In der Schauspielausbildung steht das Erlernen des schauspielerischen Handwerks im Vordergrund, aber es gehört auch Know-how dazu, um nach der Ausbildung zu Castings eingeladen zu werden, um sein Handwerk zeigen zu können und schließlich für Rollen besetzt zu werden. Daher sind Castingtrainings von national und international tätigen Caster_innen wichtiger Bestandteil der Ausbildung am Max Reinhardt Seminar. Rita Waszilovics, Lehrende für Einführung in die Filmarbeit/Castingtraining am Max Reinhardt Seminar und Gast-Casterin Deborah Congia sprachen mit dem mdw-Magazin über ihre Arbeit.
Rita Waszilovics ist Castingdirektorin, betreibt im 15. Bezirk in Wien ihre Castingagentur westendcasting und besetzt Schauspieler_innen für Kino- und TV-Produktionen. Der von ihr besetzte Kinofilm Der Boden unter den Füßen der ehemaligen Filmakademiestudierenden Marie Kreutzer lief heuer im Wettbewerb der 69. Berlinale und war der Eröffnungsfilm der Diagonale 2019.
Im Zuge der Filmausbildung, die am Max Reinhardt Seminar stetig erweitert wird, bereitet sie die Studierenden auf Filmcastings vor. Dabei werden u. a. Kenntnisse über die Abläufe bei der Filmarbeit und die Funktion von Castingdirektor_innen vermittelt. Das Castingtraining soll dabei möglichst einer realen Castingsituation entsprechen. Ziel bei einem Casting ist selbstverständlich, dem Caster oder der Casterin in Erinnerung zu bleiben. „Es geht um die Sichtbarkeit und Einzigartigkeit der Schauspieler_innen“, sagt Rita Waszilovics. Im Unterricht lernen die Studierenden u. a. wie sie eine prägnante Präsentation über sich selbst mithilfe eines sogenannten „About-me-Videos“ machen können. Solche Kurzpräsentationen sind für Caster_innen wichtig, um die Persönlichkeit der Schauspieler_innen einschätzen zu können. „Bei einem Film will ich nicht sagen: ,Der Schauspieler hat die Rolle gut gespielt.‘ Ich will sagen: ,Dieser Schauspieler hat einen Menschen verkörpert, der mich berührt hat.‘ Da gehört viel Persönlichkeit dazu“, meint Rita Waszilovics. Im Castingtraining gibt sie den Studierenden Szenen vor, die sie gerne aus den von ihr besetzten Filmen entnimmt. Jeweils zwei Studierende bereiten die Szenen vor, um sie dann mit ihr gemeinsam zu erarbeiten. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung der Szenen und wie die Schauspieler_innen diese unterschiedlich darstellen können. Dadurch wird sichtbar, wie flexibel und schnell Schauspieler_innen eine Idee umsetzen können. „Ich zeige Regiseur_innen gerne die Arbeitsentwicklung von Schauspieler_ innen“, berichtet Rita Waszilovics. Es gehe beim Casting nicht unbedingt darum, eine Szene genauso zu spielen, wie sie im Film zu sehen sein wird, sondern darum, einen Eindruck von der schauspielerischen Bandbreite und Arbeitsweise zu bekommen, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Deborah Congia ist Castingdirektorin in Hamburg und kommt im Rahmen eines Workshops ans Max Reinhardt Seminar. Auch sie vermittelt praktisches Wissen über die Bedingungen nach der Ausbildung. „Mir ist wichtig, dass Schauspieler_innen erfahren, wie Caster_innen arbeiten und wie sich Schauspieler_innen nach der Ausbildung selbst vermarkten können und müssen, denn nicht alle haben sofort eine Agentur“, sagt Deborah Congia. Sowohl in ihrem Workshop als auch im Unterricht von Rita Waszilovics wird mit den Studierenden besprochen, wie die Bewerbungsunterlagen, Showreels, Fotos, Websites und die Präsenz in Schauspielerdatenbanken aussehen sollten, um bei Caster_innen Anklang zu finden. Auch Einblicke in die Filmfinanzierung und die Aufgaben von Schauspielagent_innen werden in den Workshops gewährt, um den Studierenden ein möglichst breites Bild von der Filmarbeit zu geben.
