Bereits vor der Pandemie waren Museen gefordert, neue Bevölkerungsgruppen als Besucher_innen für ihre Angebote, die längst über Ausstellungen hinausreichen, zu begeistern. In den Jahren 2020 und 2021 wurde diese Herausforderung noch akuter durch zahlreiche Lockdowns, die die Schließung der Museen, eingeschränkte Mobilität und den Stillstand des Tourismus zur Folge hatten. Prognosen sagen voraus, dass es Jahre dauern wird, um an die Besuchszahlen von vor Corona anzuknüpfen, falls das überhaupt wieder möglich sein wird. Die Erweiterung des Publikums, im Fachjargon Audience Development genannt, beschäftigt im Museum Tätige bereits seit geraumer Zeit – Begriffe wie Accessibility, Inklusion und Partizipation sind aus dem Alltag der hochprofessionalisierten und ausdifferenzierten Museumsarbeit nicht mehr wegzudenken. Dahinter stehen Überlegungen, wie das Museum und seine Angebote diverser, niederschwelliger und zugänglicher werden können, um Teilnahme (Inklusion) und Teilhabe (Partizipation) zu ermöglichen. Die Bedeutung der erwähnten Fachbegriffe hängt auch davon ab, wer sie im Museum verwendet: Im Marketing geht es vorrangig darum, neue Zielgruppen zu definieren und mehr Menschen ins Museum zu bringen. In der Vermittlung ist das Ziel, die Ausstellungsinhalte für möglichst viele Besuchende aufzubereiten. Die kuratorische Abteilung ist für die Sammlung, deren wissenschaftliche Erschließung und Vermittlung in Ausstellungen verantwortlich. Wie die bereits erwähnten Begriffe kann auch Community Outreach entweder als Marketinginstrument oder als „aufsuchende Kulturarbeit“ eingesetzt werden. „Jedoch sind beide Aspekte nicht voneinander zu trennen, und Outreach ist ganzheitlich zu verstehen.“1

Was ist Community Outreach?

Unter Community Outreach wird allgemein das Ausstrecken und Hinausreichen (Outreach) aus den Museen hinaus zu neuen und spezifischen Gruppen (Communities) verstanden. Das bedeutet die Erweiterung der Museumsarbeit hin zu bislang ausgeschlossenen, unterrepräsentierten oder marginalisierten Communities sowie deren Einbeziehung in das Museum. Eine immer größere Rolle spielt dabei auch der digitale Raum. Community Outreach ist als Herangehensweise und als Prozess zu verstehen. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen, man könnte auch sagen, Beziehungen zu kuratieren.2 Der Begriff beschreibt ursprünglich eine künstlerische Praxis und Methode, wie sie unter anderem von Susan Lacy, Jeremy Deller und Grayson Perry angewandt wurde und wird.3 In der englischsprachigen Museums- und Kulturarbeit wird damit bereits seit Jahrzehnten gearbeitet. Als Leuchtturmprojekt sei hier das MoMA PS14 in Queens in New York erwähnt. Das Museum of Modern Art (MoMA) hat mit dem MoMA PS1 bereits 1971 nicht nur ein erfolgreiches Community-Outreach-Projekt lanciert, sondern eine ganze Institution gegründet, die sich seit ihrer Etablierung mit Community Outreach beschäftigt.

Community Outreach im Belvedere 21

Meine Aufgabe als Kuratorin für Community Outreach im Belvedere 21 ist es, mit unterschiedlichen Formaten und Aktivitäten das lokale Umfeld des Museums sowie verschiedene Communities und Gruppierungen anzusprechen und sie aktiv ins Programm zu involvieren. Projekte außerhalb des Museums sind zu realisieren. Die eingangs erwähnten Begriffe des Zugangs und der Zugänglichkeit, der Teilhabe (Partizipation) und Mitbestimmung (Inklusion) sind in Community-Outreach-Programmen zentral, sie bauen darauf auf. Die Position der Kuratorin für Community Outreach wurde 2018 im Belvedere 21 geschaffen, weil sich das urbane Umfeld des Museums durch das umliegende Stadtentwicklungsgebiet sehr stark verändert hat und noch weiter verändert.5 Ganz klar versteht sich das Museum als Teil dieser Veränderung. Ich habe mit meiner Arbeit im Belvedere 21 im Oktober 2018 begonnen, ungefähr zeitgleich erschien das bereits zitierte Buch Museen und Outreach von Ivana Scharf, Dagmar Wunderlich und Julia Heisig, das Outreach als strategisches Diversity-Instrument vorstellt und untersucht.6 Die Autorinnen verstehen Community Outreach nicht nur als strategisches Instrument, um die Außenwahrnehmung von Museen zu verändern, sondern weisen darauf hin, wie Museen durch Community Outreach auch nach innen verändert werden können. Die Publikation gilt als deutschsprachiges Standardwerk zu diesem Thema.

