Historische Entwicklung des Fachbereichs Musikleitung an der mdw
„Bemühen Sie sich klar und verständlich zu dirigieren, aber überschätzen Sie die Technik nicht, vergessen Sie nicht, dass es der Orchestermusiker ist, der die Musik macht und achten Sie ihn dafür. Verwenden Sie alle Ihre Energie – wenn es sich um Musik der Meister handelt – auf die Zusammenhänge der Gestaltung! Leeres Schöntun oder wilde Grimassen am Pult tragen gar nichts bei zur wahren Wirkung, sie sind nur ein Zeichen von Dummheit.“
Aus einem Brief von Hans Swarowsky an seine Studenten anlässlich seines Abschieds von der Hochschule im Mai 1975, nachzulesen auf https://hansswarowsky.com/en/4807-letter-to-students-may-1975.php.
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1909 wurde vom Kuratorium der k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien ein zweijähriger Lehrgang in der Kapellmeisterausbildung eingerichtet. Die Leitung des bis zur Übersiedlung sämtlicher Lehrgänge der k.k. Akademie für Musik in die Lothringerstraße 1913 noch im Musikvereinsgebäude untergebrachten Lehrgangs wurde Franz Schalk, Hofkapellmeister an der Wiener Hofoper (heute Wiener Staatsoper), übertragen.
Als Vorkenntnisse wurden zwei Jahre erfolgreiches Kompositionsstudium am Haus verlangt, dazu der Nachweis guten Gehörs (durch Diktat) sowie gewandten Klavierspiels, Übung im Akkompagnieren und Transponieren.
Der Lehrstoff im ersten Jahrgang umfasste Partiturspiel, Akkompagnieren, Formenanalyse, Instrumentenkunde und Erlernen eines Streichinstruments. Auch ein großes Pensum an praktischen Erfahrungen durch den Besuch und das Begleiten der Gesangsklassen sowie Besuch und Begleiten von Proben der Opernschule, Besuche von Klassenabenden und verpflichtende Anwesenheit in diversen Instrumentalausbildungsklassen.
Dazu kamen Vorträge des Leiters der Kapellmeisterschule über die wichtigsten Werke der Opern- und Konzertliteratur inklusive Formenanalyse, Erklärung der technischen Struktur, Besprechen der Eigenarten und Schwierigkeiten der Interpretation.
Der zweite Jahrgang musste zusätzlich noch Instrumentation und ein Blasinstrument studieren und durfte nun aktiv an Orchesterübungen der Kapellmeisterschule teilnehmen.
1924 wurde parallel zur Akademie eine Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst ins Leben gerufen und unter anderem die Kapellmeisterausbildung ausgegliedert. Der Studienplan wurde zwar nicht nennenswert verändert, aber die Wochenstundenzahl von sechs auf zehn hinaufgesetzt. Das Experiment Fachhochschule wurde bereits 1931 wieder beendet und die dort angesiedelten Studien in die nunmehrige Staatsakademie rückgeführt.
1933 wurde der Lehrplan neuerlich überarbeitet, die kompositorischen Vorkenntnisse blieben nach wie vor Bedingung für die Aufnahmeprüfung. Dass nun „leichte Partituren und schwierigere Klavierauszüge (Wagner, Strauss) vom Blatt zu spielen“ verlangt wurde, hob die pianistischen Anforderungen weiter an.
1939 wurde die Akademie zur Hochschule, 1941 gar zur Reichshochschule, um 1946 wieder zur Akademie zu werden. Die seit den 1920er-Jahren bekannten Bemühungen um eine Hochschulwerdung führten erst 1970 zum Erfolg. Aus der Hochschule für Musik und darstellende Kunst wurde dann 1999 die Universität für Musik und darstellende Kunst.
1946 nahm Hans Swarowsky seine Professur für Dirigieren an der damaligen Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien an – sein künstlerischer Genius prägte das Institut nachhaltig und übte einen entscheidenden Einfluss auf nachkommende Dirigenten aus. Zu seinen zahlreichen Schülern von Weltruhm zählen Gustav Leonhardt, Claudio Abbado, Mariss Jansons, Zubin Mehta, Ádám Fischer, Heinrich Schiff und Michael Radulescu.
