Monika Mokre
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Abstract
Abstract
Populism and identity politics use empty signifiers in the sense of Laclau for political mobilization, which become politically relevant precisely because of their indeterminacy. Populism is a type of identity politics that divides society into »the people« and elites; however, other approaches to identity politics can also be found in political discourse that refer to concrete, culturally understood groups. Populist policies are often directed precisely against these groups and their identities. According to Laclau, the foundations of these policies are always constructed and these constructions are necessary for political action; Spivak’s concept of strategic essentialism can be applied here.
The search for universally valid definitions is contrasted with an assessment of these constructions in terms of their political goals. The significance of populism and identity politics for cultural policy should also be assessed from this perspective. For both concepts represent a challenge for art and cultural productions that can only ever be dealt with in concrete terms and, in this sense, lead to productive debates.
Über die Autorin
Über die Autorin
Monika Mokre arbeitet als Politikwissenschaftlerin am Institut für Kulturwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an mehreren Universitäten u.a. der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie ist Vorsitzende des eipcp – European Institute for Progressive Cultural Policies. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Asyl, Migration und Gefängnis, Demokratietheorie, Kulturpolitik und Gender Studies.
Übersicht
Übersicht
Populismus und Identitätspolitik poppen seit einiger Zeit als vage Begriffe im politischen Diskurs auf. Die Unbestimmtheit dieser Konzepte ist nicht ungewöhnlich – vage Begriffe sind für politische Auseinandersetzungen besonders geeignet, können sie doch mit unterschiedlichen Inhalten befüllt und vielfältig emotional aufgeladen werden. Zentrale Begriffe des Politischen, wie etwa Demokratie, sind leere Signifikanten im Sinne von Ernesto Laclau (2010); sie vermitteln keine eindeutige Bedeutung und können gerade deshalb den gemeinsamen Nenner politischer Mobilisierungen bilden. Dies gilt auch für die Signifikanten Populismus und Identitätspolitik, die in diesem Aufsatz in Hinblick auf ihre kulturpolitische Relevanz betrachtet werden sollen. Ebenso wie in Bezug auf andere leere Signifikanten, ringen politische, wissenschaftliche und mediale Diskurse hier um Definitionen und kommen dabei zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Im Unterschied zu leeren Signifikanten wie beispielsweise Demokratie werden aber beide Begriffe im politischen Diskurs durch Fremdzuschreibungen weitgehend negativ konnotiert; dadurch entwickeln sie auch eine andere diskursive Funktion als positiv konnotierte Begriffe.
Spielarten des Populismus
In der Politikwissenschaft werden zum Begriff des Populismus durchgehend einige wenige Autoren zitiert, deren Zugänge hier skizziert werden sollen. Jan-Werner Müller (2016a, 187) etwa versteht Populismus als »eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut derer einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen – wobei diese Art von Eliten eigentlich gar nicht wirklich zum Volk gehört.« Der Gegensatz zwischen Volk und Eliten stellt auch für Mudde und Kaltwasser den Kern des Populismus dar. Die Ablehnung von Eliten führt zu einem positiven Bezug auf die »unteren« Klassen, die Betonung der Homogenität des Volkes zur Ablehnung von Pluralismus. Diese beiden Aspekte werden durch den Vorwurf an Eliten gekoppelt, sich ausschließlich für die Interessen von (etwa ethnischen oder sexuellen) Minderheiten einzusetzen und das »Volk«, die »schweigende Mehrheit« zu vernachlässigen. Rassismus, Sexismus und die Ablehnung sexueller Minderheiten spielen somit häufig eine zentrale Rolle im populistischen Diskurs (vgl. etwa Mudde 2004; Mudde und Kaltwasser 2019).
Populistische Strategien stehen der repräsentativen Demokratie oftmals skeptisch gegenüber und verstehen nur direkte Demokratie als »wahre« Demokratie, als direkten Ausdruck des Volkswillens, wie Anton Pelinka (2012, 9-10) betont. Dies geht oft Hand in Hand mit der Forderung nach schnellen Taten statt langwieriger demokratischer und rechtsstaatlicher Prozesse (Bohman, Laux und Rosa 2018, 198); hier wird auch zumeist der Ruf nach einer tatkräftigen Führungsperson laut bzw. orientieren sich populistische Politiken häufig an charismatischen Führungspersönlichkeiten, die ihren Führungsanspruch eher performativ und mit Persönlichkeitsmerkmalen begründen als durch inhaltliche Kompetenzen (Schmidt 2009, 36-37).