Sogenannte E-Castings werden im Castingtraining am Max Reinhardt Seminar ebenfalls umfassend thematisiert und erarbeitet. Dabei bekommen Schauspieler_innen vom Caster oder von der Casterin eine Szene vorgegeben, die sie selbst in Form eines Videos aufzeichnen. Oft wird mit dem eigenen Smartphone aufgenommen, mit oder auch ohne Anspielpartner_in. Der Vorteil für die Schauspieler_innen besteht darin, dass sie die Aufnahme so oft wie möglich wiederholen können und schließlich die für sie Beste abgeben. Für Caster_innen haben E-Castings den Vorteil, dass sie kurzfristig angefordert werden können und zeitsparend sind, da Live-Castings mit vielen Terminkalendern akkordiert werden müssen. „E-Castings kann man überall machen, wenn ein Smartphone und WLAN vorhanden sind, und sie um die Welt schicken. Man hat somit große Freiheit und gute Erreichbarkeit. Aber ein Live-Casting ist durch ein E-Casting nie vollkommen ersetzbar, da es bei der Castingarbeit auch um die zwischenmenschliche Ebene und um Persönlichkeit geht“, erklärt Rita Waszilovics. Auch im Fall von unterschiedlichen Meinungen von Regie, Produktion oder dem TV-Sender zu einem Besetzungsvorschlag können E-Castings helfen. „E-Castings sind eine gute Möglichkeit, Schauspieler_innen bei unterschiedlichen Entscheidungsträger_innen zu bewerben“, meint Deborah Congia. Jungschauspieler_innen haben nach der Ausbildung oft noch keine Demobänder, in denen man sie in verschiedenen Filmrollen sieht, aber ein Video von sich selbst können sie schnell anfertigen und Caster_innen zur Verfügung stellen. Der Nachteil beim E-Casting ist natürlich, dass der Kontakt zur Regie fehlt. „Live-Castings sind nicht nur dazu da, um zu sehen, ob ein_e Schauspieler_in für die Rolle passt, sondern auch, ob sich diese_r Schauspieler_in mit der Regie wohlfühlt. Es ist ein Casting für beide Seiten“, betont Deborah Congia. Jedoch hat sie auch schon Projekte nur mittels E-Casting besetzt (z. B. die TV-Serie Jerks, Regie: Christian Ulmen).
Caster_innen sind bereits früh in die Filmprojektentwicklung eingebunden. Von der Produktion oder Regie bekommen sie das Drehbuch, wobei die ersten Ideen zur Besetzung schon bei der Lektüre aufkommen, meinen beide Castingdirektorinnen. Je nach Projekt werden die Wunschschauspieler_innen direkt angefragt und/oder ein E-Casting und/oder Live-Casting organisiert. Die Besetzungsvorschläge der Caster_innen werden der Regie und Produktion präsentiert. Alle Beteiligten müssen überzeugt sein oder werden, daher sind Rollenbesetzungen meist ein breiter Abstimmungs- und Koordinationsprozess für Caster_innen.
Eine Tätigkeit als Caster_in setzt voraus, gerne mit unterschiedlichen Menschen zu arbeiten und zwischen diesen zu vermitteln. Es geht darum, die passenden Personen für ein Projekt in Kontakt zu bringen: Schauspieler_innen mit Regisseur_innen, mit Produzent_innen, beim TV-Film mit Redakteur_innen. „Ich bin eine Kupplerin mit Vision“, meint Rita Waszilovics dazu augenzwinkernd. „Ich sehe mich als Schnittstelle zwischen Schauspiel, Regie und Produktion und als Freundin der Schauspieler_innen und der Regie bzw. Produktion“, erläutert auch Deborah Congia.
Dank des Castingtrainings im Lehrplan erhalten Schauspielstudierende am Max Reinhardt Seminar praktische Hinweise für ihre Selbstpräsentation und wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise der Caster_innen, um so für die Zeit nach der Ausbildung optimal gerüstet zu sein.