Eine Visitenkarte, keine Einnahmequelle
Arm, aber sexy. Das ist vermutlich die Redewendung, die in Gesprächen mit heimischen Filmschaffenden am häufigsten fällt, sobald man auf Musikvideos zu sprechen kommt. Denn seit ein paar Jahren erlebt das Genre, das nach dem Niedergang der einschlägigen Spartenkanäle bereits totgesagt wurde, im Internet einen wahren Boom. Und während österreichische Popmusik längst international Furore macht, sind es fast ausnahmslos die Künstler_innen selbst, die die Videos nicht nur in Auftrag geben, sondern auch oft genug aus der eigenen Tasche bezahlen.
Es gab Zeiten, erinnert sich Sebastian Mayr, der an der Filmakademie Wien Regie studiert und wiederholt mit dem Elektropop-Trio Gudrun von Laxenburg gearbeitet hat, als es hieß: Wer braucht noch Musikvideos? „Das hat sich inzwischen wieder geändert, aber die Budgets sind nicht mitgewachsen. Die Labels wissen, dass es immer junge Filmleute geben wird, die sich „all in“ reinhauen und alles tun, um mit nichts etwas Tolles zu schaffen. Heute ist es meiner Erfahrung nach eigentlich klar, dass niemand bezahlt wird: Ein Musikvideo ist eine Visitenkarte, keine Einnahmequelle.“
Nicht weniger kritisch beurteilt Filmemacherin Jasmin Baumgartner, die ihr erstes Musikvideo 2010 gedreht hat, die Situation. Für sie sind Musikvideos ein „wunder Punkt der Industrie“: Förderstelle dafür gibt es keine, gleichzeitig steigt ihre Relevanz. Siehe beispielsweise Columbo. Das Video, das Baumgartner zur Vorab-Single aus Wandas neuem Album Niente (2017) gestaltet hat, kommt mittlerweile allein auf Youtube auf zehneinhalb Millionen Klicks. Die ironisch-melancholische Ballade, die im Bett mit Inspektor-Columbo-Schauen verbummelte Tage besingt, erfährt eine vieldeutige Umsetzung: Ikonografische Verweise auf den legendären TV-Ermittler (Mantel, Zigarre, Renault-Spielzeugauto) sind hier quasi der Rahmen für das weitere Geschehen, das ein junges Pärchen, Leadsänger Marco Wanda im Ikarus-Kostüm sowie den steirischen Erzberg zeigt.
Das durchschnittliche Budget eines Musikvideos dürfte sich in Österreich derzeit auf 2.000 Euro belaufen. Damit kann man für zwei, drei Tage das technische Equipment bezahlen, aber keine Gagen. „Sicher haben Wanda ein anderes Budget für ihre Videos als andere Bands“, räumt Baumgartner ein. „Das gibt einem dann halt auch die Freiheit, viel zu machen für das Video. In dem Fall war es aber sowieso ein Best-Case-Szenario, weil sie sehr wertschätzend mit den Menschen umgehen, mit denen sie arbeiten. Es war ein gemeinsames Ideenfinden, was durchaus nicht selbstverständlich ist.“
Marie-Thérèse Zumtobel, freischaffende Kamerafrau in Wien, hat in Co-Regie mit Anselm Hartmann bereits mehrere Videos für das Glampopduo Fijuka (beide Absolventinnen des Instituts für Popularmusik der mdw) gestaltet. Darunter auch das ebenso actionreiche wie vergnügliche, fünfeinhalbminütige Musikvideo Ca Ca Caravan zum gleichnamigen Song des Albums Use My Soap (2015), in dem zwei Girls von der Weltraum-Patrouille (gespielt von den Musikerinnen selbst) sich in liebevoll nachempfundenen Raumschiff-Enterprise-Interieurs gegen eine giftgrüne Super-Schlangenfrau und eine feindliche Armada durchsetzen müssen.
„Musikvideos sind ein interessantes Format, um filmische Mittel auszuprobieren“, meint Zumtobel. „Innere Zusammenhänge sind je nach der Form, die man wählt, weniger wichtig als im Spiel- oder Dokumentarfilm, wo ein sinnhafter Zusammenhang entstehen soll. Außerdem ist es ja ein kurzes Format, was einem auch mit kleineren Mitteln erlaubt, etwas Herzeigbares herzustellen – das kann es für junge Filmschaffende attraktiv machen.“
Drei Minuten, vielleicht auch fünf: Viel mehr Zeit bleibt einem Musikvideo selten, um seine Geschichte zu erzählen und eine Band respektive einen Song zu bewerben – und das unter Einsatz möglichst innovativer Gestaltungsmittel. Obwohl sich schwerlich eine direkte Linie etwa von der Visual Music eines Oskar Fischinger in den 1920ern oder den theoretischen Überlegungen, der „musique du silence“ einer Germaine Dulac zu den Produktionen heute ziehen lässt, so ist das Handwerkszeug ihrer Macher_innen nicht zuletzt doch das der Avantgarde. Formal avancierte Clips gehen über Promotion oder bloßes Storytelling weit hinaus; sie dringen unter die Oberfläche von Geschichten, versuchen zudem auch ihr „ungreifbar Musikalisches“ (Dulac) zu fassen. Mitunter, wenn die richtigen Leute zusammentreffen, ließe sich mit den Einfällen für ein Videoclip ebenso gut eine halbe Staffel einer Fernsehserie bestreiten. So geschehen im Fall von Sebastian Mayr und Daniel Helmer, dem Kopf von Gudrun von Laxenburg, der auch selbst an der Filmakademie Wien war. „Science-Fiction ist nicht wirklich mein Metier“, sagt der Regisseur über die Arbeit an Revolution, „aber Daniel hatte diese Idee und das Motto war immer: Go big or go home!“ Ergebnis ist ein dystopischer Kurzfilm (Co-Regie: Michael Podogil) von sieben Minuten, der auf mehreren internationalen Festivals gezeigt wurde.