Die meisten Definitionsversuche des Populismus beziehen sich auf rechtspopulistische Strömungen; in der Literatur ist aber auch von Linkspopulismus die Rede. Aus politökonomischer Sicht erklärt Philip Manow (2019) die jeweilige Vorherrschaft von rechts- bzw. linkspopulistischen Strömungen aus der ökonomischen Verfasstheit von Nationalstaaten: In einigermaßen funktionierenden Wohlfahrtsstaaten in West- und Nordeuropa setzen sich rechtspopulistische Strömungen gegen Immigration durch, die als potenzielle Überlastung der Wohlfahrtsstaatlichkeit verstanden wird. In Südeuropa hingegen ist der linkspopulistische Protest gegen die neoliberale, ökonomische Globalisierung vorherrschend, die den ökonomischen Status der einheimischen Bevölkerung bedroht, weil sie sozialstaatlich kaum abgefedert wird.
Andere Autor_innen sehen die konkreten Inhalte populistischer Strömungen als zweitrangig an und bezeichnen sie als »dünne Ideologien« (Taggart, zitiert nach van Kessel 2015, 7), als Politikstil, der mit ganz unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden kann (Diehl 2012). Karin Priester (2012) spricht hier von einem »Relationsbegriff« im Unterschied zu einem »Substanzbegriff«; es mangelt populistischen Bewegungen an eigenen Inhalten, sie entstehen in Abgrenzung zu politischen Gegner_innen.
Die politischen Gegner_innen sind für rechts- wie linkspopulistische Bewegungen häufig die Vertreter_innen des Neoliberalismus. Während sich rechtspopulistische Strömungen zumeist sowohl gegen die Betonung individueller Freiheitsrechte zugunsten der Vorstellung eines homogenen Volkes wie auch gegen die Ideologie des globalisierten freien Marktes richten, fokussieren linkspopulistische Bewegungen auf Letzteres. Gemeinsam ist beiden Strömungen die Kritik an der Arroganz der politischen Eliten, mit denen diese »dem Volk« die Kompetenz für politisches Handeln absprechen und technokratische Lösungen als einzig mögliche verkaufen. Für Müller (2016b) sind sowohl der populistische als auch der neoliberal-technokratische Zugang undemokratisch, da beide unter Hinweis auf eine einzige, alternativlose politische Lösung Pluralismus verhindern.
Der weiteste Begriff von Populismus wird von Ernesto Laclau (2005) vertreten. Für ihn stellt Populismus eine soziale Logik dar, die notwendige Voraussetzung politischen Handelns in der Moderne ist; diese soziale Logik beruht nicht auf der Einheit einer Gruppe, sondern auf einer Reihe von Forderungen. Diese Forderungen werden durch den leeren Signifikanten »das Volk« vereinigt (Laclau 2005, 73). Dies gelingt gerade durch die Unschärfe des Begriffs, unter dem sich etwa Ansprüche auf leistbare Wohnungen, bessere Jobs, höhere Löhne und bezahlbare Bildung subsummieren lassen. Diese Forderungen werden mit Blick auf den leeren Signifikanten »das Volk« gleichwertig. Ein populistischer Diskurs stellt das Gegenteil eines institutionalistischen Diskurses dar, der nicht auf Äquivalenz, sondern auf Differenz innerhalb des Diskurses fokussiert, der nicht ein gemeinsames Ziel, sondern die (partielle) Befriedigung voneinander unterscheidbarer Forderungen anstrebt. Der populistische Diskurs mobilisiert Protest über die Vereinigung verschiedener Forderungen zu einer gemeinsamen Bewegung. Der institutionalistische Diskurs trennt diese Forderungen voneinander und sucht nach Möglichkeiten, Verbesserungen oder Befriedungen etwa auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt umzusetzen, die Proteste beenden oder verhindern. Dem populistischen Diskurs des Protests steht also der institutionalistische Diskurs derjenigen gegenüber, die gerade die Macht innehaben.