Mit dem Jahr 1949 gibt es erstmals die Möglichkeit für die Studierenden, mit einem Profi-Orchester zu arbeiten. Clemens Krauss hatte das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester verpflichtet.
Abschlusskonzerte der Dirigier-Studierenden sind ab 1957 belegt und haben bis heute Tradition.
Mit dem Studienjahr 1960/61 trat erstmals eine tiefgreifende Studienreform in Kraft: Die Lehrgänge Dirigenten-, Chorleiter- und Korrepetitionsschule wurden zusammengelegt, auf vier Jahre ausgeweitet und erstmals ist der Plan belegt, eine Abteilung für Musikleitung zu gründen, der damals allerdings noch nicht umgesetzt werden konnte.
Die Reform hatte, wie aus einer Bemerkung des Akademiepräsidenten Hans Sittner in einer Besprechung 1960 überliefert ist, zum Ziel „die Ausbildung der Kapellmeister auf eine dem internationalen Niveau entsprechende seriöse Basis“ zu stellen und „so eine gute Ausbildung nicht wie bisher nur für die Begabtesten, sondern für den Durchschnitt garantieren zu können.“ (mdw-Archiv, o.Z., Protokoll der Besprechung zur Neuorganisation der Kapellmeisterschule vom 05.07.1960 in 3534/1960, in: 3447/1960, in: Sammelmappe Abteilung Musikleitung, Zl. 4147/1958 S.M.)
Bis 1988 wurden die drei Ausbildungsvarianten in der „Studienrichtung Dirigieren“ zusammengefasst, ab 1988/89 umbenannt in „Studienrichtung Musikleitung“ und auf sechs Jahre (12 Semester) verlängert.
2002 kam es schließlich zur Gründung des eigenständigen Instituts für Musikleitung, der nun auf universitärer Basis laufende Studienplan wurde als Diplomstudium weitergeführt und ab dem Studienjahr 2003/04 wieder auf 10 Semester reduziert, wobei die beiden Studienabschnitte in vier Semester bis zum 1. Diplom und sechs Semester bis zum 2. Diplom aufgeteilt wurden. Die Studiendauer der beiden Abschnitte wurde 2019 umgekehrt, außerdem wurden die drei Sparten Orchesterdirigieren, Chordirigieren und Opernkorrepetition dahingehend verändert, dass schon mit Studieneintritt die Spezialisierung gewählt werden kann und nicht mehr, wie bis 2019 erst im zweiten Studienabschnitt.
Derzeit wird an einer Umstellung des fünfjährigen Diplomstudiums auf ein sechsjähriges Bachelor- Master-System gearbeitet, das ab dem Studienjahr 2024/25 angeboten werden soll.
Die Dirigierprofessor_innen
1909 – 1919 Franz Schalk
1919 – 1922 Ferdinand Löwe
1922 – 1924 Clemens Krauss
1924 – 1926 Dirk Fock
1926 – 1927 Robert Heger
1927 – 1931 Alexander Wunderer
1931 – 1935 Oswald Kabasta
1935 – 1938 Felix Weingartner
1938 – 1945 Leopold Reichwein
1945 – 1946 Josef Krips
1946 – 1946 Hermann Schmeidel (Vertretung Krips)
1946 – 1975 Hans Swarowsky (Emeritierung 1970)
1948 – 1949 Josef Krips
1964 – 1992 Karl Österreicher (von 1964-1970 als Assistent von Swarowsky)
1977 – 1990 Othmar Suitner
1991 – 2012 Uros Lajovic
1992 – 2004 Leopold Hager
Seit 2004 Mark Stringer
2012 – 2022 Johannes Wildner
Seit 2022 Andrès Orozco-Estrada
Seit 2022 Sian Edwards
Geschichtlicher Überblick Chorleitung/Chordirigieren an der mdw
In Richard von Pergers und Robert Hirschfelds Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien wird die Gründung der Chordirigentenschule mit 1904/05 angegeben. Der mit der Leitung betraute Eugen Thomas wurde laut der Eintragung in seinem Personalakt[1] allerdings erst mit 1. September 1905 angestellt. Auch belegen Zeitungsberichte den Beginn mit dem Schuljahr 1905/06.[2]
1919 wurde Chordirigieren in die Kapellmeisterschule integriert (der darüber wenig erfreute Thomas übernahm den Unterricht in Harmonielehre, Allgemeine Musiklehre und Chorübung). In der von ihm vorgebrachten Beschwerde[3] ging er ein wenig auf den Lehrinhalt bzw. sein Verständnis der Unterrichtsinhalte ein:
„Zum Chordirigenten (nicht mit ‚Chormeister‘ oder mit ‚Regenschori‘ zu verwechseln) muss man sorgfältig vorbereitet sein, die Musikliteratur bis zum Jahre 1600 (die bis dahin fast ausschließlich Chorgesang war) und selbstverständlich auch darüber hinaus, genau kennen, eingehende theoretische Studien der alten Stilarten getrieben haben – mit routinierten Taktierern [sic] ist da wenig getan – und mit dem Gesang vertraut sein. Man muss auch Komponist sein, um den alten Werken, die ohne jede Vortragszeichen sind, neues Leben einhauchen zu können, man muss fremde Sprachen beherrschen, um das Textunterlegen in der alt-französischen, englischen und italienischen Chorliteratur vornehmen zu können: man muss auch das Instrumentale der Zeit nach 1600 musikhistorisch genau kennen, u.s.w.
