Knowing in Performing. Artistic Research in Music and the Performing Arts. Hg. Annegret Huber, Doris Ingrisch, Therese Kaufmann, Johannes Kretz, Gesine Schröder and Tasos Zembylas, 2021, Bielefeld: Transcript Verlag.
Basierend auf den Ergebnissen eines Symposiums und einer Ringvorlesung, die 2018 an der mdw stattfanden, entstand der Open-Access-Sammelband Knowing in Performing mit Beiträgen auf Englisch und Deutsch – eine bereichernde Lektüre sowohl für Adepten oder diejenigen, die sich an dem Feld der Künstlerischen Forschung beteiligen, als auch für diejenigen, die noch lernen wollen, was Künstlerische Forschung überhaupt ist bzw. wofür Konzepte wie Artistic Research, Arts-based Research und Research-based Arts stehen. Die Beiträge des Buchs beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven die epistemologische Potenz einer Schwelle – immer auch Zone von Ambivalenz und Unbestimmbarkeit –, an der ein Gegenstand der Kunst (Produkt, Ergebnis oder auch Vorgang einer künstlerischen Praxis) zum Medium von künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung werden kann. Dabei gelingt es den einzelnen Beiträgen, das Bewusstsein für diese doppelte Linse zu schärfen: für die Möglichkeit, etwas gleichzeitig als Kunst und als Episteme zu sehen, und für die Herausforderung oder gar Provokation, die dieses für etablierte Wissenschaftsregister, Wissensregime und institutionelle Forschungsmodelle bedeutet (vgl. Einleitung S. 7 sowie besonders das Kapitel von Lilja).
Fokus des Bandes ist vordergründig, aber nicht ausschließlich die musikalische Kunstpraxis. Phänomene, die hier unter die Lupe genommen werden, reichen von der ‚klassischen‘ instrumentellen Aufführungssituation (unterschiedliche Arten des Geigenspielens vor Publikum etwa, worauf in den Beiträgen von Kanno bzw. Lüneburg eingegangen wird, oder die Materialität und Vergänglichkeit von digitalem Ton, (vgl. Bovermann/Schilling/Grill/Leibetseder) über das Theatermachen u. a. in Hochschulsettings (Holkenbrink), das wissenschaftliche Gespräch mit Künstler_innen (Ingrisch), die performative Kunst des Philosophierens (Böhler/Granzer), die hybrid künstlerisch-wissenschaftliche Methode der Autoethnografie (Crispin) bis hin zu ‚Alltagswissenschaften‘ wie Brotbacken und Hämmern (Coessens). In all diesen Bereichen wird die aktive Rolle der Rezeption, d. h. des Publikums, besonders betont, wodurch sich schließlich „neue Muster des Lernens, der Kommunikation und der Arbeit“ (S. 141) aufspüren lassen.
Auffallend und zu begrüßen ist das bewusste Bemühen vieler Beiträge, nicht nur über ein für die Künstlerische Forschung relevantes Phänomen oder Beispiel zu berichten, sondern – die Idee der doppelten Linse aufgreifend – von der Künstlerischen Forschung im Modus der Künstlerischen Forschung zu schreiben, d. h. experimentell und gegebenenfalls die ‚Souveränität riskierend‘ (Holkenbrink) zu schreiben, auch wenn es bestimmte Publikationskonventionen auf die Probe stellt. Dies lädt nicht nur zu einer neuen Weise des Hörens (Kreidler) ein, sondern fordert auch notwendigerweise eine neue Form des Lesens. Denn, wie es Lüneburg in ihrem Kapitel formuliert:
„Artistic research operates with forms of knowledge that one cannot investigate using scientific research methods alone. To this category belongs knowledge based on and gained through artistic practice, as well as the knowledge that manifests itself through the results of artistic practice for which experience with the artwork is essential. Artistic research strives for alternative possibilities to communicate these forms of knowledge. The essential difference between artistic and scientific research is that in artistic research, the goals and methods for acquiring knowledge are infused with the posing of questions that stem from the structured and reflective direct involvement of the artist in the process of creating the work and the artwork itself“ (S. 187).