Knowing in Performing – Ringvorlesungen
Artistic Research an der mdw
© Henry Daniel
In den Jahren 2018 bis 2020 präsentierte und diskutierte die Vorlesungsreihe "Knowing in Performing" an der mdw transdisziplinäre Dynamiken von "Artistic Research" mit einem speziellen Fokus auf Musik und darstellende Kunst.
Aufgrund der Covid-19 Beschränkungen mussten leider die Vorträge von Jyoti Mistry (März 2020) und David Dolan (Juni 2020) abgesagt werden.
Finden Sie bitte weitere Vorträge aus der Vorlesungsreihe online als Videos in unserer Mediathek sowie ein Interview mit Jyoti Mistry im mdw-Magazin!
15. Oktober 2019 – Jagoda Szmytka: Performance-Praxis in öffentlichen Räumen
Abstract
Kunst ist für alle da. Die Komponistin und Performerin Jagoda Szmytka setzt sich in ihrer Lecture-Performance mit der Frage auseinander, wie man Kunst in den Alltag integrieren kann. Abseits großer Museen, High Society Galerien und Konzerthäuser stellt sie die Forderung auf, dass Kunst inklusiv und nicht exklusiv sein soll. Um das zu erreichen, erforscht Szmytka in ihrer Performance-Praxis Kunst als Kommunikationsmittel. Sie entwickelt spezifische, von der klassischen Kunstausbildung abweichende Werkzeuge für ihre Arbeit in öffentlichen Räumen, denn anders als auf einer Bühne gibt es dort oftmals nur Straßenbeleuchtung. Für die Performerin wird das Kunstwerk zum Spielplatz, auf den sie Menschen auf spielerische Art einlädt, Kunst zu entdecken. Das Publikum beteiligt sich am Kunstwerk wie an einem interaktiven Spiel. Das Wie? der Kommunikation ist wesentlich: Wie erreiche ich die Menschen in öffentlichen Räumen?
© Arkandoz
Curriculum Vitae
Jagoda Szmytka ist eine polnisch-deutsche Künstlerin, Komponistin und Kuratorin in Frankfurt am Main. Sie arbeitet interdisziplinär in den Bereichen Bildende Kunst, Musik und Theater, schafft Installationen, Performances ("Box of Presence", "Box of Happy"), schreibt und inszeniert Opern, Musicals, Theaterstücke ("für Hände und Stimmen", "LIMBO LANDER", "LOST", "DIY or DIE", "JUSTICE"), komponiert elektronische und instrumentale Musik (Portraitalbum "BLOODY CHERRIES").
Nach dem Motto "Kunst sollte für die Menschen, mit den Menschen, über die Menschen sein" ist das Hauptthema der künstlerischen Arbeit von Szmytka "der Mensch" und "das Menschenleben in seiner Gegenwart". Um "Kunst zum Menschen zu bringen" und "Kunst mit Leben zu verbinden", erweitert Szmytka ihre Kunstwerke, Stücke und Musikkompositionen aus Galerien, Theatern und Konzertsälen in den öffentlichen Raum. Um den Alltag der Menschen zu durchdringen, nutzt sie nicht nur die Stadt als Bühne, sondern auch transmediale Techniken; sie kommuniziert Kunstinhalte über mehrere Kanäle und bezieht das Publikum in die Performance ein. So bleibt "Kunst spielerisch", "das Kunstwerk wird zum Spielplatz" und "das Publikum als Spieler gewinnt Präsenz".
Szmytka ist Gründerin und künstlerische Leiterin der Kulturplattform "PLAY" und Singer-Songwriter des Art-Pop-Ensembles "ENTER", beide im Jahr 2015 gegründet. Im Jahr 2018 wurde sie zur Vorsitzenden des Vereins "VERY" gewählt. Als Künstlerin und Komponistin wurde sie wiederholt von der Akademie der Künste und dem Deutschen Musikrat unterstützt. Sie war 2017 Artist-in-Residence in der Villa Serpentara (ADK) und über viele Jahre Artist-in-Residence am ZKM (Zentrum für Kunst und Medien). Im Jahr 2016 wurde sie mit dem Deutschen Musikautorenpreis (GEMA) ausgezeichnet.
