WERTE ½ WAHRHEIT ½ WISSEN
FEMINISTISCHE PERSPEKTIVEN AUF MUSIKWISSENSCHAFTLICHE STRUKTURANALYSEN UND IHRE WISSENSORDNUNGEN
Annegret Huber
Weitestgehend unberührt von poststrukturalistischen Debatten erfüllt das Analysieren von Musikstrukturen nach wie vor eine ganz maßgebliche Funktion in akademischer Wissensindustrie. Obwohl disziplinimmanent Fragen der strukturanalytischen Methodik in der Musiktheorie durchaus verhandelt werden, bleiben ganz grundlegende Fragen philosophischer Erkenntnistheorie zumeist unerörtert – wie etwa jene, ob die getätigten Feststellungen zur Musik nicht eher als Aussagen über vielsinnliche Wahrnehmungen des analysierenden Subjekts zu bezeichnen sind oder ob sie wegen ihrer kulturell hegemonial geprägten Analyseästhetik zu einer verzerrten Darstellung des Untersuchungsgegenstands führen. Gleichwohl sind mit musikwissenschaftlichen Strukturerfassungen stets Ansprüche der Wissenschaftlichkeit und Exaktheit ebenso wie der Deutungshoheit der Analysierenden verbunden. In diesem Vortrag sollen Erkenntnisansprüche musikstrukturbetrachtender Wissenspraktiken mit Diskussionen der letzten 25 bis 30 Jahre zusammengedacht werden, die in Nordamerika von feministischen Philosoph*innen um Helen E. Longino (Science as Social Knowledge 1990, The Fate of Knowledge 2001) und Heather E. Douglas (Science, Policy, and the Value-Free Ideal 2009) über Standpunkttheorien hinausgehend um Objektivität, Wahrheit, die Sozialität von Wissen und das Ideal der Wertfreiheit geführt wurden.
Annegret Huber, Musikwissenschaftlerin, Musiktheoretikerin, Pianistin; seit 2008 Professorin für Musikwissenschaft (Schwerpunkt Analyse der Musik) an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; Forschungsschwerpunkte: historische Kompositionslehren, Komponistinnen des 18.-21. Jahrhunderts, epistemologische Probleme, Kulturen und Wissensgesellschaften des Musikanalysierens