Früh hat es die passionierte Musikerin zum Klavier ihrer Großeltern hingezogen. Heute ist sie eine gefragte Solistin, leidenschaftliche Continuospielerin und Professorin für Cembalo am Institut für Alte Musik und historische Aufführungspraxis an der Anton Bruckner Privatuniversität Oberösterreich.
„… eine Technik und Lyrik, zu der nur wenige fähig sind …“, so beschreibt das spanische Musikmagazin Scherzo (2017) die außergewöhnliche Cembalistin Anne Marie Dragosits. Die gebürtige Tirolerin hat ihre Passion zum Beruf gemacht: „Ich habe mich aus reiner Leidenschaft auf das Cembalo konzentriert, nicht weil ich an eine realistische Möglichkeit glaubte, damit als Musikerin überleben zu können.“ Heute bereist sie als gefragte Solistin und mit ihren zahlreichen Ensembles, wie der preisgekrönten Formation vivante, die ganze Welt.
Das Cembalo, ursprünglich ein Nebenfach ihres Blockflötenstudiums an der mdw, hat sie schnell mit all seinen Farben in den Bann gezogen. Zwei Jahre studierte Dragosits Klavier und Blockflöte, erwog sogar ein Gesangsstudium, bis sie sich schließlich für das Hauptfach Cembalo entschied. Ihr Mentor an der mdw, Wolfgang Glüxam, öffnete ihr für das Facettenreichtum dieses faszinierenden Instruments gewissermaßen die Ohren. Heute ist sie sehr froh über ihre gesammelten Erfahrungen in puncto Oberstimmen-Spiel und Gesang. „Meine damalige ‚Mehrgleisigkeit‘ hilft mir heute – gerade im Generalbass-Spiel ist es ein großer Vorteil, alle Positionen der Kammermusik gut zu kennen.“
Ein weiterführendes Studium brachte sie zu Ton Koopman und Tini Mathot an das Königliche Konservatorium in Den Haag. „Für mich als Musikerin war immer der Schritt in eine Art fremde, neue Welt beflügelnd, zum einen von Tirol nach Wien, später von Wien nach Den Haag“, erzählt sie. Die Möglichkeit, neue Wege zu beschreiten, ist etwas, das sie an der Alten Musik fasziniert. Die Menge an noch zu entdeckendem Repertoire sowie die Masse an noch nicht zur Gänze aufgearbeiteten Themen begeistern sie ebenso wie die Vielfalt an Stilen und der improvisatorische Zugang.
Als Continuospielerin freue ich mich über die verschiedenen Besetzungen, von intimer Kammermusik bis hin zum großen Orchester.
Anne Marie Dragosits
Dass das Cembalo immer noch den Ruf hat, kein dynamisches Instrument zu sein, ist für Anne Marie Dragosits unverständlich. „Natürlich ist der Unterschied in der Lautstärkenamplitude geringer als beim Klavier, dennoch lässt sich durch einen variantenreichen Anschlag auf einem guten Instrument eine absolut hörbare Feindynamik erzeugen. Durch Artikulation, Phrasierung, subtile Timing-Tricks und Registrierung haben wir die Möglichkeit, vielfältige Klangwelten – von zart und lieblich bis wild und rauschend – erstehen zu lassen.“ Die Erfolge ihrer Soloprogramme auf originalen Cembali quer durch Europa sind der beste Beweis für die mitreißende Lebendigkeit der beeindruckenden Instrumente. „Gerade in puncto Dynamik und Farben können diese teils seit Jahrhunderten „schwingenden“ Resonanzkörper Dinge, die ich dann auch aus den Nachbauten klanglich herauszukitzeln versuche“, erklärt Dragosits. „Die Originale machen überhaupt erst begreifbar, welche Farben möglich sind.“
Ihre Liebe zu den historischen Cembali ist auf ihren zahlreiche Tonaufnahmen hörbar. „Für meine Soloprogramme lasse ich mich von originalen Cembali und deren Klangbild inspirieren, vergrabe mich im Stil und Umfeld der Musik und suche auch immer eine Art Konzept.“ Wie etwa auf ihrer letzten CD Le Clavecin Mythologique mit hochbarocker französischer Programm-Musik über mythologische Figuren und Themen, aufgenommen auf einem Original von Pascal-Joseph Taskin aus dem Jahr 1787 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Ebendort freut sie sich auf ihr nächstes Projekt – eine Aufnahme auf einem deutschen Cembalo von Christian Zell von 1728.
Im Herbst soll, verspätet durch Covid-19, ihr erstes Buch erscheinen, dessen Thema seinen Ursprung in ihrer Masterarbeit an der mdw und ihrem künstlerischen Doktorat im Programm docARTES an der Universität Leiden/Niederlande nahm. Die Biografie über Giovanni Girolamo Kapsperger (1580–1651), einen Theorbisten und Komponisten aus dem Frühbarock, erscheint beim italienischen Verlag Libreria Musicale Italiana (LIM) in deutscher Sprache. Teils sehr überraschende Forschungsergebnisse sollen bei Workshops und Vorträgen über Kapsperger und seine vielfältige Vokalmusik präsentiert werden, verrät Anne Marie Dragosits.
In Wien war damals das Angebot für Alte Musik sehr klein. Das ändert sich ja gerade sehr!
Anne Marie Dragosits