Internet und Mobiltelefonie haben innerhalb weniger Jahre unser Alltagsleben in einem Ausmaß verändert wie kaum eine technische Innovation davor. Seit den 1990er-Jahren haben sich die Möglichkeiten, Informationen zu beziehen und zu verbreiten vervielfältigt, Kontrolle über diese Informationsflüsse ist kaum möglich. Mit ihrer Umwandlung in binäre Codes werden Schallereignisse über Datennetzwerke transportiert und öffentlich zugänglich gespeichert, was uns ein Überangebot an Musikhörmöglichkeiten beschert hat. Das Institut für Musiksoziologie der mdw hat eine lange Tradition in der Erforschung von Einflüssen der Medienentwicklung auf die musikalische Praxis (Bontinck 1974, Blaukopf 1989, Smudits 2002). Der neue Band 36 der institutseigenen Buchreihe Musik und Gesellschaft präsentiert nun Forschungsergebnisse zu der Frage, wie sich mit der digitalen Mediamorphose Zugang und Haltung zur Musik der Menschen in Österreich verändert haben. Auch in Ermangelung ähnlich differenzierter und theoretisch fundierter empirischer Forschung sind die hier präsentierten Erkenntnisse von grundlegender Bedeutung und auch jenseits der nationalen Perspektive interessant.
Ausgangspunkt der Betrachtung war die Alltagsbeobachtung, dass die im zwanzigsten Jahrhundert zentrale gesellschaftliche Bedeutung musikbezogener Jugendkulturen einen starken Wandel erfahren hat. Nach wie vor sind Unterschiede in den Verhaltensmustern junger und älterer MusikhörerInnen augenfällig, die Differenzen zeigen sich heute jedoch weniger in musikalischen Inhalten oder Formen, als vielmehr in der Haltung zur Musik generell, in ihrer Bewertung und Verwendung. Im Rahmen der neuen Möglichkeiten des Sehens und Gesehenwerdens, des Kommentierens und Kommentiertwerdens über soziale Medien wie Facebook, WhatsApp oder Musically scheint Musik bei vielen „Digital Natives“ (Prensky 2001) nicht mehr Kerninteresse zu sein, sondern eher ein Mittel, ein Anlass zu Kommunikation und (Selbst-)Präsentation. Ein zentrales Forschungsinteresse lag nun darin, zu untersuchen, inwiefern sich diese Alltagsempirie durch Befragungen repräsentativer Samples verallgemeinern lässt, und wo in dieser Hinsicht soziale Ungleichheiten zu identifizieren sind.
Auf Basis zentraler musiksoziologischer Theorien zur sozialen Ungleichheit der Musikrezeption wurde ein umfassender Fragebogen entwickelt und in 1.199 jeweils zwanzigminütigen Face-to-face-Interviews eingesetzt. Die InterviewpartnerInnen wurden so ausgewählt, dass das Sample der Befragten die österreichische Gesamtpopulation ab dem 16. Lebensjahr hinsichtlich Alter, Geschlecht, Schulbildung, Einkommen, Migrationshintergrund und Wohnortgröße repräsentiert. Die Antworten wurden zentral aufbereitet und mit statistischen Verfahren wie Korrespondenz- und Clusteranalysen ausgewertet. An dieser Stelle kann aus Platzgründen nur ein kleiner Teil der Ergebnisse präsentiert werden, für die extensive Darstellung samt theoretischer Grundlagen sei auf das Buch verwiesen (Huber 2018). Eine besondere Qualität dieser Forschungsergebnisse liegt in ihrer Gegenüberstellung musikalischer Verhaltensweisen verschiedener Mediengenerationen. Die nach 1990 Geborenen sind mit Internet und Mobiltelefonie aufgewachsen. Ihre musikalische Sozialisation ist durch die Erfahrung geprägt, dass ein Überangebot an Musik im Internet frei verfügbar ist. Sie unterscheiden sich in ihrer musikalischen Praxis zum Teil stark von den in der analogen Ära mit Vertriebskontrolle und Zielgruppenorientierung der Tonträgerindustrie sozialisierten MusikhörerInnen.
Vorweg sei gesagt, dass sich bei allen Unterschieden zwischen den Generationen auch musikalische Praktiken identifizieren lassen, bei denen die Differenzen gering oder statistisch nicht signifikant sind. So gehen die Jungen insgesamt nicht öfter ins Konzert als die Älteren und sie hören auch nicht häufiger nebenbei Musik. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Geldausgaben für Musik. Für Downloads und Streaming geben auch die Jungen nur unwesentlich mehr Geld aus, bei Musikveranstaltungen und beim Tonträgerkauf zeigen sich diesbezüglich keinerlei signifikante Unterschiede zwischen den Generationen.