„Bei Gudrun von Laxenburg ist es einfach, Ideen umzusetzen, weil die Ideen ansteckend sind: Da will man dabei sein, jeder will mitmachen“, ist Sebastian Mayr überzeugt. Noch einen Dreh weiter geht das 2017 realisierte Video zu Moving Water, in dem – nach einem instrumentalen Vorspiel – plötzlich alles ins Rutschen gerät und Protagonist Wei-Da Chen wie weiland Fred Astaire im Hollywoodmusical Royal Wedding über den Plafond tänzelt. „Dafür haben wir einen rotierenden Raum gebaut. Alle Leute sagten: ,Das geht nicht, ihr seid verrückt.‘ Das war also richtiges Neuland und es hat unglaublich Spaß gemacht, sich das auszudenken.“
Dennoch ist das Ansehen, das aktuelle Musikvideos in künstlerischer Hinsicht genießen, vergleichsweise bescheiden. Seit 2013 wird immerhin im Rahmen des Filmfestivals Vienna Shorts (VIS) der Österreichische Musikvideopreis, ausgelobt von FAMA – Film & Music Austria, vergeben. Seither, erzählt Festivalleiter Daniel Ebner, seien die Einreichungen jedes Jahr kontinuierlich gestiegen: „Heuer wurden rund 150 Videos aus Österreich gesichtet, davon schafften es 16 am Ende in den Wettbewerb: Für fünf zeichneten sich Studierende von der Filmakademie verantwortlich.“ Christoph Etzlsdorfer, für den Wettbewerb zuständiger Programmkoordinator, ergänzt: „In den letzten vier, fünf Jahren konnten wir ganz eindeutig eine große Qualitätssteigerung bei den österreichischen Videos beobachten. Bei Beiträgen von Studierenden der Filmakademie Wien ist oft erkennbar, dass sie die Technik betreffend unter besseren Produktionsbedingungen arbeiten. Für manche dürften Musikvideos so eine Art Versuchslabor sein, in dem freiere Ausdrucksformen mehr erwünscht sind als im narrativen Film.“
Von den bisherigen Gewinner_innen des erwähnten, mit 1.000 Euro dotierten Preises allerdings kamen bisher drei von der Filmakademie. Und zwar Florian Pochlatko, der 2016 für God of Ghosts / Nu Renegade von Zebra Katz ausgezeichnet wurde – übrigens das einzige prämierte Video bis dato, das nicht mit einer österreichischen Band entstand, sowie Dominic Spitaler (Produktion & Animation) und Johannes Höß (Kamera) die 2018 für Frizzle Frizz von Kids N Cats (Regie: Patryk Senwicki) ausgezeichnet wurden.* „Ein amerikanischer Freund wollte gemeinsam mit Ojay Morgan an einem Film arbeiten“, erzählt Pochlatko über das Zustandekommen des mystisch-dunklen Videos mit der Rapper-Ikone. „Und dieser hat gemeint, er würde gerne Musikpoduzentin Leila Arab aus London mit an Bord holen. Wir haben das dann als globales Experiment begonnen und über Skype ein Konzept zusammengewurschtelt. Davon ausgehend hab ich ein Buch für diese Arbeit geschrieben, auf der Uni eingereicht und die Filmakademie war auch gleich sehr offen und interessiert.“
An der Arbeit an Musikvideos schätzt Pochlatko besonders die Freiheit, mit Gleichgesinnten zusammen Filmideen zu entwickeln, „die im Idealfall perfekt mit der Musik ineinandergreifen und trotzdem eigene kleine Kunstwerke sind“. Marie-Thérèse Zumtobel, die zuletzt 2017 Co-Regie bei Black Roses von Mother’s Cake führte, findet ein Musikvideo als Konsumentin dann gelungen, „wenn ich es mir gern anschaue. Es kann, muss allerdings nicht unbedingt technisch hochversiert oder extrem teuer umgesetzt sein: Eine gute Idee im Einklang mit der Musik kann schon reichen, auch wenn sie ganz einfach ist.“ Und Jasmin Baumgartner, die von sich sagt, dass ihre Filme und Ideen eigentlich alle auf Musik basieren, erinnert an das eventuell Wichtigste überhaupt: „Das geilste Video zur falschen Musik ist nur ein geiles Video. Das wird oft vergessen.“
* In der gedruckten Version des mdw-Magazins wurde fälschlicherweise geschrieben Florian Pochlatko sei bislang der einzige Studierende der Filmakademie Wien, der diesen Preis erhalten hat – das möchten wir hiermit korrigieren!