Der Populismus ignoriert Differenzen im Inneren zugunsten einer »Grenze der Ausgrenzung ⁅, die⁆ die Gesellschaft in zwei Lager teilt. Das ›Volk‹ ist in diesem Fall etwas weniger als die Gesamtheit der Mitglieder der Gemeinschaft: Es ist ein partieller Bestandteil, der dennoch den Anspruch erhebt, als die einzig legitime Gesamtheit verstanden zu werden« (Laclau 2005, 81). Populismus stellt für Laclau den Königsweg des Politischen dar: »Die politische Operation par excellence wird immer die Konstruktion eines ›Volkes‹ sein« (153). Populismus stellt also eine bestimmte Logik dar, die unterschiedliche Inhalte annehmen kann – er ist nicht spezifisch »an eine Klasse, Ideologie oder eine Art von Gesellschaft gebunden« (Judis 2016, eigene Übersetzung). »Deshalb gibt es zwischen Links- und Rechtspopulismus ein nebulöses Niemandsland, das in viele Richtungen durchquert werden kann – und durchquert worden ist« (Laclau 2005, 87)
Populismus beruht also nach Laclau auf dem leeren Signifikanten »das Volk«. Dieser leere Signifikant ist nach Chantal Mouffe notwendige Voraussetzung zeitgenössischer linker Politik: »Meine Position […] ist, dass ein zeitgemäßes Projekt zur Radikalisierung der Demokratie die Entwicklung eines ›Linkspopulismus‹ erfordert. Das erfordert die Konstruktion einer neuen politischen Identität. […] Die Linke muss ›ein Volk konstruieren‹ und nicht einfach eine bereits existierende historische Formation wie die Arbeiterklasse oder ein einzelnes Anliegen wie Feminismus oder Ökologie vertreten« (Mouffe und Errejón, zitiert nach Judis 2016, eigene Übersetzung). »Die Wahl besteht heute zwischen Rechts- und Linkspopulismus« (Mouffe, zitiert nach Tremlett 2015; vgl. Mokre 2019). In ähnlicher Weise versteht Wolfgang Streeck (zitiert nach Müller 2016b) Populismus als Aufstand gegen die »Fassadendemokratie«.
Konstruierte Identitäten und strategischer Essentialismus
Laut Müller (2016a) ist Populismus stets eine Form von Identitätspolitik, aber nicht jede Identitätspolitik ist populistisch. Denn Identitätspolitik äußert sich auch und vielleicht insbesondere als Anspruch von marginalisierten Gruppen (der dann gerade von Rechtspopulist_innen abgelehnt wird). Müller lehnt auch die kategorische Unterscheidung zwischen früherer Interessens- und zeitgenössischer Identitätspolitik ab, die häufig mit der Diagnose einhergeht, dass sich zwischen Interessen Ausgleich herstellen lässt, während Identitäten unversöhnlich sind. Demgegenüber hält er fest, dass Interessen nicht naturgegeben sind, sondern sich aus einem Selbstverständnis, also einer Vorstellung von Identität entwickeln. In diesem Sinne weisen auch Kastner und Susemichel (2019, 12-13) darauf hin, dass sich die Arbeiter_innenklasse mit ihrem Verständnis gemeinsamer Interessen erst durch Identifizierung einer Vielzahl Lohnabhängiger als Proletariat gebildet hat. Marx (zitiert nach Kastner und Susemichel 2019, 12) selbst unterscheidet ja zwischen der objektiven Gegebenheit der »Klasse an sich« und der »Klasse für sich«, die erst entsteht, wenn die Arbeiter_innenklasse sowohl ihre grundlegend gemeinsamen Interessen als auch ihre Macht im Kapitalismus erkennt.
Zeitgenössische Identitätspolitiken äußern sich allerdings nicht als Klassenpolitik im marxistischen Sinn. Der Populismus als Identitätspolitik stellt eine Form des Klassenkonflikts (zwischen den von Abstieg bedrohten unteren Mittelschichten und der Oberschicht) dar, wird aber unter anderem über Fragen des Lebensstils und über Identitätsmarker ausgetragen, also im kulturellen Feld.