Dies alles wurde bisher theoretisch und praktisch nur in der Chordirigentenschule der Wiener Musikakademie gelehrt und durch Konzerte der Chorschule auch praktisch vorgeführt.“[4]
Ab 1928/29 wurde die Chordirigentenschule wiedereingeführt und Domkapellmeister Ferdinand Habel mit der Leitung betraut.
Die Beantwortung einer Anfrage der Kapellmeisterunion Österreichs aus 1937 betreffend die Schaffung einer Chordirigentenschule[5] bestätigt, dass eine solche noch immer an der Akademie bestand. Ein 1940 geschaltetes Inserat der Akademie führt als eines der angebotenen Studienfächer zwar die Chordirigentenschule an,[6] in der „Studien-Übersicht für das Studienjahr 1940/41“[7] ist sie jedoch nicht zu finden – weder als eines der angebotenen Studien noch als eines der von Habel unterrichteten Fächer.
Habel wurde 1946 pensioniert, spätestens mit diesem Zeitpunkt scheint das Fach verwaist zu sein: es wird nicht in der Fächerstatistik des Jahresberichts über die Studienjahre ab dem Sommersemester 1945[8] erwähnt und taucht erst mit der Einführung des zweijährigen Sonderlehrgangs unter der Leitung Otto Siegls und Reinhold Schmids wieder auf. In der Chronik des Jahresberichts heißt es dazu:
„Ab Wintersemester [1951/52] übernahm außerordentlicher Professor Otto Siegl die theoretische und Professor Dr. Reinhold Schmid die praktische Unterweisung in dem zweijährigen Sonderlehrgang ‚Chordirigentenschule‘“.[9]
Für das darauffolgende Studienjahr ist vermerkt, dass der Sonderlehrgang „weiterhin beibehalten“ wird.[10] Aufgrund der Betrauung Siegls und Schmids ist anzunehmen, dass er organisatorisch an die Abteilung Musiktheorie und Kapellmeisterausbildung eingebunden war.
Ab 1960/61 trat die – zunächst probeweise eingeführte – Reform in Kraft, mit der die Dirigenten-, Chorleiter- und Korrepetitionsschule geschaffen wurde. Damit verbunden war die Verlängerung der Ausbildung auf drei Jahre. [11] 1964 folgte der Erhöhung auf eine vierjährige Dauer.[12]
Geschichtlicher Überblick zur Korrepetition an der mdw
In den Statuten ist bis 1920 der „Besuch des Unterrichtes in Gesangsausbildungsklassen und Begleiten in denselben“ Teil des Lehrplanes der Kapellmeisterschule.[13] Diese wurde von 1924 bis 1931 an der aus der Akademie hervorgegangenen, parallel bestehenden Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien geführt. Unter dem Punkt „Obligate Hilfsfächer“ ist im Lehrplan „Dramatischer Unterricht (Opernschule)“ angeführt, womit vermutlich das Korrepetieren in den Opernklassen gemeint ist.[14]
In den Statuten von 1933 und 1935 wird die Opernkorrepetition ebenfalls als Teil der Kapellmeisterausbildung genannt: „In beiden Jahrgängen Klavierauszug- und Partiturspiel, praktisches Korrepetieren in den Opernklassen.“[15]
Josef Krips schreibt in seinen Lebenserinnerungen über die Leitung der Orchesterübungen 1935 bis 1938: „Jede Woche arbeitete ich früh von acht bis zehn, am Montag mit den Streichern, am Dienstag mit den Bläsern, am Mittwoch mit dem gesamten Orchester, nachmittags mit den Sängern oder mit den jungen Kapellmeistern. Diese mußten an allen Orchesterproben teilnehmen und auf zwei Klavieren die fehlenden Stimmen spielen. Das war für sie eine großartige Übung. Sie mußten auch zu allen meinen Proben mit den Sängern erscheinen.“[16] – Da er es nicht dezidiert anspricht, kann nur angenommen werden, dass es sich dabei um Opernkorrepetition handelte.
