Psychosoziale Beratung an der mdw während der Krise
Die Nachfrage nach der Psychosozialen Beratung für Studierende an der mdw hat in den vergangenen eineinhalb Jahren stark zugenommen, sodass das Angebot im Zuge der Coronakrise so rasch wie möglich erweitert wurde. Die Therapeut_innen Marion Herbert, Evelyn Jahn und Alexander Parte geben Einblick in ihre Arbeit, zeigen auf, welche Themen die Covid-Krise dominiert haben, und erklären, was uns dabei unterstützen kann, derartige Situationen (besser) zu bewältigen.
„Die Corona-Pandemie hat insbesondere für Kulturschaffende mit einem Schlag zum Wegfall sämtlicher beruflichen Engagements geführt. Dies stellte Studierende nicht nur finanziell vor große Herausforderungen, sondern machte auch deutlich, unter welchen spezifischen Bedingungen künstlerisches Schaffen erfolgt und wie ein Ereignis wie eine Pandemie mit den damit verbundenen Folgen über Nacht die Existenzgrundlage infrage stellen kann“, beschreibt Alexander Parte die Lage, in der sich plötzlich viele vorgefunden haben. „Die daraus resultierenden Ängste und Sorgen sowie eine pessimistische Sicht auf die eigene berufliche Zukunft haben einen wichtigen Anteil an der Zunahme der Nachfrage nach der Psychosozialen Beratung an der mdw. Darüber hinaus war die Isolation vieler Studierender während der Lockdowns, insbesondere der ausländischen Studierenden ohne familiären Anschluss in Wien, ein weiterer wichtiger Belastungsfaktor. Die Vereinsamung durch eine starke Einschränkung des sozialen Kontakts hat neben einer Zunahme von Ängsten zu einem deutlichen Anstieg von depressiven Episoden geführt“, erklärt der Therapeut. Zu Beginn der Pandemie standen vor allem Sorgen und Ängste in Bezug auf die eigene Gesundheit und Sicherheit im Vordergrund; Routinen und Regeln im sicheren Miteinander mussten erst gefunden werden. „Schließlich rückte dann der durch die verschiedenen Lockdowns, die Schließungen der Universitäten und die Verlagerung der Lehre in den digitalen Raum verursachte Strukturverlust in den Vordergrund. Die Studierenden waren sehr gefordert, ihre Tage selbst zu strukturieren und sich zu motivieren, da viel an äußerem Rahmen und damit an strukturellem Halt weggefallen ist. Nach eineinhalb Jahren Pandemie und einer zu erwartenden Normalisierung gehen diese Schwierigkeiten nun wieder zurück. Was jetzt verstärkt auftaucht, sind Sorgen die eigene berufliche Zukunft betreffend. Auch wenn der Kulturbetrieb nun wieder Fahrt aufnimmt, zweifeln viele Studierende, ob dieser zu einer Situation wie vor der Pandemie zurückkehren kann und wird. Covid hat hier wohl zu einer bleibenden Verunsicherung geführt“, stellt Parte aktuell fest.
Um „krisensicher“ durch eine derartige Situation zu kommen, bringen Menschen unterschiedliche Voraussetzungen mit. „Der eine hat vielleicht schon einiges erlebt in seinem Leben und kennt sich daher schon recht gut, was in Krisen wichtig für ihn ist und wie die eigene Resilienz erlebt wird, eine andere Person muss sich diesen Herausforderungen ganz neu stellen. Jede Person hat Ressourcen und Fähigkeiten, mit Krisen umzugehen. Zusätzlich sind ein sicher erlebtes Beschäftigtsein, beispielsweise durch Studium, Arbeit oder eine Aufgabenstellung als strukturierender Inhalt, sowie zumindest halbwegs stabile finanzielle und soziale Verhältnisse und körperliche Gesundheit von großer Bedeutung. Krisen haben die Eigenschaft, sehr spontan aufzutauchen und dann erst einmal alles durcheinanderzuwirbeln“, beschreibt Evelyn Jahn den sehr individuellen Umgang in derartigen Situationen. Sehr wichtig erscheint ihr auch die Einordnung der Größe und Bedeutung der Krise für das eigene Leben. „Welche Bereiche in meinem Leben sind davon betroffen? Ist vielleicht etwas unbeschadet davon geblieben, was bricht weg? Welche Ressource bleibt bestehen, und was muss eingetreten sein, dass die Krise als bewältigt erlebt und eingeordnet wird? Besonders wichtig sind sogenannte stabilisierende Faktoren: regelmäßige Nahrungsaufnahme und Minimum sechs Stunden Schlaf, so gut es geht eine Tagesstruktur beibehalten können und Kommunikation mit anderen. Sich jeden Tag aufs Neue kleine Orientierungspunkte schaffen“, rät die Therapeutin. Darüber hinaus ist es auch wichtig, wen man an seiner Seite hat – Freundeskreis, Kolleg_innen, Familie können hier Unterstützung bieten. „Und man sollte sich auch die Frage stellen: Wie geht es meiner Psyche, habe ich Symptome, brauche ich professionelle Hilfe?