Ihre ersten Erfahrungen mit Community Outreach machte die vielseitige Künstlerin während eines freiwilligen sozialen Jahrs in Costa Rica. Heute blickt sie auf zahlreiche erfolgreiche Projekte zurück, wie etwa den Aufbau der All Stars Inclusive Band, des ersten inklusiven Ensembles an der mdw, oder die musikalische Leitung der Wiener Festwocheneröffnung.
„Die Erfahrung in Costa Rica hat vieles auf den Kopf gestellt und mich für mein weiteres Leben sehr geprägt“, berichtet Marlene Lacherstorfer. Direkt nach ihrer Matura im Jahr 2002 reist die Oberösterreicherin im Rahmen eines Sozialprojekts in ein kleines Flüchtlingsdorf und ist dort am Aufbau eines Kindergartens beteiligt. Sie ist mitverantwortlich für die Organisation eines Kunstfestivals und verbringt ihre Zeit mit Musizieren und Cumbia-Tanzen mit den Dorfbewohner_innen, Englischunterricht in indigenen Gebieten Panamas und multinationalen Straßenmusikgruppen.
Als Kind einer begeisterten Musikant_innenfamilie kommt sie früh mit verschiedenen Instrumenten und Musikstilen in Berührung. „Meine Schwester und ich haben mit unseren Großeltern regelmäßig mehrstimmig gesungen und sind später als Jugendliche mit unseren Eltern gemeinsam aufgetreten.“ Musik und Tanz werden als Lebens-Mittel zur persönlichen Bildung wahrgenommen. „Musizieren war Teil unseres Alltags – es stand stets die Freude und nie ein Leistungsdruck im Vordergrund.“
Kunst ist ein ideales Medium, um Barrieren abzubauen und viele unterschiedliche Menschen unabhängig von ihren sozialen und kulturellen Identitäten und Backgrounds zu erreichen.
Mit 17 Jahren entdeckt sie ihre Liebe zum Bass, eine Leidenschaft, die bis heute anhält. „Am E-Bass gefällt mir, dass ich auf der Bühne beweglich bin und im Spiel mit Kolleg_innen physisch interagieren kann. Ich mag es, wenn Musik körperlich spürbar ist, wenn es laut und ekstatisch wird. Genauso kann ich den sanften, samtigen Klängen eines Kontrabasses, zu dem ich durch Alma erst viel später gekommen bin, viel abgewinnen.“ Bald wird Marlene Lacherstorfer in Wien als Bassistin wahrgenommen und erhält ein Engagement nach dem anderen, woraufhin sie den Entschluss fasst, zusätzlich zum Studium der Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik an der mdw das Studium Instrumental- und Gesangspädagogik für E-Bass am Institut für Popularmusik zu beginnen. „Ich habe nicht geplant, hauptberuflich Bassistin zu werden, es hat sich von selbst so ergeben. Ich bin sozusagen dem Ruf des Schicksals freudig gefolgt. Seither sehe ich mich gleichermaßen als Bassistin wie auch als Musik- und Bewegungspädagogin.“
Bands/Ensembles zeichnen sich für mich durch die Entwicklung gemeinsamer Visionen, Zusammenhalt und die Ausschöpfung von Möglichkeiten interkultureller Verbindungen aus.
Nach dem Abschluss ihrer beiden Bachelorstudien erhält sie 2010 ihren ersten Lehrauftrag am Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren an der mdw: Sie gründet auf Initiative der mdw-Lehrenden Helga Neira-Zugasti mit dieser gemeinsam die All Stars Inclusive Band und übernimmt deren künstlerische und pädagogische Leitung. In diesem Bandprojekt sieht sie eine Chance, inklusiv zu arbeiten und ihre unterschiedlichen Interessen und Talente zu verbinden. „Es hat mich sehr gereizt, ein großes, buntes Ensemble an der mdw zu leiten, bei dem sozialpädagogische Ziele, Freude und körperliches Erleben von Musik bei Performances sowie die Interaktion mit dem Publikum im Vordergrund stehen. Leistung ist hier somit anders definiert, als wir es im klassischen Sinn an einer Musikuniversität gewohnt sind.“ Sechseinhalb Jahre Bandaufbau gipfeln schließlich 2016 in der Verleihung des Diversitas-Preises für Inklusion an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. „Dass die All Stars Inclusive Band unter meiner Leitung mit dem Diversitas-Preis ausgezeichnet wurde, bedeutet mir sehr viel. Es ist eine Anerkennung für eine sehr arbeits- und energieintensive Pionierarbeit in Bezug auf inklusive Praxis an der mdw, in der viel Liebe zum Detail, Erfahrung und Teile meiner Persönlichkeit stecken. Dank der Auszeichnung konnten außerdem viele wichtige Prozesse an der mdw, wie beispielsweise die Diversitätsstrategie, forciert werden.“
2016 gibt sie die Leitung der All Stars Inclusive Band schließlich ab und widmet sich neuen Aufgaben. Am Abend ihrer Master-Abschlussprüfung für Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik erreicht sie die Anfrage, in die Liveband von Clueso, einem der erfolgreichsten deutschen Sänger/Rapper, einzusteigen. Bereits im Jahr darauf übernimmt Marlene Lacherstorfer die Bandleitung. „Als Frau habe ich den Umgang in diesem männerdominierten Pop-Umfeld sehr respektvoll erlebt und durfte viel über Teamkommunikation und Teamleitung lernen. An Clueso schätze ich den offenen improvisatorischen Umgang mit Text, Musik, Stilen, Publikum und auch mit Menschen – ihm war und ist seine Community immer sehr wichtig.“ In der Ensemblearbeit mit Bühnenband und Solist_innen setzt die gelernte Pädagogin auf Respekt und ein positives Miteinander. „Als Bandleaderin habe ich immer ein Konzept, aber ich lasse zunächst bewusst Vorschläge der Mitwirkenden einfließen.“
Die Utopie, jeder Mensch könne von jedem lernen, gleichgültig wie unterschiedlich die jeweiligen Voraussetzungen sein mögen, hat mich inspiriert, ein Konzept für eine inklusive Big Band zu entwickeln.
2019 übernimmt die erfolgreiche Künstlerin als erste Frau die musikalische Leitung der Wiener Festwocheneröffnung am Rathausplatz zum Thema Keine Angst, die anlässlich Hundert Jahre Frauenwahlrecht dem Schaffen von Wiener Frauen mit und ohne Migrationshintergrund gewidmet war. Bei einem ausverkauften Gastspiel im Rahmen des Ganz Wien-Festivals in der Hamburger Elbphilharmonie wurde das Programm ein weiteres Mal aufgeführt. „Speziell in den Musical-Director-Aufgaben als Bandleaderin und musikalische Leiterin konnte ich vieles, das ich bei der All Stars Inclusive Band entwickelt habe, in einem professionellen Umfeld mit großen Produktionen umsetzen.“
Bedingt durch die aktuellen Maßnahmen in der Covid-19-Pandemie widmet sich die mdw-Absolventin verstärkt ihrem künstlerischen Schaffen. „Wir arbeiten derzeit mit meinem Ensemble Alma an einem Jubiläumsprogramm, wofür ich gerade mehrere Stücke komponiere. Für Pressyes habe ich eben ein analoges Performancevideo gedreht und geschnitten. Meine verbleibende Zeit nütze ich zur Entwicklung einer eigenen musikalisch-performativen Vision.“