„Facing Ethnic Drag“, eine lange geplante Konferenz der mdw Gender Studies, musste immer wieder pandemiebedingt verschoben werden. Am 17. Juni konnte nun endlich zumindest die diesjährige Kick-off-Veranstaltung auf der virtuellen Bühne mit einer Keynote von Jay Pather und einem Artist Talk mit Mamela Nyamza stattfinden. Initiiert und organisiert von Evelyn Annuß und Mariama Diagne vom Institut für Kulturmanagement und Gender Studies (IKM) zeugte der Abend von einer geisteswissenschaftlich-kulturtheoretischen Schwerpunktsetzung der mdw Gender Studies im Zusammenhang mit performativen Praktiken. So profilierte die Veranstaltung die Geschlechterforschung im Kontext der an der mdw vertretenen Künste und zugleich als Querschnittsfeld wissenschaftlicher Auseinandersetzung an der Schnittstelle von Ästhetik und Politik.
Im Titel der Veranstaltung laufen diverse aktuelle Diskurse zusammen. Um die Jahrtausendwende wurde der Begriff „Ethnic Drag“ eingeführt, um kulturelle Aneignungsformen im deutschsprachigen Theater zu untersuchen. Im Rahmen der aktuellen Veranstaltungsreihe soll er nun in einem transdisziplinären Umfeld auch jenseits von Repräsentationsfragen neu gedacht und stärker auf die jeweilige Kontextspezifik performativer Praktiken hin untersucht werden. Es geht also darum, unterschiedliche Formen der Maskerade, von Drag, historisch und räumlich aus globaler Perspektive zu situieren. „Doing Drag“ wird dabei als eine Praxis gesehen, die Kultur und Gesellschaft nicht nur abbildet, sondern potenziell mitgestaltet und prägt. Dabei regt der Titel der Konferenz die Frage an, in welchem Verhältnis die queere Praktik des Drag, des Cross-Dressing, zu folkloristischen, rassistischen oder grotesken Darstellungen derer steht, die als vermeintlich Fremde wahrgenommen werden. Wie also lassen sich diese Darstellungen ihrerseits resignifizieren, aneignen oder umkehren? Und wie lässt sich das so Zitierte aus einem erweiterten geschlechtertheoretischen Blickwinkel analysieren und konfrontieren – wie gelingt mithin ein „Facing Ethnic Drag“?
Bereits beim Online-„Appetizer“ wurde die globale Perspektive der Veranstaltungsreihe deutlich. Exemplarischer Schwerpunkt war in diesem Jahr Südafrika als Ort reicher intellektuell-künstlerischer Auseinandersetzung. Denn gerade in Südafrika wird seit Langem mit gender-fluiden Auftrittsformen experimentiert, um diese in Verbindung mit der kolonialen Vergangenheit des Landes und der Geschichte der Apartheid sowohl künstlerisch als auch etwa im Straßenkarneval zu bearbeiten.
Im Rahmen der Auftaktveranstaltung untersuchte Jay Pather (Leiter des Institute for Creative Arts und Professor am Centre for Theatre, Dance and Performance Studies an der University of Cape Town) in seiner Keynote ein breites Feld spannender künstlerischer Arbeiten und deren historischen Kontext. Pather ist selbst als international bekannter Choreograf sowie Kurator tätig und Experte für die performativen Künste in Südafrika. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Frage, inwiefern traditionelle Praktiken in zeitgenössischen südafrikanischen Kunstformen als genuin moderne nachleben. Pather stellte zahlreiche, im hiesigen Kontext bis dato weitgehend unbekannte Videobeispiele von queeren Künstler_innen der Gegenwart vor, die sich in ihren Arbeiten auf sehr unterschiedliche Weise mit Exotismus, „Blackness“, Feminismus und der Markierung von Körpern im Kontext von Kolonialismus und Apartheid beschäftigen. Sein Appell: Neben der oft öffentlichkeitswirksamen Schrill- und Buntheit solle gerade der künstlerische Umgang mit Drag nicht nur als „trendy“ Unterhaltung betrachtet werden, sondern in den Kontext einer ästhetischen und politischen Auseinandersetzung gestellt und auch als „Strategy of Survival“ im Zusammenhang einer weiter bestehenden, die globalen Verhältnisse noch immer prägenden Kolonialität lesbar gemacht werden. Die porträtierten Künstler_innen seien dabei gerade im Zitat von „Ethnic Drag“ mit Herausforderungen der (Selbst-)Repräsentation konfrontiert, wie Pather im Gespräch mit Evelyn Annuß betonte: Welche historisch bestimmten Formen der Verkörperung, so seine Frage, werden zitierend in welcher Weise um-, auf- oder abgewertet, und welche Rolle spielt hierbei das Verhältnis von Gender und Race?
Kunstaktionen in öffentlich zugänglichen urbanen Räumen, spontane Happenings und unerwartete Straßenvorstellungen beispielsweise brechen in Südafrika immer wieder mit routinierten und standardisierten Publikumserwartungen und eröffnen Menschen, die sich außerhalb etablierter Kunstinstitutionen bewegen, die Möglichkeit der Teilhabe. Daher werden auch Aktionen, die sich eher avantgardistischen Performance-Einsätzen zuordnen ließen, oft explizit für den öffentlichen Raum konzipiert, wie etwa die von Mamela Nyamza für Kapstadt gestaltete Arbeit 19 Born 76 Rebels, die anschließend für das Festival in Avignon adaptiert wurde. Nyamza – Tänzerin, Choreografin und Aktivistin – stellte im Dialog mit Mariama Diagne ihre eigenen Arbeiten vor. Von ihr choreografiert und performt, kombiniert sie darin unterschiedliche Tanzstile und übersetzt sie in aktuelle Performances, die geschlechterspezifische ebenso wie rassistische Markierungen ihres Körpers unterlaufen. Entsprechend nutze sie diesen als politisches Instrumentarium. Ihre Tanzproduktionen stellten dabei Narrative von „Black Women“ in den Mittelpunkt; sie brächten, so Nyamza, tradierte Bilder „schwarzer Weiblichkeit“ in Bewegung, thematisierten hierzu physische Gewalt und arbeiteten sich an der historisch präfigurierten Zurschaustellung von Körpern ab.
Mit über 120 Teilnehmenden war der virtuelle Auftakt von Facing Ethnic Drag bereits ein voller Erfolg. Im nächsten Jahr soll die Konferenz vom 23. bis 25. Juni nun endlich auch vor Ort an der mdw weitergehen. Einige der Beitragenden waren bereits bei der diesjährigen Veranstaltung dabei und haben in einer Art Elevator Pitch den Ausblick auf 2022 eröffnet: Geplant sind neben weiteren Artist Talks Vorträge etwa zu der Geschichte von Blackfacing und Gender in der Popmusik (Eric Lott, New York), der Übersetzung dieser Auftrittsform in den digitalen Raum (Katrin Koeppert, Leipzig) sowie deren Fortleben in gegenwärtigen Darstellungen arabischer Männlichkeit (Raz Weiner, London), zu jesuitischem Drag und Kolonialität (Karin Harrasser, Linz), der Relation von Maskerade und Film (Nanna Heidenreich, Wien) und auch zu karnevalesken Praktiken auf der Straße und in audiovisuellen Medien (Aurelie Godet, Paris, und Nathalie Aghoro, Eichstätt). Facing Ethnic Drag wird also auch im nächsten Jahr ein breites Feld zukünftiger Auseinandersetzung mit intersektionalen Perspektiven im Kulturbetrieb und öffentlichen Raum eröffnen.