12. November 2019 – Sandra Noeth: Aesthetic Matters: Artistic Practice and the Systemic (Non-)Representation of Bodies in Contemporary Politics
Abstract
This lecture treats bodies as the point of entry to interrogate contemporary politics: bodies that are characterized by their plurality, that are one and many at a time, and that exist in myriad articulations of themselves. Prompting that imagination and representation are at the core of arts and politics alike and based on the dramaturgical analyses of selected artistic case studies, it revisits the centrality and the ambivalent potential of bodies in current border technologies, in the strategic planning of warfare, and the experience and representation of collectivity in these contexts. It sets out to show how politics are constructed and negotiated through performative, choreographic, somatic, movement-based, and sensory strategies and processes and raises questions: how to develop notions of agency and responsibility that are immanently bound to bodies in relation? And, how can artistic practice and aesthetic practice contribute to counter the systemic non-representation of some bodies?
© Sandra Noeth
Curriculum Vitae
Dr. Sandra Noeth ist Professorin am HZT-Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz Berlin und arbeitet international als Kuratorin und Dramaturgin in freien und institutionellen Kontexten. Als Leiterin der Dramaturgie- und Forschungsabteilung am Tanzquartier Wien (2009–2014) entwickelte sie eine Reihe von Recherche- und Veranstaltungsprojekten zu Konzepten und Praktiken von Verantwortung, Religion, Integrität und Protest in Verbindung mit Körpern.
Sandra Noeth beschäftigt sich im Schwerpunkt mit ethischen und politischen Perspektiven auf Körperpraxis und -theorie (u.a. Violence of Inscriptions, ein Projekt zu Körpern unter strukturellen Gewalterfahrungen, mit A. Zaides, 2016-18, HAU Hebbel am Ufer) und mit Dramaturgie im Kontext körper-basierter Darstellender Künste. Sie ist Mitherausgeberin mehrerer Bücher zum Thema, wie z.B. Bodies of Evidence: Ethics, Aesthetics and Politics of Movement (2018, mit G. Ertem, Passagen) oder des Periodikums SCORES (2010–16, mit Tanzquartier Wien).
2019 ist ihre Monographie Resilient Bodies, Residual Effects im transcript Verlag erschienen, in der sie sich mit der ineinandergreifenden Erfahrung von Grenze und von Kollektivität am Beispiel künstlerischer Arbeiten aus dem Libanon und aus Palästina beschäftigt. Als Dozentin ist Sandra Noeth u.a. an der DOCH/Stockholm University of the Arts (Senior Lecturer seit 2012) und dem HWP-Programm bei Ashkal Alwan, Beirut tätig (Gastprofessur 2015–16).
21. Jänner 2020 – Timothy Ingold: Thinking through the Cello
Abstract
Why do we think that thought is silent? This is an essay about sound and silence, and their relation to thinking. Throughout, I draw on my experience of playing the cello. I show how what we often take to be silent, or at least tacit, is actually alive with sound and feeling; while to the contrary, what can be explicated is actually tacit.
In a printed musical score, notes are specified and articulated, but the score itself is silent. In performance, however, every note becomes a line of movement, and every sequence of notes a series of inflections in the line. This still begs the question of what we mean by sound, and I argue that sound is neither a physical impulse nor a mental sensation but a phenomenon of atmosphere brought about by the blending of the cosmic and the affective.
Like light, sound is generated by a fission/fusion reaction that unites us with the cosmos even as it divides us against ourselves. This explains the combination of sedentism and flight thanks to which I can be seated with my cello while the sound of my playing and thinking explodes into the furthest reaches of the auditory field. Thinking flies as, in my playing, sound does too. I conclude that thinking is not cognitive but atmospheric.
© Timothy Ingold
Curriculum Vitae
Timothy Ingold is Professor Emeritus of Social Anthropology at the University of Aberdeen. He has carried out fieldwork among Saami and Finnish people in Lapland, and has written on environment, technology and social organisation in the circumpolar North, on animals in human society, and on human ecology and evolutionary theory. His more recent work explores environmental perception and skilled practice. Ingold’s current interests lie on the interface between anthropology, archaeology, art and architecture. His recent books include The Perception of the Environment (2000), Lines (2007), Being Alive (2011), Making (2013), The Life of Lines (2015), Anthropology and/as Education (2018) and Anthropology: Why it Matters (2018).
17. März 2020 – Jyoti Mistry: Practice in Working through the Unknown
Abstract
Im Zentrum der künstlerischen Forschung steht die Betonung der Praxis als ein Modus, durch den Wissen sowohl erforscht als auch ausgedrückt wird. Wissensproduktion durch Praxis lädt zu interativen Experimenten ein, die kanonisierte Wissensparadigmen in Frage stellen können. Künstlerische Forschung in der Filmpraxis ist eine Gelegenheit, narrative oder essayistische Formen zu kontern und schafft eine Möglichkeit zur Revitalisierung von Bildpraktiken.