Die Verachtung der Eliten, die sich gegenüber dieser Unterschicht zeigt – die Gelbwesten seien nur »Kettenraucher und Dieselfahrer«, so Benjamin Griveaux, Sprecher der Bewegung »La République En Marche!« –, korrespondiert mit der Elitenverachtung, die in diesem Milieu mittlerweile weitverbreitet ist: Man fühlt sich gegängelt, bevormundet und herabgewürdigt von einer abgehobenen liberalen Elite, in deren lebensweltlicher Realität Knappheit keine ernsthafte Rolle mehr spiele und für die Politik nur noch aus Lifestyle-Themen und Luxusproblemen bestehe. […] Man sieht sich weniger regiert, als vielmehr beständig moralisch gemaßregelt von einer »Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen«, so der ehemalige polnische Außenminister Witold Waszczykowski 2016 in einem Interview mit der »Bild« (Manow 2019).
Diese Konflikte werden u.a. als Stadt-Land-Gegensätze ausgetragen und wahrgenommen – die Provinz gegen Paris oder London, das heartland gegen die West- und Ostküste der USA (Manow 2019). Hierbei wird die Differenz in einem bestimmten Lebensstil festgemacht, der dem Kommunitarismus des Volks die individualistisch-libertäre Haltung der Eliten gegenüberstellt. Zu dieser Haltung gehört das Eintreten der Eliten für die Rechte von Minderheiten, die zumeist gleichfalls als kulturell-politische (und nicht sozioökonomische) Rechte gefasst werden. Auf diese Art stoßen populistische Identitätspolitiken und Politiken der Gruppenidentität aufeinander. Nancy Fraser (zitiert nach Manow 2019) nennt die Verteidigung kultureller Gruppenrechte durch neoliberale Eliten einen »progressiven Neoliberalismus«, der ökonomische Brutalisierung und kulturelle Sensibilisierung verbindet. In ähnlicher Weise diagnostiziert Robert Pfaller (zitiert nach Manow 2019) die Substitution teurer Umverteilungspolitiken durch billige Symbolpolitiken sowie eine Komplizenschaft zwischen Selbstoptimierung im Sinne des Kapitals und kultureller Selbstverwirklichung: »Während der kulturelle Liberalismus auf Selbstentfaltung und ‑verwirklichung setzt, das frei entscheidende Individuum feiert (und ihm deswegen auch dessen jeweilige Befindlichkeit zum Maß aller Dinge wird), entdeckt der ökonomische Liberalismus die Praxis ständiger Selbstoptimierung und die hieraus resultierende, maximal individualisierte Konkurrenzexistenz für sich als Ressource« (Pfaller 2018, 125 nach Manow 2019). Simon Strauß (2019) fordert vor dem Hintergrund dieses Befunds eine »bürgerliche Bekenntnispolitik zum republikanischen Wir« statt individueller Konkurrenz und gruppenbezogener Identitätspolitik, also die Besinnung auf universelle Werte und das Gemeinwohl.
Hingegen sehen Kastner und Susemichel (2019) die Notwendigkeit der Konstruktion von Kollektividentitäten zur Formulierung und Verteidigung gemeinsamer Interessen und führen hier neben dem Klassenkampf den Befreiungskampf der Kolonien an, wie auch den Feminismus nach Judith Butler, der aus der Erkenntnis der Konstruiertheit der Kategorie »Geschlecht« nicht den Schluss gezogen hat, diese Kategorisierung aufzugeben, sondern die politische Wirkmächtigkeit dieser Konstruktion ernst zu nehmen und zu bekämpfen. Hier ist auf Spivaks Begriff des strategischen Essentialismus zu verweisen. »[S]trategic essentialism accepts that essentialist categories of human identity should be criticized, but emphasizes that one cannot avoid such categories at times in order to make sense of the social and political world« (Morton, zitiert nach Kempf 2016, 68). Spivak entwickelte diesen Begriff als Methode der Subaltern Studies Group, »a strategic use of positivist essentialism in a scrupulously visible political interest« (zitiert nach Kempf 2016, 68). Während also essentialistische Identitäten als epistemologisch unhaltbar abgelehnt werden, wird trotzdem anerkannt, dass ein politischer Bezug auf solche Identitäten für Subalterne sinnvoll oder sogar notwendig sein kann.
