Mathilde (1857-1944) und Richard Kralik (1852-1934) waren das vierte und erste von fünf Kindern des böhmischen Glasfabrikanten Wilhelm Kralik (1814-1850) und der aus einer Wiener
Glasfabrikantendynastie stammenden Louise Lobmeyr (1832-1905). Der Vater hatte in erster Ehe 13 Kinder.
1856 übersiedelte die Familie zunächst von Eleonorenhain (heute Lenora) in Böhmen, wo die Stammfirma stand, nach Linz.
Die Fabrik wurde von Linz aus geleitet. Die folgende Übersicht soll am Beispiel der Geschwister Mathilde und Richard Kralik
zeigen, was damals die besten Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen/ Frauen und Buben/ Männer war.
In Linz ist es für Mathilde Kralik im Gegensatz zu
ihren Brüdern noch nicht möglich, eine höhere
Schule zu besuchen.
1868 Erste Handelsschule für Mädchen
1869 Reichsvolkschulgesetz:
Es bestand nun auch für Mädchen die Möglichkeit, Bürgerschulen (nach 5 Volksschule) zu besuchen.
Mädchen hatten weniger Arithmetik, Geometrie Zeichnen, dafür sechs Wochenstunden Handarbeiten extra.
Außerdem: Einrichtung staatlicher Lehrerinnenbildungsanstalten.
Richard Kralik besucht ein Gymnasium in Linz, Matura 1870.
1870 übersiedelt die Familie nach Wien, wiederum wird die bessere Ausbildungsmöglichkeit der Kinder als Grund angegeben.
Mathilde Kralik besuchte die Mittelschule in Wien, die sie 1875 abschloss.
Ein Gymnasium für Mädchen gab es erst zwanzig Jahre später.
Ab 1870 Gründungen gewerblicher Fortbildungsschulen für Frauen, vor allem
Koch- und Nähschulen zur Existenzsicherung unverheirateter Frauen.
1871 Gründung einer Mittelschule für Mädchen in Wien, die „die Wesensart und die Aufgaben der Frau“ berücksichtigt.
1872 Mädchen konnten als Externistinnen an Knabengymnasien die Matura able
gen, die aber nicht zum ordentlichen Hochschulstudium berechtigte.
1873 Eröffnung des sechsklassigen Mädchenlyzeums in Graz. Der Lehrplan entspricht nicht dem der Knabenmittelschulen.
1892 Erstes Mädchengymnasium in Wien/ Österreich (Hegelgasse, später Rahl-
gasse). Maturieren konnten die Mädchen weiterhin nur als Externistinnen in
Knabengymnasien. Für Knaben existierten in Österreich damals 77 Gymnasien.
1907 Erste private Handelsakademie in Wien.
1919 Mädchen werden in öffentliche private Knabenmittelschulen aufgenommen, somit muss für eine höhere Bildung
kein Schulgeld mehr bezahlt werden.
1897 Gründung einer Kunstschule für Frauen und Mädchen. Die Lehrer kamen in den ersten Jahrzehnten aus dem Umkreis der Wiener
Secession.
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen europäische Universitäten ihr Angebot auch für Frauen zu öffnen.
1849 erstes Ladies College in London; Zulassung zu den Examina erst dreißig Jahre später
1840 Gasthörerinnen an der Züricher Universität, ab 1867 Studentinnen an der Medizinischen Fakultät
Seit 1863 folgten mehrere Universitäten in Frankreich, es gab das Studium für
Frauen in einigen Städten - und zwar an allen Fakultäten (außer der Theologischen).
Zwischen 1870 und 1894 folgten die meisten anderen Länder diesem Beispiel –
mit zwei Ausnahmen: Österreich und Preußen.
Für Mathilde Kralik wäre die Möglichkeit eines Universitätsstudiums zu spät gekommen.
Universitäre Ausbildung in Österreich:
1896 die gesetzliche Voraussetzung für die Matura für Frauen als Bedingung für
ein Studium. Im selben Jahr: Anerkennung der im Ausland erworbenen Doktoratsdiplome.
Als erste Frau legte 1896 Elise Richter (1865-1943) mit 31 Jahren am Akademischen Gymnasium als Externistin die Matura ab.
1897 Frauen waren erstmals für das Studium an der Philosophischen Fakultät zugelassen.
1897 Gründung einer Kunstschule für Frauen und Mädchen. Die Lehrer kamen in
den ersten Jahrzehnten aus dem Umkreis der Wiener Secession.
1900 Frauen durften an der Medizinischen Fakultät studieren.
Weitere Fakultäten folgten erst nach 1919.
Die Akademie der Künste wurde erst 1920/21 für Frauen zugänglich.
1934 Im austrofaschistischen Österreich wurde für Frauen eine Maximalquote
von 10 Prozent eingeführt, es gab auch noch diverse andere Zugangsbeschränkungen.
Erst nach 1945 begannen gleichbehandelnde Lehrgesetze und Studienordnungen.
Richard Kralik strebte beruflich zunächst eine rechtswissenschaftliche Laufbahn an. Er studierte in Wien, Berlin und Bonn.
Diese Studienwahl war sehr beliebt bei Söhnen dieser Gesellschaftsschicht. Jus war unter
anderem die Voraussetzung für höhere Positionen in der Verwaltung.
Sein wahres Interesse lag allerdings im historisch-kulturellen und künstlerischen Bereich, was er zunächst
als privates Vergnügen ansah.
Er besuchte neben seinem Jus-Studium Vorlesungen und Seminare in Kunstgeschichte, Archäologie,
klassische Philologie, Geschichte und Literatur.
Als er durch eine Erbschaft finanziell unabhängig wurde, konnte er seine Privatinteressen zur Lebensaufgabe machen
und wurde freier Schriftsteller und Privatgelehrter. Er blieb aber nicht in seiner Privatsphäre,
sondern versuchte auf diesem Weg gesellschaftspolitisch zu wirken.