Die Gewissheit oder das "Bekannte" des Archivs ist zu einem umstrittenen Thema in der Praxis von Bildproduktion geworden. Das historische Archiv "kolonialer Bilder" wird von politischen Diskursen bestimmt, die eine erneute Überprüfung dieser Bilder mittels der Praxis der Bildherstellung nötig machen.
© BlackBoard Trust/SuedNord Film (Filmstill aus Jyoti Mistry: Cause of Death, 2020)
Wie können diese Bilder funktionieren, um zeitgenössische Fragen wie z.B. Geschlecht und ethnische Zugehörigkeiten anzusprechen? Können koloniale Archivbilder verwendet werden, um aus dem Material selbst heraus eine Kritik zu schreiben, die zeitgenössische soziale und politische Fragen reflektiert? Die Bearbeitung von Archivmaterial lädt neue Formen der Spekulation ein, wie sie Sarat Maharaj (2009) im Spektrum von "Know-how und No-how" beschreibt.
In zwei aktuellen Projekten experimentiert Mistry mit kolonialem Filmmaterial aus dem Archiv, um die Gewissheit & – "das Bekannte" des Archivs zugunsten des Unbekannten, Spekulativen und Imaginären – zu hinterfragen.
Aufgrund der Covid-19-Pandemie musste der Vortrag abgesagt werden. Sie finden ein Interview mit Jyoti Mistry im mdw-Magazin!
© Heinrich Voelkel
Curriculum Vitae
Jyoti Mistry ist Professorin für Film an der Valand Akademie, Universität Göteborg in Schweden. Sie arbeitet mit Film sowohl als Forschungsform als auch als Modus künstlerischer Praxis.
Neuere Filmarbeiten: When I grow up I want to be a black man (2017), Impunity (2014), 09:21:25 (2011), Le Boeuf Sur Le Toit (2010). Ihre Filme waren unter anderem am Toronto International Film Festival, den Kurzfilmtagen in Winterthur, dem Rotterdam International Film Festival und der Galerie Nationale du Jeu de Paume in Paris zu sehen.
Jüngste Veröffentlichungen: Places to Play: practice, research, pedagogy (2017) untersucht die Nutzung von Archiven als Beispiel für ein Umdenken in kolonialen Bildern durch "entkolonialisierte" Filmpraktiken. Sie ist Herausgeberin einer Sonderausgabe des Journal of African Cinema: "Film as Research Tool: Practice and Pedagogy" (2018). Mistry ist 2016 mit dem Cilect (Association of International Film Schools) Teaching Award ausgezeichnet worden. Zurzeit ist sie die leitende Forscherin eines kulturübergreifenden BRICS-Projekts (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), das sich mit den Bildpraktiken befasst, die sich aus der geo-ökonomischen Allianz ergeben, die durch Handelsabkommen gefördert wird.
21. April 2020 – Henry Daniel: The Human Body Moving as Analogy for Thought Unfolding
Abstract
Als Performance eines mikrokosmischen Teils innerhalb eines makrokosmischen Ganzen gibt uns der menschliche Körper, der sich durch Raum und Zeit bewegt, die Möglichkeit, das Wissen dieses Ganzen als unser eigenes zu beanspruchen. Was bedeutet es zu sagen, dass der menschliche Körper, der sich durch den Raum bewegt, auf Hindernisse trifft, sich ihnen widersetzt, ihnen trotzt oder sie umgeht, sich durch diese seine Performance einen Zugang zu einem Wissen um das makrokosmische Ganze bahnt?
Der Vortrag von Henry Daniel bietet eine andere Art des Denkens über Performance-as-Research, künstlerische Forschung oder Research-Creation. Er bezieht sich auch auf Daniels aktuelles Forschungsprojekt "Contemporary Nomads" als eine praktische Art und Weise des Umgangs mit einer zutiefst philosophischen Frage.
Veranstaltung in englischer Sprache.
Moderation: Johannes Kretz & Wei-Ya Lin
Vorbereitende Lektüre: PreLecture-Text
© Henry Daniel
Curriculum Vitae
Henry Daniel, PhD, ist Professor für Tanz, Performance Studies und Neue Medientechnologien an der School for Contemporary Arts der Simon Fraser University in Vancouver und künstlerischer Leiter von Full Performing Bodies. Daniels Forschung konzentriert sich auf die Stärkung der Begriffe "Practice-as-Research" oder "Research/Creation" in Kanada.