Auf der Grundlage von Laclaus Verständnis von Populismus und Spivaks Zugang zu Identitätspolitiken lässt sich eine Perspektive entwickeln, die nicht nach – ohnehin wenig überzeugenden – allgemeinen Definitionen fragt, sondern nach der politischen Wirkung der spezifischen Einsatzformen dieser politischen Mittel. Dies erscheint ein grundlegend fruchtbarerer Weg, geht es doch in Diskussionen zu diesen Phänomenen stets auch um feststellbare und prognostizierte Auswirkungen auf politische Systeme. Es erfordert zugleich eine konkrete Analyse je spezifischer Politiken, da deren Strategien deutlich unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Und diese Analyse kommt ohne normative Setzungen der erwünschten Ziele von Politik nicht aus. Eine mögliche Analyse konkreter Politiken in Hinblick auf den Einfluss von Populismus und anderen Identitätspolitiken soll abschließend in Hinblick auf Kunst, Kultur und Kulturpolitik versucht werden.
Kunst und Kultur als Ausdruck oder Feindbild von Identitätspolitiken
Populistische Bewegungen reduzieren sich in ihrem Einsatz kultureller Mittel häufig auf Produktionen des Mainstreams und/oder einer behaupteten Tradition. In diesem Sinne wird bei Veranstaltungen der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ häufig die sogenannte heimliche österreichische Hymne I am from Austria gespielt – übrigens gegen den Willen des Autors dieses Lieds –, während die spanische linkspopulistische Bewegung Podemos eine ihrer großen Wahlkampfveranstaltungen mit Patti Smiths People Have the Power begann (Tremlett 2015). Kritische und wenig zugängliche Werke der zeitgenössischen Kunst werden häufig ebenso als elitär abgelehnt wie die in diesem Bereich tätigen Künstler_innen. Bereits 1995 plakatierte die Wiener FPÖ in ihrem Wahlkampf: »Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk … oder Kunst und Kultur?« Seit Elfriede Jelinek allerdings den Literaturnobelpreis erhalten hat, wird sie auch von Rechtspopulist_innen nicht mehr angegriffen (N.N 2004).
Der Rückgriff auf eine behauptete authentische Volks- und Massenkultur setzt kulturelle Artikulationen für ein klar definiertes politisches Ziel ein. Dies ist kein exklusives Merkmal populistischer Bewegungen; auch die Auftritte von Regierungspolitiker_innen bei den Eröffnungen prestigeträchtiger Festivals verfolgen mit kulturellen Aktivitäten politische Ziele, ebenso wie die Auslandskultur den erklärten Anspruch hat, dem Ansehen des jeweils eigenen Nationalstaats zu dienen und damit u.a. wirtschaftliche und politische Beziehungen zu fördern. Es kann durchaus hinterfragt werden, ob solche Indienstnahmen von Kunst und Kultur einer demokratischen Kulturpolitik angemessen sind, doch jedenfalls sind sie nicht exklusives Merkmal populistischer Kulturpolitiken und daher nicht Thema dieses Artikels.
Die Ablehnung provokanter künstlerischer und kultureller Äußerungen, die sich gegen die Mehrheitsmeinung richten und damit in vielen Fällen auch eine Kritik an einem weitgefassten Begriff künstlerischer Freiheit darstellen, unterscheidet hingegen populistische Kulturpolitik von anderen derzeit vertretenen Politiken und ist demokratiepolitisch problematisch. Begrifflichkeiten, die in diesem Kontext aufkommen, wie etwa das Bild der »Nestbeschmutzung«, erinnern auch deutlich an den nationalsozialistischen Umgang mit unliebsamer Kunst. Wenn davon ausgegangen wird, dass es eine wichtige Aufgabe der Kunst ist, politische und gesellschaftliche Strukturen infrage zu stellen, Kritik am Bestehenden zu üben und Möglichkeitsräume zu eröffnen, dann wird eine grundlegende Funktion von Kunst durch den populistischen Anspruch auf Konformität mit den Vorstellungen eines wie immer gefassten Volks infrage gestellt.
Allerdings kann die populistische Kritik am künstlerischen Schaffen bis zu einem gewissen Grad für eine selbstkritische Befragung im kulturellen Feld genutzt werden. Wenn die künstlerische Kritik an gesellschaftlichen Zuständen und Normen diejenigen nicht erreicht, denen diese Kritik nahegebracht werden soll, seien es Teile der Bevölkerung oder der Eliten, sondern sich darin genügt (oder genügen muss), diejenigen anzusprechen, die mit dieser Kritik übereinstimmen, dann wird sie ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht und verstärkt den Eindruck, dass Künstler_innen Teil einer Elite sind, die sich von den Lebensrealitäten einer Mehrheit der Bevölkerung weit entfernt hat.
