Eine internationale musikwissenschaftliche Konferenz zum hundertsten Geburtstag von György Ligeti

„So verschieden die Kriterien für die Künste und die Wissenschaften auch sind, Gemeinsamkeiten gibt es insofern, als die Menschen, die in diesen beiden Bereichen arbeiten, von Neugier angetrieben werden. Es gilt, Zusammenhänge zu erkunden, die andere noch nicht erkannt haben, Strukturen zu entwerfen, die bis dahin nicht existierten.“1

Zeit seines Lebens hatte György Ligeti (1923–2006) ein ausgeprägtes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften und hob immer wieder die Ähnlichkeiten zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Denken sowie den entsprechenden Verfahrensweisen hervor. Erfinden und Erforschen spielten in seinem Konzept des musikalischen Komponierens eine zentrale Rolle und Ligeti beschrieb verschiedenste Facetten des entdeckenden Vorgehens mit zahllosen Metaphern, so bezeichnete er sich unter anderem als „ein[en] Blinde[n] im Labyrinth, der sich herumtastet und immer neue Eingänge findet und in Zimmer kommt, von denen er gar nicht wußte, dass sie existieren“2. Die Vielfalt seiner Ansätze und Interessen – nicht zuletzt an benachbarten Künsten wie Literatur und bildender Kunst –, die neben seiner intensiven Auseinandersetzung mit anderer Musik (von Bartók, Bach, Mahler oder Webern bis hin zu afrikanischer Musik) eine große Rolle spielten – und die Fülle seiner kompositorischen Ansätze aus über fünf Jahrzehnten bezeugen dieses Selbstbild: Experimente, Mikropolyphonie, hybride Stimmung, harmonische Netzwerke, komplexe metrische und rhythmische Strukturen, „meccanico style“, die Lust am Absurden, akustische Illusionen oder „synthetische Folklore“ sind nur einige wichtige Stichwörter mit Blick auf Ligetis vielschichtiges Gesamtwerk.

Das Symposium anlässlich des 100. Geburtstages Ligetis rückt unter dem Titel „Kylwiria“ – ein von Ligeti in seiner Kindheit erfundenes Land – das erfinderische und forschende Denken des Komponisten in Bezug auf seine Kompositionstechniken und damit philosophische und ästhetische Aspekte in den Fokus. Anhand zahlreicher Kompositionen Ligetis werden unter anderem die Rolle explorativer Strategien und Entscheidungsprozesse, die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Konzepten, naturwissenschaftlichen Beobachtungen und deren kreative Übertragungen und Übertreibungen sowie Ligetis ambivalentes Verhältnis zu Utopien thematisiert. Gleichzeitig sollen neue Zugänge zu Ligetis Musik und seinem kompositorischen Denken diskutiert werden, die seit einigen Jahren verstärkt sichtbar werden. Dazu gehört auch die kritische Reflexion seiner Selbstdarstellungen, seiner analytischen Auseinandersetzung mit Musik und Kommentare zu eigenen Arbeiten.

Ausschnitt aus Ligetis „Kylwiria“, einem Land, das er als Kind erfunden und auch gezeichnet hat © Privatbesitz

Das in Kooperation mit der Paul Sacher Stiftung Basel, dem Institut für Musikwissenschaft des Geisteswissenschaftlichen Forschungszentrums Budapest, der Ungarischen Musikwissenschaftlichen Gesellschaft und dem Joseph Haydn Institut für Kammermusik und Neue Musik ausgerichtete Symposium findet am 10. und 11. Mai an der mdw sowie am 12. und 13. Mai am Institut für Musikwissenschaft zu Budapest statt und wird von einem Konzertprogramm begleitet. Die Ausstellung Ligeti-Labyrinth, deren Besuch während des Symposiums geplant ist, wird bereits am 13. April im Museum für Musikgeschichte in Budapest eröffnet.

Mit Beiträgen von Amy Bauer, Tobias Bleek, James Donaldson, Andreas Dorschel, Paul Griffiths, Lukas Haselböck & Johannes Hiemetsberger, Joe Cadagin, Márton Kerékfy, Maria Kostakeva, Péter Laki, Benjamin R. Levy, Lukas Ligeti, Wolfgang Marx, Lóránt Péteri, Elisabeth Reisinger, Ewa Schreiber, Bianca Temes und Heidy Zimmermann. Programmplanung und Organisation: Anna Dalos (Budapest), Julia Heimerdinger (mdw), Márton Kerékfy (Budapest), Heidy Zimmermann (Basel) und Cora Engel (mdw).

Mehr Informationen unter: mdw.ac.at/imi/aktuelle-veranstaltungen/ligeti-100

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