MUSIKGESCHICHTE ‚ÜBERSETZEN‘
Juri Giannini
Kunstuniversitäten, besonders jene, die musikbezogene Curricula anbieten, unterscheiden sich in Hinblick auf die Studierendenschaft deutlich von anderen Hochschulen: sie sind mit ca. 50 % Studierenden aus dem Ausland sozusagen ‚plurikulturell‘. Ferner sind Musikhochschulen ‚interdisziplinärer‘ ausgerichtet – nicht nur, wie dies bei Universitäten der Fall ist, die Fächer betreffend, sondern v.a. bezüglich der Methoden und der Art des Zugangs zum Wissen und seiner Produktion. So gibt es an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Institute, die einen wissenschaftlichen Schwerpunkt verfolgen (fokussierend u. a. auf historische, didaktische, ethnologische, technologische, genderorientierte Forschung), der Großteil der Ausbildung ist jedoch auf die künstlerische Praxis ausgerichtet. Diversität ist schließlich durch die ‚gattungsspezifische‘ Vielfalt in den Curricula gewährleistet (z. B. Popularmusik, Jazz, Volksmusik, so genannte E-Musik).
Vor diesem komplexen Szenario und anknüpfend an die Herausforderungen dieser Tagung stellen sich mehrere Fragen, wie das Thema Diversität fruchtbar, kritisch und kreativ in der Vermittlung musikgeschichtlicher Inhalte und Methoden berücksichtigt werden kann, Fragen etwa nach dem Kanon oder der Partizipation im Unterricht der Studierenden und Lehrenden. Bei diesen Anliegen spielen Ansätze und Methoden der Gender Studies selbstverständlich eine wichtige Rolle.
Die Auseinandersetzung mit Methoden und Werkzeugen der Translationswissenschaften betrachte ich als eine Möglichkeit, sich die oben genannten Eigentümlichkeiten im Unterricht bewusst zu machen. Schließlich kann vor dem skizzierten Szenario die Vermittlung der Musikgeschichte in verschiedenen Unterrichtssettings als ein Prozess des Übersetzens begriffen werden: Translation zwischen Kulturen, zwischen Disziplinen, zwischen Methoden und allgemein zwischen Wissenskulturen. In meinem Beitrag möchte ich diesbezüglich erste theoretische Überlegungen vorstellen und ausgehend von einer noch gut überschaubaren Fachliteratur der Theorie und Praxis der Musikgeschichtsdidaktik weitere mögliche Schritte zur Diskussion stellen.
Juri Giannini, Studium der Musikwissenschaft und der Slawistik an den Universitäten Pavia und Wien. Promotion an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lecturer am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw. Forschungsschwerpunkte: Interkulturalität und Didaktik der Musikgeschichte; Ideologie und (Musik)-Geschichtsschreibung; Schnittstellen Translationswissenschaft-Musikwissenschaft; Kulturgeschichte der Musik