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Nach der Gründung des österreichischen Forschungsnetzwerks PopNet Austria im Rahmen des gleichnamigen Symposions 2015, fand von 1. bis 3. Dezember 2016 erneut eine Tagung zur Popularmusikforschung in Österreich statt.
In den letzten Jahren wurden an einer Vielzahl von Instituten unterschiedlichster Disziplinen Arbeiten im Bereich „Popular Music Studies“ geschrieben. Aufgabe des PopNet Austria ist es unter anderem einen Einblick in diese Vielfalt zu gewähren. Das Institut für Popularmusik (ipop) lud WissenschaftlerInnen ein, ihre Forschungsarbeiten im Rahmen von PopNet Austria an der mdw vorzustellen.
Popularmusikforschung konstituiert sich interdisziplinär durch Beiträge aus verschiedensten Forschungsansätzen. Sie betrifft Genres der Musik wie Jazz/improvisierte Musik, Folk/World Music, Dance/HipHop/Elektronik, Rock/Pop Musik, Schlager/volkstümliche Musik etc., sowie alle Prozesse die mit Popularität von Musik generell verknüpft sind (Produktion, Distribution, Konsumation, …). PopNet Austria bezieht sich auf Musik weltweit, die Popularmusik aus Österreich stellt dabei ein speziell zu förderndes Interessensgebiet dar.
Ziel ist es, die Kommunikation zwischen allen Personen in und aus Österreich zu fördern, die in irgendeiner Form zur Popularmusikforschung beitragen. Zu diesem Zweck wurden unter anderem Maßnahmen, wie die Veranstaltung von Symposien, die jährlich erneuerte Bestandsaufnahme von Publikationen und Abschlussarbeiten, die Einrichtung und Wartung von Kommunikationsforen im Internet und die Erstellung eines Netzes von Kontaktpersonen aus allen fachbezogenen Universitätsinstituten und öffentlichen Medien, ergriffen. Zum ersten Geburtstag des PopNet Austria präsentierten die Mitinitiatorinnen Iris Winter und Michaela Wandl ein Update der Bestandsaufnahme zur Popularmusikforschung in Österreich. Gefeiert wurde anschließend mit einem Auftritt der Band Eva Crisp Quintett bestehend aus Eva Krisper (vocals, comp., arr.), Viola Hammer (piano, arr.), Max Deineko (guitar), Alvis Reid (bass) und Hans Peter Kirbisser (drums).
Beim Symposion präsentierten zehn Vortragende aus unterschiedlichen Fachgebieten verschiedener Institutionen ihre aktuellen Forschungsprojekte. Kritisches Feedback aus dem Publikum sorgte für intensive Diskussionen und ein ausführlicher Erfahrungsaustausch war möglich. Dem interdisziplinären Forschungsfeld der Popularmusik entsprechend, waren die Beiträge thematisch breit gefächert.
Eröffnet wurde das Symposion mit einem Vortrag von Roman Duffner (Institut für Soziologie, Universität Wien), der sich der musik- und techniksoziologischen Untersuchung des Gitarrengurtes gewidmet hat. Sowohl in der musikalischen Praxis als auch für die Inszenierung von Musikschaffenden spielt der Gitarrengurt eine wesentliche Rolle, denn erst durch seine Beteiligung können Hände und Arme von der Tragefunktion befreit und das Spielen im Stehen gewährleistet werden. Ohne ihn wäre die mobile, ekstatische und virtuose Selbstinszenierung von (Rock-)GitarristInnen praktisch unvorstellbar und damit auch die Zuschreibungen der Gitarre als Instrument der „Freiheit“ und „Individualität“.
Sebastian Parzer (SR-Archiv österreichischer Popularmusik) zeigte in seiner Studie zu Österreichs Musikschaffenden und anhand von Facebook-Likes auf, dass Österreichs beliebteste Musikschaffende auf Facebook heterogen sind. Sie setzen sich aus verschiedenen Formationen zusammen – vom DJ bis zur mehrköpfigen Band – und decken viele etablierte Genres ab, von Schlager über Pop und diversen Spielarten elektronischer Musik bis Black Metal. Chart-Erfolge hängen nicht unbedingt mit der Anzahl von Facebook-Likes zusammen.
Die OrganisatorInnen, Harald Huber und Magdalena Fürnkranz (ipop, mdw) stellten ausgewählte Ergebnisse ihres Forschungsprojekts Performing Diversity vor.
Im Rahmen der Magisterarbeit-Präsentation von Eva Krisper (Institut für Musiksoziologie, mdw) wurden Aspekte der Berufseinstiegsphase von Pop- und Jazz-GesangsabsolventInnen der Universitäten für Musik und darstellende Kunst Graz und der mdw besprochen. So konnte ein Einblick in die Komplexität und Vielfalt der Möglichkeiten zur persönlichen Berufsfeldgestaltung sowie damit einhergehende Anforderungen an benötigte Kompetenzen im österreichischen Musikarbeitsmarkt gewährt werden.
