsangebote von Politiker:innen gewichtet werden. Didier Eribon machte eine solche Gewichtung einmal anhand der Person seiner Mutter plastisch, nachdem diese Marine Le Pen gewählt hatte: »Als ich meine Mutter darauf ansprach, dass sie mit ihrer Stimme eine Partei unterstützte, die gegen das Recht auf Abtreibung kämpfte (obwohl sie, wie ich wusste, schon einmal abgetrieben hatte), antwortete sie mir nur: ›Das ist was anderes, dafür hab ich die doch nicht gewählt‹« (Eribon 2016, o.S.). Melonis Medienkampagne, sich als normale Frau mit geschlechtstypischen Problemen darzustellen, die aber nichtsdestotrotz emanzipiert und eine Kämpferin ist, war dermaßen erfolgreich, dass die Kampagne ihrer politischen Gegner:innen, sie als die (Post‑)Faschistin darzustellen, die sie außerdem ist, bezogen auf die Gunst der italienischen Wähler:innen nahezu wirkungslos blieb.

Zusammenfassung

Ich habe in diesem Text unterschiedliche Spielarten vorgestellt, mit denen rechte Frauen von (bestimmten) Aspekten von Feminität profitieren. Das können, wie ich im ersten Teil gezeigt habe, Überbetonungen geschlechtsspezifischer Zuschreibungen wie Hausfrauenqualitäten bei den tradwives oder ostentative Mutterschaft wie bei Richterin Amy Coney Barrett sein. Das kann aber auch eine Art Mimikry-Feminismus sein, der Frauen in prominenten Positionen als Indizien einer rechtspopulistischen (Post‑)›Moderne‹ ausgibt, was ich anhand der Fälle von Marine Le Pen und Giorgia Meloni demonstriert habe. Medientheoretische Analysen weisen sogar auf einen strukturellen Vorteil von rechtspopulistischen Politikerinnen hin, da ihnen menschenfeindliche Schärfen ihrer Parteiprogramme eher als ihren männlichen Kollegen nachgesehen werden, während sie gleichzeitig weniger unter einer sexualisierten geschlechtszentrierten Rezeption, die sie ent-autorisieren könnte, leiden müssen als ›normale‹ Politikerinnen (vgl. Campus 2020; Maréchal 2022; Snipes und Mudde 2020).

Im Allgemeinen gilt die Stellung von Frauen* in Gesellschaften und Institutionen als Gradmesser für deren Fortschrittlichkeit. Die jeweils unterschiedliche, aber immer geschickte Nutzung von Feminität als politischem Trumpf der vorgestellten Persönlichkeiten innerhalb der Rechten produziert eine Simulation von Progressivität und Moderne. Die Politikwissenschaftlerin Love bemerkt ganz richtig, dass es sich hierbei um ein »weaponizing femininity against feminism« (Love 2020, 2) handle. Die scheinbare Entproblematisierung des Status als Frau in rechtspopulistischen Führungsgremien ist deshalb gerade kein Indiz für eine Humanisierung des Rechtspopulismus. Ressentiments und Rassismen gegen Einwander:innen und Geflüchtete, um nur das als Beispiel zu nennen, werden nach wie vor gepflegt, mitunter auch verstärkt, wie im Fall von Meloni (vgl. Ventura 2022, 7). Meloni hat außerdem Abtreibungen erschwert und das Grundeinkommen für die ganz Armen (redditti cittadini) nahezu ersatzlos gestrichen (vgl. Meyer 2022). Zumindest kurzfristig camoufliert hier ausgestellte Feminität die grausame Botschaft. Man sollte mithin eher der radikal rechten Agitatorin Lana Lokteff glauben, die sagt: »Our enemies are so arrogant, that they count on our silence […]. When women get involved, a movement becomes a serious threat« (zit. n. Love 2020, 2).18

Endnoten


  1. Da es keine präzise Definition von »Rechtspopulismen« gibt und auch erste prägende Theoretisierungen der Bewegungen vage von einer »thin-centered ideology« (Freeden 1998, 750; vgl. auch Mudde 2004, 544) sprechen, hat es inzwischen andere Begriffsvorschläge gegeben, z.B. »Souveränismus« (Mayer 2021) oder »autoritärer Radikalnationalismus« (Heitmeyer 2019, o. S.). Heitmeyer nutzt diesen Ausdruck zur Analyse der AfD und ähnlicher Phänomene und kritisiert in diesem Zusammenhang eine »Entdifferenzierung«, die mit dem Terminus »Rechtspopulismus« einhergehe (vgl. dazu auch Heitmeyer 2018).↩︎