Aus der Zeit des Nationalsozialismus sind keine Änderungen in den Lehrplänen bekannt, ab 1945 galten wieder die Statuten aus 1933.
Gleichsam ex negativo, anhand einer an Swarowsky gerichteten Beschwerde über „Unzulängliche Leistungen der Kapellmeisterschüler als Korrepetitoren“, lässt sich für 1952 die Opernkorrepetition im Dirigierstudium nachweisen:
„Übereinstimmend von allen Gesangslehrern wird darüber Klage geführt, daß die im Rahmen ihres Lehrplanes als Klassenbegleiter und Korrepetitoren zugewiesene Kapellmeisterschüler ausnahmslos und vollkommen versagen. Ich bin befremdet bis erschüttert über die mir gemachten sehr detaillierten Berichte, denen zufolge unsere Kapellmeisterschüler außerstande sind, selbst einfache Schubertlieder oder einfache Puccini-Arien auch nur einigermaßen richtig oder annähernd verwendbar zu begleiten. [...]“[17]
Allem Anschein nach (es lässt sich nichts Gegenteiliges nachweisen) war die Opernkorrepetition bis zur Reform 1960/61 Teil der Kapellmeisterausbildung. Dass im Zuge der Reform formuliert wurde, die „bisher getrennt geführte Ausbildung der Kapellmeister, Chordirigenten und Korrepetitoren“[18] würde nun in der Dirigenten-, Chorleiter- und Korrepetitorenschule vereint, legt die Korrepetitionsausbildung betreffend allem Anschein nach eine falsche Spur.
[1] mdw-Archiv, Personalakt Eugen Thomas (Überführungsblatt)
[2] U.a. in Die Zeit, 05.09.1905, S. 3.
[3] mdw-Archiv, Zl. 321/Pr/1919.
[4] Ebenda.
[5] Zl. 255/1937 A.
[6] mdw-Archiv, Zl. 2254/1940 A.
[7] Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Studien-Übersicht für das Studienjahr 1940/41, Wien 1940.
[8] Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Jahresbericht. Sommersemester 1945. Studienjahre 1945/46-1954/55“, Wien 1960, Tabelle bei S. 369.
[9] Ebenda, S. 22.
[10] Ebenda, S. 27.
[11] mdw-Archiv, Zl. 1573/1962 in: 3747/1960, in: Sammelmappe Abteilung Musikleitung, Zl. 4147/1958 S.M.
[12] 2206/1964 A
[13] k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien. Schulstatut. II. Teil: Lehrplan, Wien 1913, S. 26 und Staats-Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien. Schulstatut. II. Teil: Lehrplan, Wien 1920, S. 27.
[14] Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst (Hg.), Statut der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst, S. 6 bzw. dieselbe (Hg.), Abgeändertes Statut der Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst (lt. Erlass Zl. 32509/26 v. 22.1.1927), S. 6.
[15] Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Statut der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. II. Teil: Lehrplan, Wien 1933, S. 7 und dieselbe (Hg.) Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Statut der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. II. Teil: Lehrplan, Wien 1935, S. 7.
[16] Josef Krips, Ohne Liebe kann man keine Musik machen. Erinnerungen. Herausgegeben und dokumentiert von Harrietta Krips, Wien-Köln-Weimar 1994, S. 134.
[17] mdw-Archiv, Zl. 3261/1952 A.
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