Diese Problemstellung ist selbstverständlich nicht neu und war etwa Ausgangspunkt der sozialdemokratischen Forderung »Kultur für alle« in den 1970er-Jahren. In ihrer Implementierung beschränkte sich diese Politik allerdings darauf, von Eliten definierte und produzierte sogenannte »Hochkultur« für diejenigen zu öffnen – oder zu versuchen zu öffnen –, die bisher dazu keinen Zugang hatten. Zu fordern wäre im Gegensatz – oder in Weiterentwicklung dazu – eine Öffnung der Produktion von Kunst und des Diskurses über Kunst für diejenigen, die davon ausgeschlossen sind. Nicht im Sinne einer Anpassung der Kunst- und Kulturproduktion an die angeblichen Wünsche der Mehrheit, aber im Sinne eines offenen Austauschs über Ein- und Ausschlussmechanismen ebenso wie Formen, Inhalte und Ziele kultureller Produktion.
Um den Ausschluss aus der kulturellen Produktion geht es auch denjenigen, die im Sinne von Gruppeninteressen etwa verlangen, dass People of Colour oder sexuelle Minderheiten in der Hochkultur gefördert und sichtbar gemacht werden. Es ist in den meisten europäischen Ländern offensichtlich, dass sich die demografische Zusammensetzung zeitgenössischer Migrationsgesellschaften nicht in der Repräsentation durch die Hochkultur widerspiegelt, also etwa in den Besetzungslisten der großen Sprechtheater und Opernhäuser. Auch hier entbindet der generelle Befund nicht von einem genauen Blick auf konkrete künstlerische Projekte und ihre Möglichkeiten und Grenzen einer adäquateren Repräsentation – zudem geht es eher um produktive Auseinandersetzung als um klare Lösungen. Exemplarisch kann an den Konflikt um die Aufführungsformen von Jelineks Stück Die Schutzbefohlenen erinnert werden. Nicolas Stemann entschloss sich dazu, bei den Aufführungen des Stücks in Hamburg, Mannheim und Amsterdam 2014 Geflüchtete auf die Bühne zu bringen, da er sie nicht von einem Stück ausschließen wollte, in dem es um sie ging. Michael Thalheimer lehnte dies bei seiner Interpretation des Stücks am Wiener Burgtheater rigoros ab: »Ein Flüchtling auf der Bühne ist kein Flüchtling mehr. […] Die Flüchtlinge hatten ihr Leid schon. Wieso sollten sie uns ›Abendländern‹ auf der Bühne noch einmal erzählen, wie scheiße ihr Leben ist. Der Flüchtling auf der Bühne ist kein Flüchtling, er ist nicht mehr authentisch. Diese Art von missratener Pose hasse ich, ich lehne solch exhibitionistischen Porno ab. Die Bühne ist kein Zoo« (zitiert nach Leitgeb und Mokre 2021, 10). Diese beiden Zugänge zu Repräsentation auf der Bühne wurden an anderer Stelle ausführlich diskutiert (Leitgeb und Mokre 2021). Dies soll hier nicht wiederholt, sondern nur exemplarisch dargelegt werden, um aufzuzeigen, wie unterschiedlich mit dieser Frage auch dann umgegangen wird, wenn sie ausführlich reflektiert wird.
Demokratie als leerer Signifikant lässt sich als Herrschaft eines homogenen Volks, als Delegierung von Herrschaft an technokratische Eliten und als die Behauptung verstehen, Pluralismus würde einen echten Interessensausgleich ermöglichen. Demokratie lässt sich – mit Laclau und Mouffe – auch als ein Horizont politischen Handelns verstehen, der nur über konstantes Aushandeln konfliktiver Positionen angestrebt werden kann. In diesen Aushandlungsprozessen spielen unterschiedliche Verständnisse des Politischen eine zentrale Rolle, unter ihnen populistische ebenso wie andere identitätspolitische Zugänge. Künstlerische und kulturelle Positionen und Produktionen haben in ihren Suchbewegungen nach Möglichkeitsräumen einen hochrelevanten Beitrag zu dieser politischen Debatte, nicht aber klare Lösungen anzubieten.
Literatur
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