  2. Der Begriff wurde in der Weimarer Republik geprägt und ihre führenden Ideen und Vertreter wurden von Armins Mohlers Sammelband Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932 (Mohler 2005) vorgestellt. Der moderne Rechtspopulismus nimmt auf diese demokratiefeindliche geistige Formation vielfach Bezug; zur Kritik vgl. Weiß 2017. Zu »Familienbilder[n] in Diskursen des Rechtspopulismus« vgl. beispielsweise Schmincke 2019.↩︎

  3. Für den deutschen Kontext vgl. dazu Dietze 2020.↩︎

  4. Der Begriff »kalkulierte Ambivalenz« stammt ursprünglich von Melanie Klein 1996.↩︎

  5. S. einen Artikel in der Daily Mail (Nicholas 2020) mit einigen Beispielen.↩︎

  6. Luke O’Brien gibt Anglin in The Atlantic so wieder: »Ironic Nazism disguised as real Nazism disguised as ironic Nazism« (O’Brien 2017, o. S.).↩︎

  7. Siehe eine ausführlichere Auseinandersetzung in Dietze 2020b. Barrett wurde nur sechs Tage nach dem Tod Ginsburgs von Trump nominiert und einen Monat später (also knapp vor der Wahlniederlage Trumps gegen Joe Biden) von der damaligen republikanischen Senatsmehrheit bestätigt. In einem ähnlichen Fall gegen Ende der zweiten Amtszeit von Barack Obama hatte die republikanische Partei die Nominierung von Merrick B. Garland mit dem Verweis auf anstehende Wahlen blockiert (vgl. Liptak und Stolberg 2020; Viebeck 2018).↩︎

  8. »Pathosformeln sind magisch wirksame Erregungsbilder« (Echle o.J., o. S.).↩︎

  9. Dabei handelt es sich laut Gisela Notz um eine »Ideologie der bürgerlichen, heterosexuell zweigeschlechtlich gedachten Kleinfamilie als ›Leitform der Sozialstruktur‹« (Notz 2015, 17).↩︎

  10. Für die USA spricht man von dieser Zeitperiode mit einem Titel von Stephen Vider als The Politics of Domesticity (Vider 2022).↩︎

  11. »Diskurspiraterie« nennt man das Kapern linker Rhetorik, z.T. noch aus der Studentenbewegung, um der Rechten einen revolutionären Touch zu verleihen (vgl. Gebhardt 2017).↩︎

  12. Diese politikwissenschaftliche Denkfigur analysiert die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit Inkompetenz und Männlichkeit mit Kompetenz.↩︎

  13. Als zusätzliches Asset kommt hinzu, dass Marine Le Pen sich zwar vom offenen Faschismus ihres Vaters distanzierte, aber ihre Herkunft für die alte Garde immer noch eine dynastische Legitimation darstellt, was diese mutmaßlich davon abhielt und ‑hält, sich vom modernisierten Rechtspopulismus abzuspalten. In der solcherart verschobenen Rezeption bleibt indes die Tatsache häufig unbeachtet, dass sie als Geschiedene und Alleinerziehende nicht dem generell propagierten Familienbild ihrer Bewegung entspricht.↩︎

  14. Als Vater der italienischen Celebrity-Politik kann Silvio Berlusconi gelten. »In 2001, he sent to millions of Italian citizens copies of the pamphlet ›Una storia italiana‹ (An Italian Story), whose incipit was: ›Chi è veramente il leader di Forza Italia, come vive l’uomo che vuole cambiare il Paese? Abbiamo ripercorso la sua vicenda umana, dall’infanzia Milanese al liceo dei Padri Salesiani. E poi, l’università, il lavoro, le sfide e le vittorie. Ma, soprattutto, vi raccontiamo gli affetti, le passioni, le amicizie, gli amori di Silvio Berlusconi‹ (What is the leader of FI really like? How does he live, the man who wants to change the country? We tell his story, from his early years in Milan to his Salesian high school. And then university, work, the challenges, the victories. But, above all, we will tell you about Silvio Berlusconi himself, his passions, his friends, his relationships‹« (Campus und Mazzoni 2021, 162). Nach Aussage von Medienwissenschaftler*innen war die Geschichte erzählt wie ein Märchen (vgl. z.B. Amadori 2002).↩︎

  15. Laut Sofia Ventura war sie die erste italienische Politiker:in mit einem Profil auf Instagram (vgl. Ventura 2022, 6).↩︎

  16. An anderer Stelle gab sie an, das sei bereits vor ihrer Geburt geschehen (vgl. Maréchal 2022, 8f.).↩︎

  17. Erwähnt werden muss hier die kurzfristige italienische Außenministerin und ehemalige Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini, die es aber, verglichen mit Meloni, nicht annähernd zu solch nationaler Prominenz gebracht hat.↩︎

  18. Zu Lokteff vgl. auch Darby 2017 und Smith 2017.↩︎

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Film

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