Es gibt Menschen, denen könnten wir ewig beim Sprechen zuhören – fast unabhängig davon, was sie sagen. Es berührt uns in irgendeiner Form und reißt uns mit. Anderen wiederum können wir kaum folgen – wir werden in der Theatervorstellung unruhig oder können Gesagtes in einem Vortrag nicht richtig aufnehmen. Doch woran liegt das?
Eine Frage, die auch Florian Reiners, Professor für Sprachgestaltung am Max Reinhardt Seminar im Zuge seines Unterrichts, aber auch in der Praxis an zahlreichen Theatern immer wieder beschäftigt hat. Obwohl Schauspieler_innen einen Text sinngemäß sprechen und auch interpretieren, kommt dieser nicht richtig beim Publikum an. „Gemeinsam mit meinen Studierenden fand ich heraus, dass in so einem Fall in der Textvermittlung die inneren Bilder der Sprecher_innen fehlten, die die Worte zu den Zuhörer_innen transportieren und in ihnen wiederum ihre Bilder vom Inhalt entstehen lassen“, so Florian Reiners. „Um die passenden Bilder zu einer Textinterpretation zu finden, entwickelte ich die Methode Bilder sprechen, ein bisher noch nicht beschriebenes kreativ-visuelles Instrument, mit dem Ziel, dem individuell gesprochenen Wort zu Lebendigkeit, Spontaneität und Unmittelbarkeit zu verhelfen. Das funktionierte so gut, dass ich es seit vielen Jahren zum festen Bestandteil meiner Lehre gemacht habe.“ Weil Studierende immer wieder danach fragten, ob man die Methode irgendwo nachlesen könne, schrieb Reiners seine Hypothesen nieder und gab sie seiner Kollegin Susanne Altweger, die selbst am Max Reinhardt Seminar studiert hatte, um diese aus psychologischer Sicht zu beurteilen. „Ich kannte die Arbeit am Text sowohl als Schauspielerin als auch als Regisseurin. Außerdem hatte ich berufsbegleitend Psychologie studiert und bin als Kommunikationstrainerin ebenfalls mit dem Thema befasst. Durch meine Zusatzausbildung im katathymen Bilderleben war ich es außerdem gewohnt, mit Bildern zu arbeiten“, erklärt sie. Die von Reiners empirisch erprobten Erfahrungen aus dem Unterrichtsalltag konnten somit aus Sicht der Psychologin erklärt werden – die Basis für das Buch Das gesprochene Bild. Die Methode „Bilder sprechen“ zur künstlerischen Sprachgestaltung war geschaffen.
Doch wie funktioniert das nun genau? „Um Spontaneität und Lebendigkeit auf zu reproduzierende Autorentexte zu übertragen, nutze ich verinnerlichte Bilder der Sprecher_innen. Diese entstehen zuerst durch Anreichern, also durch die intensive Beschäftigung mit dem Text, den Autor_innen und der Zeit, in der der Text entstanden ist. Anschließend wird dieser sinnhaft eingeteilt und durch Verknüpfen mit inneren Bildern verfügbar. Das Besondere daran ist, dass der Text in kleine Abschnitte aufgeteilt wird, und man sich Teilfiguren überlegt, die oft erstmal nur Eigenschaften entsprechen (z. B. die Wütende, der Zwanghafte etc.). Dann suchen wir dazu passende Signalbilder, zum Beispiel Personen aus Filmszenen oder dem eigenen Alltag und verknüpfen diese spielerisch mit den Teilfiguren. Für das Interpretieren der Texte werden diese Teilfiguren dann wiederum mit den passenden Textstellen verknüpft, sodass die Signalbilder jederzeit abrufbar sind. Die Sprecher_innen erlangen so Spontaneität und Interpretationsfreiheit im Sprechvorgang“, erklärt Florian Reiners seine Technik. Wichtig ist, dass bei dieser Methode nicht auf eigene Erinnerungen oder Eigenschaften zurückgegriffen wird, sondern auf jene von „geliehenen“ Figuren, wie Reiners es beschreibt. Das hat den Vorteil, dass auf der Bühne keine privaten Erlebnisse und Gefühle abgerufen werden (müssen), was mitunter schwierig sein kann.
Warum die Technik so gut funktioniert, erklärt Altweger so: „Lange vor dem Spracherwerb nehmen wir die Welt visuell wahr. Bilder sind sehr wirkmächtig und das können wir hier nutzen. Wir haben es mit einem iterativen Prozess zu tun: Durch die beschriebenen Anreicherungen wird das Ergebnis – in diesem Fall eine mitreißende Umsetzung des Textes durch Sprache und innere Bilder – so lange weiterentwickelt, bis das Ergebnis hörbar stimmig von dem/der Sprecher_in erachtet wird.“
Texte werden also mit emotionalen Inhalten und Bildern verknüpft und mehrfach wiederholt, um eine stimmige Assoziation abzuspeichern und abrufbar zu machen, um schließlich einen lebendigen Text zu haben. „Es gibt viele Arten einen Satz zu sprechen und am Ende einer gelungenen Textarbeit doch nur eine. Wir hoffen, dass Bilder Sprechen auf diesem Weg alle Sprecher_innen inspiriert, auf ihrer Forschungsreise ihr gesprochenes Bild zu finden“, so Florian Reiners.