Die von Bernhard Steinbrecher (Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien) vorgestellte Dissertation befasst sich mit dem Klingenden in populärer Musik und damit, wie musikwissenschaftliche Analysemethoden zum besseren Verständnis von Musik und des Umgangs mit ihr beitragen können. Die Arbeit systematisiert Interpretationsrichtungen, aus denen sich das Klanggeschehen deuten lässt. Für aufschlussreiche Analysen muss der Kontext der untersuchten Musik miteinbezogen werden. Deskriptive Aussagen zum Klanggeschehen sind mit dessen Verstehenshorizonten zu verknüpfen.
Márton Szegedi (Institut für Jazzforschung, Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) stellte das Forschungsprojekt Prototypen und performative Variabilität in popularmusikalischen Begleitpatterns vor. Hauptziel dieses Projekts ist es, wesentliche Begleitpatterns prototypischer Musikstücke aus ausgewählten Bereichen der Popularmusik zu systematisieren und in detaillierten Transkriptionen zu verschriftlichen. Die darüber hinausgehende performative Variabilität wird für jedes der Patterns in Form eines musikanalytischen Kommentars erörtert.
Jasmin Linzers Vortrag Musikalisches Unterhaltungstheater in der Wiener Kleinkunst der 1930er Jahre: Das Mittelstück „Marie oder Der Traum ein Film“ präsentierte einen Ausschnitt ihrer noch in Arbeit befindlichen Dissertation, die derzeit am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw entsteht. Stilistisch zwischen Volkstheater, „Dreigroschenoper“ und Musical verortet, spielt im Mittelstück populäre Musik immer wieder eine maßgebliche Rolle. Mit „Marie oder Der Traum ein Film“ wurde eine Form des Mittelstückes – als musikalisches Unterhaltungstheater – vorgestellt, sowie Herausforderungen der historischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen der Unterhaltungskultur thematisiert.
Das Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste Wien war mit Katharina Hausladen und Anna Barfuss vertreten. Den Fokus von Hausladens Vortrag bildete Gesellschaftskritik durch Popmusik. In einem genealogischen Nachvollzug unterschiedlicher Kritikbemühungen seit der Geburt von Popmusik (1950er-Jahre) sollte eine Popkritik plausibel gemacht werden, die die Differenz zwischen theoretischer und praktischer Kritik anerkennt, um weder die Theorie zur privilegierten Praxis zu erklären, noch sich von den Phänomenen die Kategorien diktieren zu lassen. Zur Politisierung von Sound und Performance in Gegenwart von Black Lives Matter. Widerständige, politische Strategien neuer Pop Acts und Formationen lautete der Titel von Anna Barfuss’ Vortrag. Das Kollektiv NON Worldwide versammelt afroamerikanische, afrikanische und in Europa lebende MusikerInnen mit afrikanischen Wurzeln unter der Forderung „den Dancefloor zu dekolonialisieren“ wie mit dem Musikbeispiel „Isifundo Sokuqala“ von Faka demonstriert wurde.
Demgegenüber präsentierte Barfuss die sich davon unterscheidende Position der Cellistin und Singer/Songwriterin Kelsey Lu. Musikalisch eine experimentelle Spielart von Folk mit ephemeren Cello-Loops im Zentrum, weist die Inszenierung der Musikerin deutlich politische Aspekte auf, wie beispielsweise in den Musikvideos „Dream“ und „Morning after Coffee“.
Verbindungen zu postkolonialer Theorie und Gender Studies über Revision und Subversion weißer Herrschaftsgeschichte, beziehungsweise die Inszenierung queerer Beziehungen wurden mit diesen beiden Beispielen hergestellt.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Veranstaltung bildete der Musikjournalismus. Andreas Felber, promovierter Musikwissenschaftler und Leiter der Ö1-Jazzredaktion, gab Einblicke in die Arbeit der Ö1-Jazzredaktion, die für die Programmierung der Sendungen „Jazznacht“, „Jazztime“ und „On stage“ sowie die Aufnahme von Jazzkonzerten in Österreich zuständig ist. Als Impulsgeberin für die nachfolgende Podiumsdiskussion Zum Spannungsverhältnis von Musikjournalismus und Wissenschaft fungierte die Keynote von Kristina Pia Hofer, Musikerin, Journalistin und Wissenschaftlerin (Abteilung Kunstgeschichte, Universität für angewandte Kunst Wien). Der Beitrag ging der Frage nach, welche politischen Handlungsspielräume die unterschiedlichen Herangehensweisen, wissenschaftliche und journalistische, jeweils eröffnen, und wie sie diese eventuell produktiv verbünden können. Es diskutierten Astrid Exner (Musikblog „Walzerkönig“), Stefan Niederwieser (Chefredakteur „The Gap“, derzeit karenziert), Kristina Pia Hofer („die versorgerin“), Juri Giannini („Concerto“), Heinrich Deisl (ex-Chefredakteur „skug“) und Katharina Seidler („Falter“/„Skug“/„The Gap“ /Redakteurin bei Radio FM4). Alle DiskutantInnen haben ein wissenschaftliches Studium absolviert und sind fast alle auch in wissenschaftlichen Bereichen tätig, was im Musikjournalismus eher als Ausnahmeerscheinung gilt.