Community Outreach meint im Wesentlichen Teilhabe. Um diese zu ermöglichen, setzen wir verschiedene Akzente und machen Angebote, um in einen Dialog mit potenziellen Besuchsgruppen zu kommen. Im Fall des Belvedere 21 finden fast alle Aktivitäten außerhalb des Museums statt, also in der Stadt, in der Nachbarschaft, im Skulpturengarten oder im digitalen Raum, und werden gemeinsam mit Künstler_innen erarbeitet. Das versteht sich in einem Museum für zeitgenössische Kunst, wie es das Belvedere 21 ist, von selbst, zumal Künstler_innen die aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen und Themen aufwerfen, die in den Museumsausstellungen verhandelt werden. Mit dem Format des öffentlichen Mikrofons (Open Mic), dessen Gastgeberin die Wiener Künstlerin Susanne Schuda ist, bieten wir eine Bühne für Präsentationen, Debatten, Reden und musikalische Darbietungen. Unter starker Einbindung der Nachbarschaft stellen sich auch Menschen aus der Umgebung des Belvedere 21 mit ihren Anliegen vor. Während der Lockdowns wurde das Open Mic ins Internet verlegt und die Beiträge wurden als Videoclips ausgestrahlt.7

Themen von Community Outreach

Museen sind keine neutralen und statischen Orte. Es sind Institutionen, die aus einem historischen und politischen Kontext heraus entstanden sind und in der Erhaltung des Kunst-, Kultur- und Naturerbes für die Gesellschaft dementsprechende Absichten und Ziele verfolgen. Zum einen geht es in Museen nach wie vor um Repräsentationsfragen, um Fragen der Inklusion und Exklusion. Aber auch um die Herausforderung dieser Repräsentation und einer Kritik daran. Es hat Jahrhunderte gedauert und eines feministischen Kampfes bedurft, bis Frauen als Künstlerinnen ernst genommen und in Museen entsprechend ausgestellt wurden. In den letzten Jahren ist auch das Bewusstsein für Sammlungsbestände gewachsen – und dafür, wie sie in den Besitz der jeweiligen Institution gekommen sind. Die Provenienzforschung in Österreich prüft auf der Grundlage des Kunstrückgabegesetzes von 1998 bis heute die Herkunft der Bestände öffentlicher Sammlungen. Für Aufsehen sorgte zuletzt auch der von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy verfasste Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter8, der die Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer empfiehlt. Zum anderen bezieht sich die immer lauter werdende Forderung nach mehr Diversität, also Vielfalt, nicht nur auf die Einladungs- und Ausstellungspolitik, sondern auch auf die Einstellungs- und Personalpolitik der Museen. Es wird immer zentraler, gesellschaftliche Vielfalt im Museum abzubilden. Die Auseinandersetzung damit ist auch innerhalb der Institutionen zu führen, als nach innen zielende Veränderung – sozusagen als „Inreach“.

2021 findet bereits zum dritten Mal der Schwerpunkt „Queering Belvedere“9 statt, bei dem sich alles um queere Themen im Museum dreht. Themen für Community Outreach resultieren auch aus der Auseinandersetzung mit dem geografischen Kontext des Museums. Das Belvedere 21 zum Beispiel liegt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Südbahnhofs, des heutigen Hauptbahnhofs. An diesem Bahnhof sind in den 1960er und 1970er Jahren die ersten sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien angekommen, in den 1990er Jahren bosnische Kriegsgeflüchtete und zuletzt 2015 Kriegsgeflüchtete aus Syrien. In Wien leben unzählige Kulturschaffende mit Wurzeln in der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien. Daraus ergeben sich Themensetzungen für Community Outreach. Im Juli machen wir wieder eine Veranstaltung, bei der der Genozid von Srebrenica und seine Folgen im Mittelpunkt stehen.

Wichtig sind Begegnungen auf Augenhöhe; es ist essenziell, durchlässig und offen zu sein. Im Jänner 2019 haben wir zum ersten Mal zum „Nachbarschaftsforum“ eingeladen. Wir treffen uns alle sechs Wochen, mittlerweile sind die Termine etabliert und die Leute verlassen sich darauf. Während des Lockdowns und des Veranstaltungsverbotes war es wichtig, den Kontakt zu halten: Das Forum fand online statt. Es kommen Künstler_innen, Kulturschaffende und Vertreter_innen benachbarter Institutionen und Initiativen aus den Bereichen Kultur und Bildung sowie allgemein Kulturinteressierte. In Erkundungstouren besuchen wir einander, tauschen uns aus und schmieden gemeinsam Pläne. Im Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof befinden sich zahlreiche teils selbstorganisierte Wohn- und Gemeinschaftsprojekte. Einige konnte ich bereits ins Museum einladen, damit sie sich und ihre Ideen vorstellen. Durch die Kontinuität im Angebot entstehen Vertrauen und Identifikation mit dem Haus. Neben den Themen, die sich aus dem Standort und seiner Geschichte ergeben, geht es auch um lokal situiertes Wissen und Oral History. Was gibt es hier in der Gegend für besondere Geschichten, wie arbeitet man damit, und wie trägt man das Gesammelte weiter? Mir geht es auch um die Menschen, die schon lange im 10. Bezirk wohnen, denn deren Erzählungen laufen Gefahr, durch die Neubauten und die Gentrifizierung verloren zu gehen.

Weitere Beispiele für Community Outreach in Wien

Als Leuchtturmprojekte für Community Outreach in Wien sind die Brunnenpassage10 im 16. Bezirk zu erwähnen (seit 2007) und deren „Zweigstelle“ Stand 12911 auf dem Viktor-Adler-Markt. In diesem Kunst- und Kulturraum werden regelmäßig Workshops, Filmabende, Chorproben, Kochrunden und kleine Konzerte veranstaltet. Unter dem Motto „Kunst für alle“ entsteht Kunst nicht nur für, sondern mit Menschen.

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