Anders sieht es bei der Hörhäufigkeit der verschiedenen Musikstile aus. So werden Techno, House und Hip-Hop von den Jungen wesentlich öfter gehört als von den über 25-Jährigen, Volksmusik und Schlager deutlich seltener. Interessanterweise zeigen sich keine großen Unterschiede in der Hörhäufigkeit von Klassik, obwohl diese von den Älteren deutlich öfter als Lieblingsmusik genannt wurde. Auffällig ist auch, dass sich die „Generation Web 2.0“ durch intensivere Nutzung und ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein hinsichtlich der unterschiedlichen Alltagsqualitäten und Einsatzmöglichkeiten von Musik auszeichnet, wie etwa zur Stimmungsregulierung, als Hintergrund für Feste und Feiern, als Gesprächsthema oder als Erinnerung an Erlebnisse und Personen. Und während etwa die Hälfte der über 25-Jährigen sagt, dass sie sehr gerne Musik unterwegs hört (im Auto, im Zug, im Bus usw.), gilt dies sogar für drei Viertel der Jungen. Wesentlich stärker ausgeprägt ist auch ihr Musikbedarf beim Sport, beim Ausgehen am Abend und wenn man mit FreundInnen zusammen ist. Der höhere Stellenwert von Musik bei den Jungen zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass in ihrer Gruppe der Anteil jener, die mehrmals pro Woche (mit anderen) singen und/oder musizieren, mehr als doppelt so groß ist wie bei den über 25-Jährigen. Diese Differenzen sind nicht sehr überraschend und liegen wohl nur zum Teil in der Digitalisierung begründet.
Das gilt jedoch nicht für jene Qualität, die die musikalische Praxis der heutigen Jugend am stärksten von früheren Generationen unterscheidet: der Umgang mit Internet und Smartphone. Die am höchsten signifikanten Teilgruppenunterschiede der gesamten Studie zeigen sich zwischen digital und analog sozialisierter Generationen und dem jeweiligen Umgang mit dem Internet für Musikzwecke (Abb. 1). Während bei den Älteren die Rangreihe der Verwendungshäufigkeit von Musikabspielgeräten vom Radio angeführt wird (vor dem Fernsehen und der CD), ist bei den Jungen das Smartphone innerhalb von nur fünf Jahren (2010–2015) vom letzten auf den ersten Platz vorgerückt. Die immense Bedeutung des Internets als Unterscheidungsmerkmal der Generationen zeigt sich auch darin, dass seine Bedeutung für die eigene musikalische Sozialisation von den Jungen ungleich höher eingeschätzt wird als von den Älteren (Abb. 2).
Generell zeigt sich die österreichische Bevölkerung in ihrer musikalischen Praxis gespalten in jung/alt, urban/rural, bildungsnahe/bildungsfern und vor allem online/offline. Hinsichtlich des Mediengebrauchs lassen sich fünf Musikrezeptionstypen identifizieren, die sich in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen klar unterscheiden (Abb. 3). Mit der digitalen Mediamorphose wurden bestehende Differenzen noch verstärkt, woraus sich für die Musikpädagogik ein dringender Handlungsbedarf ergibt. An ihrer Aufgabe, das Erleben von Musik als persönlich erfüllend und sozial bereichernd erfahrbar zu machen, hat sich nichts geändert. Eine neue Herausforderung im Zeitalter Web 2.0 liegt in der Vermittlung einer musikalischen Haltung, die zu einem autonomen und selbstbewussten Umgang mit dem musikalischen Überangebot im Internet befähigt.
Blaukopf, Kurt. 1989. Beethovens Erben in der Mediamorphose. Kultur- und Medienpolitik für die elektronische Ära. Heiden: Niggli.
Bontinck, Irmgard (Hrsg.). 1974. New Patterns of Musical Behaviour. A Survey of Youth Activities in 18 countries. Wien: UE 1974
Huber, Michael. 2018. Musikhören im Zeitalter Web 2.0 – Theoretische Grundlagen und empirische Befunde. Wiesbaden: Springer VS.
Prensky, Marc. 2001. Digital Natives, Digital Immigrants, Part 1. On the Horizon 9 (5): 1–6.
Smudits, Alfred. 2002. Mediamorphosen des Kulturschaffens. Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel. Wien: Braumüller.