“, so Jahn. Oft haben Menschen das Gefühl, ihre Probleme und Sorgen seien nicht wichtig genug, und vergleichen sich in solchen Situationen stark mit anderen. „Ich antworte diesen Personen, dass jeder Mensch ein Recht auf seine Empfindungen und sein Jammern hat, egal ob es daneben noch Menschen mit objektiv betrachtet größeren Problemen und weniger Ressourcen gibt. Schuldgefühle und schlechtes Gewissen anderen gegenüber sind absolute Krisenverstärker und müssen daher mit sehr deutlichen Worten so früh wie möglich im Gespräch abgefangen werden.“
Wie sehr Covid als Belastung empfunden wurde und wird, unterscheidet sich genauso wie der Umgang damit und wird selbstverständlich auch von anderen Faktoren, wie z. B. der sozialen Situation, beeinflusst. „Während manche von ‚Entschleunigung‘ sprachen, haben andere mit Mehrfachbelastungen, massiven Existenzbedrohungen und -ängsten, aber auch gesundheitlichen Beschwerden zu kämpfen gehabt und kämpfen auch noch aktuell. Wer schon vor der Krise in einer nicht privilegierten Situation war, wird auf psychosozialer Ebene noch mehr Belastungen zu bewältigen haben“, erklärt Marion Herbert. Auch bei den Nachwirkungen der Krise wird es ähnlich aussehen, so ihre Einschätzung. „Bei manchen kommen diese vielleicht erst, wenn der größte Stress vorbei ist und der ‚Überlebensmodus‘ aufgegeben werden kann – Ängste, Erschöpfung und depressives Erleben sowie eine Erschütterung des Sicherheitsgefühls könnten zeitverzögert auftreten. Auch diejenigen, die unter den Symptomen von Long Covid leiden, werden noch länger gefordert sein – manche werden vermutlich noch viel Geduld, Durchhaltevermögen, Zeit und ein unterstützendes Umfeld brauchen, um sich zu erholen bzw. wieder Boden unter den Füßen zu bekommen und sich wieder sicher und gesund fühlen zu können.“ Ein Patentrezept, wie man künftig mit derartigen Krisen umgehen kann, gibt es freilich nicht. „Aber Ideen, was in Krisensituationen unterstützen kann, gibt es: Sich mit förderlichen Menschen zu umgeben, die guttun, denen man sich anvertrauen kann, um mit eigenen Belastungen nicht alleine zu bleiben, dürfte für viele schon entlastend sein. Manchmal tut es gut, mit nahestehenden Personen zu reden, manchmal kann es auch helfen, mit professionellen Helfer_innen in Kontakt zu treten, um eine ‚Außenperspektive‘ zu bekommen bzw. Familie und Freund_innen nicht zu sehr zu belasten. Schuld, Selbstvorwürfe und Scham sind in diesem Zusammenhang auch oft zentrale Affekte. Diese Gefühle sind verständlich, meist aber nicht entlastend, sondern eher die Situation bzw. die eigene Wahrnehmung der aktuellen Krise verschlimmernd. Wenn es gelingt, für sich selbst und die aktuell empfundene Ohnmacht und/oder Überforderung auch Verständnis zu entwickeln, ist ein wesentlicher Schritt schon getan.“ Wie ihre Kollegin Jahn rät auch Marion Herbert zu einer gewissen Struktur im Alltag: „Regelmäßiges Schlafen, Essen und Trinken sind das Um und Auf – das wird in krisenhaftem Erleben oft nicht ausreichend beachtet. Und dann weiter schauen: Wer oder was tut mir aktuell gut? Wo kann ich mir punktuell Auszeiten schaffen? Wo sind kleine Momente der Ruhe/Kraft/Entlastung trotzdem möglich? Vielen hilft auch eine Tagesstruktur, um wieder ein wenig in eine gefühlte ‚Normalität‘ zu kommen. Wichtig ist aus meiner Erfahrung heraus, sowohl die Ressourcen als auch die Belastungen und die Schwere im Auge zu behalten.“