Meine Taufpatin war keine gesprächige Frau. Eigentlich war sie nicht meine Taufpatin, sondern die Frau meines Taufpaten. Aber nach seinem plötzlichen Tod hat sie alles übernommen. Seine Verwandten, sein Arbeitszimmer, seine Verpflichtungen. Ich war Teil der Erbmasse. Sie gab nie vor, sehr am Small Talk mit ihren Mitmenschen interessiert zu sein. Sie nickte höchstens, manchmal lächelte sie sogar, das war das Höflichste, zu dem sie bereit war. Musik war ihr lieber als Worte.

In ihrer Wohnung gab es wenige Bücher, aber viele Platten, Kassetten und ein Klavier. Wann immer ich sie besuchte, saß sie dort und spielte. Und immer deutete sie auf den Platz neben sich auf der Klavierbank, zeigte mir, wann ich welche Tasten berühren sollte und dann spielten wir zusammen. Obwohl ich keine Ahnung vom Klavierspielen hatte. Trotzdem klang es schön. Sie hatte keinen Ehrgeiz in Bezug auf das Taufkind, das sie geerbt hatte. Sie machte mir keine teuren Geschenke – Kleider, Parfüm, all das war ihr nicht wichtig. Stattdessen kaufte sie mir zwei Abos. Eines für das Konzerthaus der Kleinstadt, in der wir lebten, und eines für das Stadttheater.

Zweimal im Monat holte sie mich abends ab, auch unter der Woche, selbst wenn am nächsten Tag ein Test anstand, und wir fuhren gemeinsam ins Konzert oder in die Oper. Wir sahen La Bohème von Puccini, wir hörten Bachs Kantaten, Schuberts Lieder, die 5. Sinfonie von Mahler. In den Pausen tranken wir ein Glas Sekt mit Orangensaft, auch wenn ich dafür noch zu jung war, und sie blühte auf. Und die Art, wie sie über Bach, Schubert oder Puccini sprach, begeisterte mich, nahm mich vollkommen für deren Werke ein.

Da war etwas, dachte ich damals, das wichtiger war als gute Noten, Schularbeiten oder ob dich die anderen auf dem Pausenhof schneiden oder mögen. Eine Welt voller Fantasie, die sie mir eröffnet hatte und die nur mir gehörte. Sie ist schon lange tot. Aber immer, wenn ich in der Oper sitze, selbst wenn ich zu Hause Platten höre, bin ich ihr dankbar dafür, dass sie die Tür geöffnet hat. Zu einem Leben jenseits der Worte.

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