Er verfügt über einen professionellen Hintergrund in den Bereichen Tanz, Theater und Neue Medien, wobei seine Karriere in seiner Heimat Trinidad & Tobago begann und in den USA, Deutschland, Großbritannien und Kanada fortgesetzt wurde. Seine aktuelle Forschung „Contemporary Nomads“ ist inspiriert von einem Kommentar von Stuart Hall über den modernen bzw. postmodernen Nomaden der Neuen Welt, der sich ständig zwischen Zentrum und Peripherie bewegt.
5. Mai 2020 – David Dolan: Classical Improvisation as a Meeting Point of Structural Awareness, Spontaneity and Risk-Taking
Abstract
While the ability of music “to improve our manners and our souls” (Aristotle, Politics book 8, chapter V) has been recognised throughout times universally, musical authorities from CPE Bach, through Chopin, Arthur Rubinstein to Robert Levin today, keep reminding us that for that to happen, performers must bring – in addition to mastery of their instrument and the works performed - authentic expression, spontaneity and attitude of presence and risk-taking. Extemporising used to be a natural part of Western music making up until the 19th century (some significant performers continued this tradition into the early 20th century). Audiences back then were expecting to be surprised when listening to a piece even if they knew it well, as the performance culture treated the performer as a creator.
This session will open with an overview of improvisation in western art-music and propose how to revive this mode of music-making, both in solo and ensemble contexts. This, by combining the use of know-how (structural, stylistic, textural and harmonic awareness) with real-time flow, playfulness and spontaneity. Active listening, awareness of emotional expression and communication are also a part of the work. We will introduce introductory exercises of improvising in classical & baroque stylistic languages as well as tonally-free. We will then move to work on repertoire works by searching for their harmonic/structural reductions and elaborating those reductions through extemporisations towards one’s interpretation of the actual score. Improvised repeats, preludes and interludes, as well as fermata points and cadenzas, will also be introduced.
Veranstaltung in englischer Sprache.
Moderation: Johannes Meissl
© David Dolan
Curriculum Vitae
International concert pianist, researcher and teacher, Professor David Dolan devotes parts of his activities to the revival of classical improvisation and its various applications in performance. Head of the Centre for Creative Performance at the Guildhall School of Music & Drama, he teaches also at the Yehudi Menuhin School and conducts masterclasses and workshops in several major institutions in Europe, north America and Asia. His method of teaching and applying classical improvisation in both solo and ensemble performance situations is applied worldwide.
Über Knowing in Performing
Artistic Research hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem für die Kunstuniversitäten zunehmend bedeutenden Feld entwickelt. Sowohl das steigende Interesse der Kunst an epistemologischen Fragen als auch die wissenschaftliche Befragung künstlerischer Praktiken unterstützen und initiieren künstlerische Forschungsprozesse als spezifische Formen der Wissensgenerierung. Kunst wird dabei zugleich als Gegenstand und als Medium der Forschung betrachtet. In der transdisziplinären Annäherung von Kunst und Wissenschaft spielt die Integration von verschiedenen Wissensformen wie "tacit knowing", "embodiment", prozessorientiertes Handlungswissen oder auditive Wissenspraxen eine zentrale Rolle und dient der Entwicklung neuer Methoden und Forschungsfragen.
Der Entwicklungsprozess von Artistic Research an der mdw, welcher in näherer Zukunft u.a. auch die Einrichtung eines künstlerischen Doktorats sowie des Artistic Research Centers zum Ziel hat, ist getragen von der Einsicht, dass es nicht ‚die‘ eine Form der künstlerischen Forschung gibt, sondern verschiedene Zugänge einen breiten Diskurs erfordern. In diesem Zusammenhang spielt auch die Fortsetzung der Vorlesungsreihe "Knowing in Performing" mit Fokus auf die darstellende Kunst eine wichtige Rolle. An sechs Terminen präsentieren die eingeladenen Künstler_innen und Theoretiker_innen ihre Modelle künstlerischen Forschens, analysieren aktuelle Praktiken und Diskurse und eröffnen eine kritische Diskussion über die Möglichkeiten und Bedingungen ihrer Umsetzung in Lehre und Forschung.
Koordinationsteam
Projektteam: Johannes Kretz, Therese Kaufmann, Susanne V. Granzer, Annegret Huber, Doris Ingrisch, Johannes Meissl, Gesine Schröder, Tasos Zembylas
Koordination: Karoline Feyertag
Organisation: Slavomíra Martišková
Kontakt & Information: knowinginperforming@mdw.ac.at